Un-American Activities

Ich bekenne:

  • Ich habe gegen das uramerikanische Recht auf Auswahl verstoßen und auf die Frage der Einpackerin im Supermarkt – “Paper or plastic, Ma’am?”-  mit “I couldn’t care less.” geantwortet.
  • Ich habe nur ein Pfund Butter gekauft, obwohl ich drei für den Preis von zweien hätte bekommen können.
  • Ich habe nicht mit der Kreditkarte, sondern bar bezahlt. Viel schlimmer, ich habe Kleingeld abgezählt, damit der Kassierer mir einen glatten Betrag herausgeben kann.
  • Ich habe meinen Einkaufswagen auf den dafür vorgesehenen Sammelplatz zurückgestellt.

Jawohl, ich übernehme die Verantwortung für psychische Langfristschäden bei Kassen-, Einpack- und Einkaufswageneinsammelfachkraft und, wo ich gerade dabei bin, den Untergang der US-amerikanischen Binnenwirtschaft durch Konsumverweigerung.

Manchmal habe ich direkt Sehnsucht danach, in einem deutschen Supermarkt angeraunzt zu werden.

Opposites attract

In letzter Zeit wirkt einer meiner Arbeitskollegen mitunter sehr erschöpft. Das liege daran, daß er eine neue Freundin habe und als ich das mit einem verständnisvollen Grinsen kommentiere, wehrt er ab: “No, no, it’s not what you think…” Die Neue sei vielmehr eine “Type A Person”. Das sind sehr umtriebige, geschäftige Menschen ohne Talent zum Alleinsein mit prallvollen privaten Terminkalendern bei denen ständig was los sein muß, am besten mit vielen Leuten. (Die konnten sich schon als Kinder nicht selbst beschäftigen und organisieren mit Leidenschaft “surprise parties”.) Er habe hingegen eher eine Type B Personality, definiert durch die Fähigkeit, einfach mal nichts tun können und sich trotzdem (oder gerade deswegen) sehr wohl in seiner Haut zu fühlen. Manchmal mache das Überallhinmitgezogen werden doch ein bißchen müde.

Tja dann. Viel Glück dem jungen Paar.

Vorfreude

In der Stadt ist heute “World Naked Bike Ride Day”. Kann ich nicht mitmachen, hab’ kein Fahrrad. (Nur deswegen, is’ klar.) In der San Francisco Bay macht gerade ein Grauwal eine Schwimmpause auf seinem Weg nach Mexiko, dem könnte man beim Fontänen blasen zuschauen und in Oakland tritt Flogging Molly auf (leider schon ausverkauft).

Auf meinem Plan steht hauptsächlich, das Haus besuchsfein zu machen, weil sich richtig viele Gäste angesagt haben. Am Montag kommt Christoph, am Freitag Uli und Rainer. Eine Woche nach deren Abreise werden Annette und Familie eintreffen – wie gesagt, richtig viel los und ich freue mich riesig! Damit ich nicht in Zeitnot gerate, habe ich vorhin vier Garnituren Bettzeug bezogen, Staub gesaugt und Spinnweben an den unmöglichsten Stellen entfernt. (Ich tröste mich ja immer damit, daß Spinnen harmlos sind (auch die mittelgroßen quergestreiften im Schlafzimmer) und ihre Anwesenheit auf ein gutes Ökoklima schließen läßt und nicht etwa zu große Zeitabstände beim Staubwischen. Es kann naürlich auch daran liegen, daß bei den vielen Ritzen hier im Haus die Übergänge zwischen Außen und Innen doch recht fließend sind und auch Insekten lieber im Warmen wohnen.)

So, schlafen können nun alle. Was gibt’s zu essen? (Fürs Trinken ist schon gesorgt.)

Was habe ich ein Dusel: Sam von Gegenüber hat die Obst- und Gemüsedistribution optimiert. Das neue Modell ist statt einer anonymen Kiste vor der Haustür am Freitagabend nunmehr Sabine am Samstagmorgen abzufangen und die Auswahl aus dem überreichlichen Angebot selbst treffen zu lassen. Mit kleinen Manipulationsansätzen wie “I think you like string beans (Grüne Bohnen), look here, I bring you big bag. No? Siiii! And you love bell peppers (Paprikaschoten in allen Farben)? No? Siiii!” Alles, was ein Vegetarierherz begehren könnte frei Haus und er schafft es irgendwie immer, in irgendeinen Beutel ein paar jalapeño peppers und Avocados hineinzuschummeln (sind schließlich Grundnahrungsmittel – in Mexiko). Ich bin schwerbepackt über die Straße zurück nach Hause gegangen und ich find’s so dermaßen klasse! Wir haben uns wenigstens darauf einigen können, daß er mir die Rohware liefert und ich mich dafür mit “processed food” (Kuchen, Pralinen, Brot etc.) revanchieren darf.

Zum Frühstück gab’s ein Omelette mit frischen Tomaten, Paprika und Avocados, zum Abendessen Bohnensuppe à la Mexicaine, schön scharf mit Jalapeños und Tomaten und Möhren und Kartoffeln (ich hoffe bloß, das Christoph Bohnensuppe mag, das ist ein schöner großer Topf voll geworden). Morgen früh gibt es Mango-Lassi und im Laufe des Tages werde ich wohl wieder Limettenkuchen backen. Sobald ich Mehl, Butter und Eier nachgekauft habe.

So ein netter Sam!

Was will uns der Bewerber damit sagen?

Published a book in China to introduce my theory on humanistic psychology!

Ich habe nichts hinzugefügt oder weggelassen – das ist der erste Satz (inkl. Satzzeichen) einer Bewerbung auf eine Stelle als Core Java Entwickler. Warum denkt er, daß es seine Chancen erhöht, wenn er mitteilt, ein Psychologiebuch geschrieben zu haben? Warum China? Und, wichtigste Frage von allen: warum verbrät er meine Zeit damit? Java kann er nämlich nicht.

Dafür habe ich was gelernt: Humanistische Psychologie zielt auf die Entfaltung einer gesunden, sich selbst verwirklichenden und schöpferische Persönlichkeit.

Let’s take a ride

Hierzulande reitet man alles, Autos, Achterbahnen, Boote, Trucks, Straßenbahnen, Fahrräder, Rikshas, Motorräder… – sogar Spaß.
(Späßle g’macht.)

Als Toni unser Auto heute früh mal wieder mit ächzenden Achsen durch Schlaglöcher ritt, ist ihm ein Licht aufgegangen und er hat’s mir erklärt: die bauen hier die Straßen mit Absicht mit “uneven pavement”, weil der Westerner noch nicht recht über seinen inneren Lonesome-Cowboy-My-Rifle-My-Pony-And-Me hinausgewachsen ist.

Woody hat das schon 1946 gewußt: http://bit.ly/3vSHV

Frisch, fromm, fröhlich, frei*

Schulsport ist eine gute und nützliche Sache, vor allem, wenn man die Kinder mit der hiesigen Schulverpflegung vollstopft, wo Ketchup als exotische Gemüsebeilage gilt. Allerdings kostet Physical Education (“PE”) Geld und Geld ist knapp. Wie so oft an hiesigen Schulen baut auch die Schule meines Nachbarsbuben auf Eigeninitative und eine Variante der guten alten Tradition des “bake sale” (Kuchenverkauf für einen guten Zweck).

Es gibt eine ganze Industrie für “School Fundraiser”, Marktführer ist “World’s Finest Chocolate” (http://bit.ly/zl2CkV). (An der Schokolade ist nichts fein, nicht, wenn man schon mal Schokolade gegessen hat, die nicht “made in USA” ist.) Das Unternehmen vertreibt Schokoriegel in Kartons à 50 Stück, deren Umverpackung individuell mit dem Namen der Schule bedruckt ist.  Zum Stückpreis von $1. Davon gehen 50 Cents pro Riegel an die Schule, die andere Hälfte an den Hersteller.

Alejandros Klasse an der “Belle Air School” muß für das zweite Schulhalbjahr $10,000 auftreiben, damit die Kinder Sportunterricht bekommen können. Das heißt, ca. 30 Kinder müssen 400 Schokoladenschachteln verkaufen (13,3 Schachteln = 666 Schokoriegel pro Kind), an Freunde, Verwandte, Nachbarn und Eltern. Die meisten Schüler haben Geschwister an der Schule, das heißt für die gleichen Freunde, Verwandten, Nachbarn und Eltern, daß man jedem der Kinder ein paar Riegel abkaufen muß. Carmen hat mir erzählt, daß die ersten Kunden immer die Eltern sind (und fluchen, weil ihre Kids dann ständig die Schokolade futtern, die so überreichlich im Haus herumsteht). World’s Finest Chocolate hat nämlich eine ganz perfide Verkaufsstrategie: die jeweils besten Verkäufer ihrer Klasse bekommen einen Ausflug in einer Limousine zu In-N-Out Burger. Deswegen sind die Eltern auch immer noch einmal die letzten Kunden, weil sie ihren Kindern den Spaß nicht nehmen wollen. Und World’s Finest Chocolate verdient sich dumm und dämlich.

Ich habe Alex gestern 20 Schokolädchen abgekauft, damit sollte meiner nachbarlichen Pflicht Genüge getan sein. Habe sie heute früh im Büro deponiert, abends waren es nur noch 10. Geht doch.

* Turnvater Jahn rotiert wahrscheinlich in seinem Grab.

Abwesenheitsnachricht

Heute hat mich ein Geschäftspartner wissen lassen, er sei ooo (Out-Of-Office). Für Vertretung ist gesorgt: “For hugs and general lifestyle advice, please contact [Name]“.

Scheint, daß sonst er in seinem Laden den Corporate-Shrink-Hut aufhat…

Super-Tuesday

Eigentlich könnte ich, dachte ich gestern Nacht, den Tag mit einem schnellen “Mitt is it”-blogpost abschließen. Ich bin dann aber doch erst mal schlafen gegangen, in Amerika weiß man ja nie. Daß ich daran gut getan habe, zeigt sich heute früh. Zwar hat Mitt Romney die “Primaries” in sechs von zehn Bundesstaaten gewonnen, seine republikanischen Gegner sind aber auch alle Sieger. Newt Gingrich hat Georgia (seinen Heimatstaat) für sich entschieden und sieht sich deswegen als zukünftigen Präsidenten.  (?!?) Rick Santorum hat drei Staaten gewonnen und begreift das nicht als Niederlage, sondern allenfalls als Ansporn, nun noch mehr Geld in den weiteren (Vor-)Wahlkampf zu stecken. Ron Paul hat zwar nirgends eine Mehrheit bekommen, will aber auch weitermachen.

Man muß sich das vor Augen halten: dies sind alles Mitglieder derselben Partei und sie zerfleischen sich so sehr, daß das CSU-Credo von “Freund – Feind – Parteifreund” wie eine Sympathieerklärung wirkt. Obwohl Mitt Romney rechnerisch vorne liegt, wird grauselige Wahlkampf weitergehen, immer noch weiter. Mit wirren Thesen, die Religion und Politik eng verknüpfen wollen, Obama auf eine Stufe mit Lenin, Stalin, Marx und Engels stellen, und ständig die Zweifel an seiner Herkunft neu aufkochen – “ist er denn wirklich ein echter Amerikaner?” und kranken Theorien, wie zum Beispiel der, daß die Verfügbarkeit von Verhütungsmitteln zu Promiskuität bei Frauen führe. Hauptsache, sie drehen das Rad mit Gewalt zurück. (Wie gesagt, sie sind keinen Deut besser als irgendwelche fanatischen Ayatollahs.)

Außen-, Wirtschafts- und Sozialpolitik? Fehlanzeige. Warum auch, solange man sich so schön zerfleischen kann. Die Republikaner arbeiten aktuell fleißig daran, daß Amerika der aktuelle Präsident erhalten bleibt.

Stormy Weather

Am Montagmorgen bebt es, Montagnacht brausen Stürme, daß der Liegestuhl wieder über die Terasse scheppert, Dienstagfrüh liegen auf Gehwegen und Straßen abgerissene Äste und unter dem Magnolienbaum ein dicker Blütenblattteppich (so dick, der braucht drei “t”s), für alle Brücken gelten weiter “High Winds”-Warnungen, Dienstagabend hat der Dreckskaltewind immer noch nicht aufgehört zu blasen. Es reicht! Ich bin in den letzten dreieinhalb Jahren zur mehrfach gesteigerten Version eines kälteüberempfindlichen Warmduscherweicheis geworden und mich friert bei unter 20°C gottserbärmlich. Bitte wieder scheinen, liebe Sonne!

Falls wer fragt: ja, meinen Turnbeutel habe ich auch vergessen.

European socialism*

Wer versucht ist, aus den Antidiskriminierungsgesetzen in den USA auf gängige Arbeitnehmerrechte zu schließen, liegt grundverkehrt. Nicht nur, daß es einem Amerikaner äußerst schwer fallen würde, Worte wie “Bundesurlaubsgesetz” oder “Lohnfortzahlung im Krankheitsfall” auszusprechen, er würde auch ihren Sinn nicht begreifen, weil er dergleichen nicht kennt. Es steht einem Arbeitgeber nämlich hierzulande vollkommen frei, überhaupt Urlaub zu gewähren. Tut er es, hat er rechtlich die Option in dieser Zeit kein Gehalt zu bezahlen, mit der bestechenden Argumentation, daß der Mitarbeiter nichts tut und deswegen auch nichts verdient. Schon gar kein Geld. Gewährt der Arbeitgeber bezahlten Urlaub, dann muß der Mitarbeiter den Urlaubsanspruch “erwerben”, heruntergebrochen auf die Anzahl der Monate, die er gearbeitet hat. (Im allgemeinen sind das 12 Tage im Jahr, einer pro Monat, das heißt, man kann im Juni für fünf Tage auf Reisen gehen und steht dann wieder bei Null. – Kein Wunder, daß amerikanische Touristen “Europe in five days” “machen”, sie haben einfach nicht mehr Zeit.) Für den Begriff “Erholungsurlaub” referenziere ich auf die oben getätigten Ausführungen.

Abwesenheit wegen Krankheit ist ähnlich geregelt: es besteht ein Anspruch auf X “Sick Days”, die wie die “Vacation Days” erst im Laufe des Jahres “erworben” werden. Wenn einer schon krank werden muß, dann empfiehlt es sich, damit bis gegen Jahresende zu warten. Hat er Pech und ist früher dran, dann bekommt er für die Tage, die er schon erworben hat, einen “Paid Sick Leave”. Danach gibt es kein Gehalt mehr. Oft kommt erschwerend hinzu, daß diese “Policies” erst ab dem ersten vollen Jahr des Arbeitsverhältnisses wirksam werden. Wenn man nicht viel Geld für eine der wirklich teuren Krankenversicherungen, die auch Lohnfortzahlung beinhalten, bezahlt (wir erinnern uns, es gibt immer noch keine staatliche “Health Care”), dann führt eine schlimme Erkrankung ziemlich zügig zum wirtschaftlichen Ruin. Man betreibt hier eben keinen Kapitalismus mit sozialem Antlitz, sondern hat nur die häßliche alte Fratze im Angebot (das ist genau dieses System das einen Begriff wie “Human Capital” gebiert).

Als ultima ratio bleibt einem Angestellten dann nur noch dies: “I ran out of Sick Days. So I called in dead.” (Frei übersetzt: “Mir sind die Krankheitstage ausgegangen. Hab’ ich mich halt totgemeldet.”)

*”I am for the Constitution; he is for European socialism!” (Newt Gingrich über Präsident Obama bei einer Wahlkampfveranstaltung in Florida.)