Ich wage zwei Vorhersagen: a) das ist eine von den Stephen-King-Verfilmungen, die in die Kinogeschichte eingehen wird, wie “Shawshank Redemption”, “Stand by me” und der noch sehr neue “Life of Chuck”* und b) einer von den Filmen, von denen man sagen wird, dass sie der Anfang der Karriere einiger der beteiligten jungen Schauspieler waren. Nein, ich gendere hier bewußt nicht, die einzige Frauenrolle ist “Mutter des Helden” (Judy Greer) und sie taucht nur sehr kurz auf.
Worum geht es? In einem amerikanischen Polizeistaat einer nicht näher definierten dystopischen Nachkriegszeit treten alljährlich 50 junge Männer (ein Freiwilliger aus jedem Bundesstaat) zu einem Marsch mit strengen Regeln an: das Tempo darf nicht unter drei Meilen pro Stunde fallen, der Weg unter keinen Umständen verlassen werden. Drei Verwarnungen bedeuten den Tod, der Marschierer wird auf offener Straße erschossen und liegengelassen. Beim Einlauf vor einer – gefälligst – jubelnden Menschenmenge winkt dem Sieger ein immenser Geldpreis und die Erfüllung seines Herzenswunsches, “no questions asked”. Als Zeremonienmeister fungiert der “Major” (Mark Hamill, dem diese Ekelfigur großen Spaß macht), in olivgrüner Felduniform mit dunkler Sonnenbrille, patriotische Phrasen dreschend und optisch ziemlich genau einer von den Typen, die Hegseth nicht in seiner Army haben will. Man ist vielleicht versucht, Parallelen zu den “Hunger Games” zu ziehen, läge damit aber falsch. Beim “Long Walk” ist keiner absurd oder sonstwie überzeichnet. Es ist einfach nur grausam.
Als die jungen Männer losgehen liegt über dem Anfang ein Vietnamkriegfilmvibe. Junge frische Gesichter, zuversichtlich und hoffnungsvoll – und bevor ich weitererzähle: das ist einer der wenigen Punkte, die ich an dem Film auszusetzen habe. Die Protagonisten bekommen kaum eine Hintergrundgeschichte und sind schon sehr früh auf Archetypen festgelegt.
Sei’s drum: erste Grüppchen bilden sich, wie das in Schicksalsgemeinschaften zu sein hat. Sehr organisch mit einer großartigen Chemie zwischen Raymond Garraty (Cooper Hoffmann)** und Peter McVries (David Jonsson). Und sie marschieren. Über brüchigen Asphalt mit Rissen und Schlaglöchern, durch ein verheertes Land im Verfall, an den Straßenrändern verendetes Vieh, verfallene Häuser, vergilbte verwaschene Billboards, die komfortable Zugfahrten anpreisen, brennende Straßenkreuzer (Fünfziger, Sechziger Jahre?), wenige, armselig gekleidete Menschen. Die Marschierer bekommen Krämpfe, ausführlich gezeigten Durchfall, die Wanderstiefel gehen kaputt, sie werden verwarnt. Dann wird der erste erschossen. Dann weitere. Jeder dieser Kopfschüsse wird in Großaufnahme gezeigt. Noch leiden die anderen mit. Oder sie freuen sich, wie Gary Barkovitch (Charlie Plummer), dass wieder einer ausgeschieden ist. Damit ist das Feindbild zementiert: der blondgelockte, hübsche Gary, der noch nie in seinem Leben Sport getrieben hat, aber mühelos und leichtfüßig unterwegs ist und sein Lästermaul einfach nicht halten kann. Es wird dunkel und kälter, sie marschieren im Flutlicht der Begleitfahrzeuge der Armee mit ihren schwer bewaffneten Besatzungen, manche schlafen im Gehen, nicht alle, die fallen, stehen wieder auf. Schüsse. Es ist ziemlich grausig. Und so geht es weiter. 100 Meilen geschafft. Schüsse. Noch eine Nacht. 200 Meilen. Schüsse. Fast 300 Meilen. Bis nur noch eine ganz kleine Gruppe übrig ist, in der Stebbins (Garrett Wareing) seinen großen Auftritt hat. Hut ab.
Stephen King hat die Buchvorlage Ende der Siebziger in seiner koksgetriebenen Vielschreiberphase unter dem Pseudonym Richard Bachman veröffentlicht und ich habe sie seinerzeit sehr gerne gelesen. (Das mit den Dystopien hat bei mir früh angefangen…). Er ist bei dieser Verfilmung als Produzent beteiligt, es ist also davon auszugehen, dass er zugestimmt hat, dass Buch und Film unterschiedlich enden und damit die Moral von der Geschichte eine ganz andere wird. Könnte der aktuellen politischen Situation in den USA geschuldet sein. Ich beende den blogpost über einen Film nach einem Buch von Stephen King mit dem zum aktuellen Ende passenden Slogan “No Kings” und hoffe, die Leserschaft findet das ebenso witzig wie ich. Hohoho.
* Die “Life of Chuck”-Kritik folgt bei Gelegenheit. Nur kurz: ein sehr sehr guter Film.
** Nachdem ich die ganze Zeit nicht festmachen konnte, woher ich Cooper Hoffman kenne, habe ich nachgesehen: Ich kenne ihn nicht. Er sieht nur seinem Vater Philip Seymor Hoffman so sehr ähnlich.