Dem Kaiser geben, was des Kaisers ist*

Der Begriff vom mündigen Staatsbürger ist hierzulande unbekannt. Statt gesunden Menschenverstands beherrscht den Amerikaner permanent Angst vor einem Regelverstoß und den nachfolgenden Sanktionen. (Beispiel: Bei Straßenbauarbeiten blinken einen hier Schilder an “Move over – it’s the law. Injure or kill a worker – fines doubled”, statt Geschwindigkeitsreduktionsschilder aufzustellen, auf daß Autofahrer mitdenken und schlichtweg langsamer fahren.)

Steuerzahlungen sind am Tax Day, dem 15. April fällig. Ausnahmen gibt es nicht. Und so flippt das ganze Land kollektiv in den ersten beiden Aprilwochen aus, weil die Steuererklärung noch gemacht werden und der Scheck rechtzeitig bei der IRS eintreffen muß (es gilt der Poststempel und das ist auch gut so). Noch mehr, als seine Steuern nicht rechtzeitig zu bezahlen, fürchtet der Amerikaner, der IRS Geld zu schulden (“you don’t want to owe!”) Das online-Steuererklärungsprogramm hat mich, während ich vorhin den Feds und den Kaliforniern die Steuern erklärte (zwei Steuererklärungen, man gönnt sich ja sonst nichts), mindestens vier Mal gefragt, ob ich die zu erwartende Rückzahlung nicht lieber gleich als Guthaben für eine mögliche Steuerzahlung im Jahr 2012 bei der Finanzbehörde liegen lassen wolle. Sonst noch was? Mich beunruhigt viel mehr, daß der Bundesstaat Kalifornien mir Geld schuldet. So notorisch pleite wie die sind, versuchen sie sicher wieder, mir einen Schuldschein anzudrehen…

*Aber doch nicht im Voraus!

Vorerst gestrichen

Das mit der Planerei lasse ich erst mal bleiben: Als ich nach dem Frühstück ich mit meiner Gartenschere ausrücke, um die von PG&E-David gestern geschnittenen Äste auf tonnenkompatible Größe zurechtzustutzen finde ich nichts mehr vor außer ein paar Blüten im Gras. Francisco war offensichtlich früher mit frühstücken fertig.

Das wird ein Monsterumzug werden, wenn ich hier mal weggehe. Mit allen meinen tollen Nachbarn.

“The Rain Event”

Eddie Bauer schreibt mir heute: “After 92 years in Seattle we know rain” und will mir seine “Three Levels of Rainwear” schmackhaft machen. Laß gut sein, Eddie – nach den Erfahrungen des heutigen Tages suche ich eher was mit UV-Schutz.

Viel Spaß in Seattle, Uli und Rainer!

Le Correcteur

Der flockblog hat eine sehr heterogene Lesergemeinde, vom Gelegenheitsleser, gegebenenfalls mit Aufforderung (ich verschicke manchmal links zu einzelnen blogposts) über den Audio-Genießer (ich arbeite aktuell am flockblock-podcast) bis zum Jedenbuchstabenverschlinger. Außerdem genießt der flockblog das Privileg, Tummelplatz eines unglaublich zuverlässigen Korrekturlesers zu sein (ich nenne keine Namen, Toni. So wie besprochen).

Nur noch hier und jetzt und heute die aktuellen Korrekturen (in den blogposts sind die Typos selbstverständlich und mit Dank ausgebessert):

Korrekterweise

  • Internierungslage – Auch interessant, ob wohl jemand die Wohnungen in Internierungslage kaufen wird?
  • Schwerem Sammangel – Gleich so schwer?
  • Tüschwelle (bei der Eddie-Lieferung) – Das heißt doch Tüschdecke…

Wertanlage

Ich bekomme bald Besuch von Freunden mit fünfjähriger Tochter und habe damit eine gute Ausrede, altersgerechtes Spielzeug anzusehen (dem Kinde soll es schließlich an nichts fehlen). So wie vorhin, als ich beim Yard Sale zwei Straßen weiter der knallbunten Gemüsehalskette (hölzerene Blumenköhlchen, Kürbisselchen, Möhrchen, Petersiliensträußlein, Tomätchen) wohl ein wenig zu viel Aufmerksamkeit geschenkt und damit bei der Verkäuferin ein wenig zu viel Hoffnung auf Umsatz geweckt habe. Ich solle die Kette unbedingt nehmen, “the color suits you” (was mich daran erinnert, daß die achtjährige Tochter eines Kollegen auf die Frage nach ihrer Lieblingsfarbe “Rainbow” angegeben hat) und außerdem, wortspielt sie, habe das “Jewel” immerhin “eight carats” (“carrots”).

Ich konnte auch bloß widerstehen, weil ich ein paar Stunden vorher den ganzen Kruscht in meiner Garage einmal von hüben nach drüben und zurück getragen habe. (Es tut mir aber jetzt schon leid.)

Vom Planen und Modifizieren

Ich neige dazu, mir fürs Wochenende einen Plan zu machen, meist eine Mischung aus Kür und Pflicht.

Geplant: Wie jeden Samstagmorgen ein Telefonat mit meinen Eltern.
Ungeplant: Mehrstündiges Trockenlegen der Garage, weil der Waschmaschinenschlauch währenddessen heimtückisch sich statt ins Becken in den Raum ergossen hatte. (Mann, steht in dieser Garage viel Zeug. Erwäge, einen Garage Sale zu planen.)

Geplant: In den ersten der endlich gelieferten Bände der “Planetary”-Reihe (Warren Ellis/John Cassaday) hineinlesen, dann ans Meer, Tidepools hüpfen.
Ungeplant: Ein gigantischer Frühlingstag, ein Liegestuhl mit Hafteffekt und ein paar Stunden später alle vier Bände gelesen zu haben.

Geplant: Friseurbesuch mit vollem Programm (Haare schneiden, Brauen zupfen).
Ungeplant: Beim Friseur sind alle Sessel und die Wartebank vollbesetzt. Dann halt nicht.
Modifikation: Beim Mexikaner Zutaten fürs Abendessen einkaufen.

Geplant: Heimfahren, Abendessen kochen.
Ungeplant: Von Carmen und Francisco abgefangen zu werden, die mir a) Obst übergeben, das Sam bei ihnen für mich deponiert hat und b) darauf hinweisen, daß die Halterung des Stromkabels zu meinem Haus auf dem Dach herumklappert und ich dringend bei PG&E anrufen soll, um das reparieren zu lassen, es bestehe nämlich akute Brandgefahr und bei den Holzhäusern hier und dem San Bruno-Wind fürchten sie den Funkenflug.
Modifikation: Erst telefonieren, dann kochen. Die Dame an der Hotline bei PG&E zeigt äußerste Besorgnis und verspricht, noch heute Abend den “Emergency-Truck” vorbeizuschicken, mit sowas sei nicht zu spaßen. Mir wird zum ersten Mal auch ein bißchen anders.

Ich mache keine weiteren Pläne mehr.

Der Mann von PG&E kommt schon eine knappe Stunde später, klettert auf die Leiter, konstatiert da, wo der “Plug” sitzen sollte, ein Loch im Dach und ein nunmehr gefährlich durchhängendes Kabel, da muß noch heute Abend was gemacht werden. Dann geschieht etwas, was ich bei einem Amerikaner noch nie erlebt habe: Er schimpft auf die Unfähigkeit der Amerikaner, ihre Infrastruktur zu warten und zu modernisieren – solche überirdischen Kabelführungen gebe es doch sonst nur noch in Dritte-Welt-Ländern, Kabel gehörten in den Boden. Das sei weder ästhetisch anzusehen, noch sei es sicher, aber dieses Land ziehe es ja vor, in der Weltgeschichte herumzureisen und den Staatshaushalt darauf zu verbraten “to blow other countries up”. Bei mir rennt er da offene Türen ein (hier heißt das “preaching to the choir”) und so lästern wir eine gute halbe Stunde lang über die republikanischen Präsidentschaftskandidaten (the Mormon and the Millionaire), den Irrglauben vom “Guten Amerika” (dieses romantisierte Fifties-Bild von wohlondulierten Hausfrauen in Petticoatkleidchen, die wegen eines neuen Staubsaugers in Ekstase ausbrechen), Sarah Palin, die diversen “bible belts”, den alltäglichen Rassismus, die Unabdingbarkeit einer staatlichen Basis-Krankenversicherung, das Faszinosum, daß Republikaner ihrem Wahlvolk Europa als sozialistisches Unding verkaufen (“they know how to beat their own drums”) und den irren Haß, der viele umtreibt und dazu führt, daß viele Amerikaner selbst einen Hauklotz wählen würden, wenn er nur republikanisch und weiß ist.

Zwischenzeitlich sind Carmen und Francisco hinzugestoßen und Francisco ist gleich voll bei der Sache, leuchtet David (dem PG&E-Mann) reicht Werkzeug an und die beiden fachsimpeln über den 200,000-Dollar-Truck, mit dem David unterwegs ist. Carmen verdreht nur die Augen und meint, sie kenne das von ihren “three boys. It’s always about tools.”

David stellt fest, daß sich das Hängekabel im Baum vor dem Haus verheddert hat und fängt an, Äste zu schneiden. Der Baum ist ein “community tree” und dergleichen Wartungsarbeiten liegen in der Verantwortung der Gemeindeverwaltung von San Bruno und darum – da sind sie sich alle einig – wird nie was passieren, wenn man’s nicht selbst macht. (Francisco ist nun vollends neidisch auf die Ausstattung von Davids Truck.)

Ein paar Minuten später meldet er Vollzug. Das Kabel ist wieder straff und statt des alten Steckers (den er in der Dachrinne hätte verankern müssen) hat er eine interessante Kabelschleifen-mit-Verbindungsstück-Installation geschaffen. Die entlaste das aus dem Haus kommende Kabel, das wohl noch ein Original aus der Bauzeit des Hauses in den vierziger Jahren sei und je-der-zeit brechen könne. (Der Vermieter ist, das bestätigt sich auch hier wieder, kein Fan von Renovierungsmaßnahmen.)

Wir scheiden schwer voneinander und bestätigen einander mehrfach, wie sehr uns die Unterhaltung gefallen hat. Ich biete an, sofort wieder einen Notfall zu haben, damit wir sie fortsetzen können (so lumpig wie das hier alles ist, ist das meine leichteste Übung). Er rät davon ab, weil er nicht immer an Samstagabenden Dienst habe, und ich, wenn ich Pech hätte, das nächste Mal auf einen von diesen “Dam’ Republicans” unter seinen Kollegen treffen könne. Eine Bitte hat er aber doch noch: “Tell your German friends that not all American are stubborn Red-neck Republicans. Some of us use their brains to think.”

Plan für morgen: einen Fünftelbaum in die grüne Tonne entsorgen. Die home improvement Maßnahmen nachholen, die heute wegen “power emergency” ausgefallen sind. Und dann wäre da noch die Steuererklärung…

3. 3., High Noon

Szene: Außen, Sonne, ein Garten in San Bruno, CA. Ein Klangteppich, gewoben aus Vogelgezwitscher, Kinderlachen, Triebwerken, Rasenmähergebrumm, E-Gitarrensound, mexikanischem Gedudel, Zugpfeifen und dem Flügelschlag von Vögelein, Schmetterlingen und Kolibris.

Auftritt der Gartenbesitzerin. Sie läßt ihren Blick wohlwollend über den frischgemähten Rasen, Triebe und Blüten schweifen, geht noch einmal ab und kehrt um eine Lage Kleidung leichter zurück, nimmt einen Schluck Kaltgetränk, seufzt ein tiefempfundenes Wohlfühl-Ach, postet ein Photo von Reineclaudenblüten und verschwendet noch nicht einmal einen Halbgedanken an den deutschen Winter.

Ich habe fertig – oder Schwach wie eine Flasche leer

Mein heutiger Lieblingsbewerber hat als besonderes “achievement” “The Bar Master System” angegeben, dessen Software er von Grund auf entwickelt habe:

The Bar Master System is an alcohol inventory control system which includes weighing products and the reporting site. This system helps in identifying loss happening in bars and lounges and helps tracking the complete life cycle of each bottle in the establishment.” Aha.

Er hat doch ganz offensichtlich nicht verstanden, daß andere den “loss happening in bars and lounges” ganz einfach “Gepflegtes Trinken” nennen und der Lebenssinn einer Flasche darin besteht, in diesen Etablissements voll angeliefert, mit Freude leergetrunken und endlich dem Altglascontainer zugeführt zu werden.

Den Kandidaten haben wir nicht genommen.

Going to the Movies

San Bruno ist ein für hiesige Verhältnisse kleines Kaff. Aber wir haben eine Shopping Mall. Die heißt “Tanforan”, war ganz früher mal eine Pferderennbahn und in den Vierzigern ein Internierungslager für Japaner. In der Mall gibt’s ein Kino (“Need a break from shopping?”). In einem kleineren Saal zeigt man an Dienstagabenden Filme für ein Nischenpublikum: Opernabende aus der Met in New York, Boxkämpfe, “Elvis 75th Anniversary Celebration Tour” (der King lebt, man hats ja schon immer gewußt) oder eben “Crossroads”, DAS Mega-Musik-Event für Gitarrenliebhaber (http://www.crossroadsguitarfestival.com/).

Habe letzte Woche mit großem Genuß “Eric Clapton Crossroads 2010” gesehen – und alle meine Rainers vermißt. Ihr hättet den Film auch gemocht.

Zitat

Heute gelesen und sehr schön gefunden (auch wenn ich sonst kein uneingeschränkter William Gibson Fan bin): “The sky above the port was the color of television, tuned to a dead channel.”