Wer schön sein will, darf schlemmen

Im Zuge meiner samstäglichen “errands” (Erledigungen, Besorgungen) war ich gestern schnell bei Lien im Beauty Salon oben am Camino, auf dass sie mir die Brauen zupfe. Kaum öffne ich die Tür, schallt ein Jubelschrei durch den Raum (der pedikürenden Kollegin ist dabei vor Schreck das Pinselchen entglitten und die Kundin hatte einen netten violetten Nagellackkringel auf dem Großen Zeh). Da sei ich ja endlich, sie habe die ganze Nacht gebetet, dass ich heute komme. (Ich war, glaube ich, noch nie die Antwort auf irgendjemandes Gebet und offen gestanden ein wenig verwirrt.)

Was? Wer? Wie? Ja, diese Woche sei doch der Todestag ihres Mannes. “Langsam, Lien. Was hat das mit mir zu tun?” (Beiseit: “Ich war’s nicht. Ehrlich.”) Morgen treffen sich Familie und engste Freunde bei ihr zu Hause für eine Gedenkfeier. Um 4:00pm. Alle. Und ich auch. Ich hätte doch nicht etwa etwas anderes vor? Nein, habe ich nicht. Ich fühle mich geehrt und komme gerne. Vielen Dank für die Einladung. Soweit. So spontan. Danach habe ich räsonniert, ob ich da wirklich hin soll. Oder ob das so eine amerikanische Einladung ist, und es zu einem sehr sehr “awkward moment” führt, wenn man dann wirklich vor der Tür steht. Andererseits: sie ist Vietnamesin und mag mich wirklich – schlimmstenfalls fahre ich einfach wieder heim.

Also habe ich heute früh einen Newton-Kuchen gebacken (mit “gravity apples” – selbst erfunden. Klingt doch viel hübscher als Fallobst…) und mich nachmittags auf den Weg nach Newark gemacht, über die Dumbarton Bridge, durch eine herrliche Marschlandschaft. Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte, aber anscheinend nicht diesen gepflegten Suburbia-Boulevard, der Mittelstreifen bewachsen von riesigen alten Zedern und zapfenübersät. Geräumige Ein- und Zweifamilienhäuser (aus Stein!, nicht wie meine Holzbruchbude), blühende große Magnolienbäume in den Vorgärten, in jeder Einfahrt mindestens drei Autos. Hmm. Überraschend.

Ich war am richtigen Haus, es war schon laut und voll (“Vietnamese Style: always loud and crowded”) und ich wurde vorgestellt, dem Sohn, der Schwiegertochter, den Töchtern, Kusine A, B und C – dann habe ich kapituliert und mußte zugeben, dass ich mir die Namen nicht alle auf einmal merken kann. “Macht nix, nenn’ uns einfach alle Kusine. Außer den älteren Damen, die nennst du Tante.” Gut, das kann ich. Liens Mutter war ein Sonderfall, eine ganz reizende alte Dame, sehr elegant und des Englischen nicht mächtig, aber zusammengelegten Händen und einem Beugen des Kopfes zugänglich. Sie saß den ganzen Abend schnatternd mit einer Runde gleichaltriger Damen zusammen, ein Bild wie auf einem Markt in Saigon.

Jeder hatte Unmengen zu essen mitgebracht, Lien hat tagelang gekocht, in Bananenblätter gerollt, gehackt, gestampft, gewickelt, geschnipselt, mariniert, ihre Mutter ein Sticky-Rice-Dessert beigesteuert, dessen Zubereitungszeit alleine 3 Tage beträgt (jede einzelne Minute davon wert).

Als es ans Teller volladen ging, bekam ich von Lien und Kusine Nancy jedes Gericht erklärt und die Zutaten aufgelistet, und meistens, um die Sache abzukürzen, kurzerhand einen Happen in den Mund gesteckt. “You like?” “Mmmphpf, yeah…” – und wieder eine Schaufel voll drauf. Obwohl so viele Menschen da waren, war immer ganz zufällig die Person, die das, worauf ich gerade kaute, zubereitet hatte, in meiner Nähe, um einen Kommentar abzuholen. “You like?” “Mmmphpf, yeah…” “Want more?” “Mmmphpf, gimme a break…” Auf dem Photo sieht man nur eine kleine Auswahl der Vorspeisen und Salate, auf dem Herd simmerten mehrere Töpfe mit warmen Gerichten, und die Dessert Auswahl war ebenso reichhaltig. Allein von diesen Kuchen gab es fünf, dazu (ca. 60!) Windbeutel (“Puff Cakes”) mit Früchten und Sahne gefüllt (“My speciality, Mascarpone Cheese and Heavy Whipped Cream. No carb.” “No, just fat…” “Yeah, but healthy: no carb.” Dazu muss man wissen, dass “carbs”, also Kohlenhydrate, in USA des Teufels sind. Ob das aber eine dreizentimeterdicke Sahneschicht aus nur Fett wirklich zu gesunder Ernährung macht?), Berge von Jell-Os, traditionelle Sticky-Rice und Bohnensüßspeisen, kleine Kuchen und Petit Fours, und cookies für die Kinder. Nancy (die irgendwie zu meiner persönlichen Betreuungskusine geworden war) hat’s mir erklärt: man esse jetzt, dann mache man ein bißchen Pause, hole sich vielleicht was Süßes und dann esse man in einer Stunde wieder. So drei bis vier Runden pro Person seien üblich. Anschließend werden die Reste verteilt, entsprechende Behälter seien in einer Kiste in der Garage vorbereitet. 

Es war klasse! Davon abgesehen, dass ich schon lange nicht mehr so viel so gut gegessen habe, wollte sich jeder gerne mit mir unterhalten. Und wieder habe ich Einblick in eine vollkommen neue Welt geschenkt bekommen. Manche sind vollkommen assimiliert, andere haben das beste aus beiden Kulturen für sich adaptiert, manche von den Alten sind noch nicht angekommen und haben es auch  nicht vor. Die Generation nach Lien ist entweder als Kleinkind eingewandert worden oder schon hier geboren, deren Kinder haben amerikanische Vornamen. Unbenommen davon heißt eine Reise nach Vietnam “travel back”. Ganz seltsam für mich war, als ich mit Kusine Nancys Hilfe (sie kam mit 13 in die USA und kann sich an ihr Leben in Vietnam noch sehr gut erinnern), einer in USA geborenen ca. Dreißigjährigen das Massaker von My Lai erklärt habe. Davon habe sie in ihrer amerikanischen Schule nie gehört…

Lien hat mich erst mit einem riesigen Care Paket gehen lassen. Mein Beitrag zur Konversation bestand in den letzten 5 Minuten nur noch aus “Thank you, stop – stop – stop, enough, stop-stop-stop.” Für die Abendmahlzeiten morgen und übermorgen ist gesorgt. cảm ơn!

Schon witzig, dass mich zur Zeit Familien zu adoptieren scheinen.

(Unten: Lien und ihre “große” Enkelin.)

Let me call you Sweetheart

Auf meinen früheren USA-Reisen nannten mich Kassiererinnen im Supermarkt oder Bedienungen in Diners (meist älteren Damen) “Sweetheart” oder “Honey”, und ich fand das a) immer sehr hübsch und b) nicht ganz unzutreffend. In der letzten Zeit hatte sich das geändert: die Damen titulieren mich mit “Ma-am”. Den Gipfelpunkt erreichte diese Madamerei im Mai, als ich mit einem jüngeren Kollegen (mir habet in dieser Firma nix anderes…) zum Essen aus war, und der Wirt uns beim Trinkgeldzählen noch einen wundervollen Muttertag wünschte. Mooment!

Inzwischen haben sie sich eines besseren besonnen: ich bin wieder “Sweetie”, “Honey” und “Sugarpie” und finde das nach wie vor a) sehr nett und b) nicht verkehrt. Muss seinerzeit wohl an der extrem jugendlichen Ausstrahlung des Kollegen gelegen haben…

“involuntary manslaughter”

bedeutet so viel wie “fahrlässige Tötung”. Das war der nicht einstimmige Spruch der Jury in der Verhandlung gegen den wegen Mordes angeklagten BART Police Officer Johannes Mehserle gestern. Die Gerichtsverhandlung fand in Los Angeles und nicht in San Francisco statt, weil hier das Klima für zu aufgeheizt befunden wurde.

Worum geht es? Am Neujahrstag 2009 wurde der junge Schwarze Oscar Grant, die Hände in Handschellen auf dem Rücken gefesselt, mit dem Gesicht nach unten am Boden liegend, von Johannes Mehserle erschossen (https://flockblog.de/?p=833). Er habe seine Pistole mit dem Taser verwechselt. Es kursieren unzählige Videos im Internet, die den Vorfall dokumentieren (http://www.youtube.com/watch?v=bmJukcFzEX4). Nach der Urteilsverkündung kam es gestern Abend zu teilweise gewaltsamen Protesten in Oakland (http://www.cnn.com/video/#/video/us/2010/07/09/wian.riots.reax.cnn?iref=allsearch), die Anzahl der Beteiligten wurde mit ca. 800 beziffert, 78 (knapp 10%) davon wurden im Laufe der Aktion verhaftet. Anfang August soll das endgültige Strafmaß bekannt gegeben werden. Üblich sind bei fahrlässiger Tötung 2 – 4 Jahre. Man darf gespannt sein.

Ein besorgter Bürger hat heute früh im Radio allen Ernstes den Vorschlag gemacht, Urteile dieser Art (erwartet er weitere?) doch Montagmorgens um 6 zu verkünden. Nicht Donnerstagnachmittags, wo auch noch das Wochenende vor der Tür stünde, und alle Zeit hätten “to riot and to loot”. Well.

Anthony meinte vorhin, dass er den Officer gerne gefragt hätte, wie es denn schon rein vom Gewicht her möglich sein könne, dass er, noch dazu als ehemaliger Polizist, Pistole und Taser verwechsle. “I’d ask him, if he were a retard.” Anthony, “retard” darf man nicht mehr sagen, das heißt jetzt “mentally challenged”.

“Right. So I’d ask him: Man, are you stupid?”

Meister aller Klassen

Endlich. Meister Anthony ist von seinem zweiwöchigen Jazzcamptraining “somewhere in the woods” zurück (konnte mir den Kalauer mit “Songs from the Wood” nicht verkneifen, aber er ist wohl kein Jethro Tull Fan). Weil ich die erste war, durfte ich zusehen, wie er den Raum vorbereitet: Kerzen anzünden, an der Kerzenflamme ein Räucherstäbchen vorglühen, dabei die Kerze löschen und das Räucherstäbchen mit Wachs vollmatschen. Mich mit “Holy Oil” salben, Fläschen verfängt sich in den Kuttenärmeln, Fläschchenverschluß ist nicht mehr aufzufinden, Riesenfettfleck. Aber wir duften jetzt sehr gut. “You know what, that happens to me all the time – I’m, like, the Jerry Lewis of the Shamans!” Für diesen Satz werde ich ihn immer in meinem Herzen tragen. Wir sind gemeinsam durch unser Klassenzimmer (Rumpelkammer einer Musikschule) spaziert, Anthony hat das Räucherstäbchen geschwungen und ein bißchen rumgebetet, um den Raum in “good mood” zu bringen. “Was für ein Duft ist das denn?” Breites Grinsen dieses Zweimeterzweizentner-Rastamannes: “Black Love…”

Als meine Klassenkameradinnen eine Viertelstunde später immer noch nicht da waren, einigten wir uns darauf, dass ich ein Glückspilz sei und eine “individual lesson” bekomme. Anthony hatte einen sehr stressigen “one of these days”-Tag hinter sich und wurde schon vom Vormachen zusehends entspannter (weswegen er die Klasse ja eigens auf Freitagabend gelegt habe, klar), mir ging es großartig – Einzelentspannungsunterricht – das ist etwas sehr Feines.

Auf einmal fing er an, an seinen Händen herumzuwerkeln. Wie? Was? Er lade gerade kosmische Energie auf. Ah? Ja. Hinsetzen, Augen und Mund zu machen, atmen. Anschließend bekam ich die erste Reiki-Behandlung meines Lebens (da ist er natürlich auch Meister). Sehr großartig. Mein Drecksbein, das mich seit Tagen wieder mit Krampfschmerzen ärgert und vom Laufen abhält, wurde schlagartig viel viel besser.

Stunde aus, gemütlicher Teil. Wir haben uns beim Inder einen Chai geholt und über Gott unterhalten (früher war Anthony ja mal Muslim, aus seiner Zeit später in der Talmudschule hat er noch einen Tallit, den er gerne anlegt, wenn ihm mal nach Hebräisch beten ist, im Moment ist er ein Weiser der Santeria – ich finde, das verträgt sich alles ganz wunderbar mit meiner agnostischen Weltanschauung, die ich auch gerne kurz mit dem rheinischen “Jeder Jeck is anders jeck” umschreibe). Dann gings um Sterne, genauer um “Star Wars” und die Dummheit der Jedi Ritter, die dafür verantwortlich sei, dass der arme Anakin Skywalker in sein Unglück rennt (“I’d tell ’em, hey dude, man, you are a fucking Jedi – why don’t you, like, fight the, like, evil fucking dark force when you see it. Man, even dude Joda missed the point…”). Über die Welt haben wir auch gesprochen: Anthony unterrichtet Musiktheorie in Oakland. Gestern auch? Ja. “But I crossed the Bay before they announced the verdict. Only a crazy man would have stayed in Oakland.” (Dazu mehr im nächsten Blogpost.) Außerdem habe er seine Brieftasche verloren – “and being a black guy without a license  means being a dead black guy in handcuffs. Especially after dark in Oakland.”

Da hat er wohl nicht ganz unrecht.

Life is not a small horse farm

… wäre in meinen Augen die wünschenswerte Übersetzung von “Das Leben ist kein Ponyhof”. Ist sie aber nicht. Man spricht hier eher von Schüsseln voller Kirschen, Rosenbetten oder Spaziergängen im Park oder sagt “Life is not a playground”.

Ganz anders die Aussage der License Plate am Auto vor mir heute früh: “Life is a playground – Play with Prayer”. Vor meinem geistigen Auge entstand sofort das Bild einer Pokerrunde, grüne Augenschirme, Zigarren und ein knurriger Bass, der seine Karten auf den Tisch knallt: “Ich habe eine Straße, Vater, Sohn und Heiliger Geist! Das schlägt deine Ave Marias allemal. Hallelujah!”

Naomi…

ist Immobilienmaklerin und offensichtlich einsam und ohne Ansprache. Deswegen streicht sie einmal im Monat hier tagsüber durch die Straßen und klemmt mir kleine Briefchen unter die Fliegentür. Ich soll sie doch mal anrufen, wir sollten doch mal reden. Zum Beispiel über meine Hypothek. Oder über meine Bedürfnisse, vielleicht habe sich ja meine Familie verkleinert, oder vergrößert? Dann aber herzlichen Glückwunsch! Und gleich zum Hörer greifen. Dazu packt sie immer kleine Aufmerksamkeiten, einen Taschenkalender, oder einen Kühlschrankmagneten, ein Schreibblöckchen oder, wie heute, eine Rezeptkarte. “heart-healthy cooking” soll ich, einen “German Chocolate Cake”. Die Zutaten sind im wesentlichen bekannt, Zucker und Salz, Butter und Schmalz, egg product und Mehl – wie, was? “Egg Product”? Das gehört mit zum Ekligsten, was es in der Supermarkt-Kühltheke gibt: fertig gematschte Eier, “slightly” oder “heavy beaten”, im Viertel- (knapp 1l) oder Halbgallonentetrapack. Kein Wunder, dass Jamie Oliver hier auch wieder auf Kinder gestoßen ist, die noch nie eine Karotte gesehen haben (er bekocht aktuell die ungesündeste Stadt Amerikas http://www.jamieoliver.com/campaigns/jamies-food-revolution/huntington). Wie kann sowas widerliches in einen Kuchen gerührt, auch nur entfernt gesund sein?

Naomi, mit mir hast du damit keine Freundin gewonnen – bring lieber wieder Notizblöcke mit.

Fortsetzung folgt

Die Jungs von “Lead like Jesus” haben ein neues Programm aufgelegt: “Eight Characteristics of Entrepreneurs that God Blesses” – viel neues haben sie allerdings nicht zu bieten: “Good entrepreneurs are considered risk takers who are willing to ask the most important question: “What would the greatest entrepreneur we know, Jesus, do?” (John 8:28)”

Als größten möglichen Unternehmer hatte ich den Messias noch nie gesehen. Wahrscheinlich verstehen die gottgesegneten Entrepreneurs davon einfach mehr.

Vermischtes – heute: Stellenanzeigen

Als Arbeitgeber hierzulande ist man gesetzlich verpflichtet, niemanden zu diskriminieren. Falls doch, kann sich der/die Betroffene an die  “U.S. Equal Employment Opportunity Commission” wenden. Dort steht online eine Auwahl an Diskriminierungen zum Anklicken zur Verfügung. (# Discrimination by Type:   Age  /  Disability  /  Equal Compensation  /  Genetic Information  /  National Origin  /  Pregnancy  /  Race/Color  / Religion  /  Retaliation (=neudeutsch: Mobbing)  /  Sex  /  Sexual Harassment).

Wenn man sich eine ausgesucht hat, kann man weiterklicken zu “Prohibited Employment Policies/Practices”, um zu lernen, was alles als das böse böse D-Wort verstanden werden könnte. Hier nur ein einziges Beispiel (der Rest ist zum Selberlesen; URL ist am Ende des blogposts). Aufpassen, dass ihr vom Kopfschütteln kein Schleudertrauma bekommt. Mann, ist das ein Land! “For example, a help-wanted ad that seeks “females” or “recent college graduates” may discourage men and people over 40 from applying and may violate the law.” Gott bewahre, dass sich wirklich ein erwachsener Mann davon abhalten läßt, sich als Sommeraushilfe in einem Coffee-Shop zu bewerben…

http://www.eeoc.gov/laws/practices/index.cfm

Wenn

ich nicht so müde wäre und wenn mir nicht alles wehtäte von der heutige Physiotherapie, dann könnte ich von dem Gartenfest gestern erzählen. Wie die Jungs in den Bäumen herumgeklettert sind und ganz viele gelbe Pflaumen und Äpfel geerntet haben, wie wir bei herrlichem Sonnenschein gegrillt und geschlemmt haben, kurz, wie recht wohl uns allen war.

Aber leider,  ich bin einfach zu müde.

“Fourth of July”*

assoziiere man bitte nicht nur mit Roland Emmerich und Oliver Stone, nein auch mit “DUI Patrols” ( DUI steht für “Driving Under Influence”, siehe hierzu: https://flockblog.de/?p=3838 – alle Kräfte im Einsatz, um Drunken Drivers zu jagen und zu fangen) und einem generellen Verbot von Feuerwerk in der Bay Area. Generell? Nein, ein kleines Häuflein von Gemeinden (2 auf dieser, 2 auf der anderen Seite der Bay) mit vorwiegend mexikanisch- bzw. karibischstämmiger Bevölkerung böllert. Eine davon ist San Bruno. Andere, zum Beispiel Redwood City, haben sogar ihr Ortsschild um ein Verbotsschild erweitert.

Letztes Jahr hatte ich den 4. Juli mit meinem Besuch in der City verbracht und inmitten von Menschenmassen das offizielle Feuerwerk an Bay und Golden Gate Bridge gesehen. Heuer wollte ich was anderes, wußte aber noch nicht so recht, was? In die San Bruno Hills fahren und von oben Feuerwerk gucken? Oder nach Pacifica ‘rüber? Feuerwerk am Strand? Ich war sehr unentschieden, habe erst mal Äpfel geklaubt und bin mit meinem roten Eimer zu Nachbars gegangen, Obst verschenken. Damit war auch mein Dilemma gelöst, Carmen und Francisco luden mich zu ihrem Gartenfest ein. Ganz zwanglos, Familie und ein paar Freunde, Potluck (das heißt, jeder bringt irgendwas zum Essen mit). Klasse! Ich habe einen deutschen Apfelkuchen versprochen, alle meine Klappstühle und free parking in meinen Driveways.

Als die Musik nebenan immer lauter wurde (vorwiegend Paloma-Lieder mit viel Amor und Dolor) und die Einfahrten zugeparkt waren bin ich mit Kuchen und Stühlen nach nebenan gegangen. “Familie und ein paar Freunde” – anwesend schon knapp 20 Erwachsene, jede Menge Kinder, sprich: Carmens Schwestern mit Familien, dabei hatte es eigentlich noch gar nicht richtig angefangen.

Als wir doppelt so viele waren, warf Francisco die Grills an, es fehlten zwar noch ein paar, aber die müßten heute auch arbeiten. “Echt? Am 4. Juli? Am Nationalfeiertag?” Ja, schon, aber das sei nicht schlimm, dafür gebe es dann “Triple Paid Time Off, that’s a good deal.” Die meisten sind Handwerker oder arbeiten im Dienstleistungsgewerbe, das heißt, viele haben überhaupt keinen bezahlten Urlaub. Ausnahmen sind allenfalls die großen Feiertage, also Weihnachten, Independence Day, Labour Day, Thanksgiving und der dazugehörige Brückentag und da gilt dieselbe Überstundenregel. Damit wird dieses Land am Laufen gehalten.

Die Anwesenden waren streng nach Geschlechtern getrennt, die Männer umstanden die Grills und fachsimpelten, wir Frauen saßen entspannt in der Nachmittagssonne, mit einem halben Auge bei den Kindern und beim Büffet (wer hat was mitgebracht und wessen Balg nascht hier schon wieder unautorisiert?) und alle gleichzeitig durcheinander redend. Für mich mit englischen Untertiteln, nebenher konnte ich meinen spanischen Wortschatz immens erweiteren. Zum Beispiel um “Quinceañera”, DAS Thema bei den Teenie-Mädchen. Es handelt sich dabei um eine Art Debütantinnenball, das mexikanische Äquivalent zur amerikanischen “Sweet Sixteen” und ist schwer aufregend: formelle Kleidung (Ballkleid bzw. Anzug)? (Die Mütter raten davon eher ab, weil die Klamotten schweineteuer sind und die Kids eh bald rauswachsen.) Zu Hause im Garten, oder im Restaurant oder in einer eigens angemieteten Location? (Ratet mal, wofür die Mütter sind?) Da flossen schon immer mal wieder ein paar Trotztränchen…

Dann war da Lupe. Lupe ist ein unwahrscheinlich süßes kleines Mädchen von ca. drei Jahren, mit einem einladenden liebenswerten Lächeln, bestetig plappernd, Rüschenkleidchen, Löckchen, Schleifchen, das ganze Paket, wie ein Sahnebaiser mit Zartbitterschokolade. Lupe ist darüber hinaus das einzige so junge Kind in einem Rudel von mindestens drei bis zwölf Jahre älteren Cousins und Cousinen und kann auch ganz anders, wenn sie nicht kriegt, was sie will. Dann greift immer ein Erwachsener ein und appelliert an das ältere Kind, doch vernünftig zu sein und der armen Kleinen zu geben, was sie möchte. Meistens will sie’s dann nicht mehr haben, sondern etwas ganz anderes. Früh übt sich: wenn die kleine Lupe erst eine große Lupe ist, ist sie bestimmt eine begnadetete Bitch.

Ich habe mich lange mit Concepcion unterhalten, sie ist knapp vierzig und ihre beiden Großen sind schon aus dem Haus, die Nächste gerade mit der High School fertig. Dann hat sie daheim nur noch die beiden Kleinen – was bleibt einem dann noch, außer auf Enkel zu warten? Ihr Blick ist verdächtig oft auf die süße kleine Lupe gefallen, mich dünkt, sie hat ihre Familienplanung gerade noch mal überdacht…

Carmen und ihre Schwestern haben in der letzten Woche alle mindestens einen Abend lang ehrenamtlich Feuerwerkskörper für die Schulen ihrer Kinder verkauft. Es ist nämlich so: Feuerwerk ist eigentlich böse. Es wird aber gut, wenn der Gewinn aus dem Verkauf einer guten Sache dient (Schule, Heilsarmee, Altersheim…). Die Verkaufsbuden dürfen jedoch wegen Brandgefahr nicht in der Nähe dieser Institutionen aufgestellt werden. Deswegen wählt man als Standort meist recht belebte Straßenkreuzungen. (Da ist es dann nicht so schlimm, wenn’s brennt? Das verstehe, wer will.) Statt der üblichen 9,25% Sales Tax werden 17% erhoben und die Differenz geht direkt an die Feuerwehr (das wiederum scheint mir einsichtig). Carmens “Booth” (eine von ca. 15 in San Brunos Stadtgebiet) hat innerhalb einer Woche $65,000.00 Umsatz gemacht. Nicht übel.

Einen großen Teil des Nachmittags haben die Damen mit Kinder-Logistik verbracht. Bis auf eine Ausnahme (und das ist nicht etwa Concepcion!) sind alle in Vollzeit (oft im Schichtdienst) berufstätig und mehrfache Mütter. Ihre Kinder haben aktuell Sommerferien und die Budgets dieser Haushalte reichen weder für lange Ferienreisen (noch dazu, wo der Urlaub der Eltern dann unbezahlt wäre), noch für wochenlange Summer-Camp-Aufenthalte. Also verteilt man die Kinder. Das hängt alles an den Frauen, die Männer werden gegebenenfalls mal für Fahrdienste eingespannt. Hut ab!

Die Männer haben natürlich auch noch andere Aufgaben. Berge von Fleisch und Wurst (Chorizo, yummie!) grillen und verteilen und dann nach Einbruch der Dunkelheit mit den Kindern Feuerwerk abbrennen (die Frauen räumen derweil auf, spülen, verteilen Reste und verlagern die Gesellschaft in die Garage, weil’s draußen zu kalt wird – San Bruno Wínd). Francisco hatte die Feuerwerkskörper im Kofferraum eingeschlossen und in ganz kleinen Rationen an die Böller-Buben abgegeben – ein Heidenspaß, zu dem die Mädchen kreischen. Jeder Haushalt in meiner Straße hat stundenlang gekrachert – das ist nämlich in Wirklichkeit kein amerikanischer Feiertag, sondern eine ausgewachsene Fiesta Mexicana.

Ich bin dankbar: neben der herzlichen Gastfreundschaft und der unverfälschten Neugier aller auf mich und mein Leben (die haben mich auf Herz und Nieren ausgefragt und ich schwöre, dass das Gros der anwesenden Frauen für sich beschlossen hat, mich unter die Haube zu bringen – so ist das doch kein Zustand…) habe ich so viel über das Leben der Anderen gelernt, wie in der ganzen Zeit hier bisher noch nicht.

Und heute wird bei mir gegrillt.

* Eigentlich feiert der ganze Kontinent Elenas Geburtstag. Von mir auch alles Gute!