Mal wieder Wahlkampf – Heute: Ausnahmezustand in PA

Heute morgen schon waren die ohnehin raren Parkplätze um’s Büro auf Weisung des Palo Alto Police Departments mit einem temporären Parkverbot belegt worden. Im Laufe des Vormittags wurde unsere Durchfahrt mit zwei riesigen Mülltonnen blockiert und nachmittags standen an jeder Ecke muskulöse Anzugträger mit Kurzhaarfrisuren und Spiralbändchen ums Ohr und jedes zweite Fahrzeug auf der Straße war ein Polizeiauto. Als wir uns abends auf den Heimweg machen wollten (wir parken immer ein paar Blocks entfernt in einer Wohngegend), hießen die Cops uns, einen Umweg zu machen – unser üblicher Weg sei gesperrt. Ja, auch für Fußgänger, und vor allem für so bedrohlich aussehende Kapuzenträger wie Toni (nein, stimmt nicht, das war übertrieben). Und das alles nur, weil JB mit einer sogenannten “A-Liste” von “Tech Business Leaders” bei Zibibbo (steht wiederum in der A-Liste der 20 besten amerikanischen Restaurants) abendgegessen hat.

JB steht nicht nur für Jim Beam, den Kentucky Bourbon, sondern in diesem Falle für Joe Biden, den Vize-Präsidenten, der gerade Geld für den “Obama Victory Fund 2012” sammelt. Ob die Teilnahme am Dinner was gekostet hat, weiß ich nicht. Für den Lunch heute Mittag in San Francisco + Phototermin mit dem Vize waren pro Teilnehmer $5000 fällig.

It’s a Holi-, Holiday

Eigentlich gibt es in Amerika fast ebenso viele Feiertage (10 Federal Holidays) wie in Deutschland, es liegt jedoch ausschließlich im Ermessen des Arbeitgebers, ob, welche und wieviele er gewährt.

Heute zum Beispiel war Martin-Luther-King-Jr.-Day (“MLK” für die hiesigen Abkürzer). Meine Kollegen und ich haben das vor allem daran gemerkt, daß tagsüber Kinder sichtbar waren (schulfrei), der Briefträger nicht kam (Post zu), Online-Banking nur eingeschränkt möglich war (Bank zu) und sich abends alle im Supermarkt eingefunden hatten (das gehört hier zur Feiertagstradition, wer frei hat, geht shoppen). Außerdem waren die Straßen staufrei.

Eines haben die Amerikaner den Deutschen voraus: fällt ein einmal gewährter Feiertag auf ein Wochenende, dann muß er entweder vorgezogen oder nachgeholt werden und fällt nicht einfach aus. Unser nächster ist an einem Mittwoch. Im Juli.

Auch schön

Irgendwann letzten Herbst hatten wir zum ersten Mal seit Mai ein paar Tage Regen, aber das war’s dann bis dato mit der “Rainy Season”. Inzwischen ist jede Wiese, die nicht regelmäßig gewässert wird, gelb-braun strohig und verdörrt, unter Laubbäumen werden von eifrigen Blowern ständig vertrocknete Blätter (und Staub) weggeblasen und selbst immergrüne Nadelgehölze sehen aus, als trügen sie Grau-Camouflage. Seit ein paar Tagen steht Kalifornien unter Dürre-Alarm, alle Nase lang wird ein “Spare the Air Day” ausgerufen und überall warnt Smokey Bear vor erhöhter Waldbrandgefahr.

Was es unten nicht regnet, schneit es natürlich auch oben nicht. South Lake Tahoe (sonst um die Jahreszeit ein Skifahr-Dorado) meldet heute: “Past 24-hr Snow: 0 inches – Precip: 0 inches”. In Yosemite wissen sie sich gar nicht mehr anders zu helfen, als in der Werbung einen Chor (mit leicht verzweifeltem Unterton) zu Melodie von “Let it snow” nunmehr “There’s no snow” singen zu lassen, und damit anzugeben, daß keine Straßen gesperrt seien (normalerweise sind alle bis auf eine zu und die muß mit Schneeketten befahren werden) und man doch mal eine Wanderung in Erwägung ziehen solle. Das sei doch auch was Feines.

Ich finde milde Winter ja grundsätzlich sehr schön. Und hier in Nordkalifornien ganz besonders (heute bei knapp 20°C im Garten gewerkelt und gelesen).

Departures

Zu den besonderen Scheußlichkeiten des Lebens gehört morgens um dreiviertel Sechs aufgeweckt zu werden. Es geht aber schlimmer. Dann nämlich, wenn man bloß deswegen in stockdunkler Nacht aufsteht, um Mann und Gepäck ins Auto zu laden, um sie am Abflugschalter abzuliefern. (Den Schalter mag ich wirklich nur, wenn ICH da mit Gepäck stehe, um irgendwohin wegzufliegen.)

Rainer sagt, er habe gute Gründe abzureisen (Amazon und Gilroy sind leer geshoppt, die Kindlein daheim hungern und darben nach Jolly Rogers, Air Heads und Cookies ‘n Cream Schokolade, seine Anwesenheit zu Hause sei der Genesung der Gattin förderlich und frische T-Shirts habe er auch keine mehr), und ich fürchte, ich muß sie, wenn auch ungern, gelten lassen.

Vielen Dank, dass du da warst und kommt ganz bald wieder!

Für 1000 Dollar

kann man

  • ca. eine Drittelnacht im Burj al Arab schlafen
  • oder zwei günstige Flugtickets von San Francisco nach Puerto Rico (und zurück) buchen
  • oder fast drei Jahre lang täglich ein 1$-Menu bei McDonalds kaufen
  • oder 782,46 Euro eintauschen
  • oder sich in New Hampshire als Präsidentschaftskandidat für die Vorwahlen registrieren lassen.

$1000, damit einmal alle zuhören müssen? Das war’s zum Beispiel Bob Greene wert. Er will “getting all the candidates talking about Thorium.” (Thorium ist ein Element, das man unter anderem in Gartenerde findet und Herrn Greenes (was für ein schöner sprechender Name) hehres Ziel ist es, das Uran aus Atommeilern gegen Thorium auszutauschen.) Dafür hat er einen “1,000-year energy plan”. (In Deutschland hätte er mit einer Tausendjahrvision wahrscheinlich zumindest am rechten Rand Erfolg.)

Der frühere Desert Storm Kampfpilot Christopher Hill verspricht im Falle eines Wahlsieges das sofortige Ende der Kriege im Irak und in Afghanistan. Außerdem will er den Arbeitsmarkt beleben: “I spend a lot of time talking to homeless people. I’ll tell you why: They’re not at work.”

John Davis ist von Gott gesandt, mit einem oberschenkelknochengroßen Schraubschlüssel in der Hand und dem Slogan “Let’s Fix America.” (“God told me to run but didn’t provide me with any platform beyond balancing budgets, reducing regulations and easing credit for businesses.” – Als Wahlkampfmanager ist Gott offensichtlich recht nachlässig.)

Vermin Supreme (wörtlich “Oberster Abschaum”) verlangt die Einführung verpflichtenden Zähneputzens, verspricht aber dafür auch jedem Amerikaner ein Pony. (Falls wer Lust hat, sich ein paar Minuten lang Gandalf auf Speed anzusehen, hier ist Vermins Wahlkampfauftritt: http://bit.ly/wo6sji.)

Randall Terry, Gründer der Operation Rescue, will als Präsident Schwangerschaftsabbruch unter Strafe stellen. Er sei aber ein lustiger Mensch: “While I’m best-known for my opposition to child killing and homosexual marriage, my interests and my passions go far beyond those things. I am an accomplished musician and a practical joker.”

Hugh Cort von Beruf Psychiater für die Veterans Health Administration will nur eines: “I want to be on C-SPAN (Cable-Satellite Public Affairs Network, ein Programm, das ca. 100 Millionen Haushalte erreicht) so I can warn America that Iran may be planning to detonate nuclear bombs they have smuggled into America.” Man sollte meinen, dass er von Berufs wegen imstande sein sollte, paranoide Symptome zu erkennen.

Jeff Lawman, ein Mathematiker, ist bereit, auch einem anderen Anführer zu folgen, allerdings nur, wenn dieser sich an ihm messen kann: “I will accept any top-tier candidate’s neutrally administered aptitude challenge that assesses the mental, physical and ethical qualities of leadership. But no other candidate comes close to my structured problem-solving abilities and demonstrated proficiency in probabilistic risk assessment.” Den aktuell angeschlagenes Staatshaushalt verspricht er gesundzurechnen “through a mathematically superior tax platform that combines personal income, flat taxes, progressive taxes and capital gains into one elegant solution that no other candidate has formulated or is capable of generating.”

Dass angesichts solch brillanter Wettbewerber Mitt Romney gewonnen hat, ist doch eigentlich langweilig.

…fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker…

Toni hat mir von daheim eine qualitativ hochwertige* deutsche Erkältung mitgebracht und die plagt mich mit allen Symptomen von Halsweh über erst laufende, dann verstopfte Nase und Nebenhöhlen bis Husten. Sowas dauert – hat mir meine Mutter oft genug gepredigt – mit Doktor 14 Tage und ohne zwei Wochen. Helfen tun Hausmittel und da wird’s dann hier schwieriger: was ist denn die amerikanische Entsprechung zu Meditonsin? Oder Umckaloabo?

Kein Problem. Weil Amerikaner aufgrund ihrer immer noch nicht gelösten Krankenversicherungssituation Arztkosten scheuen, kaufen sie die Mehrzahl ihrer Medikamente (ob gegen Diabetes, Depression oder Schnupfen) “Over The Counter” im Drugstore (abgekürzt “OTC med”). Da steht das Zeugs, auf vielen Regalmetern ordentlich gegliedert nach (Auswahl:) Cough, Cold and Flu, Pain Relief and Management, Allergy and Sinus, Ear, Nose and Throat Care und damit man weiß, welches Fläschchen das richtige ist, hat man vorher bei der freundlichen Website seines Vertrauens den “Symptom Check” gemacht. http://bit.ly/yxwGaJ

Wenn’s denn der Genesung dient.

 

*Bei Erkältungen gelten Langwierig- und Hartnäckigkeit als Gütemerkmale.

Knapp vorbei

Lange nichts mehr gehört vom CalTrain, außer dem Dauerbaulärm vom großen “San Bruno Grade Separation Project” (wir bekommen einen höhergelegten Bahnhof, damit der Durchgangsverkehr nicht laufend (d.i. 2 x pro Stunde) von geschlossenen Schranken aufgehalten wird). Heute haben sie mir einen Brief geschickt, in dem sie sich wortreich dafür entschuldigen, dass wegen der Bauarbeiten Straßenabschnitte gesperrt werden müssen, und zwar von 4. bis 9. Januar.

Heute ist der 9. Januar. Danke fürs Bescheidgeben. (Man möchte gar nicht wissen, wer’s wieder verbaselt hat, die Post oder der CalTrain.)

California in a nutshell

“Was hast du denn gestern unternommen mit deinem Freund Rainer aus Deutschland?”

Ooochhh – in der Hauptsache habe ich angegeben: Erst mal wunderbar sonniges warmes windstilles Wetter bestellt (und bekommen) und dann eine Traumlandschaft nach der nächsten vorgezeigt. Den San-Andreas-Graben und die tiefblauen Stauseen (der Wasserpegel ist noch lange nicht so besorgniserregend wie der Draught Alert schon wieder unkt), dann über die Hügel durch sonnendurchflutete Eukalyptuswälder zum Pazifik. Nach San Gregorio, einem wunderschönen Sand- und Kreidekliffstrand mit Lagune und äußerst photogenem Treibholz (da haben wir die Windbreaker mangels Bedarf fürs erste weiter hinten im Kofferraum verstaut).

Auf dem Highway N°1 zu anderen Stränden (“Magst lieber Dünen? Oder Felsen? Oder gemischt?”), Fisch gegessen (Half Moon Bay, Hafen) und geschaut (Tide Pools in Moss Beach – sogar die ersten Seals in der “Breeding Area” sind schon da). Kaffee auf dem Pier in Pacifica, Riesen-Krebse in Eimern bestaunt (und angesichts der Heterogenität der Krabbenfischer über des Herrgotts großen Tiergarten philosophiert), über dramatischen gischtgekrönten Wellenbergen salzhaltige Luft inhaliert und dann einen vorbidlichen Sonnenuntergang inszenieren lassen. Für den Heimweg einen dicken Käsevollmond über die Bay gehängt.

Was man halt so macht, wenn man mit Kalifornien angibt.

“My second job is school teacher”

steht auf dem Button des Mannes an der Supermarktkasse, der gerade meine Einkäufe über den Scanner zieht. Ist doch klar, dass ich nachfrage und folgende Auskunft bekomme: er arbeitet als Grundschullehrer, ca. 50 Stunden pro Woche. Sein Gehalt ist seit 10 Jahren unverändert, die Lebenshaltungskosten in diesem Zeitraum im zweistelligen Prozentbereich angestiegen, außerdem hat er eine Familie gegründet (und natürlich ein Haus gekauft, auf dem zwei Hypotheken liegen – irgendwann werden sich die Amerikaner von diesem Lebensentwurf auch mal verabschieden müssen…). Um sich dieses (nun wirklich nicht Luxus-)Leben leisten zu können, arbeiten er und seine Frau jeweils zwei Jobs. Er habe den Obama-Change bisher nicht so direkt sehen können, gibt er mir noch mit auf den Weg, nachdem er mein Zeug eingepackt und die Tüten im Einkaufswagen verstaut hat.

Hmmm. That’s America.

The Eagle has landed

… wohlbehalten und zu früh (zur Zeit kommen die Flüge aus New York immer eher zu früh als zu spät an, wir haben wohl guten Wind), wurde mit einer Flasche Rotwein sediert und recht spät ins Bett entlassen. Wehret den Jetlag-Anfängen!

Morgen gehen wir an den Strand.