Nächste Runde

Seit ein paar Wochen habe ich, wenn ich, wie wir Renterinnen das tun, von Tages- zu Abendfreizeit wechsle, neue Pflichten: ich gehe auf Patrouille. Unterbreche also ab ca. Einbruch der Dämmerung in ca. stündlichen Abständen, was immer ich gerade Erfreuliches tue und schaue auf dem Balkon nach, ob sie wieder da sind. Sie: die Tauben, die Dreckvögel, die Mistviecher.

Gestern Abend sah es zuerst gut aus. Kein Vogel, nirgends. Nicht bei der ersten Überprüfung, nicht bei der zweiten. Bei der dritten, es ist schon sehr dunkel und ich bin sehr kurzsichtig, muss ich arg nah dran. Was ist das? Täuschen mich meine schlechten Augen? Meine Abschreckungsbürsteninstallation scheint in den letzten 60 Minuten zugenommen zu haben. Das liegt daran, dass darüber, darunter, daneben, darauf, dazwischen fünf (5!) dick aufgeplusterte Tauben schlacken (das ist meine Wortkreation aus schlafen+kacken), mir will scheinen, die ganz hinten schnarcht sogar leise pfeifend.

Jetzt aber! Ich habe doch nicht den ganzen Abend für nichts Fortbildungsfilme angeschaut (dazu gleich mehr). Ich schlage das vorsorglich mitgeführte Handtuch mit einem Knall, der herkömmliche Peitschen erblassen läßt, gegen die Bürstenbettstatt und wedele wild weiter, den aufgescheuchten Miststücken mit einer Auswahl schönster Begleitflüche hinterher. Dann bleibe ich mich mit gezücktem Handtuch auf eine Zigarettenlänge draußen. Ganz still und stumm. Bis die erste und die zweite hoffnungsfroh wieder angeflattert kommen, als wäre nichts gewesen. Von wegen! Die Aggression, die der schwirrende Flügelschlag inzwischen bei mir hervorruft, packe ich in den nächsten Handtuchschwung. Huiiii – und weg sind sie. Für diese Nacht ist die Belagerung aufgehoben. Aber sie bleiben hartnäckig – heute morgen waren schon wieder welche da.

Ein Freund hat mir den Tip gegeben, ein Netz zu spannen. Muss es wirklich soweit kommen, dass ich mich einsperre, um diese Drecksvögel auszusperren?

Bürgerpflicht

Die Stadt München sucht für die Kommunalwahlen nächsten März perfekt gegendert Wahlhelfende. Denke ich, das kann ich ja machen, ich hab ja jetzt Zeit und logge mich flugs unter https://stadt.muenchen.de/infos/wahlhelferundwahlhelferinnen.html ein und klicke weiter zum Wahlhelferportal (einmal gegendert muss offensichtlich reichen). Dafür, sagt mir das Portal, habe ich keine Berechtigung. Ah? Neihein, finde ich heraus, mir fehlt dazu eine “BayernID”. Meine Bereitschaft schwindet, allein schon angesichts der sichtlich vom dem Praktikanten (“Praktikantenden”?), der das mit den Screenshots raus hat, erstellten Powerpointpräsentation mit den “10 Schritten zur BayernID” (s. https://stadt.muenchen.de/dam/jcr:22eed365-dc42-418a-9522-dc6ef222225b/Anmeldung%20BayernID_Wahlamt.pdf). Gute Güte.

Nein, ich stelle mich jetzt nicht an. Ich mach das. Es dauert knapp sechs Minuten, aber dann habe ich eine “BayernID”. Yeaahh! Also frisch noch einmal auf den “Wahlhelfer-Portal”-Link geklickt. Fehlermeldung. Weiterhin. Mist. Aber jetzt ziehe ich das durch, ich wende mich an “Muckl”, den KI-Chatbot der Stadt München. Muckl ist überfordert. Er versteht die Frage nicht, ich formuliere um. Er versteht immer noch nicht. Ich hole aus. Nun ist ihm die Frage zu lang. Echt jetzt? Ich mag nimmer.

Fangt euch doch eure Wahlhelfenden sonstwo.

Aus dem Vokabelheft

Irgendein Spammer aus China hat sich in den Kopf gesetzt, dass er von mir “Fußballenhallenschuhen” bekommen will und schickt mir dazu ständig SMS.

Nein, Sie Spammer, das Schuhwerk habe ich nicht. Aber danke, dass Sie die deutsche Sprache um so ein schönes neues Wort erweitert haben.

Gestern Abend im Residenztheater: Theatermarathon – “Das Vermächtnis (The Inheritance), 1. und 2. Teil”

Ein großes Stück über das Leben und Sterben schwuler Männer in Amerika, spezifisch in New York. In der Reihenfolge der großen Stücke über das Leben und Sterben schwuler Männer in Amerika zeitlich einzuordnen nach dem großartigen “Angels in America”. Eingestiegen wird in den Obama-Jahren, Schwulsein ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen, man ist in der Künstlerszene, spricht über die neuesten Kulturereignisse, Kulinarik, Familienplanung. Der erste große Bruch in diesem Idyll ist der für Menschen in diesem Bubble vollkommen überraschende erste Wahlsieg Trumps über Hilary Clinton. Das kann doch gar nicht wahr sein, dass darf doch gar nicht wahr sein. Daraus folgend die unbestimmte Angst: was bedeutet das für uns?

Insgesamt werden drei Generationen auf der Bühne verhandelt. Die, ich nenne sie der Einfachheit halber, “die Alten”. Die, die sich verstecken mußten, noch gejagt und gehetzt wurden, die, die sich in “Stonewall” und anderen Ereignissen zum ersten Mal wehrten, die wenigen, die die Seuche (AIDS) überlebt und viel zu viele Zeitgenossen zu Grabe getragen haben. Jene, die, siehe oben, aktuell ihr Erwachsenenleben leben und gestalten und die Nachgeborenen, ausgesprochen gut personifiziert in einer Doppelrolle (Adam, “Golden Boy” und Leo, White Trash-Stricher) durch den jungen und natürlich an einer Stelle im Stück wieder nackten Vincent zur Linden.

Das ist komisch und tragisch, langsam und schnell, unterhaltend und brutal, es werden sehr große Worte sehr gelassen ausgesprochen und Banalitäten gründlich breitgetreten und ist dabei erstaunlich kurzweilig, die ersten beiden Stunden vergehen wie im Flug. Dass der zweite Akt des ersten Teils nur noch eine Stunde dauert, ist schon fast bedauerlich. Dann darf das Publikum kurz auslüften, es werden Kühltaschen ausgepackt und die Theatergastronomie leergefuttert und dann klingelt es schon zum zweiten Teil.

Der ist insgesamt etwas telenoveliger, amerikanisch dick aufgetragen und vielleicht an manchen Stellen übererklärt, die Tragik arg tragisch, die Komik aber immer noch witzig und sehr punktgenau und die Figuren entwickeln sich, wie zu erwarten war. Der Schluß ist ein großes Broadway-Finale mit Herbstlaub, die tragischste Figur derrennt sich mit dem Sportwagen, aber die anderen leben happily ever after und wenn einer mit über 90 dann doch stirbt, hinterläßt er ein Rudel Kinder und noch viel mehr Enkel und der Soundtrack könnte von Peter Fox sein.

Großes Kompliment an das gesamte Ensemble! Das schließt sehr explizit wieder den wunderbaren Bühnenbau (ein Bilderrahmen-Guckkasten im Guckkasten und die Drehbühne bis zum allerletzten genial genutzt) und die Beleuchtung ein.

Well done, Resi. Ich hatte schon Angst, ich könnte das Haus nicht mehr mögen wollen.

Wiedergelesen: Terry Pratchett – “Eric” 

Wo ich gerade bei den sehr alten Pratchetts bin, habe ich auch “Eric” aus dem Jahr 1990 noch einmal eingeschoben, eine eher kürzere Romänchen, das ich seit ewigen Zeiten nicht mehr gelesen hatte. Aus gutem Grund. Es ist, wiewohl der Titel* mich als Germanistin eigentlich verzaubern müßte, nicht die stärkste aller Scheibenweltgeschichten.

Alle Versatzstücke wären eigentlich da, der dreizehnjährige Dämonenbeschwörer aus der Vorstadt, dem aber versehentlich der sehr unbegabte Zauberer Rincewind in den magischen Zirkel gerät, und die drei Wünsche des Buben, nämlich Weltherrschaft, die schönste Frau auf Erden und ewiges Leben sowie vielleicht noch unermeßlicher Reichtum ihm alle erfüllt werden, aber halt nicht so, wie er denkt, sondern wie er es verdient und dann noch ein lustiger Exkurs über die moderne Hölle (nicht die anderen, sondern ganz furchtbare moderne Motivationsbürokratie) und außerdem der Anfang von allem, des Lebens, der Zeit, allem… aber irgendwie zieht es mich, wie schon damals, nicht so recht.

Ist doch mehr für die Vollständigkeitsenthusiasten.

* “Eric” ist, wie der Einband schon unmißverständlich zeigt, Pratchetts Versuch über Faust.

Azubi

Stephen Fry spricht im Interview von den gefährlichsten Büchern, die je erschienen sind, und erwähnt unter anderem Adolf Hitlers “Mein Kampf”. Oder, wie die KI, die den Beitrag untertitelt, verstanden hat: “Arnold Helter, Nine Camps”.

Nachbarschaftshilfe

Es guru-guruht draußen. Die Feindflieger sind also wieder irgendwo gelandet. Nichts wie raus und scheuchen! Eine, zwei, drei, vier, fünf Balkontüren gehen fast synchron auf – wo sind diese Drecksvögel? Alle spähen. Da! Grau an einer grauen Balkonbetonwand getarnt. Aber nicht mit uns! Der, der aus der direkt benachbarten Tür gekommen ist, holt den Besen. Sticht, von den anderen angefeuert, in Vogelrichtung. Eine, zwei, drei Tauben fliegen auf, eher belästigt als erschreckt, und landen kaum zwei Meter entfernt gleich wieder. Zwei (das müssen “meine” sein, Modell “extra hartnäckig”) bleiben einfach sitzen. Die wissen, dass der Stiel zu kurz ist und ihnen nichts passieren kann.

Heute, hat die Dame von der Mietervertretung erzählt (das ist die, mit dem Plastikfalken an der Balkonbrüstung, auf dem die Mistviecher manchmal zwischenlanden), spreche sie mit dem Vermieter. Ob das hilft?

Gelesen: Terry Pratchett – “Strata”

“Strata” ist uralt, aus dem Jahre 1981, eines der ersten Pratchett-Bücher überhaupt und behandelt die Erfindung der Scheibenwelt, bevor sie die Scheibenwelt wurde, die wir heute alle kennen. Eigentlich ein ganz normaler Science-Ficition-Roman über Terraforming, unterfüttert mit wissenschaftlichen Daten. Bis auf einmal bekannt wird, dass irgendwer irgendwo in einem weit entfernten Universum eine flache Erde gebaut haben soll. Und ein Team bricht auf, um zu ermitteln. Die menschliche Spezialistin “Kin”, die es schon auf über 200 Lebensjahre gebracht hat und nicht daran denkt, diesen Lauf zu stoppen, ein vierarmiger extrem starker sehr humorloser Kung-Krieger namens “Marco” sowie eine Shand, ein ca. 3 Meter langes bärenähnliches Wesen mit Stoßzähnen und einem 65-silbigen Namen “ihr könnt mich ‘Silver’ nennen”. Außerdem ein geheimer Agentenrabe, von dem keiner der anderen weiß und der jedem Poe-Fan große Freude macht.

Wie gesagt, ganz normale Feld-Wald-Wiesen-Sience-Fiction, bis auf einmal Drachen den Himmel verdunkeln, musizierende Elfen auftauchen und ein Skelett im schwarzen Umhang. Plus Sense.

“Strata” ist mehr für die Vollständigkeitsleser als für Pratchett-Neulinge. Erstere werden aber ihren Spaß haben. Meins kann ausgeliehen werden.

#everynamecounts

Das Arolsen-Archiv (https://arolsen-archives.org/), das größte Archiv über Opfer und Überlebende des Nationalsozialismus, arbeitet zusammen mit anderen Einrichtungen daran, die Bestände ukrainischer Archive durch Digitalisierung zu sichern. Eins der aktuellen Projekte ist die Erfassung der Basisdaten von 13.000 Postkarten von Zwangsarbeitern aus dem Regionalarchiv von Winnyzja. Jede und jeder kann mithelfen, ohne Registrierung, es kostet nur Zeit. Eine Karte zu erfassen dauert, je nach Schwierigkeitsgrad, 5 bis 10 Minuten; Absender und Empfänger sind in lateinischen Buchstaben geschrieben, meist von Menschen, die gelernt hatten, in kyrillischer Schrift zu schreiben. Ist manchmal etwas kniffelig. Sollte man Fehler machen, ist das kein Problem, jeder Eintrag wird im Sechs-Augen-Prinzip geprüft.

Wer mithelfen will, klicke hier: https://everynamecounts.arolsen-archives.org/