“Klein-Chicago”

Über Emmelshausen kreise ein Hubschrauber und durch die Straßen streiften Polizisten und mehrere Einsatzfahrzeuge, berichtet ganz aufgeregt die Kollegin, die gestern mit Salat holen beim Bio-Bäcker dran war (der verheißungsvolle Chinese mit den lustigen Gerichten hat seit zwei Wochen Sommerpause und kommt erst Mitte August erst wieder).

Zum Glück weiß die Pensionswirtin wie immer alles ganz genau und erzählt am nächsten Morgen beim Frühstück: Ein “Gast”* habe nach der Fahrt den Busfahrer überfallen, ausgeraubt und sei zu Fuß geflüchtet. Weil aber die Polizeisirenen schon zu hören waren, habe er ein Taxi herangewunken (ich habe ja in “Emmels”, wie die Einheimischen – und nur die – ihr Städtchen (eine “Verbandsgemeinde”) nennen dürfen, noch nie ein Taxi gesehen, aber bitte), das habe ihn aber nicht mitgenommen. Was auch gut sei, meint sie, “denn das hätte der bestimmt nicht bezahlt”. Nach über eine Stunde habe man den Bösewicht dann im Stadtpark erwischt und festgenommen. Beim Tisch abdecken sinniert sie: “Ob sich das nun gelohnt hat?”

War natürlich heute morgen DAS Bürogespräch. Es gelte aber, warf eine Kollegin ein, zu bedenken, dass man hier schon wesentlich schlimmere Verbrechen erlebt habe. Man sei ja schließlich hier nicht niemand. Nämlich den Großen Postraub von vor ein paar Jahren (Tante-Emma-Laden mit Paketannahme und Briefmarkenverkauf, Beute im höheren dreistelligen Bereich) sowie – tuschtrara – den Tag damals, an dem der Tierarzt seine Frau, die Tierärztin, erschoß. “Wieso”, rutscht mir raus, “dat** dann?”. Gegenfrage, wie aus der Veterinärspistole geschossen: “Wieso erschießen Männer Frauen?”

Ja. Weiß ich nicht. Will wer lösen?

* Man lebt hier vom Tourismus. Also heißt auch der Busüberfaller “Gast”. Im Gegensatz zu “Eingeborener”.

** https://de.wikipedia.org/wiki/Dat-das-Linie

Theatersommer 2019, die dritte und letzte – 2. Teil

Wie gut, dass wir uns in der Pause warm angezogen* haben – über dem Grand Hotel sind finsterkalte Wolken aufgezogen und über dem “Reception”-Koffer von ehedem wehen keine fröhlich bunten polyglotten Fähnchen mehr. Nein, den parteilinientreu eingedeutschten “Empfang” schmücken Fahnderl in Einheitsblau. Darauf ein Drachenkopf mit gespaltener Zunge. Falls irgendwer die Zeichen der neuen schlechten Zeiten immer noch nicht deuten kann – der preußisch-schneidige Offizier Heinrich von Blitzmark** (Alex Liegl) und sein ganz in Feldgrau kostümierter Corporal (Georg Kaser, der die Figur schon sehr schön an den braven Soldaten Schwejk anlehnt) zeigen uns dann schon, wo’s langgeht. Hotel (und Land) haben sie bereits eingenommen und besetzt, andere kommen hier nimmer rein. Monsieur Gustavo kann angesichts dieses Elends nur noch sich und uns diese Anti-Lebenshilfe-Ballade des Schweizer Liedermachers Faber vortragen: https://www.youtube.com/watch?v=bzVlNmHUlno. Peter Schorn macht das aber schöner und viel anrührender als das Original.

Die Guten entkommen in einem wilden Schußwechsel und mit einem meisterhaft geführten Tortenheber, und ganz am Schluß, wenn wir den Eichendorff hinter uns gebracht haben und der Flieger die Sonne grüßt, hängt der Mann mit dem Apfel, wo er hingehört. Im Nachkriegshotel.

Wie ich es geschafft habe, in dem ganzen langen zweiteiligen Text das Gemälde “Mann mit Apfel”, das immerhin das umstrittene Erbe, den Notgroschen und arg sperriges Gepäck darstellt und auch sein Verwirrspielaustauschpendant “Mann mit 2 Äpfeln” nicht ein einziges Mal zu erwähnen, weiß ich auch nicht. Und dass auch in diesem Jahr wieder Feuerwerkskörper zum Einsatz kamen, müßt ihr mir einfach so glauben.

Abschließend gilt, wie immer: Molto molto grazie a tutti (vor, auf und hinter der Bühne, tutti completti!) für diese wunderschöne Produktion. Falls ich irgendwen oder -was verwechselt habe, bitte ich um Entschuldigung. Alle Fehler sind meine.

* “Warm” ist hier gleichbedeutend mit einem Baumwolljackerl pro Person. Aber immerhin, es war eine kalte Bergnacht und alle, die zum Mitführen warmer Kleidung wegen der Wetterextreme in der Höhenlage geraten hatten, hatten ja so recht.

** Ich vermute, die Autoren Liegl und Schorn interessieren sich weder für das Leben von Anderen noch für Autoren ohne Werk. Aber ich kann mich täuschen.

Theatersommer 2019, die dritte und letzte – 1. Teil

Vom Spessarter Wirtshaus in Niederbayern führte mich meine Theaterpilgerreise über die französische Revolution in Österreich zum Grand Hotel Buda… (ja, nix da), zum Grand Hotel Tschumpus im herrlich sommerlichen Brixen. Obwohl wir in diesem Jahr eine Individualreise unternommen hatten (danke übrigens meinen Begleitern für die Gesellschaft und fürs Fahren und überhaupt!), kann man der Frau Rothmüller von Rothmüller-Reisen gar nichts nachsagen. Die sucht ihre Zuschauer einfach in den Gartenrestaurants der Stadt und führt persönlich ein in die Südtiroler Spezifika. Danach bekommt man ein Brevier ausgehändigt, zum Wiederholen und Merken. Und darum wußten wir auch, warum die Einheimischen recht lachen, wenn das Hotel “My Arbor”*, bildschön oberhalb Brixens gelegen und mit großzügigen Geldzuwendungen der Kurie erbaut, erwähnt wird. Und die “Dolomitottenpost” sowie das Gemälde vom “Mann mit zwei Äpfeln”. Ganz neu war mir, dass der italienische Gesetzgeber sich ein eigenes “Stand your Ground”-Gesetz geschaffen hat, nämlich die “Leggitima Difesa”, die die Verteidigung des Eigenheims mit einer Schußwaffe zu einer grundsätzlich legitimen Handlung erklärt. Zwischen uns besteht noch Uneinigkeit, ob sich das auch auf Etagenmietwohnungen erstreckt.

So. Fühlen sich alle gut eingewiesen und vorbereitet? Ja? Dann kann es losgehen. Mit einem wunderbaren volltönenden Jodler, vom ganzen Ensemble vorgetragen – dabei hats mich schon das erste Mal weggebeamt. Wie ungeheuer schön! Das Bühnenbild? Lauter Koffer, wie’s einem Hotel gebührt. Koffer, aus denen die Rezeption und ein Kranz bunter Fähnchen aus aller Welt wachsen, die im Abendwind flattern. Internationales Publikum, das nach den schnellsten Kostümwechseln** der Welt anreist, empfangen von Monsieur Gustavo (Peter Schorn, hach!), dem Godfather aller Concierges, der im feuerroten Schwalbenschwanzfrack mit seiner Gustavo-Gymnastik zur Melodie von “Puttin’ on the Ritz” die Gäste charmiert. Und die Gästinnen erst!

Dann kommt die süße Zuckerbäckerin (Viktoria Obermarzoner, hach!), die bald mit dem herrlich naiven Bobby (Gianluca Iocolano, hach!) ein Paar bilden wird. Doch zuvor eine Stummfilmszene und der erste Bühnenumbau. Mit Rollkoffern, was sonst? Überhaupt, die Umbauszenen. Ich habe eine jede sehr sehr gemocht – von mir aus dürfen es in der nächsten Produktion noch mehr sein…

Inzwischen ist eine der von Gustavo so überaus liebevoll betreuten Gästinnen dahingeschieden und ihre Töchter (Viktoria Obermarzoner, Miriam Kaser, hach!) und deren Kusine (Ingrid M. Lechner, hach!) gar nicht glücklich über das Testament der alten Dame, das dem guten Gustavo seine Dienste großzügig entgilt und ihnen nichts übrig läßt. Da muß die Kusine Vandetta (Ingrid M. Lechner) in Nachtschwarz gleich ein ganz ganz böses Lied singen. Oben am Himmel läßt die Regisseurin derweil dazu drei Fledermäuse durchs Bild flattern. Hut ab, das kann nicht jede!

Die bösen Weiber haben den guten Gustavo inzwischen in den Knast (Tschumpus, halloho!) intrigiert, wo ein dumpf-bösartigen Wächter (Georg Kaser, hach!) auf ihn aufpaßt. Aber Rettung naht. Weil doch Bobby und die Zuckerbäckerin inzwischen zusammengefunden haben, backt sie eine vielmannsgroße Torte und befreit ihre Buben. Vor der Laterne (allein wie die auf die Bühne kommt, also die Laterne, ist eine herrliche Lachnummer) singt Lilli Marleen (Alex Liegl, hach!), vor der Bühne und um die Zuschauer herum tobt eine wilde Fahrradhatz und was dem einen seine Brieftaube ist, ist dem anderen seine Drohne und in den Käfig kommt sie sowieso und dann ist der erste Teil aus und ich brauche bei all dem Tempo erst einmal noch einen guten Wein vom Manni Nössing. Huiuiui. Damit ich’s nicht vergesse, erwähne ich noch die Musiker, ohne die sehr was fehlen würde (Markus Doggi Dorfmann, Gitarre, Banjo, Gesang; Ingo Ramoser, Keyboard; Matthias Baumann, Schlagzeug, Tuba) und dann muss ich für heute leider unterbrechen. Die Dörther Tage sind lang. Fangen viel zu früh an und ziehen sich elendiglich. Jetzt schlafe ich erst mal und morgen Abend erzähle ich euch im zweiten Teil vom zweiten Teil und den dunklen Zeiten, die über das Grand Hotel und die Welt anbrechen.

* Das “My Arbor” hat unseren “Elephanten” als erstes Haus am Platze abgelöst. Das hätten wir angesichts der vorbildlichen Gastlichkeit dort gar nicht gemerkt, wenn wirs nicht im Brevier gelesen und im Theater gesagt bekommen hätten.

** Man möge sich von der Regisseurin erzählen lassen, wie in unter 40 Sekunden aus einem Offizier eine russische Oligarchin (nix Nichte, the full monty!) wird. Seidenstrümpfe unter der Uniform spielen dabei eine wichtige Rolle.

Vorhin, beim Emmelshausener Chinesen

Die Highlights der Speisekarte:

  • Rindfleischs “Szeschuan” Art. (Einen schöneren Genitiv finnst du nit.)
  • Chop-Ssuey mit Entefleisch. (Ich möchte wetten, dass die sächsische Niederlassung “Gänsefleisch”serviert.)
  • Krabben mit Gemüse „ein Nest bauen“ (mit Kartoffeln) (Das muss ich irgendwann probieren. Heute war’s aus.)

Gastfundstück

Die Geiznickel vom Marketing des Online-Reisebüros haben ihre Webseite von einer Maschine übersetzen lassen. Irgendwer hat ein paar Pfennige im Budget gefunden und einen Menschen gebeten, sicherheitshalber “mal drüber zu schauen”.

EN: We began and ended our trip at the tiny town of Llamac, at the home of our lead arriero and cocinero, or cook, Pablo.
DE: Wir begannen und beendeten unsere Reise in der kleinen Stadt Llamac, in der sich unser führendes Arriero und Cocinero befand, oder kochen Sie Pablo.

EN: In this valley lies Laguna Jahuacocha, a high alpine lake where most trekkers spend their first night.
DE: In diesem Tal liegt die Laguna Jahuacocha, ein hochalpiner See, in dem die meisten Wanderer ihre erste Nacht verbringen.

Dankeschön, Herr M. aus K.

Travelling Woman…

Ich komme ja grade ziemlich rum. Seien es meine Theatersommerausflüge (stay tuned für Teil 3 “Grand Hotel Tschumpus”, demnächst in diesem blog) oder meine Survivaltrips in den Hunsrück (und wieder von dort weg – das ist der Survivalteil). Ich war, glaub ich, noch nie in meinem Leben soviel in Transportmitteln unterwegs, ohne… ja, ohne auf Reisen zu sein. Der Unterhaltungswert noch einer weiteren Anekdote darüber, wie es die Bahn dieses Mal geschafft hat, eine Verspätungen zu handeln, dürfte gering sein. Darum, habe ich mir gedacht, werde ich von den kleinen Dingen berichten. Den schönen, lustigen, absurden Augenblicken unterwegs.

Von gestern Abend, wo ich im milden Alpenabendlicht im bayerischen Alpenland, zwischen Alpenmatten, Alpenblumenwiesen und Alpenlüftlbildern den Blick auf ein Schild erhasche, das eine Kuhfluchtwahl verheißt. Das Internet hat keine Ahnung, was gemeint sein könnte. Verlesen? Nein, verlesen tu ich micht nicht. Wer’s wirklich wissen will, schaue sich in der Gegend um Oberau herum um und erzähle mir bei Gelegenheit, was das ist,

Von den Garmischern, die, statt den Alkoholkonsum ihres Nachwuchses einzudämmen, einen Wanktunnel für unsere Kinder jetzt fordern. Ich bin da nicht oft und maße mir kein Urteil an, ob das wirklich eine angemessene Maßnahme ist.

Überhaupt scheint mir das ein seltsames Städtchen zu sein. Mir war bis dato beispielsweise nicht bekannt, dass die ehrenwerte Zunft der Maurer auch im Möbelbau engagiert ist. Ob so eine aufgemauerte Chaiselongue wirklich bequem ist? Aber vielleicht geht ja das ganze Holz an die Hinter-… tschulligung, an die Mittenwälder Geigenbauer? Geheimnisvolle Bergvölker.

Wenn aus dem Cockpit durchgesagt wird “Falls sich ein Arzt oder Sanitäter im Zug befindet, möge er bitte zu Abteil XX kommen” – dürfen die weiblichen Vertreter dieser Zünfte dann sitzenbleiben?

Wer hätte gedacht, dass der Kettenanlegeplatz in Mattrei sich so vortrefflich für Persönlichkeitstests eignet? Wo ich Schatztruhen imaginiere und Menschen in Glitzergewändern, die mit immer noch mehr Schmuck behängt werden, hat ein Mitreisender eher Visionen von gestreifter Anstaltskleidung und Ketten im O-Brother-Where-Art-Thou-Stil.

Wenn man versäumt hat, außen am Zug “Nicht einsteigen”-Schilder anzubringen, kann man Passagiere immer noch mit dem Auslegen dieses Magazins abschrecken. Letzten Monat zierte (?) ein Fußballer (nein, ich weiß nicht mehr, wer) das Titelblatt, nu isses Siebenbrückenmaffay. Ich habe immerhin um 6:00 Uhr früh (und nix is well) schon Stolz auf den zielsicheren Werfer empfunden.

In den Nach-Stuttgart-Tunnels macht das Internet immer Pause. Ich auch. Bis zu den nächsten Geschichten von unterwegs.

Neu auf Amazon Prime: “The Boys”

Ich hab ja die Vorlage, eine Comic-Reihe von Garth Ennis, schon 2011 jeder empfohlen, die diesen blog liest (s. https://flockblog.de/?p=8686).

Ich bleibe dabei. Wer Spaß an gut gezeichneter “Superhuman Corruption”, Gewalt, Sex, mehr Gewalt, mehr Sex und ausgesprochen rüder Sprache hat, sollte sich lieber durch die zehn Bände lesen, als die Serie anzuschauen. Die ist nämlich, obwohl schon im Vorspann davor gewarnt wird, dass Menschen unterhalb der Volljährigkeitsgrenze beim Anschauen Schaden nehmen könnten, eigentlich recht fad. Ja, stimmt schon, Sex, Gewalt, Drogen, schlimme schlimme Sprache unter häufiger Verwendung des versatilsten Vierbuchstabenwortes der englischen Sprache. Aber trotzdem laaangweilig. Die Guten sind geradezu unerträglich gut, die Bösen ganz schlimme Finger, der Oberschurke außerdem Psychopath – eine Entwicklung findet nicht statt. Isso. Punkt.

Und das sage ich, obwohl endlich mein langgehegter Wunsch erfüllt wurde und Karl Urban endlich mal eine vernünftige Rolle zu spielen bekommen hat (s. https://flockblog.de/?p=31325). Warum das der Kiwi aber unbedingt mit einem Wuchervollbart und Cockney-Akzent tun muß, hat sich mir bis zum Ende von Folge 8 nicht erschlossen.

Man muß sich dafür nicht vor die Glotze setzen. Lieber lesen.

Ein letztes Wort zur Bahn

Vor Mitternacht zu Hause. Wie geplant. Uiuiui! Hut ab!
Keine Ahnung, ob das Feuerwerk über den Pasinger Arkaden, das bei der Einfahrt in den Bahnhof den Nachthimmel erleuchtet, diesem Umstand geschuldet ist.

Vivat! Vivat! De Zoch kütt pünktlich!

Dass sich die Herrschaften Bahn aber erdreisten, mir vorzuschlagen, doch mal bei einer Zugfahrt meine Lieblingsserie zu streamen ist schon frech, wo ich mich normalerweise für einen durchschnittlich langen blogpost mindestens drei Mal in ihr fleckiges W-Lan einloggen muss.
Dazu der seinerzeit in der Vaterlandsverteidigung tätige mitreisende Kollege: “Keine Haare am Sack, aber im Puff drängeln.”

Wie hältst Du’s mit der Religion?

Mit der neuen Kollegin gehe ich durch die Personalakten. Stelle fest, dass die meisten Mitarbeiter Kirchensteuer bezahlen und erkundige mich, welche Konfession denn im Hunrück die vorherrschende sei. Die Antwort hat mich denn doch verblüfft: “Wir sind ja hier nicht so katholisch. Wir sind ja eher Christen.”

Andererseits: viel besser kann mans eigentlich gar nicht ausdrücken…