Konditioniert

Nach den miesen Erfahrungen der letzten Zeit ertappt man sich am Bahnsteig dabei, dass man bei der Durchsage “Der Zug nach München ist heute um fünf Minuten verspätet” unwillkürlich auf die eigentliche Hiobsbotschaft wartet. Bis jetzt ist es bei den paar Minuten Verspätung geblieben, draußen isses noch hell und in einer halben Stunde sind wir schon in Ulm.

Fahrplanmäßig. Das fühlt sich irgendwie surreal an.
Aber dann zeigt die Bahn doch, dass man sich auf sie verlassen kann und alles bleibt, alles bleibt, wie es war: der Verspätungsalarm erreicht mich per e-mail pünktlich um 22:16 Uhr. Bei der Einfahrt in Pasing.

Kurz vor Schtuagert

Mit mir im Abteil;
– die Dame, die ihre ganzen Freundinnen durchtelefoniert, weil ihr gar so fad ist. “Halloho, hier is Brigidde…” und von der wir inzwischen alle wissen, dass sie sich um die kommissarische Leitung von irgendwas beworben hat und nicht glaubt, dass sie den Job kriegt, weil die ja alle Intriganten sind (ich verstehe “die” inzwischen gut)
– der ältere Herr, der sich alle paar Minuten in ein leintuchgroßes weißes Taschentuch mit ganz scharfen Bügelfalten schneuzt und es nach jedem Schnaubvorgang akkurat wieder zusammenfaltet
– die Mutter, die sich Mühe gibt, ihre Kinder mit Ratespielchen intellektuell zu fordern
Mutter: “Wer wohnt da, auf der anderen Seite der Bäume?”
Älteres Kind, patzig: “Weiß ich doch nicht…”
Jüngeres Kind, freundlich bemüht: “Onkel Flo?”
Mutter: “Neee… Aber fast.”

Bis auf Brigitte, die immer noch telefoniert und inzwischen die dritte Freundin vom Abendessen abhält, fragt sich das ganze Abteil, wer oder was denn ein “fast Onkel Flo” ist.

Volle Granate, Renate

Wir fahren morgen schon wieder heim. Darum haben wir dieses Mal auch noch mehr Stunden Arbeit in die verbliebene Restzeit gequetscht – 6 Stunden Anreise und eine noch unbekannte Menge Stunden Abreise müssen sich ja irgendwie rentieren.

Warum? Et jibt keine Betten mehr. Weil im Hunsrück dieses Wochenende der Techno abgeht. Auf der ehemaligen NATO-Raketenbasis Pydna, schön zentral gelegen bei Kastellaun, wird beim Nature One Festival getanzt, bis die bunten Pillen alle sind. Wer nicht hingeht, bleibt aus leidvoller Erfahrung gleich daheim, weil auf jeden der geschätzten 60.000 Besucher ein Mitglied der Ordnungsmacht kommt. Und die wollen auch Spaß und kontrollieren alles, was nicht bei “umsta” auf dem Baum ist…

Wir werden am Montag sehen, wieviele Steine noch auf anderen sind.

Flugs

Gestern erst habe ich Urlaub gebucht und heute schon will mir ein freundlicher Mensch helfen, Geld vom Flugunternehmen zurückzubekommen:

Gemach, gemach. Wir haben noch nicht einmal abgehoben, geschweige denn Ferien gemacht. Und selbst dann weiß ich nicht, ob das nötig sein wird, vielleicht können die ja pünktlich hin- und zurückfliegen. Wenn ich aktuell von wem Geld zurück will, dann doch vom Servicecenter Fahrgastrechte der Bahn (ein sperriger Name war grade nicht zu haben).

Genau. Die Bahn, die es noch nicht bei einer einzigen Fahrt, die ich dieses Jahr bis jetzt unternommen habe, geschafft hat, pünktlich zu sein und bei der es offensichtlich zum normalen Service gehört, das Rumstehen auf den Bahnsteigen der Republik mit lästigen “Verspätungsalarmen” per SMS zu begleiten.

Theatersommer 2019, die zweite

Die Braunauer bauhoftheater-Truppe um Robert Ortner und Wolfgang Dorfner stellt sich sehr wacker und wagemutig einer großen Aufgabe und gibt in diesem Jahr “Dantons Tod” von Georg Büchner. Eine sperrige philosophische wortlastige sehr politische und dennoch sehr akutelle Textvorlage und kein bißchen comic relief. Das muß man sich erst mal trauen und dann auch noch stemmen, vor allem vor dem Hintergrund, dass die meisten Beteiligten hochengagierte Laien sind und von nicht einmal einer Handvoll professioneller Schauspieler*innen unterstützt werden. Hut ab – oder, um in der Diktion zu bleiben, Chapeau!

Pscht! Ruhig alle. Es geht los. Boris Schumm, im extra schlimmen “out-of-bed-Look”, unfrisiert, offenes weißes Rüschenhemd über blankem Bauch, dazu eine ausgeleierte lange Unterhose in (ich nenne das mal wohlwollend) Chamois, barfuß, brilliert wie schon in den Vorjahren als Bockerer und Jedermann in der Titelrolle. Mittelalte halt- und heimatlose Männer liegen ihm einfach. Seinen Gegenspieler Robespierre, den Jesuitenzögling und “Blut-Messias”, verkörpert Patrick Brenner, glaubhaft bis an die Schmerzgrenze. Strenger Scheitel, bleiches Antlitz, mephistophelische Brauen, parallel dazu verlaufenden dicke dunkle Koteletten, die dem Gesicht fast einen maskenhaften Ausdruck geben, schwarzes Samtcape, eng geknöpfte schwarze Soutane, geschnürt mit einer breiten schwarzen Lederkoppel, über schwarzer Hose und schwarzen Schuhen. Einzig der rote, straff gewickelte und geknotete Schal sticht wie ein Priesterkragen daraus hervor. Er spricht leise, gewählt, gesetzt, hebt die Stimme nie, und bekommt dabei das Kunststück hin, dass sie sich bei seinen leidenschaftlichen Ansprachen dennoch überschlägt. Eine ganz wunderbare Rolle und ideal besetzt.

Alle namentlich aufzuzählen, würde den Rahmen sprengen, darum sei mir gestattet, einzelne, die mir besonders aufgefallen sind, in der Reihenfolge ihres Auftretens hervorzuheben. Dazu gehören Dantons Gemahlin, Julie (Jennifer Kastinger), die gleich zu Beginn des Stückes ihren Dialog mit Danton an der Stange tanzend absolviert. Mindestens 10 Minuten lang, eine akrobatische Höchstleistung. An der nämlichen Stange wird später die Trikolore hängen und noch später wird sie durch die Guillotine ersetzt werden. Dann Marion, Dantons Hure (Nadine Konietzny), die auch die sehr gelungene umfangreiche Musikauswahl (davon einmal im Duett mit Rico Grunert) vorträgt, begleitet von Florian Strober und Clemens Riedl. Ich kannte nicht alle Nummern, habe mich aber sehr gefreut über Brels Amsterdam, Jimmy Morrisons The End (habe ich tatsächlich beim ersten Ton erkannt), eine schöne Interpretation des Weillschen September-Songs und eine multilinguale Version von Bella Ciao. Meine Sorgen, ob die Nachgeborenen die Anspielungen denn verstehen würden (Musik ist ja doch oft so eine Generationsfrage), hätte ich mir nicht zu machen brauchen. Sagen die Nachgeborenen. Adabei, wie in jedem Jahr, der Mensch der im Laufe der ersten Hälfte irgendwo seinen Motor sehr laut aufheulen läßt.

Kurz vor der Pause ging starke Bewegung durch das Publikum und es wurde wild geklatscht. Das lag aber nicht daran, dass endlich endlich einmal Szenenapplaus gegeben worden wäre (scheint in Branau nicht üblich zu sein), sondern an den Schnaken, die sich zum Abendessen eingefunden hatte. In der Pause wurden aus so gut wie allen Handtaschen und Rucksäcken Insektizide gegraben und über dem Theatergelände lag eine dicke Wolke “Hautabihrscheißviecher!”

In der zweiten Hälfte wird zu Gericht gesessen. Nachdem Robespierre und St. Just (Jakob Hirmer) aus ihren Höhenlagen den Pöbel zum Mob hetzen*, tauschen der inzwischen inhaftierte Danton und seine Mitstreiter auf offener Bühne ihre Alltagsgewänder gegen uniforme Anstaltskleidung (schwarze Hose, weißes Hemd) aus. Dichtgedrängt verbringen sie ihre letzte Nacht auf einer Drehscheibe, die Danton wie ein Mühlrad dreht. Sehr schöne Idee. Derweil trägt Herbois (Robert Ortner) sehr eindringlich den Monolog des Opportunisten vor. Schließlich wird das vorher schon beschlossene Urteil gefällt und vollstreckt. Blut quillt vom Hackmesser (ein ganz und gar grausiges Bild). Übrig bleiben die Witwen (Jennifer Kastinger, Nadine Konietzky und Dita Sommerauer). Letztere, bis kurz vor der Verhaftung ihres Gatten Desmoulins (Guido Drell) noch hoffnungsfroh schwanger, jetzt die gebrochenste der drei. Ging mir sehr nah.

Wie gesagt, es ist nicht möglich, alle Beteiligten einzeln zu erwähnen – allein “das Volk” umfaßt 14 Personen. Es sei nur soviel gesagt, dass die Truppe eine sehr sehr respektable Gesamtleistung abgeliefert hat und das schließt alle ein, die nicht auf der Bühne zu sehen waren (Kostüme, Bühne, Technik und der ganze Kleinscheiß). Vielen Dank!

Robert Ortner sei explizit dafür gedankt, dass er über die Regie hinaus die Sache “rund” macht, und darüber informiert, dass keine drei Monate nach Danton auch Robespierre und St. Just hingerichtet worden waren. Die Revolution hatte ihre Kinder gefressen.

Hab ich gar nix zu meckern? Doch, hab ich. Natürlich. Ey. Ich würde mir fürs nächste Mal wünschen, dass mit dem “Volk” noch ein bißchen mehr geprobt würde, damit es nicht so “tümelt”. Dann würde ich seine Reaktionen leichter glaubhaft finden können.

Das schmälert aber bitte (man stelle sich das österreichisch ausgesprochen vor, bitté) nicht meine Empfehlung, auf der website https://www.bauhoftheater.at/ nachzusehen, ob es noch Karten gibt und sich die Produktion anzusehen. Sie ist es wert.

* Ich hatte mich gefragt, ob Büchner mit der Rede Mark Antons (“… und Brutus ist ein ehrenwerter Mann”) aus Shakespeares “Julius Cäsar” vertraut war und habe das inzwischen recherchiert. Ja. Er empfand sich als “Shakespeare-Adept”, hatte das Gesamtwerk übersetzt und aus dem Cäsar sehr viele Anleihen in den Danton übernommen. Da hat sich doch das lange Studium der Theaterwissenschaften endlich auch einmal gelohnt.

Gastbeitrag: Protokoll einer Zugfahrt

Mein mitreisender Kollege hat die Fahrt aus lauter Verzweiflung protokolliert. Das darf man keinem vorenthalten:

Abfahrt 19:31 ab Mannheim, Zeil München. Das geht in knapp drei Stunden.
Ankunft am Bahnhof um 18:50. Weil, der ICE fährt pünktlich um 19:31, den will man ja nicht verpassen. (SF: Dafür übernehme ich die Verantwortung: ich hasse es, erst hektisch und knapp vor Termin anzukommen.)
Feststellen, daß der Zug „mehr als 60 min“ Verspätung haben wird.
Hat allerdings der von 18:31 auch – also Versuch, mit dem zu fahren. Nur noch Stehplätze frei.Geht gar nicht.
Also erstmal zu Burger King19:10 Erhalt einer email von der Bahn: Der Zuch hat 60 min Verspätung
19:20: Email von der Bahn: der Zug ist abgesagt
19:30: Meldung zur Email: Es gibt einen Ersatzzug, der Fahrt 19:31. Nun aber los!
19:35: Ankunft am Bahnsteig, Anzeige sagt: Der Zug hat 40 Minuten Verspätung
19:40 Auskunft der netten Dame am Schalter: Es gibt einen Ersatzzuch. Deckt sich mit der Email.. Sitzplatzreservierungen sind nicht möglich, meine Reservierung verliert ihre Gültigkeit. Aber auf schriftlichen Antrag bekomme ich 4,5 EUR erstattet. Das Formular wird mir direkt ausgehändigt. Der Zug sein aber ganz leer, kein Problem. weil, “die haben sich alle in den verspäteten 18:31 gestellt.“. Prima.
19:42 Anzeige sagt: Der Zug hat 30 Minuten Verspätung. Das geht jetzt aber fiix! Also ab zum Gleis.
19:51: Ankunft am Gleis: Die Anzeige sagt: Der Zug hat 30 Minuten Verspätung
20:03; Der Zug hat immer noch 30 Minuten Nun Ja, wird sehr wahrscheinlich nur alle 5 Minuten aktualisiert. Oder das passiert manuell, per Eingabe. IDa müssen die ja mächtig was tippen. ch denke über Industrie 4.0 und die deutsche Wettbewerbsfähigkeit nach.
20:04: Überraschender Anzeigenwechsel: Der Zuch von 19:56 aus Frankfurt hat 10 Minuten Verspätung, fährt aber auf dem gleichen Gleis ein. Bitte nicht einsteigen, der Zug endet hier. Auweh, droht da ein Unglück?
20:05: Entwarnung: Nun fährt er auf dem Gleis gegenüber ein
20:12 Unser Zuch hat immer noch 30 Minuten Verspätung und fährt aber jetzt sichtbar ein
20:13: Ansage am Bahnsteig: Fahrradmitnahme nicht möglich Die Türen öffnen sich.
20:20 Ich sitze, der Zuch steht. Gegenüber ist der” Bitte nicht einsteigen” wieder weg und es fährt noch ein Zuch (auch ICE) nach Stuttgart ein Planmässige Abfährt 19:57, aber mit 10 Min Verspätung
20:25: Beide Züge stehen auf Ihren Gleisen, haben immer noch 30 – Halt die Anzeige hat auf 35 Minuten gewechselt! bzw 10 Min Verspätung. Komische Arithmetik.
20:28 Blaugekleidete Bahnbedienstete steigen ein, es wird wohl bald losgehen
20:29 ein Fahrgast verliert die Nerven und steigt in den Zug gegenüber um
20:30 die hysterische Dame, die sehr laut (ist das nicht 1. Klasse, Ruhebereich, keine Handynutzung?) mit Ihrem Partner die Beziehung beendet, , steigt  ebenfalls um. Grund der Trennung war wohl die Tatsache, dass er sie zur Fahrt mit der deutschen Bahn überredet hatte. Sie hatte, wie Sie sehr laut und deutlich erklärte,  – und nur wegen ihm-  es seit 16:15 abfahrend  Mainz bis Mannheim gebracht. Andere fahren das in der Zeit mit dem E-Roller.. 
20:31 Durchsage: Fahrgäste nach Stuttgart können auch den Zuch gegenüber nehmen.
20:32 Menschenmengen setzen sich in Bewegung. Der Zuch gegenüber schliesst die Türen. Erste laute Stimmen auf dem Bahnsteig sind auch un unsrem Zuch gut hörbar.
20:33 Durchsage in unserem Zuch : Bitte nicht mehr nach gegenüber umsteigen, die „Chance sei verpasst“. Ob das die Menschen am Bahnsteig hören??? Egal, der Zuch gegenüber öffnet die Türen wieder, viele Menschen steigen ein.
20:40 Der Zuch gegenüber fährt laut Anzeige mit 10 Min  Verspätung ab.
20:45 wir haben immer noch 35 Minuten Verspätung.
20:50 Eine ernste Durchsage: „Mein Team ist nicht für diesen Zug geschult“,und könne nicht den Bedürfnissen der Fahrgäste gerecht werden. Wahnsinn, da macht man Sich echt Gedanken bei der Deutschen Bahn. Maximale Kundenzufriedenheit, der Anspruch der Deutschen Bahn. Daher müssen nun alle Wagen, beginnend mit „3″ geräumt werden. Man solle doch bitte in den vorderen Teil des Zuges wechseln. die Stampede beginnt. Ich versteh nicht, was Fahrkatrenkontrollieren und Stationen ansagen im ICE so diffizil macht. Aber vielleicht sind die Stühle je nach Baureihe anders angeordnet.
20:55 Immer noch fluten Menschenmassen von hinten nach vorne. Es wird eng.
20:58 Durchsage: Mann soll nicht stehen, bitte auch Sitzplätze in der 1. Klasse nutzen. Auweh, jetzt wird’s richtig eng..
21:00 Der Zuch fährt los, aber ohne die ungeschulten Schaffner. die bleiben in Mannheim. Es gibt nur 2 Zugbegleiterinnen, die wollen auch nach München.Ein Himmelfahrtskommando? Später erfahre ich, daß die Damen aus der ehemaligen DDR stammen und Kombinatserfahrung haben. die können mit Defiziten umgehen.Zwischenzeitlich wird auch auf Durchsagen per Mikro verzichtet und per persönlicher Ansprache in jedem Abteil gearbeitet. Alte Erich-Schule. Das fördert das „wir sitzen alle im selben (sinkenden) Boot“ Gefühl und verhindert die Zersetzung der Moral.
21:35 erster Halt. Unterwegs. Irgendein Hinweis auf den Mann mit dem Fahrrad in wagen 32, er soll zum Fahrrad kommen. Wie war das mit denm “keine Fahrräder im Zuch”?
21:40 Mittlerweile hat sich die Lage normalisiert. Der Mann mit der 1. Klasse Karte, der stehen muss, während alle Plätze der 1. Klasse mit 2. Klasse Ticketinhabern (oder Schwarzfahrern?) belegt sind, droht damit, „zu kollabieren”. Na, es wird ja was geboten. Ein Schaffner ( wo kommt der jetzt her?) nimmt sich des Themas an und ward früdem nicht mehr gesehen.
22:15 Wir haben mittlerweile Stuttgart passiert. Die Reisenden die auf den falschen Such gesetzt hatten, sind mittlerweile also auch in der „city of fairs“ oder so (?früher waren am Bahnsteig Schilder mit dem Namen der Stadt?) angekommen.
22:20 Nächste Durchsage: In Ulm müssen wir etwas länger halten, weil wir die erst die Fahrräder (habe ich da was falsch mitgekriegt???) ausladen müssen.
Die Lage normalisiert sich weiter. es gibt erste laute Telefonate im im „Psst Bereich“. Man erfährt schmal haarklein aus berufenem Munde, in welch bescheideneren Lage man sich befindet. Nun denn, der Mensch ist mitteilungsbedürftig, manche etwas mehr. die Dame steigt aber dann in Ulm aus. In Ulm steigt auch der erfahrene 1. Klasse Nutzer mit dem Bose-Kopfhörer aus, der vorhin noch erklärt hatte „Ich höre Ihr Gespräch trotz Rauschunterdrückung“. Also, der Sinn solcher Apparaturen am Kopf ist ja wohl, daß man Geräusche unterdrückt und Sprache aber noch gut hört. So war das jedenfalls, als Sennheiser diese Technik damals für die Starfighter Piloten entwickelt hat. Aber vielleicht ist das Konzept heute ein anderes.
22:30  Meine zunehmende Atembeklemmung sowie das vertraute Ansteigen der Körpertemperatur deuten auf das obligatorische Versagen der Klimaanlage im ICE hin. Jetzt wird alles gut, die Deutsche Bahn hat zum Normalbetrieb zurückgefunden. Nun denn, vor kurzem hatte das bei meiner Fahrt im prestigeträchtigen Express ICE zwischen der Landeshauptstadt und München 5 ausserplanmässige Stops auf freier Strecke (zum Tür aufmachen und Lüften) zur Folge. Seinerzeit schaffte man eine Gesamtverspätung mit zusätzlichem Stop in Bamberg (! !) und verspäteter Abfahrt am Start in Berlin ehrliche 1:45 Verspätung auf “4 Stunden Fahrt“ (O-Ton)-  ob wir das heute tippen? . Die Chance ist da.
22:45 Nach der Rückkehr vom Klo (Ich musste mich ein wenig frisch machen und brauchte Wasser im Gesicht) endlich mal wieder eine Ansage über die Bordelektronik “Es hat jemand die Klimaanlage ausgeschaltet. Wir haben sie wieder eingeschaltet”. Auch gut. Kein Stop zur Lüftung. Bringt auch nicht wirklich was.
23:48 Ankunft in München. Alles gut. Montag morgen fahre ich wieder mit der Bahn. Nach Mannheim. Und am Mittwoch zurück. Weil, Autofahren über Stuttgart und Karlsruhe ist noch übler.

Hier spricht wieder die Frau flockblog: kurz vor der Ankunft des Zuges in Pasing (noch 20 Minuten bis Mitternacht und der MVV im Schienenersatzverkehrmodus) bin ich aus unserem nun mehr nur noch luftig besetzten Erster-Klasse-Wagen zum Wagen 25 gewankt (nicht gesoffen, nur müde und sehr wackelige Gleise) und konnte die Dame vom Kombinat Bahn und Schiene durch knapp zehnminütiges Engelszungenzureden davon überzeugen, dass ich jetzt nicht in Pasing ankommen und mit zwei verschiedenen Buslinien nach Gräfelfing fahren will, damit ich dort mein Auto einsammeln, den Kollegen bei sich und dann mich bei mir daheim absetzen kann. Bis sie überzeugt und der Wisch dann fertig war, mußte ich mich ziemlich sputen, um zurück zu meinem vier Waggons entfernten Platz zu kommen, meine Siebensachen einzupacken und den Zug bei seinem Sehrkurzaufenthalt in Pasing (kaum ausgestiegen, schon knallten die Türen hinter mir zu) auch wirklich verlassen zu können.

Dafür war der ortsunkundige Taxler beratungsresistent und hat nicht etwa die empfohlene Schnellstraßenroute (10 Minuten) gewählt, sondern die landschaftlich schönere Strecke durch die Tempo-30-Wohnviertel, was die Fahrtzeit mal flott verdoppelte. Perfektes Ende eines perfekten Tages.

Dorfschlampenschimpfen

Am Vielzufrühenmorgen, beim Frühstückholen an der Tanke in Dörth. Dahinter ist eine Bushaltestelle und da, zwischen Unkraut, Betonpollern und allgemeiner Verwahrlosung brüllt die eine stark geschminkte Minirockperson mit unzureichendem BMI die andere nieder: “Ey, du bisja voll Psychatrie!”

Ungeduscht und fern der Heimat

Armer, armer Zug. Hat die böse Sonne wieder deine Gleise heißgemacht und du kannst jetzt nicht mehr rumfahren, ohne dir die Rädchen zu verbrühen und bleibst deswegen am liebsten daheim bei Mutti im Depot? Versteh ich. Selbst mir wars in den letzten Tage manchmal zu warm, und das will was heißen.

Meine ganz besondere Hochachtung gilt der Dame, die der letzte Sproß einer langen Ahninnenreihe von tapferen Kol- und Sowchosenleiterinnen sein dürfte. Wo ihre Vormütter noch ganze Fünfjahrespläne in maximal zweien erfüllten, steuert sie wacker einen Zug durch diese Republik, schmelzenden Gleisen und anderen Unbillen zum Trotz. Zum Beispiel auch dem Umstand, dass sie “leider kein Personal mitgebracht hat, das Ihren Bedürfnissen entspricht”. (Das impft mir Bilder ins Hirn, die da nie mehr rausgehen…) Und deswegen müssen nun alle Passagiere, die Plätze in Wagen Nr. 30ff gefunden haben (ich sitze in 29, puaaah!), wieder zügig nach vorne kommen. Je schneller sie das schaffen, desto schneller können wir “losmachen” (nein, der Zug ist nicht plötzlich zum Schiff geworden…) und deswegen mögen doch bitte die, die schon wo sitzen, ihr “Gebäck” vom Nebensitz nehmen (um die Kekse dann dem neuen Nachbarn anzubieten, hihi?).

Statt jetzt daheim (wie vorgesehen und bezahlt) bin ich grad mal kurz hinter Stuttgart und weil heute, sagt die Sowchosenchefin (persönlicher Kurzauftritt in jedem Waggon, Respekt!) eh keiner mehr kontrolliert, werde ich versuchen, ein wenig vorzuschlafen.

Bonne nuit, allesamt!

Grüße aus Dörth

Dörth im Hunsrück ist selbst für Hunsrücker Verhältnisse so klein, dass man keine Mittel in den Druck eigener Postkarten investiert. Erst das Nachbarstädtchen Emmelshausen hat eine.

Die haben überhaupt alles, die Emmelshausener: Rewe, Penny, Lidl, Rewe Getränkemarkt und Kik, mindestens einen Emmel sowie das Beauty Studio Kill (lizensiert). Ansonsten ist man hier stolz auf die Anzahl der Kreisverkehre (“Die meisten in Deutschland. Oder Europa. Irgendwie.”) und auf Baumbewuchs (“Sensationsfund im Nationalpark – Neue Flechtenart im Hunsrück entdeckt”).

Die Erwähnung von Simmern, der Heimat von Maria und dem Herrmännsche, mit deren Familiengeschichte Edgar Reitz die Region bekannt gemacht hat (“Heimat”), löste bei meiner Gewährsfrau nur Mitleid mit den Bewohnern des Kaffs aus, dem man für die Dreharbeitent den Asphalt von der Straße genommen und durch Kopfsteinpflaster und Dreck (dirt) ersetzt habe. Und hinter den “aufaltgemachten” Fassaden sei es in den Häusern selbst im Sommer stockdunkel gewesen. So habe es die Mutter erzählt.

Ich möchte hier nicht tot über dem Zaun hängen. Ich mach das nur für Geld und das frivole Vergnügen, in der Minibar einen Picollo zu finden. Halbtrocken.

Theatersommer 2019 – Der erste Streich

Seit ich wieder hier bin, habe ich mir die Tradition meines ganz persönlichen Theatersommers geschaffen: drei Inszenierungen in drei Ländern – und wenn alles supergut klappt, an jeweils aufeinanderfolgenden Wochenenden nach der Devise: Gespielt wird immer. Wer weiß wo, ist klug.

Gestern gings ins tiefe Niederbayern*. Dafür folgt man der B15 Richtung Rengschburg bis man irgendwann nach Uuschbo (Unterunsbach, mein liebster Ortsname von allen – irgendwann stehle ich denen das Ortschild doch noch) scharf rechts abbiegt. Noch vorbei am stingaten Schweinemastbetrieb und dann nochmal rechts abbiegen, zum Stadl in Unterröhrenbach. Dort ist seit vielen Jahren die Laienspielgruppe Ergoldsbach beheimatet, bei der ich vor noch viel mehr Jahren für zwei Sommer mitgespielt habe. Inzwischen sind aus meinen damals gerade höchstens halbstarken Schauspielerkollegen und -kolleginnen gestandene Familienväter und -mütter geworden und die, die damals schon ein bisserl älter waren als wir Jungspundstudenten, sind längst im Ruhestand und schauen nur noch zu.

Dennoch haben die Ergoldsbacher keine Nachwuchssorgen, denn entweder zeugen sie ihn selbst und übertragen ihre eigene Theaterbegeisterung via Genpool (die Familien Ammer und Baumeister) oder junge Menschen kommen freiwillig und wollen middoa. So ist denn auch zu erklären, dass das Durchschnittsalter der Räuber, die das Wirtshaus im Spessart heimsuchen, bei – gut gerechnet – höchstens 15 Jahren liegt. Wenn ihr Hauptmann nicht im Zivil Erstsemester in Regensburg wäre, hätten es noch nicht einmal dafür gereicht. Die Buben spielen mit Insbrunst böse Männer und weder über die Ohren rutschende Schlapphüte noch der Stimmbruch können sie aufhalten. Hah! Sie machen das sehr sehr schön!

Überhaupt fühlt es sich manchmal an, als wäre man in einem Jugendstück gelandet – und das macht Spaß! Ich sage nur Flipper, ihr wißt dann schon, was ich meine. Regisseur Robert Ammer hat seiner Truppe auch Lieder hineingeschrieben. Zum Singen. Öffentlich. Je jünger die Akteure sind, desto weniger interessiert sie die Fremdwahrnehmung, je pubertierender desto mehr. Die Puberinos tun dann beim Vortrag so, als wären sie gar nicht da. Aber auch das macht viel Freude, wenn man wenigstens einen gemeinen Knochen im Leibe hat. Ansonsten wünsche künftig immer bei Hosenrollen so einen witzigen Kostümwechsel wie den in der Dachkammer und wenn ihr abgespielt habt, möchte ich das wunderbare Ausziehbett der Fürstin haben und wäre mit ungefähr der Hälfte ihrer Bitchigkeit schon total zufrieden.

Das habt ihr sehr schön gemacht, allesamt! Vielen Dank! Und grüßt mir Tante Lotte**.

* Für die Entscheidung, ob Niederbayern von München aus gesehen als Ausland zählt, bin ich nicht befugt. Ich lebe ja hier erst seit über 30 Jahren und so ein Duldungsstatus ist schnell widerrufen…

** Tante Lotte ist das neue “42” und die Antwort auf alles. Das Leben, das Universum und den ganzen Rest.