Gastbeitrag: Protokoll einer Zugfahrt

Mein mitreisender Kollege hat die Fahrt aus lauter Verzweiflung protokolliert. Das darf man keinem vorenthalten:

Abfahrt 19:31 ab Mannheim, Zeil MĂŒnchen. Das geht in knapp drei Stunden.
Ankunft am Bahnhof um 18:50. Weil, der ICE fĂ€hrt pĂŒnktlich um 19:31, den will man ja nicht verpassen. (SF: DafĂŒr ĂŒbernehme ich die Verantwortung: ich hasse es, erst hektisch und knapp vor Termin anzukommen.)
Feststellen, daß der Zug „mehr als 60 min“ VerspĂ€tung haben wird.
Hat allerdings der von 18:31 auch – also Versuch, mit dem zu fahren. Nur noch StehplĂ€tze frei.Geht gar nicht.
Also erstmal zu Burger King19:10 Erhalt einer email von der Bahn: Der Zuch hat 60 min VerspÀtung
19:20: Email von der Bahn: der Zug ist abgesagt
19:30: Meldung zur Email: Es gibt einen Ersatzzug, der Fahrt 19:31. Nun aber los!
19:35: Ankunft am Bahnsteig, Anzeige sagt: Der Zug hat 40 Minuten VerspÀtung
19:40 Auskunft der netten Dame am Schalter: Es gibt einen Ersatzzuch. Deckt sich mit der Email.. Sitzplatzreservierungen sind nicht möglich, meine Reservierung verliert ihre GĂŒltigkeit. Aber auf schriftlichen Antrag bekomme ich 4,5 EUR erstattet. Das Formular wird mir direkt ausgehĂ€ndigt. Der Zug sein aber ganz leer, kein Problem. weil, “die haben sich alle in den verspĂ€teten 18:31 gestellt.“. Prima.
19:42 Anzeige sagt: Der Zug hat 30 Minuten VerspÀtung. Das geht jetzt aber fiix! Also ab zum Gleis.
19:51: Ankunft am Gleis: Die Anzeige sagt: Der Zug hat 30 Minuten VerspÀtung
20:03; Der Zug hat immer noch 30 Minuten Nun Ja, wird sehr wahrscheinlich nur alle 5 Minuten aktualisiert. Oder das passiert manuell, per Eingabe. IDa mĂŒssen die ja mĂ€chtig was tippen. ch denke ĂŒber Industrie 4.0 und die deutsche WettbewerbsfĂ€higkeit nach.
20:04: Überraschender Anzeigenwechsel: Der Zuch von 19:56 aus Frankfurt hat 10 Minuten VerspĂ€tung, fĂ€hrt aber auf dem gleichen Gleis ein. Bitte nicht einsteigen, der Zug endet hier. Auweh, droht da ein UnglĂŒck?
20:05: Entwarnung: Nun fĂ€hrt er auf dem Gleis gegenĂŒber ein
20:12 Unser Zuch hat immer noch 30 Minuten VerspÀtung und fÀhrt aber jetzt sichtbar ein
20:13: Ansage am Bahnsteig: Fahrradmitnahme nicht möglich Die TĂŒren öffnen sich.
20:20 Ich sitze, der Zuch steht. GegenĂŒber ist der” Bitte nicht einsteigen” wieder weg und es fĂ€hrt noch ein Zuch (auch ICE) nach Stuttgart ein PlanmĂ€ssige AbfĂ€hrt 19:57, aber mit 10 Min VerspĂ€tung
20:25: Beide ZĂŒge stehen auf Ihren Gleisen, haben immer noch 30 – Halt die Anzeige hat auf 35 Minuten gewechselt! bzw 10 Min VerspĂ€tung. Komische Arithmetik.
20:28 Blaugekleidete Bahnbedienstete steigen ein, es wird wohl bald losgehen
20:29 ein Fahrgast verliert die Nerven und steigt in den Zug gegenĂŒber um
20:30 die hysterische Dame, die sehr laut (ist das nicht 1. Klasse, Ruhebereich, keine Handynutzung?) mit Ihrem Partner die Beziehung beendet, , steigt  ebenfalls um. Grund der Trennung war wohl die Tatsache, dass er sie zur Fahrt mit der deutschen Bahn ĂŒberredet hatte. Sie hatte, wie Sie sehr laut und deutlich erklĂ€rte,  – und nur wegen ihm-  es seit 16:15 abfahrend  Mainz bis Mannheim gebracht. Andere fahren das in der Zeit mit dem E-Roller.. 
20:31 Durchsage: FahrgĂ€ste nach Stuttgart können auch den Zuch gegenĂŒber nehmen.
20:32 Menschenmengen setzen sich in Bewegung. Der Zuch gegenĂŒber schliesst die TĂŒren. Erste laute Stimmen auf dem Bahnsteig sind auch un unsrem Zuch gut hörbar.
20:33 Durchsage in unserem Zuch : Bitte nicht mehr nach gegenĂŒber umsteigen, die „Chance sei verpasst“. Ob das die Menschen am Bahnsteig hören??? Egal, der Zuch gegenĂŒber öffnet die TĂŒren wieder, viele Menschen steigen ein.
20:40 Der Zuch gegenĂŒber fĂ€hrt laut Anzeige mit 10 Min  VerspĂ€tung ab.
20:45 wir haben immer noch 35 Minuten VerspÀtung.
20:50 Eine ernste Durchsage: „Mein Team ist nicht fĂŒr diesen Zug geschult“,und könne nicht den BedĂŒrfnissen der FahrgĂ€ste gerecht werden. Wahnsinn, da macht man Sich echt Gedanken bei der Deutschen Bahn. Maximale Kundenzufriedenheit, der Anspruch der Deutschen Bahn. Daher mĂŒssen nun alle Wagen, beginnend mit „3″ gerĂ€umt werden. Man solle doch bitte in den vorderen Teil des Zuges wechseln. die Stampede beginnt. Ich versteh nicht, was Fahrkatrenkontrollieren und Stationen ansagen im ICE so diffizil macht. Aber vielleicht sind die StĂŒhle je nach Baureihe anders angeordnet.
20:55 Immer noch fluten Menschenmassen von hinten nach vorne. Es wird eng.
20:58 Durchsage: Mann soll nicht stehen, bitte auch SitzplĂ€tze in der 1. Klasse nutzen. Auweh, jetzt wird’s richtig eng..
21:00 Der Zuch fĂ€hrt los, aber ohne die ungeschulten Schaffner. die bleiben in Mannheim. Es gibt nur 2 Zugbegleiterinnen, die wollen auch nach MĂŒnchen.Ein Himmelfahrtskommando? SpĂ€ter erfahre ich, daß die Damen aus der ehemaligen DDR stammen und Kombinatserfahrung haben. die können mit Defiziten umgehen.Zwischenzeitlich wird auch auf Durchsagen per Mikro verzichtet und per persönlicher Ansprache in jedem Abteil gearbeitet. Alte Erich-Schule. Das fördert das „wir sitzen alle im selben (sinkenden) Boot“ GefĂŒhl und verhindert die Zersetzung der Moral.
21:35 erster Halt. Unterwegs. Irgendein Hinweis auf den Mann mit dem Fahrrad in wagen 32, er soll zum Fahrrad kommen. Wie war das mit denm “keine FahrrĂ€der im Zuch”?
21:40 Mittlerweile hat sich die Lage normalisiert. Der Mann mit der 1. Klasse Karte, der stehen muss, wĂ€hrend alle PlĂ€tze der 1. Klasse mit 2. Klasse Ticketinhabern (oder Schwarzfahrern?) belegt sind, droht damit, „zu kollabieren”. Na, es wird ja was geboten. Ein Schaffner ( wo kommt der jetzt her?) nimmt sich des Themas an und ward frĂŒdem nicht mehr gesehen.
22:15 Wir haben mittlerweile Stuttgart passiert. Die Reisenden die auf den falschen Such gesetzt hatten, sind mittlerweile also auch in der „city of fairs“ oder so (?frĂŒher waren am Bahnsteig Schilder mit dem Namen der Stadt?) angekommen.
22:20 NĂ€chste Durchsage: In Ulm mĂŒssen wir etwas lĂ€nger halten, weil wir die erst die FahrrĂ€der (habe ich da was falsch mitgekriegt???) ausladen mĂŒssen.
Die Lage normalisiert sich weiter. es gibt erste laute Telefonate im im „Psst Bereich“. Man erfĂ€hrt schmal haarklein aus berufenem Munde, in welch bescheideneren Lage man sich befindet. Nun denn, der Mensch ist mitteilungsbedĂŒrftig, manche etwas mehr. die Dame steigt aber dann in Ulm aus. In Ulm steigt auch der erfahrene 1. Klasse Nutzer mit dem Bose-Kopfhörer aus, der vorhin noch erklĂ€rt hatte „Ich höre Ihr GesprĂ€ch trotz RauschunterdrĂŒckung“. Also, der Sinn solcher Apparaturen am Kopf ist ja wohl, daß man GerĂ€usche unterdrĂŒckt und Sprache aber noch gut hört. So war das jedenfalls, als Sennheiser diese Technik damals fĂŒr die Starfighter Piloten entwickelt hat. Aber vielleicht ist das Konzept heute ein anderes.
22:30  Meine zunehmende Atembeklemmung sowie das vertraute Ansteigen der Körpertemperatur deuten auf das obligatorische Versagen der Klimaanlage im ICE hin. Jetzt wird alles gut, die Deutsche Bahn hat zum Normalbetrieb zurĂŒckgefunden. Nun denn, vor kurzem hatte das bei meiner Fahrt im prestigetrĂ€chtigen Express ICE zwischen der Landeshauptstadt und MĂŒnchen 5 ausserplanmĂ€ssige Stops auf freier Strecke (zum TĂŒr aufmachen und LĂŒften) zur Folge. Seinerzeit schaffte man eine GesamtverspĂ€tung mit zusĂ€tzlichem Stop in Bamberg (! !) und verspĂ€teter Abfahrt am Start in Berlin ehrliche 1:45 VerspĂ€tung auf “4 Stunden Fahrt“ (O-Ton)-  ob wir das heute tippen? . Die Chance ist da.
22:45 Nach der RĂŒckkehr vom Klo (Ich musste mich ein wenig frisch machen und brauchte Wasser im Gesicht) endlich mal wieder eine Ansage ĂŒber die Bordelektronik “Es hat jemand die Klimaanlage ausgeschaltet. Wir haben sie wieder eingeschaltet”. Auch gut. Kein Stop zur LĂŒftung. Bringt auch nicht wirklich was.
23:48 Ankunft in MĂŒnchen. Alles gut. Montag morgen fahre ich wieder mit der Bahn. Nach Mannheim. Und am Mittwoch zurĂŒck. Weil, Autofahren ĂŒber Stuttgart und Karlsruhe ist noch ĂŒbler.

Hier spricht wieder die Frau flockblog: kurz vor der Ankunft des Zuges in Pasing (noch 20 Minuten bis Mitternacht und der MVV im Schienenersatzverkehrmodus) bin ich aus unserem nun mehr nur noch luftig besetzten Erster-Klasse-Wagen zum Wagen 25 gewankt (nicht gesoffen, nur mĂŒde und sehr wackelige Gleise) und konnte die Dame vom Kombinat Bahn und Schiene durch knapp zehnminĂŒtiges Engelszungenzureden davon ĂŒberzeugen, dass ich jetzt nicht in Pasing ankommen und mit zwei verschiedenen Buslinien nach GrĂ€felfing fahren will, damit ich dort mein Auto einsammeln, den Kollegen bei sich und dann mich bei mir daheim absetzen kann. Bis sie ĂŒberzeugt und der Wisch dann fertig war, mußte ich mich ziemlich sputen, um zurĂŒck zu meinem vier Waggons entfernten Platz zu kommen, meine Siebensachen einzupacken und den Zug bei seinem Sehrkurzaufenthalt in Pasing (kaum ausgestiegen, schon knallten die TĂŒren hinter mir zu) auch wirklich verlassen zu können.

DafĂŒr war der ortsunkundige Taxler beratungsresistent und hat nicht etwa die empfohlene Schnellstraßenroute (10 Minuten) gewĂ€hlt, sondern die landschaftlich schönere Strecke durch die Tempo-30-Wohnviertel, was die Fahrtzeit mal flott verdoppelte. Perfektes Ende eines perfekten Tages.

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