Die Braunauer bauhoftheater-Truppe um Robert Ortner und Wolfgang Dorfner stellt sich sehr wacker und wagemutig einer großen Aufgabe und gibt in diesem Jahr “Dantons Tod” von Georg Büchner. Eine sperrige philosophische wortlastige sehr politische und dennoch sehr akutelle Textvorlage und kein bißchen comic relief. Das muß man sich erst mal trauen und dann auch noch stemmen, vor allem vor dem Hintergrund, dass die meisten Beteiligten hochengagierte Laien sind und von nicht einmal einer Handvoll professioneller Schauspieler*innen unterstützt werden. Hut ab – oder, um in der Diktion zu bleiben, Chapeau!
Pscht! Ruhig alle. Es geht los. Boris Schumm, im extra schlimmen “out-of-bed-Look”, unfrisiert, offenes weißes Rüschenhemd über blankem Bauch, dazu eine ausgeleierte lange Unterhose in (ich nenne das mal wohlwollend) Chamois, barfuß, brilliert wie schon in den Vorjahren als Bockerer und Jedermann in der Titelrolle. Mittelalte halt- und heimatlose Männer liegen ihm einfach. Seinen Gegenspieler Robespierre, den Jesuitenzögling und “Blut-Messias”, verkörpert Patrick Brenner, glaubhaft bis an die Schmerzgrenze. Strenger Scheitel, bleiches Antlitz, mephistophelische Brauen, parallel dazu verlaufenden dicke dunkle Koteletten, die dem Gesicht fast einen maskenhaften Ausdruck geben, schwarzes Samtcape, eng geknöpfte schwarze Soutane, geschnürt mit einer breiten schwarzen Lederkoppel, über schwarzer Hose und schwarzen Schuhen. Einzig der rote, straff gewickelte und geknotete Schal sticht wie ein Priesterkragen daraus hervor. Er spricht leise, gewählt, gesetzt, hebt die Stimme nie, und bekommt dabei das Kunststück hin, dass sie sich bei seinen leidenschaftlichen Ansprachen dennoch überschlägt. Eine ganz wunderbare Rolle und ideal besetzt.
Alle namentlich aufzuzählen, würde den Rahmen sprengen, darum sei mir gestattet, einzelne, die mir besonders aufgefallen sind, in der Reihenfolge ihres Auftretens hervorzuheben. Dazu gehören Dantons Gemahlin, Julie (Jennifer Kastinger), die gleich zu Beginn des Stückes ihren Dialog mit Danton an der Stange tanzend absolviert. Mindestens 10 Minuten lang, eine akrobatische Höchstleistung. An der nämlichen Stange wird später die Trikolore hängen und noch später wird sie durch die Guillotine ersetzt werden. Dann Marion, Dantons Hure (Nadine Konietzny), die auch die sehr gelungene umfangreiche Musikauswahl (davon einmal im Duett mit Rico Grunert) vorträgt, begleitet von Florian Strober und Clemens Riedl. Ich kannte nicht alle Nummern, habe mich aber sehr gefreut über Brels Amsterdam, Jimmy Morrisons The End (habe ich tatsächlich beim ersten Ton erkannt), eine schöne Interpretation des Weillschen September-Songs und eine multilinguale Version von Bella Ciao. Meine Sorgen, ob die Nachgeborenen die Anspielungen denn verstehen würden (Musik ist ja doch oft so eine Generationsfrage), hätte ich mir nicht zu machen brauchen. Sagen die Nachgeborenen. Adabei, wie in jedem Jahr, der Mensch der im Laufe der ersten Hälfte irgendwo seinen Motor sehr laut aufheulen läßt.
Kurz vor der Pause ging starke Bewegung durch das Publikum und es wurde wild geklatscht. Das lag aber nicht daran, dass endlich endlich einmal Szenenapplaus gegeben worden wäre (scheint in Branau nicht üblich zu sein), sondern an den Schnaken, die sich zum Abendessen eingefunden hatte. In der Pause wurden aus so gut wie allen Handtaschen und Rucksäcken Insektizide gegraben und über dem Theatergelände lag eine dicke Wolke “Hautabihrscheißviecher!”
In der zweiten Hälfte wird zu Gericht gesessen. Nachdem Robespierre und St. Just (Jakob Hirmer) aus ihren Höhenlagen den Pöbel zum Mob hetzen*, tauschen der inzwischen inhaftierte Danton und seine Mitstreiter auf offener Bühne ihre Alltagsgewänder gegen uniforme Anstaltskleidung (schwarze Hose, weißes Hemd) aus. Dichtgedrängt verbringen sie ihre letzte Nacht auf einer Drehscheibe, die Danton wie ein Mühlrad dreht. Sehr schöne Idee. Derweil trägt Herbois (Robert Ortner) sehr eindringlich den Monolog des Opportunisten vor. Schließlich wird das vorher schon beschlossene Urteil gefällt und vollstreckt. Blut quillt vom Hackmesser (ein ganz und gar grausiges Bild). Übrig bleiben die Witwen (Jennifer Kastinger, Nadine Konietzky und Dita Sommerauer). Letztere, bis kurz vor der Verhaftung ihres Gatten Desmoulins (Guido Drell) noch hoffnungsfroh schwanger, jetzt die gebrochenste der drei. Ging mir sehr nah.
Wie gesagt, es ist nicht möglich, alle Beteiligten einzeln zu erwähnen – allein “das Volk” umfaßt 14 Personen. Es sei nur soviel gesagt, dass die Truppe eine sehr sehr respektable Gesamtleistung abgeliefert hat und das schließt alle ein, die nicht auf der Bühne zu sehen waren (Kostüme, Bühne, Technik und der ganze Kleinscheiß). Vielen Dank!
Robert Ortner sei explizit dafür gedankt, dass er über die Regie hinaus die Sache “rund” macht, und darüber informiert, dass keine drei Monate nach Danton auch Robespierre und St. Just hingerichtet worden waren. Die Revolution hatte ihre Kinder gefressen.
Hab ich gar nix zu meckern? Doch, hab ich. Natürlich. Ey. Ich würde mir fürs nächste Mal wünschen, dass mit dem “Volk” noch ein bißchen mehr geprobt würde, damit es nicht so “tümelt”. Dann würde ich seine Reaktionen leichter glaubhaft finden können.
Das schmälert aber bitte (man stelle sich das österreichisch ausgesprochen vor, bitté) nicht meine Empfehlung, auf der website https://www.bauhoftheater.at/ nachzusehen, ob es noch Karten gibt und sich die Produktion anzusehen. Sie ist es wert.
* Ich hatte mich gefragt, ob Büchner mit der Rede Mark Antons (“… und Brutus ist ein ehrenwerter Mann”) aus Shakespeares “Julius Cäsar” vertraut war und habe das inzwischen recherchiert. Ja. Er empfand sich als “Shakespeare-Adept”, hatte das Gesamtwerk übersetzt und aus dem Cäsar sehr viele Anleihen in den Danton übernommen. Da hat sich doch das lange Studium der Theaterwissenschaften endlich auch einmal gelohnt.