Ich beginne, und das völlig zu recht, mit großem Dank und einem tiefempfundenen Hach! für das ganze Team am Bauhoftheater. Für den Bühnenbau, die Kostüme und überhaupt die Ausstattung, für alles, was im Hintergrund geschieht, Dank den Schauspielerinnen, der Regie – was habe ich euch alle diesen Sommer vermißt! Es ist ja kein Sommer ohne einen Theaterabend in Braunau. Wobei, dieses neue Domizil, das Simbacher Bürgerhaus auf der anderen Seite des Inn: Hut ab, wenn die Außenanlagen erst fertig sind, wird das eine super versatile Spielstätte.
Soweit zur Vorrede, jetzt zum Stück. Dem einen oder der anderen mag der Titel bekannt vorkommen. “8 Frauen”, gabs da nicht mal einen Film? Ja, gab es. Mit den besten Schauspielerinnen und größten Diven, die Frankreich Anfang der Nuller Jahre zu bieten hatte. Sich an denen messen? Huiuiui. Regisseur Robert Ortner stellt seine Truppe nicht gerade vor eine kleine Herausforderung. Spoiler Alert: die Simbacher Damen machen das mit links…
Man lasse mich erzählen: Suzanne (Jennifer Kastinger, das Gretchen aus der letzten Inszenierung), älteste Tochter des guten Hauses, kommt zur Musik von “La Mer” (merken, das wird wichtig) für die Winterferien nach Hause und…
Nein, jetzt muss ich für einen kurzen Exkurs zum Bühnenbild unterbrechen: ein gutbürgerliches, ach was, ein extrem bourgoises Wohnzimmer, ach was, ein Salon (französisch ausgesprochen) mit gestreiften Tapeten, dicken Teppichen, fetten Sitzmöbeln und jeder Menge o-beinigen Herumstehkleinmöbeln, wenn ich etwas davon verstünde, würde ich jetzt von Louis cinque, seize oder vergoldetem trump fabulieren – einfach herrlitsch! Exkurs Ende.
Suzanne kommt also heim und trifft auf ihre Familie. Der Teil ist Exposition und zieht sich ein bißchen, ich habe aber auch keinen Vorschlag, ob und wie sich das hätte kürzen lassen. Als da wären: Mama Gaby (Elke Kaiser), das personifizierte Klassenbewußtsein im Raubkatzenmantel, am besten beschrieben mit ihrem Zitat: “Ich bin schön und reich und sie ist hässlich und arm.” Sie wird halt bloß auch älter, und das verzeiht sie dem Universum nicht. Elke Kaiser kann Madame Deneuve in dieser Rolle in jeder Hinsicht das Wasser reichen, wenn nicht gar den Wein. Dann wäre da die Omma, Verzeihung “Mamy”, von Bernadette Prähofer ganz entzückend hinterfotzig angelegt (im Film: Danielle Darrieux). Und Tante Augustine (Gabriele Pointner), eine alte Jungfer und die arme Schwester der Hausherrin Gaby, wie Mamy aus Mitleid ins Haus aufgenommen und ein ganz und gar hysterisch-wundervolles Geschöpf (im Film: Isabelle Huppert). Valerie Zach spielt als kleine Schwester Catherine die jugendliche Naive aus dem Bilderbuch, aber nachdem hier alles einen doppelten Boden hat, sollte man seinen Augen vielleicht besser nicht trauen? Oder doch? Und die ist halt einfach nur süß und schnuckelig? Soweit die Familie.
Ein Haushalt wie dieser hat natürlich auch Personal. Zum einen die junge Louise, gerade mal ein halbes Jahr im Dienst, die Julia Empl mit viel Spaß und vollem Körpereinsatz als denunziatorisches kleines Miststück spielt und dann noch Madame Chanel (Halimah Riemer), Haushälterin und gute Seele des Hauses. Oder? (Im Film wird sie von der schwarzen Schauspielerin Firmine Richard gegeben. Noch mehr Skandalpotential.) Die Damen umschleichen sich, sind sehr falsch sehr freundlich zueinander, draußen fällt der Schnee und fällt, drinnen nimmt man Kaffee, ißt Häppchen, macht Konversation, alles très comme il faut.
Den Hausherrn Marcel bekommt das Publikum nie zu sehen, er hält sich zurückgezogen in seinem Zimmer auf – bis er ebendort von der kleinen Catherine mit einem Messer in der Brust und sehr tot entdeckt wird. Das Telefon ist tot, das Auto springt nicht an, die Polizei wird also erst mal nicht kommen. Das macht aber nichts, weil die Damen sich sofort gegenseitig ins Kreuzverhör nehmen, dass das Gift von der Bühne nur so spritzt. Ich unterstelle mal, dass die beim Spielen genauso viel Freude haben, wie das Publikum beim Zuschauen.
Irgendwas fehlt aber noch… Richtig. Pierette (Angela Kreil), die aus der Gnade und nicht nur das gefallene Schwester des Hausherrn (im Film: Fanny Ardant). Die totale femme fatale, eine Frau ohne Tabus. Mit roten (!) Nähten an den Strümpfen, einem waffenscheinpflichtigen Dekolleté im roten Knappkleid und langen schwarzen Handschuhen – ein rechtes Biest, das da aus dem Schnee ins Haus schneit (höhö). Man mag sie nicht. Schon aus Prinzip! Keine läßt an keiner mehr ein gutes Haar, die Damen zerfleischen sich aufs allerschönste. Auch Pierette trägt ein Chanson vor (wie schon andere vor ihr), ich erwähne das deswegen gesondert, weil im Hintergrund Madame Chanel dazu eine intensive Liebesszene mit einer Sessellehne hat – eines der vielen schönen Details, an denen diese Inszenierung sehr reich ist.
Wie? Schon Pause?
Im zweiten Teil zieht das Tempo an. Die zur Schande der Familie unehelich schwangere Suzanne besingt sehr anrührend ihren Liebsten, ihren Freund. (Der im übrigen Marcel, der Hausherr ist. Der ist aber nicht ihr Vater – Inzest wäre wohl selbst in einer makabren Komödie vielleicht doch ein Ticken zu viel. Mama war vielmehr seinerzeit auch schon von einem anderen Mann schwanger. Es ist kompliziert.) Kleinschwesterchen, eine Mimi, die nie ohne Krimi ins Bett geht, hat inzwischen die Ermittlungen übernommen, wedelt mit ihre roten rororo-Taschenbuchkrimis und durchbricht mit einem Fingerschnippen, das die Handlung auf der Bühne einfriert, mehrmals die vierte Wand in dem Escape-Room-ähnlichen Setting da vorne – Valerie Zachs Figur gewinnt in dieser zweiten Hälfte zunehmend an Profil.
In all dem Gewirre und Drama erleidet Gabriele Pointners überragende Augustine eine opernwürdige Herzattacke, bei der alle anderen, wäre es Oper, mindestens einmal die Gelegenheit nutzen würden, ein “sie stirbt, sie stirbt” zu schmettern. Hier tun sie’s auch, wenn auch nur gerufen und gesprochen und es wäre einem recht, wenn Augustine nun aber endlich wirklich draufginge, sie geht aber nur ab. Diese Mein Herz, mein Herz-Show ist aber noch gar nichts gegen ihre Verwandlung in einen superschönen Schwan in hochgeschlitztem engem schwarzem Samt mit Zebrastola und dramatisch gelöstem Haar. Es muss einen Höllenspaß gemacht haben, diese Figur zu spielen.* Zwischenzeitlich besingen Madame Chanel, die sich als Geliebte Pierettes geoutet hat (siehe oben, die Sache mit der Sessellehne), ihre gar schreckliche Einsamkeit und das Dienstmädchen Louise, ihrerseits die Geliebte des Hausherrn Marcel, will in einer Choreographie, die sich mir nicht ganz erschließt, singend wissen “who’s your Daddy?”
Mama Gaby trägt zur Melodie von “La vie en rose” in herrlich gebrochener Whisky-Stimme ihre Erkennntnis “Du bist nur ein Mann” vor, und weil sie alle, alle Dreck am Stecken haben, entdecken die Damen, dass sie eigentlich total tolerant sind und vertragen sich so nach und nach wieder. Dazu hat Bernadette Prähofer ihren letzten großen Auftritt. Sie kommt von hinten, quer durch den Zuschauerraum, singt dazu “La Mer” (ein Rahmen, wir erinnern uns) und verteilt im Publikum Rosen. Ende. Tosender Beifall. Stehende Ovationen.
Wie ich nachgelesen habe, hat auch im Film jede Protagonistin “ihr” Lied. In Simbach sind das, je nach Stimmumfang, auch schon mal Sprechgesänge, die aber interessanterweise große Wirkung erzeugen. Gut gemacht.
Außerdem: Die großen moralischen Aufreger von damals sind heutzutage erfreulicherweise größtenteils keine mehr, das Stück kann also nicht nur vordergründig unterhalten, sondern auch die alten Zeiten belächeln lassen – sehr gelungen. Dankeschön.
So, meine Herr- und Frauschaften. Das sind jetzt über 1.200 Wörter – ich hoffe, ihr seid zufrieden und die Freikarte war gut investiert? Bis nächstes Jahr!
Ooops, beinahe vergessen: danke wie immer meinen Gastgebern und dem angeschlossenen Frühstücksprogramm!
* Das ist der Moment, an dem ich anfange, nachzudenken. Die Damen hier sind ja alle “nur” Nebenerwerbsschauspielerinnen und haben noch ein echtes Leben zu führen. Mit Beruf und Familie und allem anderen. Dies vorausgesetzt, wäre ich neugierig herauszufinden, was sie daraus in ihre Rollen hier mit einbringen. Hmmm.