Schon lang nicht mehr im Kino: “Primary Colors”

Manchmal ist einem so nach guter alter Zeit. Damals, (“Damals” steht übrigens für das letzte Jahrzehnt des letzten Jahrhunderts, also vor gut 30 Jahren). Damals, als man in der amerikanischen Politik noch um soziale Gerechtigkeit gestritten hat, um eine bezahlbare Krankenversicherung für alle, darum, neue Arbeitsplätze für die Werker in den sterbenden Branchen Automobil, Stahl und Kohle zu schaffen, damals, als Bill Clinton Wahlkampf machte. Nicht etwa um das Amt des Präsidenten, nein, erst mal, um von seiner Partei überhaupt nominiert zu werden.

Oder, wie die IMDB es formuliert:

[“Glatzkopfkandidat” ist das, was rauskommt, wenn die KI “smooth-operator candidate” übersetzt und wer jetzt nicht Sade im Ohr hat, war damals nicht dabei…]

Aber zurück zum Film. John Travolta ist ein besserer Clinton als es Bill Clinton je war, Emma Thompson und Hillary dürften etwa gleich auf liegen. Der restliche Cast, unter anderem die unvergleichliche Kathy Bates, Diane Ladd, Larry Hagman, Billy Bob Thornton, wie immer großartig als Arschloch, ist gut gewählt und kann schauspielen. Was an der eigentlichen Geschichte dran und wahr ist, weiß ich nicht, ich kann mich aber gut erinnern, welchen Skandal das gleichnamige Buch von “Anonymus” seinerzeit auslöste. Es ist ein bißchen wie eine Zeitmaschine, denn egal in welche (vornehmlich Sex-)Skandale sich dieser Kandidat verwickelt – er wurschtelt sich immer wieder raus und steht hinterher nicht unbedingt schlechter da.

Man kann den Film trotzdem gut anschauen, sollte aber vermeiden, in den dazu angemessen scheinenden Momenten die Hand gegen die Stirn zu klatschen. Sonst kann nicht mehr damit aufhören.

Als HBO noch gut war: “Conspiracy”

Um meinem Vollständigkeitsdrang zu genügen, wollte ich unbedingt die angelsächsische Version der Verfilmung der Wannseekonferenz (s. https://flockblog.de/?p=51187) auch noch sehen, wohl wissend, dass ein Kammerspiel, das eine Besprechung von 15 Männern, basierend auf einem Originalprotokoll und am selben Ort gedreht, sich nicht wesentlich von der anderen Fassung unterscheiden kann, so monströs deren Agenda auch sein mag.

Oder?

Kenneth Branaghs Heydrich bleibt ein eiskalter berechnender Manipulator – er könnte genauso gut ein Team auf den Launch eines umstrittenen Technologieprodukts einschwören. Stanley Tuccis Eichmann bleibt die personfizierte Effizienz. Und so weiter. Der einzige Unterschied zur jüngsten deutschen Verfilmung ist, dass die Nazis wesentlich dämonischer daherkommen. Und dass das halbe Kind, das den Telefonisten spielt, der junge Tom Hiddleston ist.

Das macht die Produktion nicht weniger sehenswert. Aber eine davon, noch dazu im Abstand von wenigen Tagen, reicht. Es sei denn, man teile meinen Vollständigkeitsdrang.

Neu zum Strömen auf Amazon Prime: “Heads of State”

Ah, jetzt habe ich verstanden. Die haben bei der IMDB geschlampt oder zu wenig Platz gehabt oder vergessen oder sonst irgendeine Ausrede. Heads of State ist genausowenig ein Action Thriller, wie die Spion&Spion-Kolumne in MAD-Magazin* eine Doku über das Agentenleben. Es handelt sich vielmehr um eine Parodie.

Das erklärt den (hübschen) Shootout der weiblichen Hauptrolle Priyanka Chopra Jonas im Tomatenmatsch der Anfangsszene. Übrigens, soviel Klatsch muss sein: Chopra Jonas sieht aus, wie Lauren Wendy Sánchez Bezos sich ihr “Nachher” bestellt, Lippen, Wangenknochen, Vollhaar, Muskeln, das ganze Programm. Ja, habs nachgeschlagen: “Wendy”. Machts nicht besser. Sorry, Ms. Sánchez.

Ein Drehbuch, streng nach Rezept: häufe Klischee auf Trope, Trope auf Klischee. Herauskommt ein sehr stark an seine Peacemaker-Figur aus Suicide Squad angelegter überpatriotischer amerikanischer tumber Großmaul-Schauspieler-Präsident (John Cena), der mit dem Ehrlich-aus-der-Arbeiter-Klasse-in-die-britische-Stiff-Upperlip-Führungselite-hochgearbeitete-dem-Vaterland-als-Soldat-gedient-habende-Premierminister Idris Elba eine perfekt getimte Odd-Couple-Dynamik entwickelt. Dann Intrigen, Verschwörung, hinterlistiger Maulwurf auf höchster Ebene, schurkischer russischer-Waffenhändler-Schurke, für den das Assassinenpaar Olga und Sasha schießt und schießt und schießt und Messer wirft. Außerdem Materialschlacht. Autos, Flugzeuge, Boote, Straßenzüge – die Pyrotechniker dieser Produktion dürften sich von den Überstundenzuschlägen mehrere Sabbaticals leisten können. Nebenher wird gezeigt, dass Totgeglaubte länger leben, Europa ein sehr schönes Land ist, ein Hippie (Jack Quaid) nicht zwingend ein Peacenik** sein muß, also gar nicht, gar kein bißchen, es in Polen zwar schlechte, aber auch sehr gute Menschen gibt, The Beast*** ein superduper Auto ist und weiter fröhlich Klischee auf Trope, Trope auf Klischee gehäuft. Dann kurze Pause im Knallpengbumm, weil jetzt ganz großes Pathos, huiuiui.

Schließlich Auflösung. Sie kriegen alle, was sie verdienen. Der Schurke ein dem Schurken gebührendes Ende, Olga und Sasha auch, der eine Gute seine große Liebe (doch, in dieser Welt kann eine Frau eine Belohnung sein), der andere Gute seine geliebte Familie (“family values”, wichtig), und die beiden zusammen eine gemeinsame Mahlzeit mit anschließendem fernsehserienepisodenende-kompatiblen gemeinsamem vielzahnigen Lachen. Aus.

Wenn man das ernst nehmen sollen müßte, wäre es schrecklich. Als Persiflage ist der Film, nicht zuletzt wegen der hochkarätigen Besetzung und dem sehr guten komödiantischen Timing ganz nett für einen Freitagabend vor dem Fernseher.

Nachtrag: Das mit dem Soundtrack haben sie auch recht gut hingekriegt. Geht doch.

* Junge Menschen, die ihr diese wichtige popkulturelle Anspielung nicht versteht, hier: https://letmegooglethat.com/?q=spy+vs+spy+wikipedia

** Junge Menschen, ich kann euch nicht alles erklären. Ihr müßt auch mal selber was nachschlagen. Mensch.

*** s. **

Bahnbashing

Ja, ja, ich weiß. Eine Dame tut das nicht. Aber ich hab’s schriftlich von Herrn E. aus M., dass ich keine Dame bin und außerdem muss ich dringend schimpfen, sonst bekomme ich wegen diesem Verein noch ein Magengeschwür. Mensch!

Die treue Leserschaft weiß es: ich war über Pfingsten sehr gerne in Hamburg und hätte mir die eher holprige Rückreise (s. https://flockblog.de/?p=51176) mindestens ebenso gerne (und das ist viel) gespart. Sollte nicht sein. Also habe ich nach Heimkehr und Reisestaub und -frust abduschen noch am selben Abend beim Servicecenter für Fahrgastrechte online und einfach einen Fahrgastrechteantrag gestellt, alle Angaben ausgefüllt und eingetragen und mich in Geduld gefaßt. Was war ich gestern baß erstaunt, dass mir eben dieses Servicecenter für Fahrgastrechte einen Brief geschickt hat. Per Post. Wegen einer Nachfrage zur verspäteten Ankunftszeit. Das hat mich schon zum Nachdenken gebracht: Dokumentieren die nicht, wann ihre Züge wo sind? Wann sie abfahren? Wann ankommen? “Aber gut,” denke ich mir, naive Person, die ich bin, “schicke ich eben eine Mail und dann hat sich das erledigt.” Nicht doch. Nein, die Bahn erwartet, dass ich schriftlich antworte, auf Papier, ihnen meine Antwort sowie ihren eigenen Brief zurückschicke und nein, ein voradressiertes und vorfrankiertes Rücksendekuvert ist selbstverständlich nicht vorgesehen.

So ein Verhalten ist geradezu ein Schrei nach Bashing! Und ich wäre jetzt damit durch und kann mit meinem Sommertag weitermachen. Sauladen, elender!

Galileo!

ZOI-IIING klirrt es hinter meinen Pupillen, fast zeitgleich scheppert und dröhnt ein überlautes KABABOINGBURRUM-BUMM, ein erschrecktes Atemzüglein später ergießen sich Wassermassen in reichem vollen Schwalle, unterlegt mit weiterem Biltz-Zick-Zack und lautem Donnergrollen. Halb sieben ist es und ich hellwach.

Ich wanke schlaftrunken im Nachthemd auf den Balkon, ergötze mich an den feuchten kalten Luftwellen, die das Wetter (von Unwetter zu sprechen, wäre falsch, mir fliegen weder Dach noch Blech weg, kein Keller läuft voll) über mich bläst. Tief und fest und mit Genuß atmen. Tut das gut!

Noch kurz Wasserlassen und -fassen und dann wieder ins Bett. Zudecken (!), auch die kalten (!) Füße, und von Regenströmen sanft eingelullt wieder einschlafen. Hach!

Disclaimer: Das Foto ist von Mittwoch. Paßt aber, und heute war keiner.

Gelesen: Stefanie Sargnagel – “Iowa – ein Ausflug nach Amerika”

Stefanie Sargnagel reist mit ihrer Bühnenpartnerin, der Berliner Musikerin Christiane Rösinger nach Iowa und unterrichtet dort in einem College in der Mitte von Nirgendwo Creative Writing. Anschließend schreibt Steffi (ich darf doch “Steffi” sagen?) ein Buch darüber, wie sie mit ihrer Bühnenpartnerin, der Berliner Musikerin Christiane Rösinger nach Iowa reist und dort in einem College in der Mitte von Nirgendwo Creative Writing unterrichtet.

Es ist ein typischer Sargnagel geworden. Die Autorenpersona Stefanie Sargnagel, die recht nah an der natürlichen Person angelegt sein dürfte, läßt sich wie immer voller fast naiver Entdeckerfreude und erfreulich unerschrocken auf ein neues Abenteuer ein und trifft auf den Mittleren Westen der USA, der (genauso wie jede andere Region dieses großen weiten Landes) voller Kuriositäten und Absurditäten und eigenartiger Menschen steckt, alles so unfaßbar schräg, dass sofort den zurückgelassenen Menschen in der Heimat davon berichtet werden muss. SOFORT. Mit dieser Zwangshandlung kenne ich mich aus, so sind tausende (jaha) flockbloposts entstanden. Ihre Beobachtungen reichert sie mit philosophischen, soziologischen, psycholgogischen und politischen Nachdenkereien* an, erläutert amerikanische Spezifika (kenne ich auch, einen Großteil der Themen, die in den USA zum Allgemeinwissen, wahrscheinlich muß man inzwischen sagen, zählten, habe ich auch im Detail recherchiert und für meine Leserschaft zu Hause aufbereitet), produziert bisweilen wunderbare Zitate für die Ewigkeit (pars pro toto, zum Thema Aussehen: “Man ist viel beeinflussbarer, als es die Würde erlaubt”) und knallt ordentlich derbe Hämmer dazwischen. Sargnagel halt. Frau Rösinger greift gelegentlich mit “korrigierenden” Fußnoten ein. (Soo hübsch!)

Sargnagel neigt nicht zum Samthandschuh, weder bei anderen noch bei sich selbst, gerade nicht bei sich selbst. Aber genau auf diese schonungslose Weise schafft sie ein sehr komisches Buch über das Fremdsein und die Fremde, die Gleichheiten und die Andersartigkeiten und, fast beiläufig, eine Liebeserklärung an die mitreisende Freundin und die nachkommende Mama. Ich hatte sehr viel Freude mit der Lektüre!

Lesen! Lesen! Lesen!

* Den Begriff “Nachdenkereien” habe ich bei Tucholsky geborgt, denn der kennt sich mit sowas aus.

Funkelniegelnagelneu auf Netflix: “The Old Guard 2”

Vorrede 1: Greg Rucka kann’s. Ich habe mich durch so gut wie sein Comic-Gesamtwerk gelesen und hätte das nicht getan, wenn es nicht gut wäre.
Vorrede 2: Der erste Film war recht texttreu (kann man das bei Graphic Novels so sagen?). Rucka hat am Drehbuch mitgearbeitet. Gute Schauspieler. Also alles insgesamt gut gelungen. Bis auf den furchtbaren Soundtrack.
Vorrede 3: Wie immer finde ich es sympathisch, wenn die Fortsetzung einfach eine fortlaufende Nummer trägt und man sich nicht durch verwirrende Titel denken muss. Gut gemacht. Haken dran.
Vorrede 4: Die inhaltgebende Comicvorlage existiert (noch) nicht. Rucka hat aber auch bei Teil 2 am Drehbuch mitgearbeitet und läßt seine Figuren gewiß nicht allein. Bestimmt nicht.
Vorrede 5: Da wartet man nun fünf Jahre, freut sich eh schon, dass es endlich soweit ist und dann spielt auch noch Uma Thurman mit dem wunderbaren Rollennamen “Discord” (Zwietracht) die Oberschurkin. Was kann da noch schiefgehen?

Es kann auf diese Frage nur eine Antwort geben: So ziemlich alles. Eben.

Eigentlich hätte es gut werden können. Tolle Locations auf der ganzen Welt. Die Kampfszenen (viele) sind wunderbar choreographiert, die (sehr guten) Schauspieler und Innen geben ihr Bestes. Selbst der Soundtrack ist besser. Aber das Drehbuch ist so dermaßen hauchdünn und arbeitet nur darauf hin, dass in einem dritten Teil alles aufgelöst wird.

Ach Manno. Ausgerechnet “The Old Guard” auf dem Altar der Gier geopfert. Ich hättte nicht erwartet, dass ich das sage, aber den Film muß man sich nicht ansehen. Schade.

Gelesen: Jeff Lemire (Author), Dustin Nguyen (Artist) – “Little Monsters” (Vol. 1 + 2)

In der aktuellen Dystopie Lemires (er mag und kann das Genre einfach) lebt eine Gruppe von Kindern im Alter von ca. sieben bis siebzehn in einer zerstörten Metropolis. Die Großen haben ihre Rückzugsorte in der immensen Stadtbibliothek (Hach!) oder einem Musikladen eingerichtet, der Stumme findet Stifte und bemalt jede Fläche, die er erreicht, für die Kleinen sind die Ruinen ein einziger riesengroßer Abenteuerspielplatz und Rattenfangen ein Spiel. Bevor sie zu Tagesbeginn schlafen gehen, essen sie die Ra… nein, sie trinken nur das Rattenblut. Denn die Kindlein sind Vampire und Sonnenlicht ist tödlich.

Dann betritt ein Mensch die Szene.

Was dann geschieht, wer letztendlich menschlicher ist, Mensch oder Vampir, möge jeder und jede selbst lesen, denn es lohnt. Ich bin vom Duo Lemire/Nguyen seit ihrer Ascender/Descender-Reihe überzeugt und gefangen und würde mich sehr freuen, wenn auch andere zu ihnen fänden. Sie sind es wert.

Nachtrag: Ich weiß nicht, warum ich gerade nacheinander “Eclipse” und “Little Monsters” mit dem übergreifenden Thema von der Tödlichkeit des Tages gelesen habe. Manchmal fügt die gute Büchergöttin dergleichen einfach.

Es ist heiß, Baby

Eben die vergleichsweise kühlen Morgentemperaturen, na ja, was man derzeit eben so “kühl” nennt, denn es sind am bisher wohl heißesten Tag der aktuellen Hitzewelle um 10:00 Uhr früh schon 28°C, …also den späten Morgen genutzt, um rasch unten in der Passage ein paar Besorgungen zu erledigen und zum ersten Mal für heute vollkommen durchgeschwitzt in die tatsächlich halbwegs kühle Wohnung zurückzukehren. Da bleib ich dann erst mal… Muß ja zum Glück nicht raus und für andere Menschen denken und handeln. Hach!

Konstatiere: ich bin nicht mehr so hitzefest wie ehedem.