Gelesen: Zack Kaplan (Author), Giovanni Timpano (Artist) – “Eclipse” (Vol. 1 – 3)

“The Flare”, eine Sonnenanomalie, hat den Großteil des Lebens auf der Erde vor ein paar Jahren verbrannt, die wenigen Überlebenden sind in den Untergrund gegangen und betreten die Erdoberfläche nur noch nachts. Eine halbe Stunde vor Sonnenuntergang tritt eine Ausgangssperre in Kraft, alle müssen wieder runter, ins sonnengeschützte Dunkel. Soweit zur Ausgangslage der ausgesprochen gut gelungenen Graphic Novel-Reihe “Eclipse”.

Große Verbeugung vor Kaplan und seinem Team, allen voran Giovanni Timpano, der in klaren und extrem detaillierten panel-sprengenden Bildern das Leben der Menschen im Halbdunkel des Untergrunds, also ehemaliger U-Bahnschächte, Tiefgaragen, Untergeschossen von Konsumpalästen der zähen Stadt New York zeigt. Wie sie handeln und schachern, hausen, schlafen, betteln, essen, trinken, vegetieren, feiern, leiden, lachen und tanzen. Oben? An der Oberfläche sind tagsüber nur die “Icemen”, Männer in an Astronautenanzüge erinnernden Uniformen, die, so vor der Mördersonne geschützt, notwendige Wartungsarbeiten an der Energie- und Wasserversorgung durchführen und ihrer Aufgabe als neue Ordnungsmacht nachkommen. An dieser Stelle ein großes Kompliment an den Koloristen Flavio Dispenza, der mit seinen Farben das Flirren dieser tödlichen Hitze fühlbar macht – genauso wie das dauernde Fehlen von Licht und damit Farbe, wenn es wieder in die Tunnels geht. Ganz, ganz großartig.

Die Geschichte? Ein Team von Icemen findet bei seiner Inspektionstour an der Oberfläche eine verbrannte Leiche. Mist, Ausgangssperre verpasst? Nein, so einfach ist es nicht. Denn mit dem Blut des Toten ist ein Bibelzitat an eine Mauer geschmiert. Das kann dann aber nur jemand getan haben, der Sonneneinstrahlung überlebt, doch die Zahl der Icemen-Anzüge ist limitiert und personalisiert. Schon sind wir mitten in einer Welt von Politik, Gier, Intrigen und Korruption, in der dieser Mord noch das kleinste Problem ist. Ich bin gespannt, wie Kaplan alles auflösen wird, mir fehlt nämlich noch Vol. 4, die letzte Ausgabe, die derzeit nur antiquarisch in den USA zu haben ist. Ist wohl auf einem sehr langsamen Schiff…

Die Reihe ist ein Paradies für Comicbuch-Nerds, denn jeder Band enthält ein ausführliches Making of, in dem der Leser eingeladen ist, an der Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte teilzuhaben. Kann man lesen, muss aber nicht.

Lesen! Lesen! Lesen!

Nachtrag in Sachen DAS Oktopusbuch

Ich hatte in meiner Rezension die Formulierung “könnte man vom Blatt weg verfilmen” extra vermieden, weil ich in letzter Zeit den Eindruck hatte, dieser Umstand komme bei meiner Lektüre doch ein wenig häufig vor. Zu häufig? Doch Massengeschmack? Hmmm. Damit werde ich mich ein anderes Mal auseinandersetzen.

Darum habe ich heute früh erst nachgesehen. Natürlich hat man bei Netflix die Goldgrube, einen Bestseller zweitzuverwerten, längst erkannt und, wie mir Googles KI mitteilt, ja, Netflix verfilmt Shelby Van Pelts Roman “Remarkably Bright Creatures”. Die Produktion ist abgeschlossen und der Film wird voraussichtlich bald auf Netflix erscheinen. Sally Field spielt die Hauptrolle der Tova. …

Auf den Merch darf man gespannt sein.

Gelesen: Shelby Van Pelt – “Remarkably Bright Creatures” aka “That Octopus Book”

Das Buch war mitten in der Pandemie 2022 ein Volltreffer, wurde millionenfach verkauft, in umpfzig Sprachen übersetzt und noch mehr verkauft. Ich habe damals zwar davon gehört (war nicht zu vermeiden), es aber nicht gelesen. Nun schon.

Es ist… nett. Also, richtig… nett. Fällt, wie ich gelernt habe, in die Kategorie “Cosy Mystery”. Kein Mord, kein Totschlag, keine Verfolgungsjagden mit quietschenden Reifen, keine Schußwechsel, keine Drogen (außer rekreativem Alkohol). Nur eine alte vom Leben gebeutelte aber erst recht tapfere Frau (Hauptperson Tuva), ihre gleichaltrigen Freundinnen (Nebenrollen, zwecks Demonstration anderer Lebensentwürfe), die tratschende Kleinstadtnachbarschaft, etwas Jungvolk (wegen Liebe und anderen Verwirrungen) sowie ein Aquarium im pazifischen Nordwesten, in dem der Oktopus Marcellus einsitzt und die Geschichte aus seiner Perspektive erzählt.

Van Pelt hat in ihren Creative Writing Klassen gut aufgepasst, stellt ein Set glaubhafter Figuren zusammen, die sich bis auf eine (und die muss, wegen der Story) nicht sonderlich weiterentwickeln, erzählt flüssig und humorvoll, mit dem rechten Gran an Rührung, wenn Bedarf besteht. Sie behält die Übersicht über ihre Handlungsstränge, gibt hinreichend Naturbeschreibung hinzu und das Ganze fügt sich zu einem ausgesprochen liebenswerten Buch zusammen. Mich stört, dass ich darunter das Handwerk erkenne, wie Bleistiftskizzen unter einem Aquarell. Das liegt aber bestimmt an mir, Multimillionen Leser können nicht irren. Wer heitere Urlaubslektüre sucht, ist mit dem Oktopus, DEM Oktopus gut beraten.

Mein Exemplar ist zu haben.

Der Verlag hat, möglicherweise zur Feier der nächsten verkauften Million Exemplare, eine Sonderausgabe herausgegeben. Mit einem Umschlag in freundlich leuchtendem Sonnenblumengelb, dicken bunten im Relief hervorgehobenen Blubberbubbels sowie einem pinkfarbenen Oktopus mit Eimer, der – zumindest bei mir – ganz schlimme Einhornassoziationen hervorruft. Es fehlt auch nicht der Hinweis für den eher ungeübten Buchkäufer, dass es sich um das Oktopusbuch handelt, also DAS eine Oktopusbuch, das sich schon multimillionenfach verkauft hat. Wahrscheinlich um den Unterschied zu allen andern Oktopusbüchern dieser Welt hervorzuheben. Nein, Neukunde, alles gut, du machst keinen Fehlkauf.

Falls jemand das Gefühl nicht los werden sollte, dass ihm die Geschichte vage bekannt vorkommt, dann mag es daran liegen, dass er seinerzeit den Film “Shape of Water” von Guillermo del Toro gesehen hat, der auf der exakt selben Prämisse basiert. (Putzfrau, Wasserkreatur, Eimer, “Free Willy”.)

ROI*

Vor einer Weile schon habe ich für sehr teures Geld für die schlecht isolierten Fenster meiner in den Siebzigern gebauten Mietwohnung Wabenplissees mit Aluminiumkern maßfertigen lassen. Eigentlich um Heizkosten zu sparen. Wenn ich nun aber nach einem extrem heißen Badetag in meine erstaunlich kühle Wohnung zurückkehre, freue ich mich, wie vorausschauend ich war, weil die alte Wüstenregel,”was gut ist gegen Kälte, hilft auch gegen Hitze” hierzulande ebenfalls zutrifft.

* “ROI” ist eine Abkürzung und steht für “Return on Invest”, also mehr Geld fürs Geld. Diesen Grundbegriff aus der Betriebswirtschaft habe ich schon damals in der New Economy der frühen 2000er gelernt. Von quengeligen Investoren.

So nicht!

Da lese ich heute in der ZEIT (ausnahmsweise nicht hinter der Bezahlwand)

und weil ich Volker Weidermann sehr schätze und mich außerdem immer über Empfehlungen freue, will ich zur Liste scrollen und stelle fest, dass die ZEIT mir nur sagt, was ich lesen muss (?!?), wenn ich mir ein Video anschaue.

Och. Nö. Dann suche ich doch lieber selber.

Rentnerinnen-Report

Jetzt bin ich gerade mal ein Vierteljahr Pensionärin und schon bekomme ich Nachricht, dass man meine Rente erhöht. Nett. Als ich noch berufstätig war, hat das immer viel länger gedauert.

Kommt ‘ne Frau zum Arzt

Arztpraxen ziehen es inzwischen vor, auf telefonischen Kontakt mit ihren Patienten zu verzichten und diese stattdessen durch ein Onlineterminreservierungslabyrinth zu schicken. Sei’s drum. Wann also, werte Praxis, wollt ihr mich empfangen? Bei der Antwort umweht mich eine Ahnung von Metaphysik.

Aber vielleicht ist ja auch alles ganz anders und mein neuer Arzt ist Dr. Who?

Aufi muaß i

Von 3. Juli an soll ein zweites Gipfelkreuz mehr Sicherheit auf der Zugspitze bringen. Der einfache Trick: Das neue „Gipfelkreuz light“ des 2962 Meter hohen Berges soll auf einer Höhe von etwa 2950 Metern im Inneren der Zugspitzbahn-Gipfelstation installiert werden. So werden potenziellen Gipfelstürmern die letzten zwölf Höhenmeter erlassen. Nicht unbedingt wegen guter Führung, aber aus guten Gründen. (Quelle: Süddeutsche Zeitung, 25. Juni 2025).

Ich weiß nicht, wer für die Idee, Gipfelkreuze wind- und wettergeschützt unter Dach unterzubringen, verantwortlich zeichnet, möchte aber doch darauf hinweisen, dass sie ein alter Hut ist. Ein sehr alter Hut. Nach der ersten und auch sehr letzten Klettertour meines Lebens habe ich den Beschuß gefaßt, meinen Bedarf an Berg mit gelegentlichem Anblättern des opulenten Bildbandes “Die Gipfelkreuze dieser Welt” zu decken und fahre damit seit jeher sehr gut. Und muss nicht mal das Haus verlassen…

Gestern am Flaucher

Auf der Suche nach einem Schattenplatz passiere ich den FKK-Bereich, der frühmorgens schon recht gut besucht ist. Ein Herr macht sich gerade badefertig, das heißt, er trägt nur noch Badeschuhe und Schnorchel.

Auf dem Rückweg (nix geeignetes gefunden und beschlossen, mich doch weiter vorne in der trubligeren Region niederzulassen) sehe ich den Schnorchel wild hin- und herkreuzen, frage mich kurz, was der Kerl da treibt, beschließe, dass mich das nichts angeht und gedenke der Worte meines guten alten Freundes, dass der Herrgott tatsächlich einen großen Tiergarten hat.

Gelesen: Percival Everett – “The Trees”

Everett findet Rassismus Scheiße. Und darum schreibt er ein urkomisches (ja, das geht) Buch über die Tradition von Lynchmorden in den USA, mit so vielen treffenden und pointierten Dialogen, dass man es vom Blatt weg verfilmen könnte.

Es sind ein paar Stunden vergnüglicher Lektüre, bei denen mir das Lachen, im Gegensatz zu vielen der Blurb-Schreiber, nicht im Halse stecken geblieben ist, sondern vielmehr laut schallend Mitreisende in der U-Bahn irritiert haben dürfte. Viel gelernt habe ich auch.

Ich möchte es einem und einer jeden ans Herz legen. Mein Exemplar kann entliehen werden.

Lesen! Lesen! Lesen!

Nachtrag: Ich bewundere Personen, die diesen Mix von Sprachen von White Trash, Redneck, schwarzen und weißen Menschen mit Bildung und Wortschatz ins Deutsche übertragen können. Ich bekäme das nicht hin.