Vorhin, in der U-Bahn

Die junge Frau neben mir liest “Rich Habits”, womit ich erst mal nichts anfangen kann. Seit ich es aber eben nachgelesen habe, kann ich: Die junge Frau unternimmt offensichtlich den Versuch, sich selbst zu optimieren. Durch die Lektüre eines Ratgebers, dessen Botschaft in der Essenz ist “Benimm dich wie ein Reicher, dann wirst du reich”.

Hier die zehn bahnbrechenden Schritte zum Erfolg:

Ich vermute ja, dass sie mit Regel 11 “Entferne qualvoll langsam deine Handtasche vom freien Sitz neben dir, damit die freche Alte merkt, dass sie in deiner Nähe nichts zu suchen hat” angefangen hat – bei solchen Leuten macht es mir immer extra Spaß, mich gut vernehmlich für ihre Freundlichkeit zu bedanken. Vielleicht hätte ich ihr alternativ den Ratgeber “Bitch Habits” ans Herz legen sollen. (Muss ich bloß noch schreiben…)

Weil ich das Buch nicht kaufen wollte, sondern nur schnell gucken, um was es sich eigentlich handelt, habe ich kurz bei Amazon nachgesehen und dabei zu meiner Freude entdeckt, wofür Menschen, die dieses dumme Machwerk kaufen, sonst noch so Geld ausgeben.

Nichts sagt so deutlich “ich wär so gerne Millionär” wie Klamotten von Tommy, Hugo und Calvin. Im Fünferpack.

Gestern, im Großraum Stuttgart

Ich fahre, seit ich den Führerschein habe, gebrauchte Modelle aus erster, zweiter, dritter Hand und habe noch nie mein neues Auto bei einem Händler “übernommen”. Weil man aber nie auslernt, habe ich gestern eine Freundin begleitet, die einmal jährlich ihr Leasing-Fahrzeug gegen ein neues austauscht und viel gelernt.

Mercedes hat zu diesem Zweck in Sindelfingen ein gigantisches “Kundencenter”, huiuiui. Zunächst “Fahrzeugannahme”. Schon die schiere Menge an Parkplätzen dort ist überwältigend. Im Inneren weisen Schilder zu einem massiven Tresen, hinter dem gutaussehende freundlich zwitschernde junge Frauen Unterlagen, Schlüssel und die neuen Schilder übernehmen. Wer nichts zu tun hat (ich) wird auf luxuriösen Sitzmöbeln zwischengelagert und läßt den Blick schweifen. Über die edlen Holzverkleidungen, die geschmackvoll gefliesten Böden, das ganze noble Design. Öha. Und alles nur, um Fahrzeuge abzugeben. Oh, schon fertig? Dabei hatte ich eigens ein Wartebuch mitgenommen. Bin über die erste Seite nicht hinausgekommen.

Das neue Auto ist in einer Stunde abholbereit, die Wartezeit vertreiben wir uns mit Lunch. Zu dem Mercedes selbstverständlich einlädt. Durch ein parkähnliches Gelände promenieren wir, an Kunst und Bänkchen vorbei, zum Kasino, bekommen eine wohlschmeckende Mahlzeit gereicht und nehmen anschließend den Kaffee auf der Terrasse. Vorbei an einem immensen Giftshop mit Mercedes-Memorabilia und Familien in Neonwesten auf dem Weg zur Werksberichtigung gehen wir zum nächsten Tresen (gutaussehende freundlich zwitschernde junge Frauen) und werden gebeten, noch einen Momentele auf anderen Designermöbeln Platz zu nehmen, vielleicht noch ein oder zwei oder drei Wasser für die Fahrt* einstecken, bis der reizende Herr Ost (“wie West”) uns abholt. Eine ganze Halle voller funkelnagerneuer PKW, sogar ein Maybach wird heute auf die Straße entlassen.

Herr Ost zeigt, erklärt, weist ein, nimmt Wunscheinstellungen vor und programmiert ins Navi nicht etwa nur die Heimatadresse, sondern auch als ersten Zwischenstop die nächste rechts an der Straße gelegene Tankstelle ein. Totales Pampering. Nur tanken müssen wir dann selber. Ich hatte noch nie in meinem Leben einen Neuwagen und schon gar nicht einen mit Stern vorne, ich bin ganz überwältigt. Fasse mich aber schnell wieder, denn ich bin zuständig für die Jungfernfahrt zurück nach München. In Gedanken zu diesem Soundtrack:

Dank fünf Jahren Hunsrück und in dieser Zeit ständig neuen Leihwagen, gewöhne ich mich leicht, und darf berichten, dass ich jetzt auch B-Klasse kann. Außerdem weiß ich jetzt zu schätzen, was ich habe und bin ich sehr dankbar, dass mein alter Corolla kein Sicherheitsfanatiker ist und nicht ständig bimmelt und klingelt, wenn er findet, dass ich zu schnell oder zu nah am Mittelstreifen fahre und nicht alle Nase lang (das erste Mal nach 20 Minuten) eine dampfende Kaffeetasse einblendet, wenn er gerne ein Päuschen machen würde (und dann die Minuten aufzählt), sondern mit zutraut, dass ich schon selber weiß, wann ich Kaffee oder Klo will.

* Das “Kühlwasser für Sie” wird in Halbliter-“Carbon-Trust”-Tetrapacks in sehr kalt oder gut klimatisierter Raumtemperatur gereicht, in edlem Nachtschwarz mit blauer Kanagawa-Welle und der Container passt selbstverständlich sowas von hundertprozentig in die Cupholder des Neuwagens, dass es schon fast hundertzehn Prozent sind.

Neu auf Netflix: “Wednesday”, 2. Staffel, 2. Hälfte

Ausgerechnet ein Streamingdienst, der maßgeblich für die Erfindung des Binge-Watchings mitverantwortlich ist, hat nun anscheinend herausgefunden, dass die Kundenbindung besser wird, wenn man die Ware dosiert. Hatten wohl keine Oma wie meine, deren Weisheit “mach dich rar, Kind, dann bleibste interessant” mir seit meiner frühen Jugend unaufgefordert regelmäßig in den Ohren klang. Manchmal sogar, wenn Oma gar nicht da war… Ich bin gespannt, wie lange es dauern wird, bis das Marketing bei Netflix auf die revolutionäre Idee kommt, Serienfolgen wöchentlich auszustrahlen.

Diese zweite Hälfte hat die Erwartungen erfüllt, die der erste geweckt hatte. Gruselige Monster, Toccata and Fuge (ganz überhaupt: sehr gelungene Musikauswahl und ungewöhnlicher Vortrag), Experimente in dunklen Kellergewölben, gerechte grausame Bestrafung der Bösen (ätsch, Steve Buscemi), jedes mögliche Frankenstein/Monster-Klischee ausgereizt, family values sowie gute Freunde kann niemand trennen, oho. Klein-Wednesday ist jetzt gar nicht mehr so klein und groß genug, um im dritten Teil im Motorradbeiwagen mit Uncle Fester auf einen Road Trip zu gehen.

Irgendwie fand ich alles ein bissele fad, recht breit getreten – wie schon mal gesehen und der Logikfehler, der zur Auflösung der letzten Folge führt, ist auch nicht gerade hilfreich. Möglicherweise war ich einfach gestern Abend ungnädig und nicht ganz in der richtigen Stimmung für Grusel-Fantasy, vielleicht bin ich aber auch dem Charme der alten Fernsehserie* aus den frühen Sechzigern erlegen. In der identifiziert der Zuschauer des 3. Millenniums (die Zuschauerin auch) alle zum x-ten Male wiederholt hineingeschnittenen Szenen, ist aber insgesamt eher gerührt. Quasi: oaah, wie süß. Für dergleichen Sympathie ist diese neuere Verfilmung aber zu perfekt.

Okay, ich war ungnädig. Man kann sich nämlich diese zweite Staffel von “Wedneday” durchaus ansehen. Muß nicht. Aber kann.

* https://www.youtube.com/playlist?list=PLwwhtOnMyjuxQy81h7uJMCdsR-bS-uVaD

Gelesen: Andreas Langer – “They are Everywhere”*

Girl meets Boy. Sie können einander nicht ausstehen, werden sich also kriegen, weil der/die/das Trope so geht. Dann: Aufstand der Maschinen, Rage against Humankind. Die jungen Menschen flüchten, rennen, springen, klimmen, klettern, kriechen, laufen, schwitzen, schwimmen, mit immer neuem Aua irgendwo, aber tapfer weiter und immer soooo knapp davor, von den nunmehr bösen Maschinen getötet zu werden. Dann doch nicht. Auf Seite 276 der erste Kuß, 60 Seiten später die erste gemeinsame Nacht im Jugendzimmer. Viel Kribbelgefühl. Ende.

Ich bin zu alt für sowas, würde aber gerne hören, was die heranwachsende Zielgruppe von diesem “Jugendbuch des Sommers 2025” hält. Wer wills haben?

* Nicht wundern. Autor und Sprache des Buches sind deutsch. Aber es spielt im Jahr 2055 in Ohio und es kommen Amish vor. Darum muß der Titel englisch sein. Oder so. Vielleicht sieht’s auch einfach bei BookTok cooler aus. Bin nicht die Zielgruppe, kenne mich nicht aus.

Aus dem Vokabelheft

Wenn eine KI Idiome übersetzen soll, kommt im allgemeinen wörtlich übersetzter Schwachsinn raus, so auch hier:

Eigentlich wollte ich auch nur rasch die Etymologie nachschlagen und darf nun berichten, dass die Forschung herausgefunden hat, dass die Wendung entweder aus dem universitären Slang der Siebziger und der Hippie-Protestbewegung gegen den Vietnamkrieg stammt oder die bevorzugte Kleiderordnung aus eben diesem Krieg war, weil heißes und feuchtes Klima und Uniform ohne luftiger als mit.

Ach so, ja: “to go commando” hat nichts mit Vorgesetzten zu tun, sondern bedeutet lediglich, keine Unterwäsche zu tragen.

Setzen. Sechs.

Vorhin, auf YouTube. Die englischen Untertitel für das englischsprachige Interview hat offensichtlich eine Künstliche Intelligenz gefertigt. Woher ich das weiß? Weil die Übersetzung dieser Maschine für “gaydar”* wenig hilfreich “gay door” (“Schwulentür”) lautete.

Ich gehe davon aus, dass auch beim Hören eingeschränkte Menschen wissen, was eigentlich gemeint war und sich ebenso wie ich ein Grinsen nicht verbeißen konnten.

* “Gaydar” beschreibt die vermeintliche Fähigkeit mancher Menschen, zu orten, ob ein anderer Mensch schwul ist und ist ein Kunstwort, zusammengesetzt aus “gay” (schwul) und “Radar” (Radar).