Gelesen: Nana Kwame Adjei-Brenyah – “Chain-Gang All-Stars”

Neulich war ich beim Bücherräumen wieder auf “Friday Black” (s. https://flockblog.de/?p=49304), Adjei-Brenyahs erste Kurzgeschichtensammlung gestoßen und hatte mich allein deswegen sehr auf dieses neue Werk vorgefreut.

Es ist ein Manifest. Gegen Rassismus. Gegen Kapitalismus. Gegen Folter. Gegen ein vielerorts längst privatisiertes Strafvollzugssystem, das überdurchschnittlich viele Schwarze überdurchschnittlich lang in überfüllten Gefängnissen einsitzen läßt und dort ihre Arbeitskraft ausbeutet. “Neo-Slavery” nennt er diese Methode.

In einem Amerika in einer nicht zu fernen dystopischen Zukunft kommt zur Ausbeutung durch Sklavenarbeit noch die Ausbeutung durch eine perverse Form von “Brot und Spielen” hinzu, das “Criminal Action Penal Entertainment” (CAPE) program”. In kurz: zu langen Haftstrafen verurteilte Gewaltverbrecher können sich im Verlauf von drei Jahren in einem strengen reglementierten System aus Märschen, “Melees” und Stadionkämpfen “frei” kämpfen, wobei als Sieg nur zählt, wenn der “Gegner” getötet wird. Für zahlendes Publikum. Live in Stadien, an Fernsehern, in Streams, allem, was moderne Unterhaltungselektronik hergibt.

Adjei-Brenyahs nimmt sich viel Zeit, die einzelnen Protagonistinnen und Protagonisten vorzustellen. Die Reihenfolge ist nicht zufällig, denn am gewinnträchtigsten in diesem System sind die im allgemeinen am stärksten marginalisierten schwarzen Frauen. Er zwingt seine Leserschaft ständig in den Konflikt, sich eine Meinung zu bilden, wie eine Gesellschaft mit jemandem umgehen soll, der anderen Schaden zugefügt hat und dem Wissen um die Biographien der Täter, die er als Menschen zeichnet, die oft keinen anderen Ausweg sehen konnten. Er beschreibt die Umstände ihrer “Strafe”, qualvolle Überfüllung der unzulänglichen Haftanstalten, mangelnde Hygiene, Krankheiten (physisch wie psychisch), Entzug kleinster “Privilegien”, Einzelhaft in licht- und klanglosen Löchern, sadistisches Wachpersonal und deren Einsatz von “Influencern” (ein Wort, das ich nie mehr ohne diese Bedeutungsebene hören können werde), einer Art Taser, der Schmerz um ein unendliches verstärkt – es ist erstaunlich, dass die Selbstmordrate nicht noch viel höher ist. Im Buch und in echt.

Erst spät läßt er einen Funken Hoffnung aufkommen: nicht alle wollen sich von einem so grausamen Schauspiel unterhalten lassen und es gibt eine, wenn auch kleine, Protestbewegung.

Spaß macht die Lektüre nicht. Wichtig ist sie trotzdem. Lesen! Lesen! Lesen!

Fast noch neu im Kino: “Civil War”

Autor und Regisseur Alex Garland gelingt mit diesem Film beides: eine Studie über “embedded” Kriegsberichterstatter, inklusive einer Hommage an die Fotografin Lee Miller, aber auch eine Vision des bürgerkriegszerütteten Amerikas, das mit einer zweiten Amtszeit Donald Trumps nicht mehr auszuschließen ist – nein, richtiger, zu befürchten wäre. Wie jeder gute Kriegsfilm ist “Civil War” ein Antikriegsfilm. Atmosphärisch dicht, gerade genug Kampfszenen, um das Grauen zu zeigen, immer wieder abgelöst von, ja, hmmm, wie nenne ich das jetzt? Ja. Reflektionsszenen, in denen der Zuschauer die Chance hat, das Gesehene zu verdauen, zu verorten, einzuordnen. Der Film tut, was ein Fotojournalist tut: er zeigt alle am Kampf Beteiligten, ohne Stellung zu beziehen. Das ist bisweilen fast schmerzhaft und genau richtig.

Die Academy hat mich inzwischen erhört und in die Oscar-Kategorien auch die für Casting aufgenommen. Das ist gut so, denn die Besetzung ist immens stimmig und auch nur eine oder einen hervorzuheben, wäre nicht angemessen. Außer Kirsten Dunst, natürlich, die ich noch nie so gut gesehen habe.

Keine leichte seichte Kost. Trotzdem und deswegen: Anschauen! Anschauen! Anschauen!

Aus dem Vokabelheft (heute: besonders blöde Abkürzungen)

Es sei jetzt wirklich blöd, sagt der beauftragte Spediteur, aber die Lieferung werde nicht rechtzeitig beim Kunden eintreffen, was unter anderem daran liege, dass das zu beladende Schiff noch nicht abgelegt habe, weil es noch gar nicht angekommen sei.

In meine aus der Verblüffung resultierende Sprachlosigkeit setzt er mit der Erklärung nach: “Aber Sie wissen ja: ‘SUB AGW WP FME UCE WOG’.” Nein, ich weiß nicht, kann aber googeln und lerne, dass, was früher noch “Vor Gericht und auf hoher See sind wir alle in Gottes Hand” hieß, ausgeschrieben bedeutet: “Subject to All Going Well / Weather Permitting / Force Majeure Excluded / Unforeseen Circumstances Excepted / Without Guarantee”. Also, quasi, “wenn nix, aber auch gar nix dazwischen kommt und das Wetter hält, dann liefern wir vielleicht.”

Oder, wie Menschen aus dem arabischen Sprachraum immer schon wußten: “Inshallah”.

Aus dem Vokabelheft

Es schreibt: die ZEIT.

Habt ihr denn immer noch nicht verstanden, dass Normabweicher jeder Art keine Euphemismen brauchen, sondern Wertfreiheit? Herrje.

Nochmal: Residenztheater – “Agamemnon”

Es ist so toll und so beeindruckend wie beim ersten Mal, noch dazu aus der wirklich allerersten Reihe (Klein-a, Mitte) gesehen (s. https://flockblog.de/?p=49124).

Der Plapperdame in Klein-b direkt hinter uns erteilen wir ab sofort und für immerdar Hausverbot, nicht zuletzt für die Mitteilungen, dass es “recht anstrengend” sei (in der ersten halben Stunde), man “so nah dran womöglich die Spucke der Schauspieler abbekommt” (noch bevors losgeht), sie aber “so alte Sachen ja gerne mag” (das Fazit).

Zu Gast bei Freunden

Der Gastfundstückfinder Herr M. aus M. hat mir heute diese schöne Entdeckung geschickt. Mit dem Kommentar: “Etwas abenteuerliche Übersetzung von “Flex- und Sparpreis”.

Wahrscheinlich denken jetzt die Gäste aus aller Welt, dass man sie nur einlädt, weil sie handwerklich so geschickt und ein paar Kleinigkeiten zu reparieren sind… Obwohl: so ganz falsch lägen sie bei der Bahn damit ja nicht.

Danke fürs Finden!

Teuerung

Wofür man heutzutage schon nicht mehr unter, sondern deutlich über fünf Euro ausgeben muss:

  • Ein Croissant und eine Breze vom Pfister für das Samstagsfrühstück.
  • Eine Wochenendausgabe der Süddeutschen Zeitung (was sich dieses Mal bei all den Beiträgen zum 75. Geburtstag des Grundgesetzes wirklich lohnt).
  • Eine Portion Eis mit drei sehr überschaubar großen Kugeln am Sonntagnachmittag.

Wo genau sinkt nochmal die Inflationsrate? Bei den Artikeln meines täglichen Bedarfs auf jeden Fall nicht.

Wieder da!

Ja, es hat ungewöhnlich viel geregnet. Am empfindlichsten getroffen wurden offensichtlich die Signale der Bahn. Gestört, ausgefallen, unterbrochen, von Krankheit und Siechtum befallen… schrecklich. Ich war zwei Stunden später als eh schon spät geplant zu Hause. Und schwer genervt.

Aber Glückwunsch, Bahn. Bei 56 Minuten Verspätung gibt es noch keine Entschädigung.