The Second Avenue Witch Project

Samstagmorgen und das Committee tagt. Auf der Tagesordnung steht die Aufgabenverteilung für den Halloween-Blast am Montagabend in unserer Straße. Ich hätte wahrscheinlich nicht sagen sollen, wie großartig ich es finde, dass sie sowas organisieren – damit hatte ich aber in ein Wespennest gestochen. Hah! Diese verdammten Blutsauger! Hah! Den Hals nicht vollkriegen, das können sie! Hah! Und den Kindern den ganzen Spaß verderben! Hah! Alles Schweine!

Wie bidde? Wasislos? Man beruhigt sich wieder. Ach so, ja. Das kann ich ja gar nicht wissen: Der Blast hat seit jeher und immer auf dem Schulgelände stattgefunden. Der Elternbeirat hat freiwillige Helfer rekrutiert, organisiert, Spiele und Wettbewerbe veranstaltet, gekocht, gebacken, geschminkt, Kostüme prämiert und nach zwei Stunden sind alle glücklich nach Hause gegangen, und der Elternbeirat hat aufgeräumt. In diesem Jahr verlangte die Schule den Abschluß einer zusätzlichen Halloween-Versicherung, und bei $200 pro Elternbeiratskopf ist ihnen der Kragen geplatzt. Vor allem bei dem Vorschlag, sie könnten sich doch refinanzieren, indem sie Eintritt verlangten. “Halloween-Admission” – das sei doch vollkommen krank! Joey hier habe nun für den Neighborhood Blast eine “Wedding Insurance-Police” besorgt, $75 für die ganze Straße. So gehe das doch auch! Hah! Bravo, Joey! (Weiß ich auch erst seit Samstag, dass man hier für Familienfeiern und Gartenparties Versicherungen abschließen kann, falls einen ein Gast verklagt, weil er besoffen in den Grill getorkelt ist oder das Essen nicht vertragen hat). Mir wird die verantwortungsvolle Aufgabe der Springer-Hexe zugewiesen, das heißt, ich helfe da aus, wo noch ein Paar Hände oder ein Zauberspruch gebraucht werden (habe meinen MacBeth übers Wochenende noch einmal repetiert).

Weil ich versprochen hatte, mit aufzubauen, fahre ich mit dem Zug um 4:15 und bin vollkommen überrascht, wie viele Leute um die Uhrzeit schon Feierabend haben; der Zug ist rappelvoll. Mir gegenüber sitzt eine junge Frau im Slutty-Bunny-Kostüm und rosa Hängepuschelohren. Der Schlampeneffekt wird allerdings dadurch gemindert, dass sie unter dem Fähnchen einen warmen mausegrauen Jogginganzug trägt. Fast ein Drittel der Passagiere ist verkleidet und die Schaffner tragen lustige Kürbispins am Revers, einer eine orange Kürbismütze mit grünen Ohrenranken. Einmal im Jahr braucht scheint’s jede Nation ihren Fasching.

Überhaupt: Zug. Das geht doch nicht. Einem Menschen, der wie ich an Orientierungsschwäche leidet, einfach den Bahnhof mal schnell ein paar hundert Meter nach Süden vorzuverlegen. Vor eine hohe weiße Schallschutzwand, die es vor ein paar Wochen noch gar nicht gab und die den Blick auf die Landschaft verstellt. (Endlich bekommt der nächtliche Baulärm einen Sinn.) Mann, habe ich mich verloren gefühlt. Ich war aber richtig, die anderen waren schon dabei, Gruselspiele vorzubereiten. Kübel mit weichen nassen totgekochten Nudeln (“Eingeweide”), in denen Treats versteckt sind. Andere Kübel mit Trauben (“Augäpfel”), in den auch Treats versteckt sind. Kisten und Kartons mit Löchern: wer mutig genug ist, reinzufassen, findet neben nassen Lappen und schlabbrigen Schwämmen wieder Treats. Es gibt auch Eierlaufen. Und Äpfel fischen. Und Wahrsagewürfel. Und Hufeisenwerfen (Hufeisen in bunt und aus Schaumstoff). Sie haben sogar ein kleines Podest für die Beste-Kostüm-Siegerehrung gebaut. Weil ich so früh dran bin, werde ich zum Tester ernannt – und bringe mein Ei unversehrt über die volle Strecke. Jetzt aber zu Mindy, die mich mit Warzen, einer dicken krummen Nasenprothese und einem schwarzen Hexenschlapphut verziert (dann darf ich noch schnell heim, meinen Rucksack abstellen, endlich aufs Klo, und den Rest des Kostüms anlegen (Flatterrock und rote Schuh’) und dann hinein ins Gewühl.

Den ganzen Abend lang quietschen begeisterte buntkostümierte Kinder und freuen sich über eine Handvoll Gummitiere (ich habe sie probiert. Grausig. Wie würden die erst bei Haribo quietschen…) einen Lollipop oder 3 M&Ms und die Eltern stehen entspannt ‘rum und halten die Sammeltaschen und -körbchen, weil ihre Kinder dringend nochmal in den Eingeweiden wühlen gehen müssen. Ich hab’ eigentlich nichts anderes zu tun, als herumzuschlendern und mich ab und zu mit bösem hexischem “Hihihi” zu einem Kind herunterzubeugen, mit meinen ellenlangen Spinnenfingern zu wedeln (jaha, Mindy kann auch Nail-Extensions) und die magischen Worte zu sprechen “Hello little girl/boy – gimme all your candy… hihihi” und dann rennen die Schratzen quietschend auseinander. Ein einziges Kind hat mir was abgegeben. Reeses, denn die mag es nicht.

Die Preis für das beste Kostüm ging bei den Mädchen an ein Marienkäferchen mit transparenten Glitterflügeln und vielen blinkenden roten Punkten auf dem Panzer und bei den Jungen an ein abscheuliches und sichtbar mit viel Leidenschaft aus Müll und Resten selbstgebasteltes Vogelscheuchenkostüm. (Seine Dankesrede begann mit “I am glad you like it and I want to thank my mum for all the garbage”, der Rest war wegen des lauten Gelächters nicht mehr zu verstehen.)

Halloween ist einfach klasse! Obwohl ich mit Weihnachten inzwischen auch ein bißchen versöhnter bin, seit ich weiß, dass es Menschen gibt, die – noch lange vor Hacke – einen “Owi” zur festen Krippenbesetzung gemacht haben.

Round about the cauldron go;
In the poison’d entrails throw.
Toad, that under cold stone
Days and nights has thirty-one
Swelter’d venom sleeping got,
Boil thou first i’ the charmed pot.

Double, double toil and trouble;
Fire burn, and cauldron bubble.

November 2012

Nächstes Jahr am 6. November sind die Amerikaner aufgerufen, ihren 45. Präsidenten zu wählen. Ich habe den Eindruck, dass sich vor allem im Mittelwesten die Begeisterung für den aktuellen Amtsinhaber in Grenzen hält – man sieht auf den wenigen Pick-ups, die sich von dort in den Sündenpfuhl Kalifornien trauen, vermehrt Autoaufkleber wie diesen:

 

PS: Habe ich gerade noch im Internet gefunden – klebt wahrscheinlich auf der Riesenstoßstange des Mannes, der das erste “Trespassers will be shot”-Schild mit der Hand gemalt hat.

Neu im Kino: Puss in Boots

Es trägt nicht 90 Minuten lang, zwischen Desperado-Verführer-Held und schnurrendem Großaugenkätzchen abzuwechseln. Selbst nicht, wenn man noch das Märchen von Jack und seinen Zauberbohnen sowie Zitate aus Django und Flamenco-Olé-Tanzfilmen verwurstet. Auch dann nicht, wenn Antonio Banderas dem gestiefelten Kater und Salma Hayek Kitty Samtpfote ihre Stimmen leihen. Wenn man sich von diesem Spin-Off von Shrek nichts erwartet hat, wurden die Erwartungen voll erfüllt.

Das kleine Mädchen neben mir hat sich denn auch in der Mitte des Films bei Papa erkundigt: “Daddy, is this supposed to be funny?” Liebes Kind, ich fürchte:ja, sie wollten spaßig sein. Aber es hat nicht geklappt.

Ich habe auch eine Frage: die deutsche Sprache ist so reich an Worten, aber für Katzenjunges ist uns nur “Kätzchen” eingefallen?

Gelesen: Habibi / Craig Thompson

700 Seiten orientalische Opulenz, Kalligraphie, Geschichten aus Koran, Bibel und Scheherazades TausendundeinerNacht, in großartigen Schwarz-Weiß-Panels gezeichnet. Einziger Wermutstropfen sind die Klischees aus dem Morgenland. Sie lassen sich aber verschmerzen, wenn man sich auf die Geschichte der Sklavenkinder Dodola und Zam einläßt. Es widerfährt ihnen viel Böses, doch der Autor belohnt ihre Ausdauer und die Opfer, die sie aus Liebe bringen und gewährt ihnen ein anrührendes Happy End.

Ein gutes Kilo Buch, in schönem Ledereinband mit goldenen Intarsien und für hiesige Verhältnisse perfektem Lay-out, geradezu liebevoll aufbereitet und auf gutem Papier gedruckt. Lesen! (Stereotypen dabei wohlwollend übersehen.)

Doppelschicht

Mein lieber Nachbar Sam arbeitet zur Zeit Doppelschichten. Das bedeutet, dass er kurz nach Mitternacht zur Arbeit fährt, nachmittags gegen 5:00 zurückkommt und ihm nur knapp Zeit zum Duschen, Essen und Schlafen bleibt. Noch nicht einmal am Wochenende hat er frei.

Statt es einfach gut sein zu lassen, kam er vorhin vorbei, um sich dafür zu entschuldigen, dass er es einfach nicht schafft, in diesen Terminplan auch noch “Bäume schneiden in Sabines Garten” einzubauen. Was habe ich ihn geschimpft! Dafür, dass er darauf auch nur einen Gedanken vergeudet. Und anschließend gleich selbst den Reineclaudenbaum zurückgeschnitten, damit er nicht auf dumme Gedanken kommt.

Zum Glück ist das Fassungsvermögen der Gartentonne das Limit. Ein Baum langt! Wie er immer an einem einzigen Nachmittag alle sieben geschafft hat, ist mir ein Rätsel.

Here we are now, entertain us

Keine Ahnung, wo ich gerade war, als junge Menschen mit Emo-Frisuren in Schlamperklamotten der Welt Grunge brachten. Ich habe vor sechzehneinhalb Jahren zwar peripher mitbekommen, dass eine Generation um Kurt Cobain trauert, aber mehr auch nicht.

Das hat sich geändert, denn inzwischen war ich in Seattle und habe das dortige Museum für Science Fiction und Popkultur besucht. Nun weiß ich alles über Nirvana und habe angefangen, die Musik bewußt zu hören. Zeit is’ wor’n, denn sie ist gar nicht schlecht. Als Zuckerle gibt’s auf YouTube “The misheard lyrics” http://bit.ly/9dQjZE, wobei mir die Variante “here we are now, in containers” noch besser gefällt.

Und weil’s keine Generation ohne böse böse Musikergattin geben darf, ist Courteney Cox denen, was der meinen Yoko Ono war, und an allem Schuld.

Precision and Repetition

In Deutschland hätte der Berufsberater einem Menschen mit dem herrlich alliterativen Name Peter Palomo empfohlen, entweder eine Karriere als Schlagersänger anzustreben (mit dem Risiko von Dieter, dem Thomas, dem Heck mit einer weiteren Nummer-Eins-Schnulze anmoderiert zu werden) oder  seinen Lebensunterhalt als Fernsehserienschauspieler zu verdienen, für immer festgelegt auf den Typ “graumelierter Galan”, der auf Traumschiffen oder in den angeschlossenen Fernsehkliniken Herzen bricht.

In Amerika ist Peter Palomo Geschäftsmann und betreibt die einzige “indoor archery range in the Silicon Valley”, wo er Lernwillige im Umgang mit Pfeil und Bogen unterweist. Das macht er sehr knapp, sachlich und professionell, sucht uns die passenden Bögen und Pfeile aus und läßt uns schießen. Korrigiert, hilft geduldig und immer, wenn wir glauben, nun schon ganz gut sein, rückt er das Ziel ein wenig weiter nach hinten. Außerdem erfreut er uns mit vielen politisch unkorrekten Kommentaren. Bei unseren ersten Anfänger-Fehlschüssen philosophiert er über die Urspünge der Menschheit, und die Einteilung in Jäger und Sammler. Ob wir denn wüßten, wie man letztere auch nenne? Hmmm? Ganz einfach. Vegetarier.

Wir sind ein dankbares Publikum für dergleichen Scherze, und Peter fährt zu vollen Touren auf: “I wouldn’t quit your day job for this.” Als ich mit einem meiner Pfeile mal böse an der Zielscheibe vorbei eine unschuldige am Boden liegende Leiter erlege, quittiert er das mit “As long as you keep doing your hunting at Safeway and Costco, you’ll be fine.” Bogenschießen macht Spaß! Und ja, es ist auch eine spirituelle Erfahrung (nicht auf, sondern durch das Ziel schießen; den Schuß erst zu Ende denken, bevor man physisch losläßt), manchmal direkt erhebend, wenn der Pfeil mühelos in’s Bull’s Eye fliegt und man eigentlich nicht weiß, wieso es dieses Mal so gut geklappt hat. Außerdem sehr entspannend. Fürs nächste Mal habe ich mir allerdings vorgemerkt, einen Brustpanzer mitzubringen; aktuell sieht meine linke Brust nämlich aus wie ein Streifenhörnchen.

Ich habs nachgeschlagen: Amazonen haben ihren Töchtern schon als Kleinstkindern die rechte Brust ausgebrannt. Also entweder waren die alle Linkshänderinnern oder bei denen ist nie die Sehne zurückgeschnalzt.

Shake it

Heute früh bin ich davon aufgewacht, dass mein Bett sich rüttelte und schüttelte (http://bit.ly/rS6zPu). Mir will aber scheinen, dass die Herrschaften Erdplatten meine Aufstehzeiten nicht kennen – das war doch viel zu früh!

Nächstes Mal bitte erst gegen Sieben.

Wie Weihnachten

Seit dem letzten Wochenende hat auch noch der letzte Nachzügler seine Halloween-Außendekorationen angebracht. Deswegen suche ich mir jeden Abend einen anderen Heimweg aus und bewundere staunend Bäume voller (künstlicher) Spinnweben, in denen Geister im Wind treiben (so hat auch der ungeliebte weiße Flatterponcho von Tante Hermelinde endlich einen Zweck gefunden) oder auf deren Stamm eine Hexe mit Karacho draufgeklatscht ist (man sieht nur noch die Rückansicht, mit halbem Besenstiel und zerdätschtem Hexenspitzhut). In den Vorgärten wachen Höllenhunde mit diabolisch rotleuchtenden Augen über den Gartenzaun auf dessen Pfosten Leuchttotenschädel gepfählt sind, beim einen oder anderen Nachbarn sogar mit Blitzerblinkeffekten. Wer’s wirklich ernst meint, hat die Zombie-Windelkleinkind-Krabbelgruppe (mit Sound) oder ein Winke-Skelett installiert oder Spinnen (Leuchteaugen in Grün-Rot-Wechsel), die über Fensterbänke Einlass ins Haus suchen. Francisco hat endich getan wie ihm geheißen und Carmens Halloweenkiste vom Speicher geholt: vor ihrem Haus wartet eine Hexe mit dauerbewegtem angewinkeltem Zeigefinger auf Hansel und Gretchen (wird “Grät-schen” ausgesprochen). Jack-o’-lantern gibt’s in allen Varianten: als Lampe, in Lichterketten,  faust- bis medizinballgroß, vor Hausnummer 666 ganz allerliebst in Form eines Pentagramms auf dem Rasen.

Viele haben, wie ich, einfach nur Kürben vor dem Haus liegen; vereinzelt sogar schon geschnitzt, mit Lichtern drin. Im Gegensatz zu mir allerdings scheinen sich die anderen nicht zwischen Halloween und Weihnachten zu entscheiden. Die dekorieren einfach gerne, mit Blinker, Glitzer und Bunt und da ist ihnen jeder Anlass recht. (Sieht man auch daran, dass es zu beiden Anlässen vor, um und an denselben Häusern recht zugeht.)

Die amerikanischen Kollegen unterstellen uns Deutschen (wahrscheinlich zu recht), dass wir Spaßbremsen (“sticks-in-the-mud”) seien und am Montag nicht kostümiert zur Arbeit kommen werden. Ich werde mir trotzdem noch einen Hexenhut besorgen (Besen hab’ ich schon und rote Hexenschuhe auch) – ich bin eingeladen, beim Neighbor-Halloween-Blast mitzumachen und habe volunteert, bei irgendeiner Gruselbude für die Kinder aus der Gegend mitzuhelfen. (Carmen hat empfohlen, mit ganz schlimmem deutschen Akzent zu sprechen, davon bekämen Amis auf jeden Fall Gänsehaut. Tssss, wenn weiter nichts ist – das ist meine leichteste Übung…)

Na dann: HAPPY HALLOWEEN wünscht ze Tscherman Witsch.

XXL

Unser heutiger Bewerber kommt aus Rußland und hat dort das “King Size Red Diploma” erworben. Wenn man das bei Google nachschlägt, findet man alles mögliche; Universitätsabschlüsse scheinen mir das jedoch nicht zu sein.