Präambel: Für Amerikaner sind 200 Meilen (geschätzte Fahrtzeit ca. 4 Stunden) ein Klacks – und angesichts der schieren Größe dieses Landes gewöhnt man sich als zugereister Europäer an diese Dimensionen.
Samstagvormittag fahren wir los, nach Süden, zu Horst. (A lot of disrespect here.) Unser Ziel nämlich ist Hearst Castle, die zum Museum umgewidmete Residenz des Medienzaren William Randolph Hearst; ein riesiger Palast (“Casa Grande” – und das ist nicht untertrieben) mit mehreren Gästehäusern, In- und Outdoor Pools, Ranch, Farmland, Gärten, Zoo, Kino – alles, was man sich an Luxus vorstellen kann. Wir haben die Abendführung gebucht, und ein enthusiastischer Hearst-Fan treibt uns vor zwei anderen Gruppen durch Schloss und Garten. Dabei singt er das Hohe Lied auf den Sammler Hearst, der manchmal einfach auf Antiquitäten-Kataloge ein “Yes” gekritzelt und damit den Gesamtinhalt bestellt habe. William Randolph war ein Hoarder und hat alles an sich gerafft: Klosterholzkassettendecken, tanzflächengroße Orientteppiche, einen 40-Meter-langen Refektorumstisch, Statuen (ägyptisch, griechisch, römisch, kopiert oder original), die Fahnen der Kontraden aus Siena, die Bibliotheken spanischer Klöster, Jugendstilornamentisches, gotische Wandteppiche, alle Jahrgänge der “Cosmopolitan”, Frauen, Präsidenten, Promis jeder Couleur, Tiere (sein Privatzoo führt in den Büchern mehr Tiere auf als die Zoos von Chicago und New York zusammen), ein komplettes marokkanisches Badehaus, Weine, Gemälde, Möbel (unter anderem Richelieus Bett), Tiffanys Glaswerk, zeitgenössisches Kunsthandwerk, römische Scherenstühle… ich könnte noch seitenweise weiter aufzählen. Eins vielleicht noch: der Gothic Room, Hearsts Arbeitszimmer. Gothic ist wörtlich zu verstehen: Gotik – Klostertore und -türen, Möbel, Wandteppiche, Bücher, Sakralkunst, alles knapp 1000 Jahre alt inmitten eines kalifornischen Schlosses aus den Dreißigern.
Unser Guide war auf jeden Fall total begeistert von Hearsts Mission, all diese schönen Dinge zu kaufen und zu erhalten (was macht’s schon, wenn man einen 800 Jahre alten Wandbehang kürzen muss, weil die Nische zu eng ist oder das Chorgestühl aus einer spanischen Kathedrale zurechtsägt, damit es in den Speisesaal paßt – in Europa wär’s eh kaputtgegangen, da ist nämlich ständig Krieg) und hat ganz entrüstet berichtet, dass manche Leute dem Citizen Hearst Geschmacklosigkeit unterstellten, weil er Epochen und Stile einfach wild durcheinandergemischt habe. In diesem Falle bin ich überzeugtes Mitglied bei “manche Leute”. Aber man kommt ja nicht mal dazu, sich dazu zu äußern. Husch, husch, weiter, weiter! Und hopp! Wieder in den Bus, den Berg hinab und ‘raus aus dem Museum. Diese überstraffe Organisation hinterläßt einen leicht üblen Nachgeschmack. Aber nicht lange, gleich nebenan, in Paso Robles, wird wunderbarer Wein angebaut. Der versöhnt. Vor allem in Kombination mit einem riesigen Lava-Cake-Dessert, dessen wir zu dritt kaum Herr werden.
Am Sonntag fahren wir die 200 Meilen dann wieder heim nach Norden (“wir fahren” bedeutet: Toni fährt schon wieder die ganze Strecke und Christoph und ich gucken Gegend – DANKE, Toni!), auf dem Highway One, an der Pazifikküste lang. Ich bin die Strecke jetzt schon so oft gefahren, aber ich freue mich immer noch auf jedes Mal Anhalten, Schauen, Bilder machen. Felsen im Wasser. Bucht. Schilf vor Felsen. Felsen vor Schilf (Schilf schlechter sichtbar). Baum vor Wasser. Surfer im Wasser. Bucht. Baum vor Bucht vor Wasser. Baum ohne Bucht. Blüten. Rotes Irgendwas, das auf Fels wuchert. Flechten. Baum vor Wasser. Mehrere Bäume vor Wasser. Brücke. Schlucht. Sonne auf Wasser. Möwen. Oakhorns. Gebüsch mit Schmetterlingen. Schwarze Kühe auf gelbem Dörrgras. Leuchtturm. Birds of Prey (keine Klingonen!). Porsches. Harleys. Mustang Cabrios (auf dem One muss das die weltweit höchste Dichte sein). Elephant Seals (Mirounga angustirostris) am gleichnamigen Strand. Zur Zeit sind die Weibchen schwanger und unterwegs und am Strand lümmeln nur die riesigen Bullen sowie die “sub-adult males” herum. Letztere haben’s wichtig und tragen Territorialkämpfe aus. Dazu richten sie sich einander gegenüber auf, reißen das Maul auf, grunzen, gröhlen, blöken, zeigen sich die Nase (“meine ist größer als deine”) und klatschen – wie Sumo-Ringer – die fetten Bäuche gegeneinander. Für ein, zwei Minuten. Dann müssen sie ein Päuschen machen und lassen sich nebeneinander in den Sand fallen. Da liegen sie dann, sausage-shaped animals, und sind farblich von der Umgebung fast nicht zu unterscheiden. Erst mal ausruhen. Der eine oder andere schlappt sich mit der Flosse eine Ladung Sand über, trifft auch mal gahanz versehentlich einen anderen Sub-Adulten und dann geht die Poser- und Grunzerei wieder los. Bis sie nach ein paar Minuten wieder Pause machen. Grob geschätzt waren an die 250 Seals zugegen und wir haben bestimmt jeden einzelnen photographiert. Angesichts der Motivdichte ist es fast verwunderlich, dass der Heimweg “nur” knapp 10 Stunden gedauert hat und wieder mal gar keine Zeit für einen Shopping-Stopp in Gilroy geblieben ist.
Schee wars – und damit wir wieder was zum Vorfreuen haben, buche ich uns nachher eine Cabin für unser Weinwochenende am Russian River in vier Wochen.