Zu den auf Außenstehende eher eigenwillig wirkenden Weihnachtsbräuchen in Rheinland-Pfalz zählt der, die Autobahnzufahrten von ihrer schönen glatten Asphaltdecke zu befreien und stattdessen matschbraune, maximal noch mit schweren Kettenfahrzeugen zu durchquerende Ödflächen zu hinterlassen. Will heißen: “meine” A61-Auffahrt für den Heimweg ist eine schlammige Baugrube. Die davor und danach, sagen die Kollegen, aber auch und erklären mir, wie ich am besten hinterum über die Dörfer zu einer der wenigen noch erhaltenen Zufahrten zur A61 komme. Tssssss. Bitte, Kinder, ich bin offiziell anerkannte ODP, mit gelber Armbinde und allem.
Einschub: Wie? ODP kennt man nicht? Ach so, den Begriff hat einer guter Freund (wer immer zuständig ist, habe ihn selig) vor Jahr und Tag geprägt (und mir die Armbinde selbst gebastelt). "ODP" steht für "Orientationally Disabled Person" und beschreibt Leute wie mich, die sich auch mal auf dem Weg in die Tiefgarage verlaufen können.
Also, Weg drei Mal erklärt bekommen, drei Mal ein bißchen anderes, vollkommen aufgeschmissen gewesen. Navi im Leihwagen (ein Seat Ibi-th-a, nur echt mit Lispellaut) beauftragt, den Weg zu finden. Das erste Mal mit einem Navi zu tun gehabt, das ebenfalls orientationally schwer geschädigt ist und mindestens 30 km lang versucht, mich dazu zu bringen, zu wenden und auf die Auffahrt zu fahren, die “wir immer nehmen” (vulgo: das Drecksloch). Das Ibi-th-a-Navi ignoriert, stattdessen den Google Mops vom Telefon dazu genommen und nach einer wilden Fahrt durch die Provinz, Dörfchen, schmale Sträßchen, hinauf und hinab kurbeln (ich hasse Serpentinen!!), neblige Wälder, Felder, Auen, Natur halt, Fuchs, Hase, Gute Nacht sowie eine Unzahl von Zäunen, über denen ich in keinem Aggregatszustand hängen möchte, auf die B9 gestoßen. B9 ist gut. Die kenne ich noch aus den Kinderferientagen bei der Oma im Rheinland. Und bevor ich mich jetzt weiter aufrege, dass dieses Deppen-Ibi-th-a-Navi meine ganze Pufferzeit verschlingt, beschließe ich, dass Pufferzeiten genau dafür da sind. Ommmm!
Oh, wie ist es am Rhein so schön. Die B9 verläuft gleich neben dem Fluß, die Orte heißen Bacharach und Lorch und Bingen, auf jedem Hügel Weinberge und drüber, hoch oben wacht eine Burg oder Blondine. Wenn letztere, betreibt sie Haarpflege – im hiesigen Idiom, das die Verlaufsform noch in Ehren hält: “is sisch dat Loreley am Kämmen”. Vater Rhein glitzert in der Morgensonne und tut, was er immer schon getan hat und treibt viel Wasser ruhig gen Meer. Das ist eigentlich wirklich sehr schön, ommmm, aber ich kann gar nicht anders, als nebenher zu kontemplieren, dass die Begriffe “Pufferzeit” und “verpuffen” aus ein und derselben Sprachwurzel entstammen und letzteres sehr aktiv an ersterer nagt.
Bei Bingen wirds weniger landschaftlich, dafür haben der Ibi-th-a und ich wieder eine Autobahn unter den Rädern und fahren bis Mannheim mindestens viereinhalb Minuten vertane Zeit wieder ein. Die verspielen wir aber an Tankstelle Nr. 1, wo heute alle Benzintankstellen wegen ausgebliebener Lieferung gesperrt sind und Diesel ist, glaube ich, für den Kleinen zu mächtig.
Bis ich im Taxi zum Bahnhof sitze, bleiben noch 24 Minuten bis zur Abfahrt des Zuges und das Drecksding macht keine Anstalten, sich wegen irgendwas zu verspäten. Also hineingestürzt in den vorweihnachtlichen Mittagsverkehr und die mir bis heute rätselhafte Mystik Mannheimer Ampelschaltungen. Außerdem muss man wissen, dass vor dem Mannheimer Bahnhof auch ein riesengroßes Drecksloch ist, genau da, wo früher mal der massiv überdimensionierte Taxistand war. Alles Zeitfresser. Aber ich habe offensichtlich einen Reiseengel, der über mich/mir wacht.
Allerdings, du Engel, hier ungefragt mein Feedback. So knapp war es noch nie: der Zug fährt auf dem Gleis ein, als ich gerade mit der Rolltreppe zum Bahnsteig hochrollere. Für manche Menschen mag das eine Punktlandung sein, mir fehlt mein Ritual, in dem ich Pufferzeit vergeude, Getränk kaufe, durch die Bahnhofsbuchhandlung streune… Aber das ist Jammern auf hohem Niveau, denn jetzt ist alles gut: die Rolltreppe landet genau vor dem reservierten Wagen, der nette Herr von der Bahn hebt mir das Gepäck über die Waggonstufen, der vorbestellte Platz ist frei und irgendwann läuft wer vorbei und verkauft frischgekochten Kaffee. Die Verspätung fahren wir zwar auf dem Weg nach München ein, da isses ja dann auch schon wurscht.
ICH HABE AB JETZT WEIHNACHTSFERIEN! Ommmm.