Silvester im Resi: “Ein Sommernachtstraum”

Man tut im Resi was fĂŒr auswĂ€rtige GĂ€ste, die des Englischen mĂ€chtig sind. Hoch oben ĂŒber der BĂŒhne werden “Obertitel” eingeblendet – gut zu sehen dĂŒrften sie von der hinteren HĂ€lfte des Parketts und von den Balkonen sein, bei uns in der dritten Reihe hĂ€tten sie nicht unbedingt zu besserem VerstĂ€ndnis, sondern ganz sicher zu schrecklicher Genickstarre gefĂŒhrt. Aber anyway, wir sind ja hier nicht zwengs Übersetzung, sondern wegen Shakespeare. Also gleich auf ins Autohaus.

Autohaus? Ja. In der hier gespielten Fassung von Stephan Kimmig, Barbara Sommer und Ensemble unter der Regie des erstgenannten, gibt es keine irdischen Könige mehr, sondern Besitzerin und Besitzer zweiter fusionsbereiter AutohĂ€user, die irgendwie auch zarte Bande knĂŒpfen, aber noch nicht so ganz. Das ist sehr unsinnig aufgepappt. Es hĂ€tte gereicht, dass die beiden als Titania und Oberon auftreten, sie mit hĂŒftlangen blonden Dreads, er im Faltenrock und Tarnparka.

Der Schwerpunkt dieser Inszenierung sind Gier und Trieb und Verlangen und Liebe und Leiden. Das funktioniert sehr hĂŒbsch im nĂ€chtlichen Wald, in dem Hermia, Demetria (ja, ich weiß), Helmut (jaha, ich wei-heiß) und Lysander herumirren und -wirren, und lĂ€ĂŸt in tiefe AbgrĂŒnde schauen, als Oberon seine Titania mit einem Tier zusammenbringt – wenn sie ihn nicht will, soll sie doch fĂŒr ein Monster liebeskrank werden. Ätsch! Sein williger Helfer und Komplize Puck ist ein blondierter SportklamottentrĂ€ger mit SchnĂ€uzer und Sonnenbrille und hat kein gutes Herz. Und die Truppe um Petra Squentz (jaha)… Ach. Florian von Manteuffel rampensaut als Zettel ĂŒber sich hinaus. Göttlich. Die anderen drei scheinen ĂŒber ein Austauschprogramm im Rahmen der EU auf die BĂŒhne des Resi gekommen zu sein.

Mein Gast und ich sind unterschiedlicher Meinung, was die AuffĂŒhrung des HandwerkerstĂŒcks “Piramus und Thisbe” angeht. Er findet, das habe es gebraucht, weil man ja doch an den Proben im Wald und anderen Verwirrungen als Publikum schon so intensiv teilgenommen habe. Ich finde ja, eher nicht.

Aber es haben selbst die AutohÀuser fusionert, also Happy End? Oder?

Gelesen: Rebecca West – “GewĂ€chshaus mit Alpenveilchen”

Im Sommer hatte ich Uwe Neumahrs Einlassung zu den Berichterstattern und -innen der NĂŒrnberger Kriegsverbrecherprozesse gelesen (s. https://flockblog.de/?p=48524) und im Quellenverzeichnis (ja, ich lese sowas) den eigentĂŒmlich faszinierenden Titel der EindrĂŒcke Rebecca Wests entdeckt und das Buch, weil nur noch antiquarisch erhĂ€ltlich, seitdem gejagt. Neulich konnte ich die Erstausgabe der Edition Tiamat von 1995 (!) in der Übersetzung von Elke und Gundolf Freyermuth auftreiben und heute endlich lesen.

Rebecca West war ihrer Zeit sicher immer voraus und hatte eine sehr eigenen von deren Billen und Unbillen geprĂ€gten Blick auf die Dinge. So lĂ€ĂŸt sie sich zum Beispiel auf den letzten Seiten des Buches ausfĂŒhrlich ĂŒber Hinrichtungsmethoden aus und warum der vom Tribunal der SiegermĂ€chte gewĂ€hlte Strang fĂŒr die Vollstreckung der Todesurteile eine humanere Lösung ist, als die Axt, die das deutsche Strafrecht vorgesehen hĂ€tte.

Das Buch ist weniger Berichterstattung als ein MeinungsstĂŒck und eine sehr literarische Beschreibung des Nachkriegsdeutschlands des Jahres 1946, der wenigen Deutschen, mit denen sie in Kontakt kommt und den sehr unterschiedlichen Vertretern der Allierten, Justizangestellte, Richter, Presse, Prominenz. Sie bleibt fĂŒr die gesamte fast einjĂ€hrige Dauer des Prozesses in NĂŒrnberg, beschreibt die AtmosphĂ€re lĂ€hmender Langeweile, die sich ĂŒber all diese Menschen zu legen beginnt, die doch eigentlich nach getanem Krieg endlich nur nach Hause wollen, beginnt eine AffĂ€re mit einem der Richter, kommt mit anderen Reportern rum und traut sich was (man denke Lee Miller und Badewanne). Nur manchmal geht es mit ihr durch, dann opfert sie die ĂŒberparteiische Sachlichkeit ihrer ErzĂ€hlung auf dem Altar des Boulevard (wenn sie Göring in ein paar schnellen bösen Strichen als “Puffmutter” zeichnet oder Schirach als “mĂ€uschenhafte Gouvernante”). Insgesamt aber ist dieses Buch ein extrem lesenswertes Zeitzeugnis. Und ja, es kommen Alpenveilchen vor.

Die Übersetzung ist von zwei Literaturwissenschaftlern, die sich dankenswerterweise auch mit den Anmerkungen besonders MĂŒhe gegeben haben – mein Exemplar kann ausgeliehen werden.

Neu zum Strömen – “C. B. Strike: The Ink Black Heart”

Ich bin mir nicht sicher, ob irgendwer die bestenfalls mittelguten Cormoran-Strike-Geschichten verfilmt hĂ€tte, wĂ€re nicht das schlecht gehĂŒtetste Pseudonym aller Zeiten, nĂ€mlich, dass der Strike-Autor Robert Galbraith in Wirklichkeit die Harry-Potter-JK Rowling ist, rechtzeitig vor dem Erscheinen des ersten Bandes ausgeplaudert worden. Nun gehört der “neue Strike” zur Weihnachtstradtition der BBC und keiner kommt mehr aus der Nummer raus.

Als diese nunmehr sechste Geschichte als Buch erschien, stieß sie in den Rezensionen nicht auf große Begeisterung. Zu lang, zu viel Gelaber, zu wirrer Plott. Ich habe das Buch nicht gelesen (mir hat es bisher bequem gereicht, auf die Verfilmungen zu warten), sie scheinen aber recht gehabt zu haben. Zu lang auch die Verfilmung (vier einstĂŒndige Folgen), Gelaber und gefĂŒhlt unendlich viel Zeit damit verbracht, den Ermittlern zuzusehen, wie sie in Chatrooms, Foren, Computerspielen und sonstigen Internetzeitstehlern nach Hinweisen auf den TĂ€ter suchen. Nebenher noch rechtsradikale Terrorzellen, KĂŒnstlerkommunen und sonstige Nordic-Verschwörer, die seltsam aufgepappt wirken – nicht zuletzt, weil sie es sind. Ich hĂ€tte dieses Drehbuch nicht schreiben wollen.

Der Fall ist fad und wirr, die ErmittlungsprĂ€misse, dass einer (sichtbar!) online sein muss, um der TĂ€ter zu sein, arg schwachsinnig und weil jeder Zuschauer, der je whodunnits gesehen hat, ohnehin schon relativ frĂŒh den Schurken hĂ€tte benennen können, bleibt die spannendste Frage ĂŒber diese langen vier Stunden, ob sie, Cormoran Strike (Tom Burke) und Robin Ellacott (Holliday Grainger) sich denn jetzt endlich kriegen. Wobei selbst die Beiden an der Frage das Interesse zu verlieren scheinen. Ganz kurz wallt Hoffnung auf, wenn Strike lebensgefĂ€hrlich verwundet wird (sie wird doch die Serie nicht beenden?) – aber die nĂ€chste Szene spielt im Krankenhaus. Woraus man folgern darf: NĂ€chstes Jahr ist auch bei der BBC voraussichtlich wieder Weihnachten.

Nachtrag: Wer immer das sehr krude Computerspiel erfunden hat, das dann wesentlich zur AufklĂ€rung beitrĂ€gt, dĂŒrfte sich damit an Ms. Rowling gerĂ€cht haben – sowas spielt in der heutigen Zeit niemand mehr. Da war Pong spannender, die Alten wissen, wovon ich rede.

Nicht anschauen, wiewohl sich die Schauspielerriege insgesamt wacker schlÀgt. Aber das reicht nicht, um vier Stunden Lebenszeit zu vergeuden.

Gelesen: Aglaja Veteranyi – “Wörter statt Möbel”

Vorausgeschickt: ich lese an dem Buch schon seit Tagen, man kann es nur in kleinen Dosen ertragen.

Veteranyi muss zu ihrer Zeit (sie hat sich 50-jĂ€hrig 2002 das Leben genommen) eine sehr getriebene AusnahmekĂŒnstlerin gewesen sein. Die meisten der in dieser Anthologie gesammelten Texte sind verfasst, um mĂŒndlich vorgetragen zu werden, oft nur ein, zwei, drei SĂ€tze lang. Manche klingen lange nach, mit anderen konnte ich gar nichts anfangen – ich nehme an, dass dies tagesform- und vom jeweiligen lesenden Individuum abhĂ€ngig ist.

Keine leichte Kost. Gar nicht. Aber sehr lohnend.

Social Söder

Inzwischen lese ich Zeitungsberichte ĂŒber Söders Social Media AktivitĂ€ten wie Osterei, Lebkuchen und Weihnachtspullover mit eigenem Konterfei (vulgo: Hackfresse) oder dass er auf Kosten der Steuerzahler im Tonstudio nun ein Weihnachtslied fĂŒr seine Follower eingesungen hat (nein, kein Link. Wer sich das antun will, kann selber googeln.) mit ungefĂ€hr demselben unglĂ€ubigen Gruseln wie Artikel ĂŒber Nr. 47 in den USA.

Ich hoffe, sie finden das beide gleichermaßen beleidigend. FĂŒrchte aber, dass nicht.

Fremd ist der Fremde nur in der Fremde

Wem die Reise in die Ferne fĂŒr den Beleg dieser Aussage zu weit ist, der braucht nur am ersten Weinachtsfeiertag ein Teil eines kleinen einzigen GrĂŒppchens von Langnasen zu sein, umgeben von fröhlich fressenden lauten Menschen, die sich endlich mal wieder den Bauch mit heimischer KĂŒche vollschlagen. Kein Tisch, der im Laufe des Abends nicht wenigstens einmal komplett neu besetzt wurde.

Ganz ehrlich, der “Stachus um zwölfe” hat als Maßeinheit sowas von verloren…

Oh tempora

Grad vorhin höre ich im Bayerischen Rundfunk (ja, B2, aber immer noch Bayerischer Rundfunk), dass heute der “sogenannte” “Heilige Abend” sei und man “in den christlichen Religionen” an diesem Tag “die Geburt des Erlösers” feiere.

Dass ich das noch erleben darf.