Die Nationalsozialisten sind seit sieben Jahren an der Macht und überfallen ein Land nach dem anderen. In Frankreich, das viele Intellektuelle für ihre zweite Heimat in Europa halten wollten, kommt Maréchal Pétain an die Spitze, kapituliert vor der Wehrmacht und errichtet in Vichy ein grausames Kollaborateuersregime. Alle, die es nach Frankreich geschafft hatten, versuchen nun, ins freie Frankreich zu entkommen und von da aus irgendwo hin. Wenn man sie dort denn aufnehmen will. Vorerst werden die Fremden im vorauseilenden Gehorsam in Internierungslager eingewiesen und Listen angelegt. Gerade das Hoffnungsland Amerika wird zunehmend abweisender. Schriftsteller? Mit Nobelpreis? Ja, das ginge. Aber wer sich politisch engagiert hat, Sozialist, Kommunist, Stalinist war, oder Sozialdemokrat, das reicht schon, hat keine Chance. Manchen gelingt es, sich dem Zugriff durch Selbstmord zu entziehen (Hasenclever, Benjamin), aber weil sie sich mit der Dosierung nicht auskennen, werden das elende Tode.
Wittstock gelingt es, herauszuarbeiten, mit welchen teilweise trivialen Themen die Fliehenden zusätzlich belastet waren und wie zehrend diese sein konnten. Wenig bis kein Geld, weil Deutschland die Einkommensquellen gekappt hatte und damit ein steter Kampf um ein Dach über dem Kopf und irgendwas zu essen; Lügner und Betrüger, die alles verprechen, von falschen Papieren bis zu Schiffspassagen und dann mit dem letzten bißchen Geld verschwinden; Paare, die nach Geschlecht getrennt interniert werden und einfach nur herausfinden wollen, wie es dem anderen geht; heranwachsende Kinder (Familie Seghers), die bitte ansatzweise eine Schulbildung bekommen sollen. Und dazu nur schlechte Nachrichten aus dem Heimatland, Krieg, Nahrungsmittelknappheit und ein ewiger Kampf gegen menschenverachtende Bürokratie.
Zu Ende des Buches zitiert Wittstock eine derer, denen die Flucht gelungen ist, die Widerstandskämpferin Lisa Fittko: Es “hätte keiner von uns überleben können ohne die Hilfe von Franzosen in jedem Winkel des Landes – Franzosen, deren Menschlichkeit ihnen den Mut gab, diese vertriebenen Menschen aufzunehmen, zu verstecken, zu ernähren.” Nach all dem Schrecklichen tut es gut, auf einer hoffnungsvollen Note zu enden. Der Mensch ist nicht immer nur des Menschen Wolf. Manchmal, und sogar öfter als man glauben mag, ist er seines Bruders Hüter.
Auch dieses Buch ist höchst empfehlenswert. Lesen! Lesen! Lesen! Meins kann entliehen werden.