1. April

Heute ist laut Zeitplan der “Eintritt in die erste leichte Panikphase” vorgesehen.

Damit wäre leichter umzugehen, wenn ich nicht schon seit Anfang Februar mit den “Maßnahmen zur Eindämmung leichter Panik” sowie “Verbeugung gegen große Panik” begonnen hätte. Dann wüßte ich jetzt, was zu tun sei und es wäre neu. So mach ich halt einfach weiter und recherchiere in den Jobbörsen nach Schwachsinnsberufen zur Erheiterung meiner Leserschaft.

Die “Maßnahmen bei Eintritt der großen Panik” möchte noch nicht lostreten. Die beinhalten solche Dinge wie “Unschuldige treten”, “Im-Kreise-herumrennen,-dazu-schreien”, “Ravioli-kalt-aus-der-Dose-essen” und “Feinrippunterhemd-mindestens-zwei-Wochen-ununterbrochen-tragen”. Das reicht Ende Juni auch noch. Da ist dann auch wärmer…

Gestern im Volkstheater – “Best of Poetry Slam”

Poetry Slam… das ist doch im Hinterzimmer eines zugequalmten Cafés, wo vorne auf einer behelfsmäßig zusammengedemmelten Bühne junge Menschen ihr Innerstes nach außen kehren, flüstern, schreien, kreischen, beschwören, wo Poesie auf aufnahmebereite Ohren trifft und Wider- wie Tiefsinniges lange wider- wie tiefsinnige Gespräche bei Rotwein nach sich zieht? Außerdem Baskenmützen?

Das, liebe ältere Dame aus dem Publikum, ist deine nostalgisch verklärte Erinnerung. Sorry.

Poetry Slam 2019 hingegen ist ein schon seit Monaten ausverkauftes Volkstheater, wo bei allen Frauen, die hinreichend Haar haben, kleine Dütte (Dutts? Dutten?) aus demselben wuchern und ein Zeremonienmeister mit dem unglaublich kreativen Künstlernamen (hoffentlich) Ko Bylanzky grandios daran scheitert, einen Wettbewerb unter den vier Vortragenden mit Jury, Spannung, Aufregung zu inszenieren. Damit ich das gleich aus dem System habe: Dieser speckige Sülzmeister im speckigschwarzen Anzug gibt alles, einem den Abend zu verderben. Bis der mit seinem gräßlich uninspirierten Warm-up durch ist, bin ich soweit, den Raum zu verlassen und mich sehr sehr gründlich zu betrinken – und das, ohne auch nur einen einzigen Slammer gehört zu haben. Was für ein fürchterliches Geschöpf!

Den Abend eröffnet Katrin Freiburghaus, die Selbstgeschriebenes vorträgt. Allerdings, weil ihre “Gedichte zu Noten gefunden haben” (sinngemäß zitiert), außerhalb des Wettbewerbs, denn sie spielt dazu die Gitarre und das ist nach den strengen Slam-Regeln verboten. Nur Text und Vortrag. Sonst keine Wertung von der Jury. Das macht aber nichts, denn sie singt zwar sehr nett, hat aber so wahnsinnig viel tiefschürfendes nicht zu sagen.

Als nächster tritt Fabian Navarro auf, Deutschsprachige Vizemeister von irgendwas. Er wird im Laufe des Abends Texte dazu vortragen, wie es sich anfühlt, 29 zu werden, desweiteren zur Banalität des Seins (“La Banalité”, weils einfach auf auswärts mehr hermacht) und eine frei bearbeitete politisch korrekte Version von Max und Moritz. Ihm ist für den schönsten Reim des Abends, “fesch” auf “Bangladesch”, zu danken. Hübsch. Wie er auch insgesamt seine Sache nicht schlecht macht. Aber halt auch nicht wirklich gut. Das ist leider der Tenor, der sich durch den Abend ziehen wird. Nett halt. Aber wahrhaftig nichts Besonderes.

Ihm folgt Marvin Suckut, der “Baden-Württemberger Slamstar”, der einen recht komischen, aber bedauerlicherweise schwer verhaspelten Einblick in die Elfenwerkstatt von Santa Claus gibt, während am Nordpol der Countdown für die Lieferschlittenfahrt des Weihnachtsmannes rund um den Globus heruntergezählt wird. Marvin fliegt in dieser Runde raus.

Dritter junger Mann im Bunde ist der “Bayerische Meister und Münchner Stadtmeister” Yannik Sellmann, der in den verschiedenen Phasen dieses Wettbewerbs zu den Themen “Zur Hochzeit von Freunden eingeladen – als Single”, “Rückkehr in das Reihenhaus meiner Kindheit” sowie “Angst im allgemeinen und im besonderen” vorschreit. Immer im identischen Duktus, für den er mit ungeschulter Stimme viel brüllt, was dazu führt, dass nicht alle Pointen beim Publikum ankommen. Nicht schlecht, aber…

Als letzte führt Ko von oben mit den Worten “kometenhaft tauchte sie in der Slamszene auf” die “Österreichische Meisterin” (again: wovon?) Agnes Maier ein. Frau Maier ist blutjung, hat aber schon eine zehnjährige Tochter und trägt zu den Themen Frühschwangerschaft, Berufswahl (Hebamme) sowie der korrekten Benennung von Geschlechtsorganen vor. Das fühlt sich an, als rezitierte ein wildfremder Mensch aus seinem Tagebuch und ist auch nicht nur schlecht. Aber.

Dann inszeniert Ko wieder das Ritual, bei dem die Zuschauer nach unten zählen und “HUIII” rufen müssen (der Enthusiasmus und die Beteiligung lassen im Laufe der Veranstaltung merklich nach) und dann verkündet er, als habe er mindestens das Ergebnis der Papstwahl in Händen, “Fünf Wertungen wurden gehoben” und kürt Fabian Navarro zum Sieger. Der bekommt eine Flasche billigen Prosecco und viel Beifall und dann ist aus. Da habe ich unsere Jacken schon aus der Garderobe geholt.

Nochmal. Schlecht wars nicht. Aber doch weit weg von gut.

Wer gut will, sehe sich Lara Stoll an (ab 48:50): https://bit.ly/2V9pEUi oder besuche Dot’s Poetry Corner: https://bit.ly/2I17XTf.

Gelesen: Judith Schalansky – “Verzeichnis einiger Verluste”

Ein Kleinod von einem Buch. Inhaltlich, optisch, haptisch. Gibts nicht mehr so oft und macht richtig Freude.

Schalansky zeichnet Miniaturen von Dingen, die es nicht mehr gibt; sie schreibt “über die Anziehungskraft von Leerstellen, die Vollkommenheit des Fragments, die Anwesenheit des Verlorenen” (Zitat aus dem Klappentext). Im Vorwort läßt sie ihre Leser daran teilhaben, wie dieses Thema sie gefunden, nein, wie es sich ihr förmlich aufgezwungen hat. Sie schreibt in einer fast sezierend detailverliebten Sprache, die in einem Berichte von Forschern aus vergangenen Jahrhunderten anklingen lassen, obwohl man sie nie gelesen hat. Mit einem Blick auf Landschaften, auf Flora und Fauna, die heutzutage so nicht mehr geschaut werden. Sehr eigenartig, mit einer ungeheuren Sogwirkung. Nicht etwa altmodisch, sondern ganz und gar aus der Zeit gefallen.

Doch gerade, wenn man sich dieser Art zu schreiben ergeben hat, überrascht sie mit einer Studie der alternden Garbo, in der man nicht anders kann, als Dorothy Parker zu denken. Und wenn der nunmehr lange abgetragene Palast der Republik ihr Thema ist, mutet die Kurzgeschichte dazu an wie ein Werk von Uwe Johnson. Faszinierend, wie sie die Form ihrer Erzählungen dem Gegenstand anpaßt! Schalansky ist dabei nie sentimental, manchmal vielleicht ein wenig manieriert, wenn man denn unbedingt etwas finden will, an dem man sich stören könnte. Sie hat das Buch wieder selbst gestaltet, jedes neue Kapitel beginnt mit einer dunkelgrauen Illustration auf schwarzem Grund, wie es verlorenen Dingen angemessen ist.

Dieses Buch ist ein Insel.

Man lese es mit Muße und Verstand und gebe sich und ihm Zeit. Ich freue mich schon jetzt auf den Moment in der Zukunft, wo ich auf der Suche nach “was zum Lesen” im Bücherregal darauf stoßen und mir die Geschichte, die ich an diesem Tage brauche, heraussuchen werde.

Hilfe, mein Teebeutel spricht

Teeziehzeit ist ja so ein Moment geschenkter Muße im Alltag. Man steht so ein bißchen dumm in der Küche rum, guckt aus dem Fenster, träumt ein wenig vor sich hin. Eigentlich nett. Und eigentlich frei von Kommunikation.

Das scheint der Marketingabteilung bei Teekanne keine Ruhe gelassen zu haben. Und deswegen tragen selbst lumpige Kräuterteebeutel jetzt Botschaften. So zum Nachdenken. Sowas wie “Sei immer Du, und sei es ganz!”

Okay.

Neu im Kino: Welcome to Marwen

Dem Vernehmen nach soll Robert Zemeckis beim nächtlichen Herumzappen bei einer Doku über Mark Hogancamp hängengeblieben sein. Hogancamp war von Rowdys fast totgeschlagen und getreten worden, blieb an Leib und Seele verkrüppelt zurück und war nicht mehr im Stande, wieder in seinem Beruf als Zeichner und Illustrator zu arbeiten. Bis er mit einer sehr phantasievollen Eigentherapie wieder zurück ins Leben fand und schließlich im Prozeß gegen seine Peiniger aussagen konnte. Steve Carell ist die Idealbesetzung für Mark Hogancamp / Cap’n Hogie. Es gibt wenige Schauspieler, die so bieder und fad daherkommen und so überraschend unaufgeregt und glaubhaft einen solch traumatisierten Menschen darstellen können. Hut ab!

Der Film war in den USA ein kommerzieller Reinfall, was daran liegen mag, dass sich vielen Menschen der Zauber der überdimensionierten heilen Barbie-Welt nicht erschließt. Genausowenig wie Zemeckis Kunstgriff, die echten Schauspieler so zu verfremden, dass sie mit eckigen Bewegungen wie lebensgroße Barbies und Kens agieren. (Einer bricht einmal in einer Kampfszene einfach in der Mitte durch.)

Wer sich aber darauf einläßt, sieht ein sehr interessantes und in Teilen äußerst unterhaltsames, an Zitaten reiches psychologisches Kunststück. Ich möchte es nicht missen und allen ans Herz legen – was wissen die Kritiker, die die schlechten Bewertungen geschrieben haben, schon.

Neu auf Netflix

Zwengs Beschleunigung und Intensivierung meiner Spanisch-Studien habe ich mich auf Netflix nach spanischsprachigen Serien umgeschaut und nun glaubt El Algoritmo gefunden zu haben, was ich suche: El árbol de la sangre (Der Baum des Blutes). Wie er darauf kommt und warum er mir den Inhalt in einer grottenschlechten Übersetzung ins Englische schildert, bleibt sein Geheimnis.

Plot: Rebeca and Marc are a troubled couple who make a deal to solve their differences: during a full weekend, they travel to the Rebeca’s grandparents family house in Basque Country (north to Spain) to write the story about their respective parents: it moves the history 25 years ago when Macarena, Rebeca’s mother, was a famous rock singer who retired from singing after her pregnant, and Nuria, Marc’s mother, was a teen who was forced to exit from her summer house after the mysterious Olmo arrives to warm her that a Russian mob wants her house as headquarter in Spain. Time later Macarena meets Victor, a fan who falls in love with her and assumes child Rebeca as her own daughter to acceptance and joy of Macarena’s parents, Pío and Candela, while Nuria works as editor literary and meeting Amaia, an aspiring writer which first novel turns in big hit, who in addition she’s married with the own Olmo, Victor’s elder brother. According the history evolves moving to the present, happiness turns in …

Traumjob

Biergartenleiterassinsten/in

Aufgabe: Durchführung der monatlichen Getränkeinventuren
(wobei Überschüsse offensichtlich umgehend wegzutrinken sind)

Merke: Das Verfassen von Stellenanzeigen sollte unbedingt vor der Inventur erfolgen. Unnsbeddingst!

So viele Fragen

  • Sind Sie ein Sympateamträger? (Von mir aus. Sobald ich weiß, was das genau sein soll.)
  • Machen Sie mit Haut und Herz Karriere? (Auch das. Mit jedem Organ, das die Anatomie kennt.)
  • Möchten Sie Ihrer Leidenschaft nachgehen und Ihre Fußabdrücke hinterlassen? (Einen Fußabdruck, auch mehrere. Merke: nicht jede Übersetzung aus dem Englischen haut im ersten Anlauf hin.)
  • Bringen Sie fließender Deutsch- und Englisch­kennt­nisse in Wort und Schrift mit (ich schon) und sind neugierig an neuen Themen? (An, auf, über, unter, neben… was immer.)
  • Die erste und wichtigste Voraussetzung ist: Es würde Sie nicht stören für Anwälten (w/m/d) in einer internationalen Wirtschaftskanzlei zu arbeiten. Sie stört es auch nicht andere Tätigkeiten in Vollzeit auszuführen. (Na gut. Wenn’s gar nicht anders geht. Dann halt Leistung gegen Geld. Sogar für Anwälten.)

Wer die Fragen bejahen kann, dem werden folgende Belohnungen verheißen:

  • Ein ansprechendes Gehalt und weitere „Goodies“. (Ich hatte ja ein Gehalt bis dato immer als Entlohnung für geleistete Arbeit verstanden und nicht als extra Leckerli. Aber was weiß ich schon?)
  • Ein eigenes Alpen-Bistro für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
  • Lauf- und Workout-Gruppen, Skitage
  • Unternehmenseigene Berghütte exklusiv für Mitarbeitende.

Ehring sprach in seinem Kabarettprogramm von den Fähigkeiten mancher Menschen, ihre Life/Life-Balance ausgeglichen zu halten. Da kommt so ein Alpenbistro mit Skilager doch grad recht, oder?

Wie immer: was kursiv gedruckt steht, ist wörtlich aus Stellenanzeigen übernommen.

Die Lümmel von der letzten Bank

Dienstag, High Noon im Stäblibad. Heute turnt Carola vor. Carola ist nicht mehr die Jüngste und war ganz gewiß nie die Schlankste und sieht daher von ekstatischem Rumgehample und -gespringe ab. Stattdessen arbeitet sie sehr aufmerksam, fast möchte ich sagen achtsam (wenn mir nur diese Reha-Trulla dieses Wort nicht so dermaßen verdorben hätte), sehr kleinteilig. Jedes arthritische Knöchelchen kommt mehrfach dran. Die Zielgruppe kann sich glücklich schätzen, jemanden wie Carola zu haben. Ich mag Carola.

Müßig zu sagen, dass der Stammtisch der Bösen Wasserweiber vollkommen anderer Ansicht ist. Sie hassen Carola. Und was tun sie? Statt a) entweder mitzumachen oder b) es halt sein zu lassen, entscheiden sie sich für Variante c). Stellen sich zu fünft mit verschränkten Armen in einer Reihe ganz hinten auf, kurz vor der Linie, wo das Nichtschwimmerbecken endet und der Boden abschüssig wird und sind dagegen. Mit erhobenen Stimmen tun sie einander kund, wie blöd sie diese und wie schwachsinnig sie jene Übung findet. Und das Schwimmbad tut, was ein Schwimmbad tut und trägt den Schall. Nach vorne, da wo Carola ganz sicher jedes Wort mitbekommen muß und Boney M kaum mehr eine Chance haben, den Takt zu halten. Man meint förmlich zu sehen, wie gelbe Giftschwaden durch die ohnehin schon chlorgeschwängerte Luft ziehen.

Ungefähr zur Halbzeit bläst die Rädelsführerin zum Abzug unter Protest und sie verlassen laut, sehr laut, das Becken, um für den Rest der Stunde am Rand zu stehen, und alle anderen, die das Programm nicht ungern mitmachen, mit verkniffenen Gesichtern zu beobachten. Fühlt sich an, als hätten sie vor, später bestmögliche Beschreibungen für den Polizeizeichner abgeben zu wollen. Was müssen diese bösen Weiber für armselige Leben führen, wenn ihnen so ein beschissenes Mobbingverhalten Erfüllung bietet? Die arme Carola, die denen ins Fadenkreuz geraten ist.

Lieber Gott, ich brauche sonst nichts, aber bitte, lass mich nie so werden. Danke, Amen and Out.