Poetry Slam… das ist doch im Hinterzimmer eines zugequalmten Cafés, wo vorne auf einer behelfsmäßig zusammengedemmelten Bühne junge Menschen ihr Innerstes nach außen kehren, flüstern, schreien, kreischen, beschwören, wo Poesie auf aufnahmebereite Ohren trifft und Wider- wie Tiefsinniges lange wider- wie tiefsinnige Gespräche bei Rotwein nach sich zieht? Außerdem Baskenmützen?
Das, liebe ältere Dame aus dem Publikum, ist deine nostalgisch verklärte Erinnerung. Sorry.
Poetry Slam 2019 hingegen ist ein schon seit Monaten ausverkauftes Volkstheater, wo bei allen Frauen, die hinreichend Haar haben, kleine Dütte (Dutts? Dutten?) aus demselben wuchern und ein Zeremonienmeister mit dem unglaublich kreativen Künstlernamen (hoffentlich) Ko Bylanzky grandios daran scheitert, einen Wettbewerb unter den vier Vortragenden mit Jury, Spannung, Aufregung zu inszenieren. Damit ich das gleich aus dem System habe: Dieser speckige Sülzmeister im speckigschwarzen Anzug gibt alles, einem den Abend zu verderben. Bis der mit seinem gräßlich uninspirierten Warm-up durch ist, bin ich soweit, den Raum zu verlassen und mich sehr sehr gründlich zu betrinken – und das, ohne auch nur einen einzigen Slammer gehört zu haben. Was für ein fürchterliches Geschöpf!
Den Abend eröffnet Katrin Freiburghaus, die Selbstgeschriebenes vorträgt. Allerdings, weil ihre “Gedichte zu Noten gefunden haben” (sinngemäß zitiert), außerhalb des Wettbewerbs, denn sie spielt dazu die Gitarre und das ist nach den strengen Slam-Regeln verboten. Nur Text und Vortrag. Sonst keine Wertung von der Jury. Das macht aber nichts, denn sie singt zwar sehr nett, hat aber so wahnsinnig viel tiefschürfendes nicht zu sagen.
Als nächster tritt Fabian Navarro auf, Deutschsprachige Vizemeister von irgendwas. Er wird im Laufe des Abends Texte dazu vortragen, wie es sich anfühlt, 29 zu werden, desweiteren zur Banalität des Seins (“La Banalité”, weils einfach auf auswärts mehr hermacht) und eine frei bearbeitete politisch korrekte Version von Max und Moritz. Ihm ist für den schönsten Reim des Abends, “fesch” auf “Bangladesch”, zu danken. Hübsch. Wie er auch insgesamt seine Sache nicht schlecht macht. Aber halt auch nicht wirklich gut. Das ist leider der Tenor, der sich durch den Abend ziehen wird. Nett halt. Aber wahrhaftig nichts Besonderes.
Ihm folgt Marvin Suckut, der “Baden-Württemberger Slamstar”, der einen recht komischen, aber bedauerlicherweise schwer verhaspelten Einblick in die Elfenwerkstatt von Santa Claus gibt, während am Nordpol der Countdown für die Lieferschlittenfahrt des Weihnachtsmannes rund um den Globus heruntergezählt wird. Marvin fliegt in dieser Runde raus.
Dritter junger Mann im Bunde ist der “Bayerische Meister und Münchner Stadtmeister” Yannik Sellmann, der in den verschiedenen Phasen dieses Wettbewerbs zu den Themen “Zur Hochzeit von Freunden eingeladen – als Single”, “Rückkehr in das Reihenhaus meiner Kindheit” sowie “Angst im allgemeinen und im besonderen” vorschreit. Immer im identischen Duktus, für den er mit ungeschulter Stimme viel brüllt, was dazu führt, dass nicht alle Pointen beim Publikum ankommen. Nicht schlecht, aber…
Als letzte führt Ko von oben mit den Worten “kometenhaft tauchte sie in der Slamszene auf” die “Österreichische Meisterin” (again: wovon?) Agnes Maier ein. Frau Maier ist blutjung, hat aber schon eine zehnjährige Tochter und trägt zu den Themen Frühschwangerschaft, Berufswahl (Hebamme) sowie der korrekten Benennung von Geschlechtsorganen vor. Das fühlt sich an, als rezitierte ein wildfremder Mensch aus seinem Tagebuch und ist auch nicht nur schlecht. Aber.
Dann inszeniert Ko wieder das Ritual, bei dem die Zuschauer nach unten zählen und “HUIII” rufen müssen (der Enthusiasmus und die Beteiligung lassen im Laufe der Veranstaltung merklich nach) und dann verkündet er, als habe er mindestens das Ergebnis der Papstwahl in Händen, “Fünf Wertungen wurden gehoben” und kürt Fabian Navarro zum Sieger. Der bekommt eine Flasche billigen Prosecco und viel Beifall und dann ist aus. Da habe ich unsere Jacken schon aus der Garderobe geholt.
Nochmal. Schlecht wars nicht. Aber doch weit weg von gut.
Wer gut will, sehe sich Lara Stoll an (ab 48:50): https://bit.ly/2V9pEUi oder besuche Dot’s Poetry Corner: https://bit.ly/2I17XTf.