Lamentohaiku

Tiefe Nebel schwaden,
der angebissene Mond
funzelt trübe.

Selten noch habe ich mich so um meinen Sommer betrogen* gefühlt wie jetzt, wo der Herbst sich schon breit macht.

* Ich sage auch nur “betrogen”, weil ich eine Dame bin und eine Dame nicht “beschissen” sagt.

Geld her

Während ich gerade in die Computer-Tomographie-Maschine geschoben werde, lese ich, dass es sich dabei um eine Entwicklung der Siemens “Healthineers” handelt. Schwuppdiwupp schlägt mein Schlechtes-Wortspiel-Radar an und aus.

Es hilft nicht, dass ich daheim nachlesen, dass besagter “Healthineer” eine Marketing-Erfindung ist (das dachte ich mir eh) und zwar ein “Kofferwort, zusammengesetzt aus „healthcare“, „engineer“ und „pioneer“.

Schlecht ist es trotzdem. Los jetzt, zahlen du musst, Siemens.

Jegliches hat seine Zeit

Sie sind so alt, dass sie bei Methusalems Taufe dabei waren. Sie zittert, er wackelt. Miteinander teilen sie sich ein Paar gute Augen und Ohren. Das hält sie aber nicht davon ab, heftig und lauthals zu diskutieren, an welcher Station sie aussteigen wollen (der nächsten) und wann die erreicht werden wird (jetzt).

Im Aussteigen begriffen, erlaube ich mir, darauf hinzuweisen.

Böse Blicke aus zwei Paar trüber Augen, hektisches aus der U-Bahn wackeln und zittern (und ja, geht beides hektisch), Stock fällt zu Boden. Ich hebe ihn auf. Jetzt sind sie mir beide gram. Als ob sie das a) nicht selbst wüßten (Haltestelle) und b) könnten (nach dem Stock bücken). Was ich mir wohl einbilden täte? Hmmm? Wackelnd und zitternd zur Rolltreppe ab.

Das sind so die Momente, da freu ich mich richtig aufs Altwerden. Oh Mann.

Vergangenheitsbewältigung

Zur Zeit helfe ich einer australischen Bekannten, deren Großeltern nach ihrer Inhaftierung in deutschen Konzentrationslagern 1950 mit ihren Kindern nach Down Under auswandern konnten, bei Nachforschungen in deutschen Archiven. Mit Übersetzungen, Sütterlin-Schrift entziffern, Einsortieren in historische Zusammenhänge und dem Entschlüsseln deutscher Bürokratensprache. Alles nicht leicht.

Wir kannten uns bisher nur virtuell, aber zur Zeit ist sie zum ersten Mal im Leben auf dem, was sie selbst eine “Pilgerfahrt” nennt. Zum ersten Mal im Herkunftsland von Großvater und Großmutter, solange sie selbst noch Kraft genug für eine so weite Reise hat. Im Rahmen dieses Unterfangens waren wir heute gemeinsam in der KZ-Gedenkstätte Dachau.

Holla. Ich durfte als Besucherin des Archivs ausnahmsweise auf dem Mitarbeiterparkplatz parken, was bedeutet, dass man auf dem Weg dortin die Alte-Römer-Straße langfährt. Vorbei an einem doppelten Stacheldrahtzaun, an Baracken, an Exerzierflächen, an Wachtürmen – ich fand es ganz und gar grausig (und war heilfroh, als die Schranke auf dem Weg hinaus sich einfach so geöffnet hat und ich einfach so wieder wegfahren konnte).

Wenn es wen interessiert, erzähle ich davon. Für heute muss reichen, dass es mich sehr mitgenommen hat.

Untermieter

Es scheint sich um eine saisonale Wohngemeinschaft zu handeln, zwischen dem Herrn Rilke (s. https://flockblog.de/?p=50789) und mir. Er ist wieder zugezogen, verharrt vorwiegend und dabei zart bebend in der Nordecke über der Badewanne. Nur neulich, da scheint ihn der Teufel geritten zu haben und er hat todesmutig (und das ist kein Euphemismus, kein bißchen) mit mir geduscht.

Er hatte nicht lange Spaß am Seegang, und als ich ihn aus einem Shampoo-Schaumwölkchen geborgen hatte, kauerte er naß bis auf was auch immer bei Spinnentieren das Äquivalent von Knochen ist, schlotternd und zähneklappernd (doch, doch) mit ausgesprochen vorwurfsvollem Ausdruck am Badewannenrand.

Inzwischen scheint er sich von seinem Abenteuer erholt zu haben und bebt wieder zart oben in seiner Ecke, aber mir scheint, dass er hinkt. Wenn ich richtig gezählt habe, fehlt ein Bein. Aber, sagt der NABU, das macht nichts: “Weberknechte besitzen an ihren Beinen eine Sollbruchstelle und werfen bei Gefahr schnell mal ein Bein ab, um dadurch einem möglichen Fressfeind zu entkommen.”

Bedeutet das fehlende Bein, dass unsere Beziehung einen Dämpfer bekommen hat? Rilke kann doch nicht ernsthaft glauben, dass ich ihn essen würde? Oder? Das wird mir ein schöner Herbst werden mit uns beiden…

Wenn einer eine Reise tut

Als Diktator hat man es nicht leicht, man muss man ja an so vieles denken, woran der gemeine unterdrückte Untertan gar keinen Gedanken verschwendet. So zum Beispiel den Fußabdruck. Nei-hein, nicht den ökologischen, was für ein Schwachsinn. Dafür gibt’s gleich mal 20 Peitschenhiebe.

Nein, der Diktator (ich lasse es mal beim generischen Maskulinum, mir fällt auf Anhieb gerade gar keine Frau in dem Job ein), also der Diktator denkt an den genetischen Fußabdruck. Also seine höchstpersönlich eigene Diktatoren-DNA, die er natürlich niemandem zur möglicherweisen bösen Verwendung überlassen will.

Und so reisen Despoten wie Vladimir Putin und Kim Jong Un usw. mit einem Team aus Oberflächenabwischern. Tische, Stühle, Bänke, geschüttelte Hände, geküßte Babies – flugs DNA-wisch und weg. Keine Ahnung allerdings, wie man sich das bei Staatsbanketten vorzustellen hat. Reist der Diktator mit eigenem Geschirr und Besteck? Oder führen die hierfür zuständigen Helferlein mobile Verbrennungsöfen mit sich? Werden abgegessene Teller und leere Gläser von ihnen gegriffen und gehen wu-husch in Flammen auf? Muss immer nach der Abreise das gute Geschirr wieder nachgekauft werden? Wie lange machen selbst wohlwollende Gastgeber bei drei bis fünf Mahlzeiten am Tag (ohne Snacks) sowas mit?

Bettwäsche und Handtücher bringt ein erfahrener Despot in alter Jugendherbergstradition wahrscheinlich von daheim mit und wäscht sie erst wieder zu Hause in linientreuen Waschmaschinen. Das ist zugegebenermaßen eine Vermutung. Belegt hingegen ist, dass Tyrannenscheiße vom hierfür verantwortlichen Autokratenexkrementbeauftragten (“Dr. AEB”, wenigstens der Titel soll gut klingen bei diesem Sch…job) aus den jeweiligen Kloschüsseln gefischt, in einen Metallbehälter verbracht und vom Chef wieder mit nach Hause genommen werden.

Leider funktioniert die Pointe nur auf Englisch und nur für den russischen Obermufti, aber das schafft ihr. Scheiße heißt auf Englisch “poo”, gesprochen “pu”. Ein metallener Behälter, als quasi eine große Dose, heißt “tin”, gesprochen “tin”. Es handelt sich bei dem Behälter also um Vladimirs poo tin. Höhö.

Vorhin, in der U-Bahn 2 (Heute war viel los)

“Haa-aalt! Halloho! Haa-aalt!” rufe ich, während ich mit den Armen wedelnd dem Herrn nachlaufe, mit dem ich bis eben die Wartebank geteilt hatte – “Haa-aalt! Halloho! Sie haben Ihren Schirm liegenlassen!” Er, zwischen Waggonschwelle und automatischer Tür: “Deafan’S bhoitn. Hod eh aufghert.”

Ja, dann. Dankeschön, Herr Unbekannt, für den neuen schönen handlichen blauen Knirps fürs Auto. Falls es doch je irgendwann mal wieder regnen sollte.