Gelesen: Sebastian Haffner – “Winston Churchill”

Erste Beobachtung: es schreibt ein hochgebildeter Herr aus besseren Kreisen über einen hochgebildeten “barocken Herrn” aus besseren Kreisen. In einer Diktion, die schon für das Erscheinungsdatum in den mittleren sechziger Jahre ein wenig aus der Zeit gefallen sein dürfte. (Beispiel: Über Churchills Deutschlandbild: “Möglich, dass Churchills kurzer persönlicher Kontakt mit der Nazibewegung im München von 1932 etwas Tieferes in ihm aufgeweckt und aufgeschreckt hatte; selber ein Krieger von Geblüt und Instinkt, erkannte er wohl das Kriegerische, roch es sozusagen, wo es ihm begegnete.”)

Haffner ist, was man heute einen “Fanboy” nennen würde. Er hat ein Bild von seinem höchstpersönlichen Churchill und er sieht, dass der diesem Bilde ähnlich wird.* Dazu zählt auch, fast unverzeihbar, dass er Clementine “Clemmie” Churchill, dessen lebenslange Gattin, engste Beraterin und Freundin, der in anderen Biographien immer der ihr zustehende Raum gegeben wird, nur drei Mal erwähnt. Wobei schon das zuviel gesagt ist, denn die letzte “Erwähnung” ist ein Foto von “Churchill an seiner Goldenen Hochzeit”, auf dem Lady Churchill notgedrungen halt auch abgebildet ist. Ansonsten postuliert Haffner, “…von einer wirklichen Liebe, von einer bestimmten Frau weiß man nichts.” Mich hat das Gefühl beschlichen, dass Herr Haffner mit Winstons Wahl nicht zufrieden war und lieber mindestens eine Mata-Hari-Affäre beschrieben hätte. Darum gebracht, läßt er sich zu dieser Beschreibung herab: “Sicher war sie keine bloße Vernunft- oder Geldheirat: Die Braut war schön und vornehm, klug und charaktervoll, aber vermögenlos. … Und doch stockt man bei dem Wort ‘Liebesheirat’. … Es fehlt so völlig das Dramatische, Romantische, Sensationelle, das sonst für Churchills Leben so charakteristisch ist.” Mir haben bei der Lektüre dieses Absatzes die Plomben geschmerzt. Damit will ich aber nichts gegen Haffner als zeitgenössischen Biographen sagen, nur gegen sein wahrscheinlich ebenso zeitgenösisches Frauenbild.

Während des Krieges lebte Haffner im englischen Exil und viel näher kann man als deutscher Publizist in jenen Jahren dem Kriegs-Blut-Schweiß-und-Tränen-Premierminister, mit dem “eisenharten, verbissenen Vernichtungswillen, der den Churchill von 1940 zu einer Sagengestalt gemacht hat – einem vorweltlichen Kriegsdämon, der mit nackter Faust die Weltkugel stemmt, umloht von den Feuern des brennenden Londons” gar nicht gekommen sein. Ja doch, Herr Haffner, ist gut. Erst einmal hinsetzen, tief durchatmen. Ein Glas kaltes Wasser, vielleicht?

Nochmal, die Biographie ist gut, sehr schön logisch aufgebaut, extrem informativ und hat im Anhang ein umfangreiches Quellenverzeichnis. Die Herrensprache muss man halt mit einem Körnchen… ach was, mit einem Salzstreuer nehmen, dann geht das schon.

Nachtrag (der ist zu schön, um ihn nicht zu zitieren): Haffner kann Sir Stafford Cripps, den Mann, der den Kriegsdämon Churchill 1945 ablöst, nicht leiden. Das klingt dann so: “Ein Asket von kaltfunkelnder Intelligenz, eine Robespierremischung aus Puritanismus und Radikalismus, ohne Zweifel ein großer Mann in seiner dünnlippigen, messerscharfen Art, wäre da nicht irgendwo auch ein Zug von vegetarischer Fadheit gewesen.”

Hach!

Wie schon gesagt: die Sprache ist gewöhnungsbedürftig, ich habe die Biographie aber trotzdem gerne gelesen und verleihe mein Exemplar bei Interesse.

* Ja, gut erkannt, ist geklaut. Und zwar vom alten B.B.
“Was tun Sie”, wurde Herr K. gefragt, “wenn Sie einen Menschen lieben?” “Ich mache einen Entwurf von ihm”, sagte Herr K., “und sorge, daß er ihm ähnlich wird.” “Wer? Der Entwurf?” “Nein”, sagte Herr K., “Der Mensch.”

Ruhe sanft

Im letzten Herbst habe ich eine zweiteilige Vier-Jahreszeiten-(mehr kenne ich gar nicht)-Bettdecke gekauft, die mit, selbst für eine “Premium-Bettware”, erstaunlich umfangreicher Anleitung kam. Naiv, wie ich manchmal sein kann, dachte ich, zudecken würde reichen. Aber nein, ich soll zunächst ein 126-Seiten-E-Book herunterladen: “Gesundheitselixier Schlaf – mit 4Wochen Erfolgsformel”. Außerdem wird auf zwei Ökopappendeckelseiten grün auf ockerbraun ausführlich erklärt, dass die Decke leichter und damit für den Sommer geeigneter ist, wenn man nur zum dünnenTeil greift und dafür aber supermollig dick und warm, wenn man das dünne und das mitteldicke zu einem “extrawarmen Kuschelpartner” zusammenknöpft. Okay, verstanden. So, wie die Vogelschwärme gerade ständig den Himmel verdunkeln, ist nun höchste Herbstdeckenzeit, also habe ich weisungsgemäß die “Übergangsdecke” aus dem Sommerquartier geholt und bin damit einmal mit meinem Modell aus der “Silbermondkollektion” durch einen ganzen Deckzyklus gegangen. Sehr zufrieden.

Ich bin allerdings gespannt, ob es dem Hersteller noch immer so schwer fällt, sich von seinem Lieblingsprodukt zu trennen. Letztes Jahr bekamen wir, Decke und ich, eine überdimensionierte Grußkarte zu Weihnachten. Vorne das nächtliche Zürich, unter sternbedeckten Himmel die dunkle Limmat, gesäumt von hell erleuchteten Häusern, in denen, so der Text, Menschen “schnuggelig” unter ihren Decken lägen. So wie – hoffentlich – auch ich? Mit meiner Kuschelpartnerdecke? Ein bißchen aufdringlich, finde ich. Mehr Beziehung als Ware gegen Geld wollte ich mit denen nicht.

Außerdem: Ich weiß ja nicht, wie das in der Schweiz ist, aber meine Eltern hätten mir was erzählt, wenn ich vor lauter “Flugs-mit-dem-Kuschelpartner-in-die-Kiste” die Lichter im Haus hätte brennen lassen. Weihnachtskartenmotiv hin oder her.

Aus dem Vokabelheft

Es sei, sagt der australische Freund, zu Thanksgiving möglicherweise auch mit dem Besuch eines Cousins zu rechnen, der mehr so “sheltered against reality” sei.

Ich finde die Formulierung sooo hübsch und werde ihre deutsche Übersetzung “der Typ ist doch realitätsgeschützt” demnächst irgendwann mal irgendwo unterbringen.

Sag mir, wo…

Eine Freundin von mir ist gerade auf Wohnungssuche und hat diese Anzeige auf Immoscout24 gefunden. Wir rätseln noch.

Danke an Frau W. aus (noch) H.

Gelesen: Terry Pratchett, Stephen Baxter – “The Long Earth”

2012 veröffentlicht, ist “The Long Earth” ein klassischer “Was-wäre-wenn?”-Science Fiction Roman, geschrieben von zwei Könnern. Zwei Könner, die sich allerdings nicht über die Maßen verausgabt zu haben scheinen. Ja, spannend, natürlich, noch dazu aus heutiger Sicht, die KI und ihr, hmmm, “menschlicher” Avatar. Mindestens ebenso spannend, die Idee, dass es nicht nur diese eine Erde gibt, sondern unendlich viele davon und, das ist der originelle Gedanke, Menschen (sowie ggfs. auch andere Geschöpfe), die dazwischen beliebig hin- und herwechseln können, andere, die dazu einer leicht herstellbaren Apparatur bedürfen, deren Energiequelle eine Kartoffel ist, die ankommend erst einmal ein Viertelstündchen kotzen und wieder andere, die immobil auf Erde Nr. 1 festsitzen.

Alles, was sich daraus an philosphischen und ethischen und soziologischen und wirtschaftlichen Fragen ableiten läßt, wird ausführlich behandelt. Das Buch ist nicht uninteressant oder schlecht geschrieben, bei mir ist dennoch der Funke nicht übergesprungen. Für mich fühlt sich die Sache einfach ein bißchen sehr nach Geldschneiderei an, noch dazu, wo es vier weitere Bände gibt. Alles in “lang”: Krieg, Mars, Utopia und Kosmos.

Es mag anderen anders gehen, wer will, kann meins ausleihen und sich ein eigenes Bild machen.

… und an der Hüfte Bananen

Beim Discounter Penny werden jetzt bereits fertig gekappte Ananässe verkauft. Moment mal, das heißt doch, dass ich meine Ananas ohne den grünen Strunk bekomme, richtig? Das Ding, das ich sowieso immer zuerst abschneide und das die Mülltüte kaputtreißt, richtig? Und auch noch 30 Cents billiger als die “Ananas mit Krone”, die für die traditionsbewußte Kundschaft ebenfalls angeboten wird, richtig?

Alles richtig. Und dann auch noch gut fürs Klima: “Nachhaltige Fruchtlogistik” nennen die Marketingmenschen sowas. Weniger Platzbedarf (Kunststück, höchstens noch halb so groß), geringerer CO2-Fruchtfußabdruck (jaha, okayhay, das hab ich erfunden).

Mir wurscht. Wenn die genauso lange haltbar sind wie ihre gekrönten Brüder und Schwestern, soll es mir recht sein. Nur eine Frage: die Ananas als solche – kommt die nicht von sehr weit her und ist schon allein deswegen gar nicht sooo gut?