Wellengang

Das bißchen “High Surf Alert” dieses Wochenende dürfte es für den großen “Maverick 2015”-Surferwettbewerb in Halfmoon Bay wohl gewesen sein; die “Titans of Maverick”-Website meldet in traurigem Beige “The Call Alert: Event Off”.

Macht nichts, Jungs. Ich werde dann eben nicht zum Dudes gucken im Stau stehen (s. https://flockblog.de/?p=17351), sondern stattdessen einfach so in der Sonne sitzen und lesen. Ist mir sehr recht, der “Zu lesen”-Stapel ist auf drei angewachsen und die sind schon gefährlich instabil.

Nimmer ganz neu im Kino: The Judge

Gerissener Großstadtanwalt (Robert Downey Jr.) kehrt anläßlich der Beerdigung seiner Mutter nach vielen Jahren zurück in seine Fly-Over-Redneck-State-Heimatkleinstadt und trifft auf seine daheimgebliebenen Brüder, seine Jugendliebe und seinen immer noch allmächtigen und furchtbar gerechten Vater, den Richter (Robert Duvall). Der wird am nächsten Tag des Mordes angeklagt.

Damit ist die Inhaltsangabe zu Ende, ab jetzt kommen Spoiler.

Allen voran einer, der eigentlich keiner ist. Robert Duvall hat für “The Judge” viele Preise als bester Nebendarsteller bekommen. Die Preise zurecht, er ist in dieser Rolle zum Niederknien großartig und gibt wirklich alles – aber Nebendarsteller? Nein, da treffen zwei Hauptdarsteller aufeinander, zwei Alpha-Männer. Ich war fast überrascht, wie gut Robert Downey Jr. sein kann, das hatte ich nach den Sherlock- und Iron Man-Eskapaden schon beinahe vergessen. Diese beiden Sturköpfe treiben einander in einem Dauerkampf und unter ständigen gegenseitigen Schuldzuweisungen zu einer packenden Katharsis, so gut, daß es beim Zusehen wehtut.

Im Angelsächsischen heißt ein Nebendarsteller nicht Nebendarsteller, sondern “supporting actor”, also “unterstützender” Schauspieler. Die große Duvall&Downey Show wird sehr kongenial mitgetragen von Vincent D’Onofrio, dagebliebener älterer Bruder mit gescheiterter Sportlerkarriere, Gattin (ganz großartige Regieidee, denn die Rolle ist, außer blond und ständig anwesend, stumm) und zwei allamerikanischen Teenagersöhnen; Jeremy Strong, kleiner Bruder, dageblieben, weil zurückgeblieben, sozusagen der Forrest Gump der Richterfamilie Palmer; Vera Farmiga, Jugendliebe, Restaurantbetreiberin und wesentlich lebensklüger als der “slicke” Großstädter und dem wunderbaren Billy Bob Thornton als Anwalt der Gegenseite, der mit dem durchtriebenen Großstadtanwalt noch eine Rechnung offen hat; und dann sind da noch die Redneck-Rollen, pars pro toto die Mutter des Mordopfers, Grace Zabriskie.

Genug gelobt. Der Film hat einen Malus: dem sehr unterschätzten Publikum wird, was wann wem mit wem warum geschah und wie wer und was wann wessen Lebensweg wie warum wohin getrieben hat, ganz genau erklärt – ich hätte es lieber gehabt, wenn man mich meine Schlüsse selber hätte ziehen lassen.

Deswegen gibt’s nur zwei Anschauen! von drei möglichen.

Gemischte Gefühle

Wer immer beim Wetteramt für den Kundendienst zuständig ist, soll hier heute sehr gelobt werden. Gestern noch habe ich mich beschwert, daß es für die Jahreszeit viel zu kalt ist und ich sonst im Januar immer meinen ersten kleinen Sonnenbrand vom draußen im Garten in der Sonne lesen habe – und heute wurde ich wunschgemäß geröstet und habe dabei drei neue Graphic Novels* geschafft. Als die Nase rot genug und die Wäsche trocken war, bin ich zu meinen Schönheitsdamen aufgebrochen, auf einen Zupf und eine Pediküre. Bei letzterer scheint es sich um eine Nebenwirkung von Hüftoperationen zu handeln. Ich bin längst wieder fähig, meine Zehennägel selbst zu schneiden, habe aber das ganze Verwöhntrara mit Bubbelbald, Tinkturen in allen Farben und Texturen und Fußmassage mit grüner Rubbelpaste so sehr schätzen gelernt, daß ich es in mein Repertoire aufgenommen habe.

Am Manikürentisch schienen sie zu mehreren eine eher widerspenstige Kundin niederzuringen, später habe ich gesehen, daß sie unter Parkinson leidet und die Hilfskräfte offensichtlich zusätzlich zu dem üblichen daumenschraubenähnlichen Gerät gebraucht wurden, um ihr die Hände zum Nägellackieren zu fixieren. Ist das nun eine gute Tat, einer Dame mit Schüttellähmung mit Gewalt die Fingernägel bunt zu malen? Dient das Resultat ihrer Selbstachtung als gepflegte amerikanische Frau? Heiligt der Zweck die Mittel? Oder muß es einfach irgendwann nicht mehr sein? Ich weiß nicht, was ich davon halten soll.

Ich bin wie üblich unbemalt nach Hause gegangen und grübele seitdem.

* “Zero”, der erste Band einer Agentengeschichte – recht ordentlich, aber kein ganz großer Wurf, “The Wicked + The Devine”, der erste Band einer Gattung, die ich nicht benennen kann (Götter aller möglicher Mythologien kommen alle neunzig Jahre für einen Zeitraum von zwei Jahren wieder unter die Menschen) – das kann was werden, ich muß aber für ein ausgereifteres Urteil den zweiten Band abwarten sowie “Stitches”, Memoiren einer ausgesucht scheußlichen Kindheit in Michigan – ein ganz großer weiter Wurf.

Haute Cuisine

Neujahr ist schon seit über drei Wochen vorbei und alle guten Vorsätze längst verjährt. Wenn man der hiesigen Kulinarberichterstattung glauben darf, ist der Renner bei den Fastenbrechern ein mehrstöckiger Käsetoast, “The Grilled Cheese Cake”. (Klingt natürlich auf amerikanisch nach mehr und toll, ist aber trotzdem nur viel Schlabbrigweißbrot mit noch mehr Schlechtkäse und ordentlich Bratfett.)

grilled cheese cheese cake

Treffer. Versenkt.

“Liebe Frau F.,” schreibt mir eine deutsche Social Media Seite. “Dieser Job ist seit der letzten Woche für Sie neu eingestellt worden: Teamleiter Schall (m/w) – in der Abteilung Wind & Sites Assessment

Also erstens geht Schall sowieso nur mit Rauch (klassische Bildung), zweitens bin ich nicht am Vermessen von anderer Leute Winde interessiert und drittens.  Wie drittens? Drittens bin ich ganz eindeutig schon zu lange weg. Sowas hätte man mir zu meiner Zeit nämlich nicht angeboten. Hah!

Aus dem Vokabelheft; dem Sheriff von Rottingham* gewidmet

Das leidige Wechstaben verbuchseln heißt hier “Spoonerism” nach Reverend William Archibald Spooner (1844–1930) oder vielmehr dessen Studenten, die ihm und seinem Würfelredestil damit ein Denkmal setzten. Mein aktuelles Lieblingsbeispiel aus des Reverend reichhaltiger Kollektion ist “The Lord is a shoving leopard” statt “The Lord is a loving shepherd.” **

* Die Älteren unter uns kennen ihn als Sheriff von Nuttingham aus Mel Brooks’ Film “Robin Hood: Men in Tights” (Zu deutsch: Helden in Strumpfhosen)

** Der HErr ist ein Leopard in der Mauser bzw. ein liebender Hirte. Schaf möchte man in keinem der beiden Fälle sein.

Waiting for Suppenmann

January is National Soup MonthWas ein Glück, daß Hackfresse Soupman (unten) unermüdlich für uns im Einsatz ist. Sonst müßten wir am Ende unser Süppchen selbst kochen.

January is National Soup Month3 Soupman

 

Die haben hier echt einen Sparren, was die Mottifizierung von Zeiträumen angeht. Frauengeschichte? Jawoll! Den ganzen März über, ein Weltfrauentag reicht nicht. Den April widmen sie dem Umgang mit Streß, wahrscheinlich, weil am 23. des Monats der “Bring-dein-Kind-uff-Arbeit”-Tag ansteht. Im Mai halten wir unsere Mitarbeiter zu Gesundheit und Spocht an; ein Schuft, wer dabei einen Zusammenhang mit den ebenfalls in diesem Monat zu ehrenden Amerikanern aus dem asiatisch-pazifischen Raum sieht. Tonganer sind schließlich für ihre schlanke Linie bekannt. Im Juni soll sich der hiesige Personaler um Vorschriften für leichte Bekleidung kümmern, und zwar verblüffenderweise nicht nur in Stripclubs.

Zu Anfang der zweiten Jahreshälfte stehen Praktikanten auf der Tagesordnung, im August isses warm. Im September begehen wir den Tag der Arbeit und wer da einen Zusammenhang zum “Hispanic Heritage Month” vermutet, ist auch ein Schuft. Im Oktober feiern wir den “Boss Day” und sind gemeinsam gegen Erdbeben und häusliche Gewalt. Oder stellen deren Opfer bevorzugt ein, das habe ich nicht genau verstanden. Indianer und Veteranen sind im November dran, nein, da besteht auch kein Zusammenhang, du Schuft! Und im Dezember findet dieses Jahr Weihnachten statt und der Personaler muß aufpassen, daß sich keiner bei einer Firmenfeier danebenbenimmt und ein anderer deswegen klagt. Ich sage nur: Liability! (S. https://flockblog.de/?p=21295 – beim **)

Woher ich das alles weiß? Vom Kurzkalender, den mir die “Society for Human Resource Management” freundlicherweise geschickt hat. Auf Papier. Für die Langversion  müßte ich Mitglied werden, und sie wollen mir wöchentlich Reminder schicken, dann aber elektronisch. Das mache ich besser nicht, soviele blogposts über Schwachsinn kann ich gar nicht schreiben. Ich muß ja nebenher Personalarbeit machen.

HR Calendar

Winterschlußverkauf

godbabyObwohl vom Hersteller Heavenly Dolls Company* als Alljahresspielzeug (“helps a child to remember that Jesus is not just for Christmas but for everyday of our life”) empfohlen und in allen Hautfarben (kaukasisch, dunkel-hispanisch, latino und schwarz) angeboten, verkauften sich die Jesuspuppen nicht so recht. So langsam brauchen die Händler den Platz im Regal für Kreuzigungsbaukästen (Playmobil und Lego) und Maria-Magdalena-Schminksets und die Restjesusse werden verramscht.

Heute von einem vertrauenswürdigen Gewährskollegen gehört, daß im Fenster des Ladens in seiner Nachbarschaft ein Schild hängt: “Your Savior – now 50% off” (“Der Erlöser – jetzt zum halben Preis”). Gefällt mir.

* http://www.babyjesusdoll.com/

PS: Das Bild ist von einer anderen Christen-Kampagne; ich fands aber sehr passend. Sieht dieses furchtbar weiße Plastikbaby nicht aus, als käme es direkt aus einem Gruselfilm und hieße wenigstens Damien oder so?

Live long and prosper

Man hört ja manchmal im Autoradio nur so halb hin, wenn gerade wieder Werbung läuft (also alle 10 Minuten), aber es hat mich heute früh doch gerissen, als unser Freund im Diamond Business (s., u. a., https://flockblog.de/?p=2010 und https://flockblog.de/?p=5620) Verlobungsringe mit Kein-Streit-Garantie bewarb. Mit einmal Ring gleichzeitig auch eine harmonische Beziehung fürs Leben kaufen? Nicht schlecht. Fast zu schön, um wahr zu sein.

Ist es auch nicht. Der Begriff “Conflict-Free Diamonds” oder – in länger – “Conflict-free and Ethical Engagement Rings” bedeutet lediglich, daß am Edelmetallreifen kein Blutdiamant klebt und hat keinerlei Einfluß auf Bestand der Beziehung. Schade. Das wäre ein tolles Geschäftsmodell gewesen.

Winterwunderland

Jetzt schließen wir einmal die Augen und stellen uns eine Winterlandschaft vor. Schnee auf Höhen und in Tälern, dunkle Nadelwälder in Weiß, weite Auen auch. Seen ruhen still unter einer dicken Frosthaut. Bei jedem Schritt knirscht es unter den Stiefeln, der Atem kondensiert zu kleinen Wölkchen. Wintersoldat El Capitan steht Wache in Schneetarn. Alle Tiere im Wald tragen Hermelin, außer den Braunbären, die finden das doof. Wenn später am Tag eine schwache Sonne durchbricht, krickelt und krackelt die gefrorene Gischt an den Wasserfällen und spritzelt in schillernden Tropfen in die Tiefe. Obwohl Schneepflüge im Dauereinsatz sind, bleiben Straßen in den höheren Lagen gesperrt und weiter unten ist ohne Ketten um die Reifen kein Durchkommen, denn der Schnee reicht schon fast bis zum oberen Bereich der Reflektorenstangen am Straßenrand. Ski und Rodel sind saugut, an der Zipline sausen Fun-Touristen brüllend über schneeverschneite Baumwipfel, weiter unten snow-shoen sie durch die Gegend wie nicht gescheit. Auf dem Wintercampingplatz (nur kalte Duschen!) wetteifern sie in Polarschlafsackvergleichen (“meiner kann noch kälter als deiner”). Winter, wie er schöner nicht sein kann.

Genauso hatten Toni und ich uns das vorgestellt, als wir mit Schneeketten, Taschenlampen, Extraspritzelwasser, dicken Stiefeln und vielen gefütterten Kleidungsstücken* im Kofferraum am Samstag nach Yosemite aufgebrochen sind. Über den Highway 140 zum El Portal Eingang, weil der viel näher gelegene Westeingang wg. winterlichen Straßenverhältnissen auf dem Highway 120 gesperrt war.

Wer mich kennt, weiß, daß Winter und ich vollkommen unkompatibel sind. Ich habe mich aber dennoch überwunden, sehenden Auges und mit Todesverachtung in den Schnee zu reisen, weil ich Toni eine Freude machen wollte – und einmal im Leben ein Photo, das eines Ansel Adams würdig ist. Irgendeine Entität fand meine Tapferkeit offensichtlich belohnenswert, denn wir haben zwar Schnee gesehen, mal ganz oben am Berg oder einen winzigen Rest an einem schattigen Nordhang, wo die Sonne beim besten Willen nicht hinkommt, hie und da ein winziges bißchen Eis auf einer Pfütze im dunklen Wald und auf 6,192 Füßen Höhe ein paar vom Schneepflug zusammengebackene Schmutzhäufchen am Straßenrand, aber das wars dann auch mit Winter. Der Rest war Waldlaufen bei eitel Sonnenschein bei Höchsttemperaturen bis 18° C und mit staubigen Schuhen draußen picknicken. Nur bei den schwer malerischen Sonnenuntergängen (Bilder kommen am Wochenende) wars ein bißchen zapfig, aber nie unter Null.

Man ist ja als zugereister Kalifornier viel rumgekommen und sehr verwöhnt, hat schon mal woanders höhere und größere und rötere (!) Bäume gesehen und mindestens genauso tolle Wasserfälle, Bergseen, Sonnenuntergänge, Schluchten – aber Yosemite kriegt es hin hin, einen zu begeistern und zu beeindrucken. Soviel Granit. Soviel bunte Gesteinsschichten. So wahnsinnig viel Wald. Und fallende Wasser. Und Wolfsfüchse.**

Ich habe zwar immer gemeutert, wenn irgendwo “Upper”-Irgendwas stand oder gar, daß ein Hike “strenuous” sei, ge-hiked bin ich trotzdem wie der Teufel, weil dem Amerikaner so gut wie jede Entfernung, die er zwischen zwei Punkten zu Fuß zurücklegt, als Wanderung gildet. Und weil Toni auch Wanderkarten lesen kann, sind wir immer genau da angekommen, wo er gesagt hat, daß wir ankommen werden. Orientierungsvermögen ist schon eine sehr praktische Eigenschaft. Im nächsten Leben nehme ich davon zwei.

Es gibt mehr zu erzählen, aber für heute bin ich müde – stay tuned für die Fortsetzung, in der ich Selfie-Sticks und “Frozen” bannen werde, erwähnen, daß beim Rückweg selbst der Highway 120 wieder “open” war (viiieeel zu warm für die Jahreszeit) und davon berichten, welcher Zusammenhang zwischen Dummspringrehen und Leihwagen besteht.

Für heute danke ich den Eltern King, daß sie Mitte April 1928 ihren Buben Martin Luther gezeugt haben und wir zu dessen Geburtstag immer am 3. Montag im Januar freihaben und deswegen ein ganzes langes Vorfühlingswinterwochenende in Yosemite verbringen konnten. Außerdem Toni fürs Elendsgegurke.

 

* Beim Einpacken schwer gesucht nach Mützeschalhandschuhen – wo hab ich die nach meinem letzten Aufenthalt am Polarkreis bloß hingepackt? Ich brauch das Zeug ja nie. Hihi.

** Strubbelige hochbeinige Fleckviecher rollen in der Abenddämmerung im Rudel aus dem Wald und blödeln auf einer Lichtung herum. Toni schließt messerscharf: “Ui, schau, Füchse”, ich verkünde zeitgleich und ebenso überzeugt: “Ui, schau, Wölfe”. Im “Know-your-animals-Park Guide” steht unter einem den Tieren sehr ähnlichen Bild “Coyote”. Pah!