Winterwunderland

Jetzt schließen wir einmal die Augen und stellen uns eine Winterlandschaft vor. Schnee auf Höhen und in Tälern, dunkle Nadelwälder in Weiß, weite Auen auch. Seen ruhen still unter einer dicken Frosthaut. Bei jedem Schritt knirscht es unter den Stiefeln, der Atem kondensiert zu kleinen Wölkchen. Wintersoldat El Capitan steht Wache in Schneetarn. Alle Tiere im Wald tragen Hermelin, außer den Braunbären, die finden das doof. Wenn später am Tag eine schwache Sonne durchbricht, krickelt und krackelt die gefrorene Gischt an den Wasserfällen und spritzelt in schillernden Tropfen in die Tiefe. Obwohl Schneepflüge im Dauereinsatz sind, bleiben Straßen in den höheren Lagen gesperrt und weiter unten ist ohne Ketten um die Reifen kein Durchkommen, denn der Schnee reicht schon fast bis zum oberen Bereich der Reflektorenstangen am Straßenrand. Ski und Rodel sind saugut, an der Zipline sausen Fun-Touristen brüllend über schneeverschneite Baumwipfel, weiter unten snow-shoen sie durch die Gegend wie nicht gescheit. Auf dem Wintercampingplatz (nur kalte Duschen!) wetteifern sie in Polarschlafsackvergleichen (“meiner kann noch kälter als deiner”). Winter, wie er schöner nicht sein kann.

Genauso hatten Toni und ich uns das vorgestellt, als wir mit Schneeketten, Taschenlampen, Extraspritzelwasser, dicken Stiefeln und vielen gefütterten Kleidungsstücken* im Kofferraum am Samstag nach Yosemite aufgebrochen sind. Über den Highway 140 zum El Portal Eingang, weil der viel näher gelegene Westeingang wg. winterlichen Straßenverhältnissen auf dem Highway 120 gesperrt war.

Wer mich kennt, weiß, daß Winter und ich vollkommen unkompatibel sind. Ich habe mich aber dennoch überwunden, sehenden Auges und mit Todesverachtung in den Schnee zu reisen, weil ich Toni eine Freude machen wollte – und einmal im Leben ein Photo, das eines Ansel Adams würdig ist. Irgendeine Entität fand meine Tapferkeit offensichtlich belohnenswert, denn wir haben zwar Schnee gesehen, mal ganz oben am Berg oder einen winzigen Rest an einem schattigen Nordhang, wo die Sonne beim besten Willen nicht hinkommt, hie und da ein winziges bißchen Eis auf einer Pfütze im dunklen Wald und auf 6,192 Füßen Höhe ein paar vom Schneepflug zusammengebackene Schmutzhäufchen am Straßenrand, aber das wars dann auch mit Winter. Der Rest war Waldlaufen bei eitel Sonnenschein bei Höchsttemperaturen bis 18° C und mit staubigen Schuhen draußen picknicken. Nur bei den schwer malerischen Sonnenuntergängen (Bilder kommen am Wochenende) wars ein bißchen zapfig, aber nie unter Null.

Man ist ja als zugereister Kalifornier viel rumgekommen und sehr verwöhnt, hat schon mal woanders höhere und größere und rötere (!) Bäume gesehen und mindestens genauso tolle Wasserfälle, Bergseen, Sonnenuntergänge, Schluchten – aber Yosemite kriegt es hin hin, einen zu begeistern und zu beeindrucken. Soviel Granit. Soviel bunte Gesteinsschichten. So wahnsinnig viel Wald. Und fallende Wasser. Und Wolfsfüchse.**

Ich habe zwar immer gemeutert, wenn irgendwo “Upper”-Irgendwas stand oder gar, daß ein Hike “strenuous” sei, ge-hiked bin ich trotzdem wie der Teufel, weil dem Amerikaner so gut wie jede Entfernung, die er zwischen zwei Punkten zu Fuß zurücklegt, als Wanderung gildet. Und weil Toni auch Wanderkarten lesen kann, sind wir immer genau da angekommen, wo er gesagt hat, daß wir ankommen werden. Orientierungsvermögen ist schon eine sehr praktische Eigenschaft. Im nächsten Leben nehme ich davon zwei.

Es gibt mehr zu erzählen, aber für heute bin ich müde – stay tuned für die Fortsetzung, in der ich Selfie-Sticks und “Frozen” bannen werde, erwähnen, daß beim Rückweg selbst der Highway 120 wieder “open” war (viiieeel zu warm für die Jahreszeit) und davon berichten, welcher Zusammenhang zwischen Dummspringrehen und Leihwagen besteht.

Für heute danke ich den Eltern King, daß sie Mitte April 1928 ihren Buben Martin Luther gezeugt haben und wir zu dessen Geburtstag immer am 3. Montag im Januar freihaben und deswegen ein ganzes langes Vorfühlingswinterwochenende in Yosemite verbringen konnten. Außerdem Toni fürs Elendsgegurke.

 

* Beim Einpacken schwer gesucht nach Mützeschalhandschuhen – wo hab ich die nach meinem letzten Aufenthalt am Polarkreis bloß hingepackt? Ich brauch das Zeug ja nie. Hihi.

** Strubbelige hochbeinige Fleckviecher rollen in der Abenddämmerung im Rudel aus dem Wald und blödeln auf einer Lichtung herum. Toni schließt messerscharf: “Ui, schau, Füchse”, ich verkünde zeitgleich und ebenso überzeugt: “Ui, schau, Wölfe”. Im “Know-your-animals-Park Guide” steht unter einem den Tieren sehr ähnlichen Bild “Coyote”. Pah!

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