Edward A. Murphy, jr. gewidmet

Man mag manchmal zweifeln und häufig auch zu Recht. Nur eines ist sicher, nämlich, daß das Brot immer auf die Marmeladenseite fällt und daß, wenn man mit einer sehr bemessenen Anzahl an Klamotten reist, sich ausgerechnet die Lieblingshose einen bösen Riß zuzieht. Ich habe kein großes Talent für Nadelarbeiten (es sei denn, es wären Stricknadeln) und das bißchen, was ich an Nähzeug besitze, nähert sich deutschen Küsten gerade sehr langsam auf einem Schiff, wahrscheinlich tief unten in einem Karton mit der Aufschrift “Diverses”. Ich brauche Hilfe. Wie heißt gleich noch mal der 2. Katastrophen-Lehrsatz? Genau: “Fall’n die Kleider dir vom Leiber, hülft eilends, flugs und gern der Schneider.” (Ja, die fünf Taler Strafgebühr sind bereits in die Schlechte-Reime-Kasse einbezahlt worden. Nachforderungen somit zwecklos.)

Ab dann ist es ein Spaziergang: das Büro, in dem man mir Asyl gewährt, liegt auf der Schwanthaler Straße und ich gehe jeden Tag wenigstens einmal an einem Laden vorbei, wo es Telefonkarten gibt, günstige Reisen, Western Union, Ülker-Süß- und Salzigkeiten, ein Internetcafé, einen Kühlschrank voller Seltsamgetränke (und, ja doch, Christoph, und Fanta auch), Telefone und sonstige Kleinelektronik, Schreibwaren, Schmuck, tütenweise Knusperkörner, Schlappen, Kopftücher, Baklava, Shisha-Kohlen und -Tabak und hinten, hinten residiert Herr Yilmaz mit seiner Änderungsschneiderei. Wir werden uns schnell einig: “Riß? Muß zu!”, suchen gemeinsam die passendste Nähseide aus und Herr Yilmaz gibt mir “Quittung, wenn ich nix da”.

Falls mal wer einen Schneider braucht – nehmt diesen. Einfach zwischen Telefontheke und Bank durchgehen, Ülker rechts und Internetcafécomputerreihen links liegen lassen und dann dem Pfeil nach hinten folgen. “Morrgen fertick.”

Der große Unterschied

Es gibt wenig, was einen in Amerika noch kreditwürdiger macht, als zur 7., 12, 19. Kreditkarte noch eine 8., 13. oder 20. in den Geldbeutel zu stopfen. Selbstverständlich alle längst “pre-approved” und im ersten Jahr sowieso gebührenfrei und im vollen Rahmen überziehbar und dazu noch zu jedem Einkauf Punkte und Extrarabatte und weiß der Teufel was alles. Und alles vollkommen “free” und umsonst, von dem bißchen Restprivatsphäre abgesehen, das der Konsument sich bis dahin möglicherweise bewahrt hatte. Groß kümmern tut das keinen, das Marketing funktioniert, und der Kunde bekommt – vermeintlich – viel mehr, als er gibt. Alles, was das Herz begehrt, im Idealfall noch am gleichen Tag, selbstverständlich frei Haus geliefert und wenn’s wirklich mal dem Kundenwunsch nicht entsprechen sollte, dann nimmt der Briefträger die falsche Ware wieder mit und bringt am nächsten Tag noch was viel viel besseres. Vorausgesetzt, der Kunde zahlt. Wenn nicht, dann nicht. Dann holt sich die Kreditkartenfirma ihr Geld zurück. Jeden Cent und jeden Dollar. Mit langem Atem und Zins und Zinseszinsen und der gerade noch so unbekümmerte Konsument ist zum Schuldner geworden. Wenns ganz schlecht läuft, für den Rest seines Lebens. Als ich vor ein paar Wochen hingegen hier eine zweite Kreditkarte beantragte, wollte der Anbieter zuallererst wissen, ob ich nicht eigentlich schon eine hätte… Manchem Amerikaner hätte diese Art Verbraucherschutz wahrscheinlich Kopf und Kragen gerettet.

Dann hatte ich die neue Karte endlich in Händen und wollte damit Geld ausgeben. (Die Geschichte vom Ausflug zum Postcontainer in die Englschalkinger (oder sonst so wo) Peripherie oder davon, daß das Kreditlimit im ersten Monat bei 200 Euro liegt, erzähle ich auf Anfrage gerne in langen kalten Winternächten am Kamin). Einkaufen. Online. Bei einem Bekleidungshaus, so, wie ichs mir in Amerika angewöhnt hatte. Schnell und unkompliziert. Ja. Nein. Nicht ganz.

Also, angefangen hatte es ursprünglich damit, daß meine Mutter noch einen Gutschein von einem kleinen Versandhandel rumliegen hatte, von dem sie vermutetete, daß er sein Gültigkeitsdatum längst überschritten habe und nicht zuletzt deshalb das ideale Geschenk für die heimgekehrte Tochter sei.

Ich hatte in Erinnerung, daß die Befristung von Gutscheinen rechtlich zumindest eine Grauzone darstellt und dies auch in meinem Telefonat mit dem Versandhändler zum Ausdruck gebracht, worauf man sich zur “Überprüfung der Gutscheinnummer” zurückzog (den Prozeß hat man sich als Laie so vorzustellen, daß mir für ein paar Minuten “Für Elise” ins Ohr geschrammelt wurde und der Versandhändlerzuständige derweil aus dem Fenster starrte) und anschließend mitteilte, ja, doch, man werde den Gutschein “aus Kulanz” akzeptieren und wünsche mir ein “schönes Einkaufserlebnis”. Ich glaube allerdings inzwischen, daß außer meiner Hörweite dieser Dialog ablief: “Und was will die?” … “Was kaufen? Von uns? Hat die sich mal überlegt, was für einen Aufwand das für uns bedeutet?” … “Hat sie nicht. War ja klar. Wie wärs, wenn wir der jetzt im Gegenzug einfach mal was Fehlerhaftes liefern, und dann sieht sie nämlich mal, wie das ist…”

Prima, geht doch. Da bestelle ich doch flugs online eine schöne warme Jacke. Ich gebe den Gutscheincode ein (was wider Erwarten auf Anhieb klappt) und bezahle die Differenz flott per Kreditkarte. Nein, tue ich nicht. Kreditkarten werden nicht angenommen. Dann nicht. Die EC-Karte vielleicht? Nein, auch nicht. Mit Plastik haben sie’s einfach nicht. “Sofortüberweisung” kenn ich nicht (und will ich nicht), obwohl mich diese Option die ganze Zeit geradezu aufdringlich anblinkt – Herr im Himmel, wie kriege ich jetzt diese paar extra Kreuzer an den Mann? Was tut man nicht alles für eine warme Jacke – nach drei Mal Bestätigungs-e-mail-Hin- und Her sind sie bereit, das Geld per Lastschrift einzuziehen. Danke, oh guter Warme-Jacken-Händler. Danke. In der Zeit, die ich inzwischen auf diese Bestellung verbraten habe, hätte ich ein komplettes Schaf scheren und die Wolle schon mal waschen können.

Man ist zugegebenermaßen als Bis-vor-kurzem-noch-amerikanischer-Konsument total verwöhnt. Da kann man selbstverständlich sein Päckchen “tracken” und weiß so ungefähr, in welchem Vierstunden-Zeitfenster die Ware eintreffen wird. Hier jetzt eher nicht so. Es bleibt die Hoffnung, daß er schon irgendwann liefern wird, der grummelige prekär Beschäftigte in seinem Hemd mit dem Götterbotenlogo. Tut er. Irgendwann. Und dann ist das warme Jackele da und warm und paßt und hat – einen defekten Reißverschluß. Darn it. Das ist sie, die Rache der Bestellungsannehmer – jetzt kann ich mich nämlich mit der Rückgabe mangelhafter Ware herumschlagen.

Ganz einfach sei das, steht auf der Rechnung. Ich brauche, was in den USA schon undenkbar wäre, nur eine gebührenpflichtige Rufnummer anzurufen und mit der freundlichen Dame am anderen Ende einen Abholtermin fürs originalverpackte Packele vereinbaren. Wählen. Warten. Dame dran. “Ja, also, ich hab da eine Retoure…” “Umtauschen machen wir hier nicht. Das müssense zurückschicken und neu bestellen.” “Ja, will ich ja. Die Ware ist nämlich defekt.” Kein Wort des Bedauerns oder der Entschuldigung oder dergleichen kommt der Dame über die Lippen, stattdessen herrscht sie mich an: “Knnmmr?” Wir klären auf meine Kosten, daß sie damit “Kundennummer” meint und sie läßt mich alles herunterbeten: Name, Kundennummer, Rechnungsnummer, Liefer- und Abholadresse, Artikelnummer, wiederholt jede Angabe, verspricht sich jeweils mindestens einmal und fängt dann nochmal von vorne an und ich spüre, wie um mein Haupt herum kleine Rauchwölkchen aufsteigen. Gleich breche ich aus! Und mit guten Grund. Als ich ihr nämlich sagen will, welcher Abholtag mir konvenieren täte, pariert sie damit, daß sie immer nur für den nächsten Werktag disponiere. “Was anderes gann mein Gombuder nüsch.” Blöd, aber üsch gann am nächsten Dag nüsch. Hrrrrgggnnn! Ruf ich halt die Woche drauf nochmal an und bin fast ein bißchen überrascht, daß die Abholung tatsächlich reibungslos funktioniert. Übrigens: Die Wolle meines imaginären Schafs hat inzwischen mehrere Waschgänge durchlaufen und liegt in einem duftend weichgespülten Haufen vor mir.

Warum würde es mich nicht wundern, wenn ich sie, bis ich dann auch das Geld wiederhabe, längst gesponnen, verwoben und zum Janker gewalkt hätte? Macht nix. Heute bin ich gnädig. Allemal besser als nur hirnloser Nochmehrkonsum.

Tageslosung

Der “Meine-Jugend-in-der-DDR”-Chronistin Kerstin Gueffroy, die da klagt “Mir fällt immer wieder meine Jugend auf die Füße” möchte ich, frei nach Asterix, zurufen: alles halb so schlimm, Frau G.,  so lange Ihnen nur nicht der Himmel auf den Kopf fällt.

“Ein Hauptgewinn für jedes Team”

soll er sein, der Wunschkandidat eines stellenausschreibenden Unternehmens.

Hmmm. Wahrscheinlich darf man sich deren Auswahlprozess so vorstellen, daß der Personaler auf jede Bewerbung ein Nümmerle klebt und immer am letzten Montag im Quartal alle Abteilungsleiter zur Kandidatentombola zusammengerufen werden. Die blondeste Azubine im politisch nicht korrekten Obenunduntenkürzestkleidchen zieht dann unter Aufsicht des Firmenjustitiars Bewerbungsmappen aus einer Plexiglasglückstrommel (ab morgen wieder als Schirmständer im Empfangsbereich zu finden) und der glückliche Gewinnerabteilungsleiter kann dann schauen, wie und ob sein Hauptgewinn zu seinem Team paßt.

Irgendwie halte ich es nicht für ausgeschlossen, daß die eine recht große Fluktuation haben.

Fashionista rulez:

Über die etwas fülligere Dame werfen wir diesen Winter Sack und Asche und runden mit Glitzer ab. Für mutige Dicke empfehlen wir darüber hinaus Kätzchendrucke und Faux Fur* (gerne in Cremerosa) und das Zeuch muß wech.

Weiß ich, denn ich hatte heute zwischen zwei Terminen Zeit für einen Bummel in der Fußgängerzone. Soll nicht mehr vorkommen. Großes Modemuffelehrenwort!

* Faux Fur = Falschpelz.

Alles nix ohne Apostroph

Der Textilhändler Esprit wünscht das Selbstbewußtsein seiner jugendbewußten Kundschaft zu stärken, und plakatiert mehrmannshoch das Mantra: “I’m perfect“. Weil’s aber ohne Zwitscherei heutzutage nirgends mehr geht, trägt die Kundin auf den Tüten des Textilhändlers folgende verzweifelte Selbsterkenntnis durch die Fußgängerzonen der Republik: #imperfect. Bestenfalls also Präteritum (abgeschlossene Vergangenheit). Wörtlich übersetzt: mangelhaft, unvollendet, unvollkommen, unvollständig, nix rechtes. Genau, wie’s der große Seher Michael J. schon vor Jahren in die Welt gekiekst hat.

Diesem Lande mangelt es wirklich an Korrektoren.

Mr. Zuckerberg, übernehmen Sie!

Im Vierersitz neben mir drängelt sich eine siebenschürzige Gackerteeniegirlgroup und bereitet ihren Wiesenbesuch nach. “Wißt ihr, was echt voll uncool* ist?”, will eine wissen. Hmmm? Daß der Fünferlooping keine sechs Ringe hat? Daß die elterliche Oktoberfestbesuchsapanage wieder viel zu knapp bemessen war? Daß der Typ vor dem Zelt der Sarah auf die Schuhe gekotzt hat? Nein, alles nicht. Oder schon. Aber nicht, was sie gemeint hat. Voll uncool sei, daß es auf Facebook keinen Status “Ausnahmezustand” mit Biermotiven gebe.

Ja. Find ich auch. WTF?

 

* Ich bin nicht mehr ganz sicher, ob sie “uncool” gesagt hat; ich habe, was immer zur Zeit in der Jugendsprache synonym dazu verwendet wird, hiermit für alle Post-Teenager (mich eingeschlossen) lokalisiert.

Quo vadis?

Sie suchen das Abenteuer und reisen gerne? Aber der Amazonas ist Ihnen einfach zu weit weg, und mit dem Fliegen haben Sie’s auch nicht so? Macht nix, wir bieten genau die richtige Wagnisreise für Sie! Da bleibt kein Auge trocken, wir garantieren Nervenkitzel, Risiko, Spektakel, Menschen, Tiere, Sensationen. Kommen Sie näher, steigen Sie ein.

Mooment:
vorher noch eine Fahrkahrte für die richtigen Zonen kaufen. Für den oritschinäl Adventure-Traveller jetzt mit Kartenzahlung am Automaten. Dann entwerten! Hammas?

Dann geht’s jetzt los, mit der S7 von Wolfratshausen nach Kreuzstraße. Oder? Naaa. Neda. Nicht jetzt. “Dieser Zug fällt aus.” Nehmen’S einfach den nächsten, und wir von der DB können jetzt weiß Gott nichts dafür, daß Sie ausgerechnet in eine Gegend gezogen sind, wo’s noch keinen 20-Minuten-Takt gibt. Was wollen Sie überhaupt? Könnt’ doch viel schlimmer sein, könnt’ doch regnen. Oder schneien.

So, da isser ja. Ihr Zug. Hinein mit Ihnen! Frohe Fahrt. Wie? Warum wir auf offener Strecke stehen bleiben? Ja, hören’S halt hin, was der Fahrer sagt, Sie Depp! “Unsere Weiterfahrt verzögert sich.” Da, sehen Sie, es dauert halt a bisserl. Haben Sie sich doch nicht so. Wie? Termine? Unpünktlich? Dann müssen Sie halt rechtzeitig losfahren. [Beiseite:] Also, ehrlich, manche Leut’ sind einfach nicht alltagstauglich… “Unsere Weiterfahrt verzögert sich weiterhin.” Und zum Lesen hat er auch nix dabei, dabei könnte man auf dieser Fahrt endlich Krieg & Frieden, Teil 2 angehen.

“Wegen Verspätungen auf der Strecke werden folgende Bahnhöfe nicht angefahren: Nu-grzzppzzz-sch-schel und Nu-grzzppzzz-sch-schel. Fahrgäste mit dem Fahrtziel Nu-grzzppzzz-sch-schel werden gebeten, in den nachfolgenden Zug umzusteigen.” Wie, Sie haben eine Fahrkarte erworben? Und das halten Sie für einen Beförderungsanspruch? In angemessener Zeit zum von Ihnen gewählten Fahrtziel? Woaßt, Bürscherl, jetzad kommst mit mir raus und dann zeig i dir ‘angemessen’. I glaub, der spinnt. Einer wie der hat halt keine Freunde, die ihn a mal von der nächsten Haltestelle mit dem Auto abholen täten. Selber schuld.

Hier spricht Sabine und ich hab Glück. Ich habe eine Annette, der das auch zu doof ist, daß ich irgendwo in der Pampa herumsitze und im Nieselregen vom Bahnhofslautsprecher zu hören bekomme, daß der nächste Zug 5 / 10 / 15 /18 Minuten Verpätung haben wird und die flott herbeigebraust kommt und mich mit dem Auto abholt. (Wir sind sehr lässig vor dem nächsten Zug daheim. Sehr lässig.)

Haben Züge eigentlich Partnerzüge, so wie Städte Partnerstädte? Wenn ja, dann haben die S7 und der CalTrain einander gesucht und gefunden.

Aus einer Stellenanzeige

Diese Aufgaben könnten Sie in Zukunft übernehmen: In Empfangnahme und Weiterleitung von Informationen, Verwaltunsaufgaben, Reiskostenerstellung.

Kein Problem, werter potentieller Arbeitgeber, alles easy, mal abgesehen von der Reiskostenerstellung. Auberginen? Kein Problem. Aber Reis? Reis ist echt schwer.

(Falls Sie übrigens in Zukunft gerne weniger als drei Fehler in einem Satz hätten, stehe ich – gegen ein kleines Honorar – als Korrekturleser für weitere Annoncen zur Verfügung.)