Es gibt wenig, was einen in Amerika noch kreditwürdiger macht, als zur 7., 12, 19. Kreditkarte noch eine 8., 13. oder 20. in den Geldbeutel zu stopfen. Selbstverständlich alle längst “pre-approved” und im ersten Jahr sowieso gebührenfrei und im vollen Rahmen überziehbar und dazu noch zu jedem Einkauf Punkte und Extrarabatte und weiß der Teufel was alles. Und alles vollkommen “free” und umsonst, von dem bißchen Restprivatsphäre abgesehen, das der Konsument sich bis dahin möglicherweise bewahrt hatte. Groß kümmern tut das keinen, das Marketing funktioniert, und der Kunde bekommt – vermeintlich – viel mehr, als er gibt. Alles, was das Herz begehrt, im Idealfall noch am gleichen Tag, selbstverständlich frei Haus geliefert und wenn’s wirklich mal dem Kundenwunsch nicht entsprechen sollte, dann nimmt der Briefträger die falsche Ware wieder mit und bringt am nächsten Tag noch was viel viel besseres. Vorausgesetzt, der Kunde zahlt. Wenn nicht, dann nicht. Dann holt sich die Kreditkartenfirma ihr Geld zurück. Jeden Cent und jeden Dollar. Mit langem Atem und Zins und Zinseszinsen und der gerade noch so unbekümmerte Konsument ist zum Schuldner geworden. Wenns ganz schlecht läuft, für den Rest seines Lebens. Als ich vor ein paar Wochen hingegen hier eine zweite Kreditkarte beantragte, wollte der Anbieter zuallererst wissen, ob ich nicht eigentlich schon eine hätte… Manchem Amerikaner hätte diese Art Verbraucherschutz wahrscheinlich Kopf und Kragen gerettet.
Dann hatte ich die neue Karte endlich in Händen und wollte damit Geld ausgeben. (Die Geschichte vom Ausflug zum Postcontainer in die Englschalkinger (oder sonst so wo) Peripherie oder davon, daß das Kreditlimit im ersten Monat bei 200 Euro liegt, erzähle ich auf Anfrage gerne in langen kalten Winternächten am Kamin). Einkaufen. Online. Bei einem Bekleidungshaus, so, wie ichs mir in Amerika angewöhnt hatte. Schnell und unkompliziert. Ja. Nein. Nicht ganz.
Also, angefangen hatte es ursprünglich damit, daß meine Mutter noch einen Gutschein von einem kleinen Versandhandel rumliegen hatte, von dem sie vermutetete, daß er sein Gültigkeitsdatum längst überschritten habe und nicht zuletzt deshalb das ideale Geschenk für die heimgekehrte Tochter sei.
Ich hatte in Erinnerung, daß die Befristung von Gutscheinen rechtlich zumindest eine Grauzone darstellt und dies auch in meinem Telefonat mit dem Versandhändler zum Ausdruck gebracht, worauf man sich zur “Überprüfung der Gutscheinnummer” zurückzog (den Prozeß hat man sich als Laie so vorzustellen, daß mir für ein paar Minuten “Für Elise” ins Ohr geschrammelt wurde und der Versandhändlerzuständige derweil aus dem Fenster starrte) und anschließend mitteilte, ja, doch, man werde den Gutschein “aus Kulanz” akzeptieren und wünsche mir ein “schönes Einkaufserlebnis”. Ich glaube allerdings inzwischen, daß außer meiner Hörweite dieser Dialog ablief: “Und was will die?” … “Was kaufen? Von uns? Hat die sich mal überlegt, was für einen Aufwand das für uns bedeutet?” … “Hat sie nicht. War ja klar. Wie wärs, wenn wir der jetzt im Gegenzug einfach mal was Fehlerhaftes liefern, und dann sieht sie nämlich mal, wie das ist…”
Prima, geht doch. Da bestelle ich doch flugs online eine schöne warme Jacke. Ich gebe den Gutscheincode ein (was wider Erwarten auf Anhieb klappt) und bezahle die Differenz flott per Kreditkarte. Nein, tue ich nicht. Kreditkarten werden nicht angenommen. Dann nicht. Die EC-Karte vielleicht? Nein, auch nicht. Mit Plastik haben sie’s einfach nicht. “Sofortüberweisung” kenn ich nicht (und will ich nicht), obwohl mich diese Option die ganze Zeit geradezu aufdringlich anblinkt – Herr im Himmel, wie kriege ich jetzt diese paar extra Kreuzer an den Mann? Was tut man nicht alles für eine warme Jacke – nach drei Mal Bestätigungs-e-mail-Hin- und Her sind sie bereit, das Geld per Lastschrift einzuziehen. Danke, oh guter Warme-Jacken-Händler. Danke. In der Zeit, die ich inzwischen auf diese Bestellung verbraten habe, hätte ich ein komplettes Schaf scheren und die Wolle schon mal waschen können.
Man ist zugegebenermaßen als Bis-vor-kurzem-noch-amerikanischer-Konsument total verwöhnt. Da kann man selbstverständlich sein Päckchen “tracken” und weiß so ungefähr, in welchem Vierstunden-Zeitfenster die Ware eintreffen wird. Hier jetzt eher nicht so. Es bleibt die Hoffnung, daß er schon irgendwann liefern wird, der grummelige prekär Beschäftigte in seinem Hemd mit dem Götterbotenlogo. Tut er. Irgendwann. Und dann ist das warme Jackele da und warm und paßt und hat – einen defekten Reißverschluß. Darn it. Das ist sie, die Rache der Bestellungsannehmer – jetzt kann ich mich nämlich mit der Rückgabe mangelhafter Ware herumschlagen.
Ganz einfach sei das, steht auf der Rechnung. Ich brauche, was in den USA schon undenkbar wäre, nur eine gebührenpflichtige Rufnummer anzurufen und mit der freundlichen Dame am anderen Ende einen Abholtermin fürs originalverpackte Packele vereinbaren. Wählen. Warten. Dame dran. “Ja, also, ich hab da eine Retoure…” “Umtauschen machen wir hier nicht. Das müssense zurückschicken und neu bestellen.” “Ja, will ich ja. Die Ware ist nämlich defekt.” Kein Wort des Bedauerns oder der Entschuldigung oder dergleichen kommt der Dame über die Lippen, stattdessen herrscht sie mich an: “Knnmmr?” Wir klären auf meine Kosten, daß sie damit “Kundennummer” meint und sie läßt mich alles herunterbeten: Name, Kundennummer, Rechnungsnummer, Liefer- und Abholadresse, Artikelnummer, wiederholt jede Angabe, verspricht sich jeweils mindestens einmal und fängt dann nochmal von vorne an und ich spüre, wie um mein Haupt herum kleine Rauchwölkchen aufsteigen. Gleich breche ich aus! Und mit guten Grund. Als ich ihr nämlich sagen will, welcher Abholtag mir konvenieren täte, pariert sie damit, daß sie immer nur für den nächsten Werktag disponiere. “Was anderes gann mein Gombuder nüsch.” Blöd, aber üsch gann am nächsten Dag nüsch. Hrrrrgggnnn! Ruf ich halt die Woche drauf nochmal an und bin fast ein bißchen überrascht, daß die Abholung tatsächlich reibungslos funktioniert. Übrigens: Die Wolle meines imaginären Schafs hat inzwischen mehrere Waschgänge durchlaufen und liegt in einem duftend weichgespülten Haufen vor mir.
Warum würde es mich nicht wundern, wenn ich sie, bis ich dann auch das Geld wiederhabe, längst gesponnen, verwoben und zum Janker gewalkt hätte? Macht nix. Heute bin ich gnädig. Allemal besser als nur hirnloser Nochmehrkonsum.