Münchener “Superwochenende”

Dass die Straßen total verstopft sind, nehme ich mit Gleichmut hin, dass in der U-Bahn in meiner Eine-Station-vor-der-Endstation-Haltestelle schon kein Sitzplatz mehr zu finden ist, weniger. Was ist denn bloß hier los?

Fans mit rot-weiß-blauen-Schals knurren andere mit blau-weißen an – ah, in der Allianz-Arena spielt Bayern gegen Schalke. Ohne mich. Auch die bauma, “Weltleitmesse für Baumaschinen” (Eigenwerbung) wird auf mich verzichten müssen, meinen Bedarf an sich im Wind wiegenden Kränen habe ich letzte Woche schon mit einem Blick im Vorbeifahren auf dem Weg nach Tölz gedeckt. Des weiteren sind erschreckend viele Menschen aller Hautfarben als Bayern kostümiert unterwegs, und weil ich sicher bin, dass hier gerade nix mit Fetisch abgeht (ach, Folsom Street Fair…) und weil sie alle am Goetheplatz aussteigen, ist denen wohl das Frühlingsfest Anlaß, Dirndljankerlederhosenhaferlschuh mit viel Gebamsel auszuführen. Hab ich nicht, will ich nicht. Viele andere tragen leere Einkaufsbehälter mit sich. Beutel, Wagerl, Rucksäcke, Riesenplastikkarotaschen. Die sind entweder auf dem Weg zum großen Rotkreuzflohmarkt auf der Theresienwiese und daran kenntlich, dass sie auch am Goetheplatz herausdrängen oder zum Mid-Season-Sale (doch, das heißt jetzt hier so) in der Fußgängerzone, wo es seit neuestem keine Plastiktüten mehr für umme zum Einkauf dazu gibt.

Ich habe es inzwischen nach oben vor das Kino am Goetheplatz geschafft, umdrängelt und angerempelt von Trachtenheinis, Kinderwagenschiebern, Radlern und Behältnisträgern und eigentlich schon keine Lust mehr auf Flohmarkt. Viel zu viele Menschen! Und brauchen tu ich auch nichts, ich habe im letzten Jahr mehr als genug ein- und ausgepackt und entrümpelt, ü-ber-haupt keinen Platz sowie äußerst gute Vorsätze. Nix einkaufen! Höchstens vielleicht eine schlichte Gießkanne für die Kräuterinstallation in meiner Küche, gerne aus Edelstahl, mit einem ganz langen dünnen Hals, aber die gäbe es bei Amazon auch und ich könnte dann ganz in Ruhe und menschenfrei den Samstagnachmittag mit der Wochenendeausgabe der SZ… – ‘Nix da, Sabine!’ schimpft meine Innere Stimme. ‘Wir lassen das jetzt mal mit der Misanthropie und schwimmen mit dem Menschenstrom. Denk doch an früher, und wie gern du speziell diesen Flohmarkt immer gemocht hast. Das wird bestimmt nett. Und nun geh zu!’

Gut, gehe ich halt weiter. Aber mit dem festen Vorsatz, den Flohmarkt nicht zu mögen und ihn nach einer kurzen Schleife Flohmarkt sein zu lassen. Es kommt anders. Erstens bin ich im Gegensatz zu früher sehr spät dran, viele Verkäufer haben ihre Stände schon eingepackt, andere sind gerade dabei und damit wird das ohnehin schon sehr weitläufige Gelände etwas luftiger und erträglicher. Und zweitens habe ich einen Heidenspaß daran, Leut’ zu gucken. Wie sie unsäglichen Kruscht an Mann oder Frau zu bringen versuchen, wie sie miteinander feilschen, wie Einwanderer dieses Millenniums die Nachfahren der Einwanderer aus den Siebzigern des Wuchers zeihen, wie manche glücksbeseelt aus zurückgelassenen Restehaufen noch ihren ganz persönlichen Schatz bergen – doch, das ist schon schön. Inzwischen scheint die Sonne wieder auf den matschigen Platz und ich brauche immer noch nichts, stelle jedoch mit Freude fest, dass Marokkaner den Handel mit Stinkelederwaren sowie exotischem Schnitzgetier immer noch fest in der Hand zu haben scheinen, Hawaiianer fürs bunte Stöffscheflatterzeug hinzugekommen sind und echte Hopi, mit Hopi-Echtheitszertifikat an den Standtotempfahl genagelt (wahrscheinlich vom Karl-May-Reservat in Bad Segeberg), Traumfänger und anderes Indianeresoterikzeug unters aufnahmebereite Volk bringen. Was paßt auch besser zur Kaufhaustracht als eine Totemtierkette* made in China?

Ich habe zwischenzeitlich ein Kaffeemaß erhandelt (meine waren seit dem Umzug verschollen), ein Paar wollene Handschuhe mit integrierten Stulpen (der nächste Winter kann kommen, muß aber nicht), eine aus Milchtetrapackstreifen geflochtene Umhängetasche (doppelt gutes Gewissen wg. quasi doppeltem Recycling), noch keine fünf Euro ausgegeben und außerdem genug. Mein Schnauze-Voll-Gefühl wird ins Unermeßliche gesteigert, als ich mich am Rand des Frühlingsfestes zur U-Bahn-Station “Theresienwiese” durchmogeln will. Fahrgeschäfteausrufer brüllen durcheinander, Bässe dröhnen noch durcheinanderer, Musikähnliches und Helene Fischer scheppern mir die Ohren wund, Bier-, Bratwurscht-, Brennmandel- und viele andere Schwaden beleidigen meine Nase, alles drängelt, tümelt, rempelt, schubst als gäbe es kein Morgen. Nein, da will ich nicht verweilen, um mir ein Tütchen gebrannte Mandeln zu holen. Ich will nur noch weg. Nach Hause, wo’s still ist und nicht stinkt.

Wieder was gelernt: nächstes Mal spare ich mir die An- und Abfahrten und lasse mich von Scotty beamen.

 

* Leider gabe es keinen Raupenanhänger, den hätte ich sonst für den jungen Mann erstanden, dessen weibliche Begleitung ihn mit den Worten “Your spirit animal is, like, a caterpillar that is, like, being stepped on” auf seinen Platz unter ihren mit Edelweiß und Peitschchen (?) verzierten Stiefeln verwies.

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