Fehlzündungen

“Kein Problem”, sagt die Dame vorhin an der Rezeption beim Doktor. Das kleine Mißverständnis, ob ich zu früh dran sei oder die Praxis den Termin falsch notiert habe, werde man gleich klären. Schließlich seien sie hier alle “erfahrene Hasen”.

PS: Ich hatte recht. Mußte aber trotzdem warten.

Gelesen: Wolf Haas – “Wackelkontakt”

So ein schönes Buch! Vielfach-Hach!

Ganz große Fabulierkunst vom Sprachartisten Haas, mit Einsprengseln, die den studierten Germanisten beim Spaßhaben zeigen. Und beim Wortschöpfen. Pars pro toto mein aktueller Liebling: “Versöhnungsrührung”, also die kurze Zeitspanne, in der man vergibt und Vergebung erhält und bereit ist, die aus diesem Anlaß gegebenen Versprechen einzuhalten.

Ich will gar nichts verraten und jede und jeden selbst in das persönliche Lese-… ja was? Abenteuer?, Phantasiereise?, Erlebnis? entlassen. Am besten gleich.

Lesen! Lesen! Lesen!

Neuland

Ich bin jedes Mal aufs neue irritiert, wenn ich im Internet von einer Maschine aufgefordert werde, nachzuweisen, dass ich ein Mensch bin.

Geht das nur mir so?

Nur echt mit 30 Türchen

Bei Penny habe ich einen Wir-versüßen-Ramadam-Kalender dieses Jahr zum ersten Mal gesehen. Der Hersteller Gama Zuckersüß versichert aber auf seiner Website, dass man diese “Tradition” schon seit 2015 pflege und über den deutschen Lebensmittelhandel vertreibe.

First things first

Mein Termin heute Vormittag hat länger gedauert als geplant und nun bin ich unterkoffeiniert und unterzuckert und Hunger habe ich auch. In diesem Zustand werde ich leicht schwer grätzig.

Was ein Glück, dass ich schon damals bei der Wohnungssuche darauf geachtet habe, dass hier Menschen verschiedener Nationalitäten mich mit ihren Landesküchen aus einer solchen Notlage befreien können. Pho? Nein, danke. Heute nicht. Ein Falafel-Dürüm mit alles (außer Zwiebeln) und scharf? Das isses.

Flugs wirft der Herr von Feinkost Başak ein paar Falafel in die Aufwärmschale (nach einem prüfenden Blick auf mich und meine gefletschten Fangzähne legt er noch eins nach), grillt den Fladen, bringt Soßen aus und belegt mit allem, was die Salatschalen hergeben (außer Zwiebeln) und streut ordentlich scharf drauf. Einmal gekonnt wickeln, dazwischen den Zahlungsvorgang erledigen, hah! Gleich gibts Essen.

Oben rasch aus den Stiefeln geschlüpft, Jacke und Schal aufgehängt, einen Teller geholt (soviel Tischkultur muss sein), Kiefer ausgehängt und abgebissen. Einen großen Mundvoll soßigen Salates im Teigmantel gekaut und geschluckt. Und nochmal. Jetzt müßten aber die heißen Falafel doch bald mal kommen? Oh Mann! Kein Falafel. Nirgends. Oh Mann, Osmane!

Also wieder in Stiefel, Jacke und Schal. Meine Falafel, stellt sich heraus, sind immer noch in der Mikrowelle. Das passiert uns aber nicht noch mal. Sobald das Brot geröstet und die Kichererbsenklöpschen wieder warm gedreht sind, machen wirs im zweiten Anlauf richtig. “Falafel zuerst!”

Afiyet olsun!

Mann! Mann! Mann!

Da will man weg von Jeff Bezos und den lokalen Buchhandel unterstützen und sucht ihn also auf, um den neuen Haas zu erwerben. Wird dort als erstes zum Ostertisch geschickt. Sieht sich gezwungen, zu spezifizieren. “Wolf Haas”. “Woholf Ha-as”. “Wackelkontakt”. “Mit dem knatschgelben Einband”. Grad, dass man nicht die ISBN aufsagt.

“Ah, das”, erinnert sich der Buchhändler, das habe man an der Kasse stehen gehabt, bis sich die Leute beschwerten, wegen der verwaschenen Schrift. Das, merke ich an, wollte ich gar nicht wissen. Ich will nur ein Exemplar kaufen, nicht daran denken, wie einfach das bei Jeff Bezos geht und hier wieder raus. Man habe, so der Herr Händler, eines im Fenster, das werde er jetzt für mich holen. Verschwindet. Kommt nach ca. 10 Minuten wieder. Da, befindet er, sei ja wohl der Bestand falsch. Im Fenster sei es nämlich nicht, ob ich es denn inzwischen im Laden gefunden hätte. Es sei ja doch “recht auffällig”. Nein habe ich nicht und verbiete mir jeden weiteren Gedanken an Jeff Bezos.

Dann, sagt the Händler-Man und seufzt resigniert, dann werde er das Buch eben für mich bestellen. Am Samstag gegen Mittag könne ich es abholen. Aber nicht vor 11:30 Uhr und nur bis 12:30 Uhr, dann müsse auch ein Buchhändler einmal ein Recht auf ein Wochenende haben. Mich beschleicht das Gefühl, er erwartet, dass ich für die vielen Umstände, die ich ihm gemacht habe und noch mache, nun angemessen um Entschuldigung bitten sollte.

Ich hingegen denke, dass ich nunmehr den Hugendubel-Abschiedsgeschenk-Gutschein meiner Hunsrücker Kollegen einlösen und sowas von auf den lokalen Buchhandel pfeifen werde.

Tirili.

Gestern im Literaturhaus: Ein Abend mit Jens Bisky zu seinem jüngsten Buch “Die Entscheidung. Deutschland 1929 bis 1934”

Angenehm unaufgeregt von Niels Beintker (BR) moderiert, bespricht Bisky, warum Berlin eben nicht Weimar ist und analysiert den herrschenden Alarmismus sehr schön als “historische Analogien auf Speed”.

Das anwesende Publikum war offensichtlich ein sehr gebüldetes und nickte und brummte immer zustimmend, wenn Bisky es einmal wieder mit einem “Wie wir alle wissen…” dazu animierte. Schon schön, wenn das Bildungsbürgertum im eigenen Saft mariniert und wie man sich einig ist, wenn die “geschichtspädagogischen Glöckchen” läuten…

Ich habe wieder viel gelernt über eine Zeit, von der ich viel zu wissen glaube und noch viele Lücken zu fülllen habe und freue mich schon auf die Lektüre von Biskys Buch und das Abarbeiten seiner Literaturempfehlungen.

Gelesen: Tim O’Brien – “America Fantastica”

Ich weiß noch gar nicht genau, was ich da gelesen habe. Wild. Absurd. Fantastisch. Ein Road-Book (wenn es Road-Movies geben kann, dann gibt es auch Road-Books, Ende der Diskussion) in bester Tradition eines Geschichtenerzählers wie Mark Twain.

Amerika ist befallen. Von “mythomania”. Einem Phänomen, das Lügen, Betrügen, Schummeln, Falsch-Sein zur neuen Religion erhebt. Wobei, Religion ist schon wieder verkehrt. Zutreffender vielleicht: Regel. Fake News über “Wahrheit”. Ja, “Wahrheit” steht bewußt in Anführungszeichen.

O’Briens buntes Häuflein an conmen und -women, jeder und jede auf seine und ihre Weise der Wahrheit abhold und in unterschiedlichen Graden amoralisch stoßen wie Billardbälle an- und wieder auseinander. Jede Begegnung bizarrer als die nächste in diesem einen Jahr, in dem sich die Amerikaner Trump zum 45. Präsidenten wählen und dessen Unfähigkeit und Covid das Land verheeren.

Der Inhalt, in ganz kurz: ein Fast-Pulitzer-Preisträger heiratet die Prinzessinen-Tochter eines Industrie-Räuber-Barons. Es geht nicht gut aus und das Buch beginnt damit, dass er eine Bank überfällt. Und eine Geisel nimmt. Die er nicht mehr loskriegt…

und ab jetzt: selber lesen. Schön ist das nicht. Lohnt aber.

Für eine Handvoll Euro

(Man denke an eine nicht zu kleine Hand und Papiergeld.)

Jetzt bin ich seit fast zehn Jahren wieder in Deutschland, was sich unter anderem darin manifestiert, dass Personalausweis und Reisepass Ende April ablaufen. Weil ich ja ein vorausplanender Mensch bin, mache ich mich im Vorfeld kundig, wie denn die Verlängerung zu bewerkstelligen sei. Gar nicht, wie ich erfahre. Muss alles neu gemacht werden. Hmmm. Und wie? Ganz einfach. Bloß in einem der sechs Bürgerbüros München einen Termin vereinbaren, Ausweisdokument und aktuelle Passbilder mitbringen und schon ist es soweit (nach einer Bearbeitungszeit von vier bis acht Wochen).

Klingt wie die leichteste Übung, einen Termin online zu vereinbaren. Man glaube mir: das ist es nicht. Eine Verabredung im Bürgerbüro hat ungefähr die Qualität des Kaufs eines Adele-Tickets. Featuring Madonna. Und Taylor Swift. Tagelang den Zeigefinger hart auf dem Refresh-Knopf. Irgendwann klappt es. Und zwar gleich für den nächsten Vormittag und auch noch im nächstgelegenen “City government office”.

Es bleibt sogar noch komfortabel Zeit, vorher Fotos machen zu lassen. Kein Problem, auf dem Weg ist ein Drogeriemarkt. Knips und fertig. Nichts da. Die Fotografieranlage ist seit einer Woche kaputt und nein, auf der Website informiere man darüber nicht. Okay, wo dann? In einer anderen Filiale, drei U-Bahn-Stationen weiter? Dieses Mal bin ich klüger und rufe vorher an. Es handelt sich offensichtlich um eine Seuche, Maschin ebenfalls kaputt.

Mist, so langsam schmilzt mein Zeitpolster. Eigentlich will ich mit Sundar Pichai nichts mehr zu tun haben (von wegen “Don’t be evil”), aber ich frage jetzt den Google Mops – die kapitalistische Logik gebietet doch, dass sich Nimm-deine-Passfotos-gleich-mit-Geschäfte rund um das Kreisverwaltungsreferat ansiedeln, vor allem, weil dort die günstigen Automaten noch für ein paar Monate außer Betrieb sein werden. Seuche, ich sags ja.

Isso. Direkt gegenüber, auf der anderen Straßenseite. Fix fotografiert, fix drei Mal soviel bezahlt wie in der Drogerie, und schon bin ich im Wartebereich 03 und warte, dass meine online reservierte Nummer angezeigt wird. Wie angekündigt, muss ich trotz Termins eine Wartezeit einplanen. Ist aber erträglich, ich hab ein Buch mit und kaum erscheint die Nummer, geht alles ganz schnell. Ich habe es mit einer reizenden jungen Dame zu tun, in unter zehn Minuten habe ich mich ausgewiesen, ein Bild abgegeben, zwei Mal mit Zeigefinger und Daumen gedrückt, schon habe ich meine Abholnummern und die Rechnung in der Hand und verlasse die Behörde um gut 100 Euro ärmer.

Für die nächsten 10 Jahre kann ich meiner Ausweispflicht nun wieder nachkommen. Wenn die Bundesdruckerei der ihren genügt haben wird. Im Laufe der nächsten vier bis acht Wochen.

Gestern Abend im Hoftheater: David Berlinghof – “Wohlfühlprogramm”

Ja, richtig, ich war da schon mal, s. https://flockblog.de/?p=50112. Und nein, Herr Künstler, es ist nicht langweilig, ein zweites Mal zuzuschauen. Erstens habe ich mir, wie versprochen, Freunde mitgebracht, die zum ersten Mal in den Genuß kamen und zweitens lohnt das Programm immer noch.

Der Einstieg war vielleicht ein bissele steif, aber das hat sich spätestens ab der dritten Nummer verspielt, das Publikum war wieder so sehr und gerne dabei – Wohlfühlprogramm eben und die Wahrhaftigkeit, wenn Schiller und Arendt aufs Tapet kommen, berührt immer noch.

Wenn mir die Regie das nächste Mal früher Bescheid sagt, komme ich auch gerne mit noch mehr Freunden zum dritten Mal wieder.