Ui. Schau doch…

…Schneeregen und Windböen und der ganze Tag bloß Shades of Grey und kein Funken Licht.

Mein Bedarf an Winter ist eh schon seit letzte Woche gedeckt, des hätt’s doch jetzt echt ned braucht.

Gelesen: Graeme Simsion – “The Rosie Project”

Wer hier öfter liest, weiß, dass ich schon vor geraumer Zeit den Nerd als Helden des 3. Millenniums identifiziert habe. Der anhaltende Erfolg der Sherlock Holmese und Sheldon Coopers dieser Welt scheint meine These zu bestätigen. “Ja, aber…” höre ich die Büchermenschen im Auditorium fragen, “das sind doch Filme. Ach was, das sind Serien. Wer schreibt denn schon über Nerds? Und dann auch noch gut?” Es gibt da schon einiges, Herrschaften (sehr zu empfehlen zum Beispiel die “Last Policeman”-Trilogie von Ben H. Winter (s. https://flockblog.de/?p=22688).

Neulich erst ist mir ein anderes sehr nettes Buch zum Nerd untergekommen. Im “Rosie Project” läßt der Autor seine Hauptperson aus der Ich-Perspektive erzählen. Diese Person ist Professor der Genetik und sein Verhalten irgendwo im weiten Autismus-Spektrum* angesiedelt. Professor Tillman sucht eine Frau. Weil seine bisherigen Versuche von den Probandinnen immer schon während, spätestens aber nach dem ersten Date abgebrochen worden waren, besinnt er sich auf den wissenschaftlichen Ansatz und entwickelt einen 16-seitigen Fragebogen, um die bestmögliche Kandidatin zu ermitteln.

Auftritt Rosie.

Der Rest ist vorhersehbar. Kommt aber so luftig, leicht, unbeschwert und heiter daher, dass das Büchlein, wenn schon zu sonst nichts, zur idealen Lektüre für einen sonnigen Nachmittag im Liegestuhl taugt. Oder man wartet auf die Verfilmung. Das geht auch.

Wann habe ich das letzte Mal Lesestoff empfohlen, bloß, weil er sehr erheiternd ist? Eben.

Lesen!

 

* Simsion hatte ihn wohl in einer früheren Fassung als Software-Entwickler angelegt, davon riet ihm aber sein Lektorat wg. Klischee ab.

Aus der Reihe: Unnötige Feiertage

Es gibt Sachen, da verdränge ich immer, dass sie ein “Ding” sind und ganze Industrien am Leben erhalten. Zum Beispiel Valentinstag. Ist ja auch noch über einen Monat hin.

Ich hätte nicht im Traum an rosafarbene Bonbonnieren gedacht, wenn das Unternehmen, das mir seit Jahren ein Zeitschriften-Abo aufschwatzen will, mir nicht heute sein jüngestes Superschnäppchensonderangebot geschickt hätte. Ich soll doch, strahlt mich der Muskelmann vom Titelblatt mit vielen gefletschten Zähnen an, Muscle and Fitness US abonnieren. Und verspricht mir im Gegenzug “Badass Legs and Boulder Shoulders to impress your Valentine”.

Hamma scho. Brauchma ned. Geht weg!

Klaustrophobie

Es ist Samstagmorgen, weißer Dreck überall und vom Himmel fällt immer noch mehr. Vielleicht bedauert mich ja wer in einem schneefreien Bundesland, wenn ich als Abschiedsformel tippe: “Viele Grüße aus dem Sch…”. Der Autokorrektor will lösen und bietet “Schrank”.

Irgendwie hatter Recht, das beschreibt meine Gefühlslage perfekt.

Ach, Auntie BBC

Heute im Abendprogramm in England: Auf die sehr wahrscheinlich sehr grauslige Doku “America’s Hate Preachers” (Director Hannah Livingston spends 6 months tracking two of America’s most radical Christian hate groups – a notorious pastor from Arizona and a network of extremist preachers) folgt, folgendermaßen freundlich bebildert:

Father Brown

Auch Klerus, aber anders. Manchmal würde ich in solchen Fällen gar zu gern wissen, ob bei der Programmplanung gar nicht oder eben gerade extra gedacht wurde.

Gelesen: Marie Reiners – “Frauen, die Bärbel heißen”

Marie Reiners ist bisher vor allem als Drehbuchautorin in Erscheinung getreten, ihr bis dato größter Erfolg dürfte die Serie “Mord mit Aussicht” sein, verfilmt mit Caroline Peters und Bjarne Mädl. Nun hat sie Prosa produziert. Der Verlag nennt das Werk einen Roman.

Die Hauptperson ist Bärbel. Mitte 50, Hundehalterin, alleinstehend. So alleinstehend, wie man nur sein kann, wenn man als Vierzehnjährige den Selbstmord seiner Eltern vertuscht und die Leichen verschwinden lassen hat. Seitdem lebt sie allein und pflegt nur die allernötigsten Kontakte zur Außenwelt, geht aber, wenn sie nicht gerade Tiere präpariert oder Homeshoppingshows guckt, immer viel und lange mit Hündin Frieda raus. Auf einem dieser Spaziergänge findet sie im Wald eine männliche Leiche und der Schlamassel beginnt.

Reiners hat sich ein paar hübsche Versatzstücke einfallen lassen, wie zum Beispiel Bärbels Tick, die anderen handelnden Figuren nicht mit deren Eigennamen, sondern nach ihrer äußeren Erscheinung zu benennen. Die zartgliedrige Frau mit dem rötlichen Haar und den Rehaugen heißt… na wie wohl? Genau. Bambi. Der tote Mann im Wald wird MAMIL genannt, das steht für “middle aged man in Lycra”, wobei dieses Radleroutfit im Laufe der Erzählung gar keinen Sinn macht, außer, dass es halt lustig sein soll, vom “MAMIL” (immer in Großbuchstaben und als Neutrum) zu sprechen. Der Lokalreporter mit der Glatze ist der “Overcomb” und die junoische Frau im Aufzug, die nach Lucky Strike und Bourbon riecht, dieser Logik folgend “Liberty”. Das ist bedingt komisch, könnte man aber gelten lassen.

Wirklich schlimm wird es erst, wenn man sieht, was Reimers mit ihrer Bärbel macht. Sie kann sich nicht entscheiden, ob Bärbel eine lupenreine Psychopathin (geht über Leichen, sieht darin aber kein Problem, schließlich wären die Leichen keine Leichen, wenn sie sie in Ruhe gelassen hätten), ein verschrecktes Hascherl mit einer starken Asperger-Ausprägung (ui, was ist alles in dieser Welt geschehen, seit ich mich 40 Jahre lang nicht beteiligt habe und wie wechselt man bloß auf einem Smartphone die Bildschirmansicht), eine sehr einsame, leicht zurückgebliebene, sehr traurige Existenz (vielleicht will Bambi doch meine Freundin sein, wenn ich auch mal nett bin) oder irgendwas dazwischen oder was ganz anderes sein soll. Das macht das Lesen sehr mühselig. Gegen Ende, als alle Handlungsstränge entwirrt und viele Protagonisten tot sind, legt sie zu allem Überfluß die Möglichkeit einer Fortsetzung an.

Danke, Frau Reiners. Aber nein danke. Bleiben Sie bitte bei Ihren Leisten und schreiben Sie weiterhin Drehbücher. Das können Sie. Das können Sie gut. Aber lassen Sie sich nicht von falschen Freunden wie Iris Kirschenhofer vom Fischer Verlag dazu “motivieren” weiter solchermaßen unzulängliche Schnurren zu schreiben. Dafür sollten Sie sich zu schade sein. Meine Zeit ist es mir unbedingt.

Gelesen: David Schalko – “Schwere Knochen”

Schon als ich letzten Sommer ein Interview* mit David Schalko hörte, bei dem auch seine Serie “Braunschlag” und der Film “Der Aufschneider” (s. https://flockblog.de/?p=31424) erwähnt wurden, wußte ich, dass ich “Schwere Knochen” unbedingt lesen und gut finden will. Dann kam dies dazwischen und das und dann wars auf einmal zwischen den Jahren 2018 und 2019 und die Zeit reif.

Wow! Schalko erzählt in einer sehr kauzigen, sehr lakonischen und sehr österreichischen Sprache vom Schicksal einer Handvoll Kleinkrimineller im Wien vor dem “Anschluß”, ihren KZ-“Karrieren” und der Zeit nach dem Krieg bis in die frühen 60er Jahre. Vom besetzten Wien, dessen Viermächtestatus (wer jetzt an den “dritten Mann” denkt, denkt richtig) bis zum Abschluß des Staatvertrags und der Ausrufung Österreichs zum neutralen Staat 10 Jahre dauert. 10 Jahre, in denen die nunmehr Schwerkriminellen das Heft in die Hand und die Stadt übernehmen. Wo Grenzen, da Schmuggel. Wo mehr Grenzen, da mehr Schmuggel. Schnell ergaunern sie sich ihr eigenes Wirtschaftswunder als Verbrechersyndikat mit geteilten Aufgabenbereichen (analog zu den Sektorengrenzen). Prostitution, Glückspiel, Diebstahl, Raub, Mord…

Schalko baut einen ganz eigenen Kosmos aus ganz eigenen Figuren, denen er die wildesten Biographien andichtet und obwohl sie Verbrecher und Schläger und Nutten und Betrüger und empathielose Drecksstücke und ganz und gar Wahnsinnige sind, mag man sie als Leser alle leiden. Weil ihr Autor sie mit sehr schwarzem Humor und wilden Worten beschreibt und sie Sätze sagen läßt, die man sich gerne gerahmt an die Wand hängen würde. Gerne als Kreuzstickstickerei. Tu felix Austria kriegst so dermaßen eine auf den Deckel!

Ich würde sagen, wir halten uns jetzt alle nicht mehr mit der Rezension auf, sondern setzen uns mit dem Rücken zum Fenster in die warme Stube und lesen! Lesen! Lesen!

PS: Ein besonderer Dank geht an den Verlag Kiepenheuer & Witsch. Erstens haben sie ein sehr Lesefreude steigerndes schönes gebundenes Buch mit Schutzumschlag und Lesebändchen herausgebracht und zweitens eines, das die Dummheiten der letzten großen Rechtschreibreform ignoriert und nur benutzt, was daraus sinnvoll und logisch ist. Trotz halbherziger Recherche (“Du, Google, wer ist denn bei KiWi für die Rechtschreibung in Büchern zuständig?”) habe ich nicht herausgefunden, wem dafür zu danken ist. Tue es aber hiermit trotzdem und mit Nachdruck.

 

* Interview auf BR2: https://bit.ly/2JMlCQi

Froh und munter

Bisher hatte ich das Adjektiv “froh” eher in der Advents- und Weihnachtszeit verortet. Jüngstens scheint es sein Tätigkeitsfeld erweitert zu haben und ist nun auch für neue Jahre zuständig. Beweis? Mir wurde noch nie so oft ein “frohes neues Jahr” gewünscht wie zu Beginn des Jahres 2019.

Nun frage ich mich: Ist “gut” nicht mehr gut genug? Liegt es an meinem Umfeld oder ist das bei anderen auch so?

Gelesen: Lisa McInernery – “The Glorious Heresies”

So muß es sich anfühlen, wenn man gerade vom Zug überfahren wurde. Während man noch ungläubig an sich herunterklopft, tatsächlich, alle Gliedmaßen noch dran, rast der Puls und der Blutdruck tobt in ungeahnten Höhen. So hoch, dass die Frau Doktor fragen würde, ob denn in letzter Zeit etwas Außergewöhnliches… “Nein, nein”, würde man antworten. “Ich lese nur gerade ein Buch.”

Lisa McInernery bevölkert mit ihrem Mikrokosmos an einfühlsam und sehr klar gezeichneten Figuren die von wirtschaftlichem Abschwung gezeichnete irische Stadt Cork. Ein jeder kämpft an sich dauernd verschiebenden Frontlinien, ein jeder trägt an einer Last, alles hat seinen Preis. Über allem und allen liegt der schwere schwarze Schatten der Sünden der katholischen Kirche. Klingt deprimierend? Ist es aber nicht. Sie schreibt unwahrscheinlich komisch, liebt jede ihrer Figuren in ihrem tragischen Scheitern und besticht mit Metaphern, die vorher noch niemandem eingefallen sind. Was für eine Sprache! Was für eine Poesie! Was für ein Tempo! Was für ein Talent!

Die Glorreiche Ketzereien (Titel der deutschen Übersetzung) sind ihr Debüt. Ihr letztes Jahr erschienener zweiter Roman The Blood Miracles scheint sich daran messen zu können, denn dafür wurde ihr im letzten Sommer der Encore Award für den ‘Besten zweiten Roman’ verliehen. Steht schon auf meiner Leseliste.

Alle anderen: den Erstling lesen! Lesen! Lesen!