Fundstück

Michael Stückl zeichnet für den Unterfahrt-Newsletter verantwortlich und manchmal für so schöne und phantasieanregende Sätze wie diesen “…und dem immer wieder unglaublichen Andreas Schärer an den Stimmbändern und an anderen Körperteilen.”

Die Wespenfabrik*

Während des Einschlafens denkt es in meinem Kopf noch so vor sich hin, dass die Wespe, die hier schon die ganze Zeit rumgesummt hat, wohl auch zu Bett gegangen ist und produziert noch eine Spitzwegszene von einer Dachstube, in der das Tier in karierter Bettwäsche und Schlafhaube mit geschlossenen Facettenaugen… schnorchel. Im Laufe der Nacht ändert jemand das Programm (Hallo! Hirn!) und jetzt laufen Bilder von gigantischen Insektenbauten, aus denen riesige feindlich gesinnte Insektenschwärme ausströmen, die Menschheit und vor allem erst einmal mich zu vernichten. (Danke Starship Troopers!) Am sehr frühen Morgen nehme ich vierteltwach zur Kenntnis, dass wieder wer summt. Hmmm.

Als ich genug kaltes Wasser im Gesicht und Kaffee im Bauch habe, fühle ich mich tapfer genug, der Sache nachzugehen. Ja da schau her. In den Falten des Vorhangs, den ich außer bei kalten Lüften zur Vermeidung von Zug nie schließe, hat sich die Frau Wespe ein dickes kugelförmiges Wabennest gebaut und ist offensichtlich dabei, ein weiteres fertigzustellen. Bei aller Toleranz und unterschriebenem Bienenbegehren – ich bin nicht bereit, mein Schlafzimmer mit einer Wespenkinderstube zu teilen. Oder? Nein. Bin ich nicht!

Also hole ich Leiter und Greifzange und entferne den Schwarzbau aus der Gardine, was die Wespe gar nicht amüsiert und zu Luftangriffen provoziert. Mit allem Respekt, meine Beste: auf dem Balkon können Sie von mir aus Gründungsnester bauen, wie Sie wollen, drin ist meins! Das aggressivste, was mir an chemischen Kampfstoffen zur Verfügung steht (Drecks-Öko-Haushalt!) ist ein Zitronenkalklöserspray aus dem Hause Frosch. Damit sprühe ich die Restfundamentspuren auf dem Vorhang dick ein, mache die Schlafzimmertür zu, lasse die Frau Wespe brummen und kreisen, lege eine halbe Stunde später noch einmal nach und gehe zum Schwimmen.

Als ich nach Hause zurückkomme, herrscht Ruhe. Ich nehme das jetzt mal als gutes Zeichen.

 

* Den Titel habe ich bei Iain Banks entliehen. Möge er in Frieden ruhen.

Gelesen: Francesca Zappia – “Eliza and her Monsters”

Das ist mal ein außergewöhnlich schönes Buch!

Eliza Mirk ist eine digital native Geekette, lieber online als in der wirklichen Welt und ansonsten wie jeder andere Teenager, der je am Erwachsenwerden gelitten hat. Unverstanden, eckig und kantig und ungern in ein Schulsystem eingebunden, in dem die Lauten gelobt und die Leisen gemobbt werden.

Anders als andere hat sie für sich einen Ausweg aus ihrer Misere gefunden: sie zeichnet Webcomics. Und anders als andere ist sie damit sehr erfolgreich. Anonym. Und so soll es auch bleiben. Bis…

Ja, und das ist dann die Geschichte und die soll gefälligst jede/r selber lesen und sich daran erfreuen!

Gestern in der Unterfahrt: Dan Weiss/Starebaby

Vor wenigen Jahren noch hätte ich mit einem Konzert wie diesem nicht viel anfangen können. Inzwischen kann ich. Weil nämlich Zuhören auch eine erlernte Fähigkeit ist und ich inzwischen zu schätzen weiß, was für eine Ausnahmeband Ausnahmeschlagzeuger Dan Weiss mit Starebaby (Ben Monder (g), Matt Mitchell (p, prophet 6, modular synthesizers) und Trevor Dunn (eb)) zusammengestellt hat.

Das Genre beschreibt man am besten mit “außergewöhnlich”. Metal meets Jazz meets Pogrock und macht dann sein ganz eigenes Ding. Dass diese Musik nicht unbedingt den Massengeschmack trifft, war schon daran zu sehen, dass die Unterfahrt äußerst luftig besetzt war, von wenigen enthusiastischen Studenten der Musikhochschule abgesehen mit Unterfahrtveteranen* (gut über 60 und älter) und nur ganz wenigen Frauen. Die, die da waren, haben ein Ausnahmekonzert erleben dürfen.

 

* Wann erlebt man schon einmal, dass sich auf die Frage, wer denn hier schon 20 Jahren herkomme, ein Drittel der Anwesenden melden?

Noch in der ZDF-Mediathek: Merz gegen Merz

Manchmal haben sie bei dieser achtteiligen Comedy-Serie über das sich auseinander gelebt habende Ehepaar Merz ein bißchen arg tief in die Klischeekiste gegriffen (dumm-schwäbelnde Schwaben, Proll-Eltern, reiche Mutterzicke, Paartherapeutin mit doppeltem Boden), aber insgesamt geht das Konzept auf. Nicht zuletzt, weil die Titelrollen von Annette Frier und Christoph Maria Herbst gespielt werden, die beide was vom komischen Fach verstehen.

Doch, wer sich einen Abend lang nett, eher seicht und doch nicht ganz niveaulos, dafür ohne Drachen und Zombies unterhalten mag, ist mit den Merzens und ihrer Entourage gut bedient.

Lauter Feiertag

06:20 Uhr früh und die Kirche gegenüber schwingt ihre Glocken. Zehn Minuten lang Geläute, Gebimmel, Gebammel. Ich liege frisch aus dem Schlaf gerissen und überhellwach und mit deutlich beschleunigtem Herzschlag in meinem Bett und beginne Sympathien für zugezogene Dorfgeräuschwegkläger zu entwickeln.

Ich bin ja nicht so, von mir aus können die Gläubigen gerne die Auferstehung ihres Erlösers feiern. Aber müssen sie das mit so einem infernalischen Lärm in aller (jawoll!) Herrgottsfrühe tun, wenn die Gerechten und die Ungerechten, die Gläubigen und die Heiden (andere sowie keine spezifischen Götter) noch im Tiefschlaf liegen? Bloß weil sie das immer schon so gemacht haben?

Mais non.

Stiller Feiertag

Neben dem staatlichen Tanzverbot und einer FSK-Liste indizierter Filme* hat offensichtlich auch mein schlimmer Provider ein weiteres Tabu ausgerufen: Internet? Am Karfreitag? Bloß nicht. Seit ca. 15:00 Uhr geht nichts mehr.

Man kann den Ostersamstagvormittag mit allem möglichen verbringen. Ich für meinen Teil hänge mit deren Customer Service in der Leitung. “Alles kein Problem“, sagt die erste Dame. Man werde dem Modem ein Signal schicken und keine zwei Stunden später werde ich wieder online sein. Mittags um 12:00, als bereits mehr als drei Stunden vergangen sind und weiterhin kein Internet in Sicht, rufe ich da doch noch einmal an und spreche mit einer anderen Kollegin. Die zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass sie “Telefongeräusche“ macht. Nicht die, die ich hören will, sondern mehr so “oouuhhh”, “oh je”, “ach, Kollegen”. Mir wird ganz anders. Ostern ohne Eier und Tschisaß kann ich mir problemlos vorstellen, Ostern offline eher nicht. Und nun?

Nach einer Viertelstunde Warteschleifenmusik ist sie wieder da. Die Kollegin, spricht sie, habe soweit alles richtig gemacht. Es gäbe überhaupt keinen Grund, warum das Internet nicht fröhlich fließe. “Hmmm”, sage ich und dass ich meinerseits ebenfalls alles gemacht habe, was ich im Laufe meiner Zeit als Kundin ihres Hauses beim Troubleshooten von ihren Kollegen abgeguckt hätte. Das Modem aus- und wieder eingeschaltet, den Resetbutton gedrückt, die geheime Tastenkombination angewendet und… Da unterbricht sie mich. Hätte ich denn auch brav das Netzkabel gezogen und wieder eingesteckt? Nein. Das habe ich nicht. Warum auch? Hat mir ja keiner gesagt. Dann solle ich doch das mal probieren.

Da schau her. Raus. Rein. Läuft. Ich habe wieder Internet und mich sehr überschwenglich bei der Dame bedankt. Merke ich mir, dann habe ich für den nächsten Ausfall (der kommt bestimmt) noch einen weiteren Trick in petto.

* Verbotten: https://www.spio-fsk.de/media_Content/3224.pdf. Eignet sich bestens als Auftakt für Party-Smalltalk: “Was haben ‘Heidi’ (73070/K) und ‘Der letzte Lude’ (94167/K) gemeinsam? Naaa?”

Ausstellung im Haus der Kunst: El Anatsui – Trimphant Scale

Vor langer, langer Zeit, als es mir einmal gar nicht gutging, hatte ich mir zur Selbsttherapie die Aufgabe gestellt, keine Nacht einzuschlafen, bevor ich nicht darüber nachgedacht hatte, was ich am vorangegangenen Tag zum ersten Mal in meinem Leben gemacht hatte. Es galt alles. Zum ersten Mal gesehen, geschmeckt, gelesen, gehört, getroffen… wirklich alles. Und da schau her: es gab jeden Tag irgendetwas Erstmaliges. Mal ganz was kleines und unspektakuläres, mal was richtig großes. Aber immer etwas. Inzwischen mache ich das schon lange, lange nicht mehr. Ich weiß ja, dass mein Leben nie aufhört, neu zu sein. (Ich bin sicher, dass es ganze Regalmeter voller Selbsthilfebücher gibt, die genau diese Methode empfehlen. Ich habs mir aber selber für mich ausgedacht und es hat geholfen.)

Nach dieser schwer philosophischen Vorrede komme ich nun zum eigentlichen Thema dieses blogposts: El Anatsuis Austellung “Trimphant Scale”. Wow! Wow! Und wo ich gerade dabei bin: Wow!

Sowas habe ich noch nie gesehen. Schon die Fassade des Hauses der Kunst ist im Stil seiner Arbeiten verpackt… wobei ich noch nicht einmal weiß, ob “verpackt” der richtige Begriff ist. “Verhüllt” gehört Christo und Jeanne-Claude und träfe es auch nicht. Vielleicht so: Die ganze Fassade ist eine monumentale Kunstinstallation. Groß-ar-tig! Drinnen hängen riesige Wandbehänge, die sich erst auf den zweiten oder dritten Blick als (schon wieder, aber es paßt halt am besten) monumentale nicht-textile Arbeiten entpuppen, sondern aus unendlichen Mengen von Blechdosendeckeln, plattgehämmerten Flaschenverschlüssen und anderen “Recycables” zusammengenäht, zusammengetackert, verdrahtet sind. Man muß das sehen. Und durch das riesige Fischernetzlabyrinth durchgehen. Diese riesigen Arbeiten wirken so fluide und leicht, ich bin aus dem Staunen gar nicht mehr herausgekommen.

Ein Raum ist nur Skizzen gewidment. Im kleinsten Format, die aber das Große schon ahnen lassen. Wenn man dann glaubt, man habe die Bandbreite seines Schaffens gesehen, dann werkt er mit Holz. Statuen. Bilder. Schnitzereien. Brandkunst. Wieder anders. Wieder sehr groß.

Ich kann allen nur ans Herz legen, hinzugehen, sich Zeit zu lassen, vielleicht zwischendrin auf der Terasse einen Kaffee zu trinken und die Augen sich im weiten Grün des Englischen Gartens erholen zu lassen. Beim zweiten Durchgang sieht man schon anders und kann mehr Detail erfassen. Ich bin gespannt, wie es mir beim dritten Mal ergehen wird. Denn ich gehe bestimmt noch einmal hin.