Höhö, kumpeln die Programmheftgestalter des Volkstheaters das eingeweihte Publikum an. Man werde heute ein Stück zeigen, nach, höhö, Francis Ford Conrads ‘Herz der Apokalypse’. Höhö.
Pascal Fligg eröffnet als vor einem deutschen Landgericht angeklagter somalischer Pirat. “Ah”, denkt der eingeweihte Zuschauer, “deswegen. Da besteht die Verbindung zu Afrika. Oder?” Wobei wir auch bei der Nachbesprechung im Biergarten (!) ehrlich gesagt nicht so recht klären konnten, warum dieses Segment eigentlich wirklich dabei war. Vermutlich, weil die Zeit der kolonialen Ausbeuter in Afrika nie geendet hat. Oder so.
Aber zurück zum Anfang. Pascal Fligg brilliert. In drei Rollen mit extrem starken Monologen. Zuerst mit dem oben schon erwähnten Solo des Piraten aus Mogadischu. Sehr leise, melancholisch, fast zynisch. Und witzig. Ein große Nummer.
Szenenwechsel. Nun sind wir auf einem Flußboot im afghanischen (!) Dschungel (!), auf dem der Oberfeldwebel Oliver Pellner mit seinem Bootsführer, dem Unteroffizier Stefan Dorsch in einer Geheimmission den abtrünnigen Oberstleutnant Deutinger aufspüren soll. Pellner, ein sadistischer Schleifertyp, wird ungeheuer überzeugend von Pola Jane O’Mara gespielt, so einem Halbeportionpersönchen. Hallo, Ballett! Eine solche Bühnenpräsenz habe ich noch nicht oft gesehen. Nicht einen einzigen Moment “out of character”. Ganz große Leistung! Jakob Immervoll als untergebener Befehlsempfänger und Spielball ist ihr als Schauspieler noch nicht ganz gewachsen, aber das wird bestimmt noch. Es müßte sich allerdings bitte bald ein Regisseur finden, der seinen inneren Wiener zähmt. Der österreichische Dialekt bricht nämlich immer durch, wenn er Erregung, Aufregung, große Emotion spielen soll und konterkariert das dann a weng. Insgesamt überzeugt Immervoll mit seiner Figur, einem versehentlich ins sehr wilde Auslandistan geworfenen Nochfastbuben. Zwischendurch hat Agnes Decker wechselnde und sehr undankbare Stichwortgeberauftrittchen. Das macht sie ordentlich, aber auch nicht weiter erwähnenswert.
Inzwischen ist das Boot den Fluß weit heruntergefahren und kommt am letzten Außenposten der sogenannten Zivilisation an. Dort treffen die Reisenden auf Reverend Carter. Mit dem Reverend hat Billy Graham-Fligg eine herrliche Rampensaurolle bekommen, einen Evangelistentypen, der alle Register zwischen notgeil, rassistisch, gottesfürchtig und komisch zieht, in einem gräßlich-denglischen Erweckungssermon und diesen Spaß weidlich auskostet. (Wobei das Publikum recht ziagert war und mich mit meinem Szenenapplaus ganz allein gelassen hat.)
Am Ende der letzten Etappe treffen sie im finsteren Herzen des Dschungels tatsächlich auf Marlon Fligg, der in einem letzten ernsthaften Monolog allerlei Gesellschaftskritisches zu sagen hat und dann werden dem Publikum alternative Enden angeboten. Ein hübscher Twist, denn es kann natürlich nur eines geben.
Ein sehr toller Theaterabend! Großes Kompliment auch an Kostüm und Bühne (Jenny Schleif). Sie hat den Schauspielern in der Kleinen Bühne einen raumlangen Steg zum ordentlich Einsauen (Flitter, Glimmer, Farbe) und Wände zum Anbatzeln und Kaputtmachen geschaffen und zum Schluß steht kein Stein mehr auf dem anderen (Krieg, halt). Gut gemacht, alle! Danke!
(Übrigens: als oben auf der kleinen Bühne getobt wird, liest unten Sibylle Berg. Ein interessantes Publikum hat die Dame, to say the least.)