Gestern im Volkstheater: Die Physiker

In der letzten Zeit habe ich so viele Ausnahmeinszenierungen auf dem Theater erlebt, dass eine durchschnittliche Guckkastenvorstellung (Regie: Abdullah Kenan Karaca) mit durchschnittlicher Besetzung mich einfach gar nicht mehr vom Hocker reißen kann.

Da, wo sich die Volkstheaterinszenierung verkĂŒnstelt, habe ich sie nicht verstanden. Ich bitte also um AufklĂ€rung hinsichtlich folgender Fragen: Warum mĂŒssen FrĂ€ulein Dr. von Zahnd (Carolin Hartmann) und Schwester Monika (Luise Deborah Daberkow) je ein französisches Chanson auf, naja, französisch singen? Warum trĂ€gt das FrĂ€ulein Doktor fĂŒr ihren Sangesbeitrag eine tuckenclubtaugliche rosa RĂŒschelrĂŒschenschleppe von drei Metern LĂ€nge? Was genau trĂ€gt diese Szene zur Aufgabe des Theaters als moralische Anstalt bei? Warum wird Schwester Monika fĂŒr ihr Lied vom Nicht-Bereuen nur zur HĂ€lfte aus einer Luke aus dem BĂŒhnenboden gelassen? Liegt es evtl. daran, dass sie schon tot ist? Und wenn ja, ist sie dann ein Halbzombie? Und wenn nicht, was dann? Zugenommen und steckengeblieben? Wer in dieser Produktion leidet unter einem Haarfetisch? Ausstattung? Regie? BĂŒhne? Nein, Vincent Mesnaritsch wollen wir mal nicht schimpfen. Sein BĂŒhnenbild, irgendwo zwischen orientalischem Hamam und BedĂŒrfnisanstalt hatte was. Wobei auch hier die Frage offen ist, was der Dschungel im Schweizer Sanatorium soll. Ist das dem Fluß im afghanischen Hochgebirge vergleichbar? Quasi allegorisch? Aber um bei der Verantwortung fĂŒr die seltsamen Haarprachten zu bleiben – wars am Ende die KostĂŒmbilderin Elke Gattinger? Dabei hĂ€tte die doch eigentlich schon genug getan, bei den Mengen Restestoffen aus dem Nathan, die sie ĂŒberall ohne Sinn und Zweck noch drauf- und drangenĂ€ht hat.

Eins noch: Warum spricht eigentlich der vorgeblich aus Darmstadt stammende Möbius immer Wienerisch, wenn er sich echauffiert? Halt, blöde Frage, das weiß ich doch. Den spielt der Jakob Immervoll und man hat ihm immer noch keinen Schauspiellehrer zwengs SprachglĂ€ttung besorgt. Wider meine Empfehlung, wie ich betonen möchte.

Soll man sich diese Physiker anschauen? Ja, unbedingt. Falls das StĂŒck gerade in der Schule behandelt wird. Das geht schneller als lesen und an der doch schon etwas obsoleten Sprache haben sie im Volkstheater nicht gerĂŒttelt. Alle, fĂŒr die das nicht zutrifft, sind vom Theaterbesuch befreit.

 

PS: Ein, wenn nicht der schönste Regiegag wurde leider schon im Programmheft verraten. Schade. Da hÀtte man einfach mal lachen können. Aber das haben sie auch versaut.

Gelesen: Harry Bingham – “The Dead House”

Bingham schreibt seine Fiona Griffiths wieder in einen sauspannenden Fall und ja, es liegt an ihr. Sie ist nicht mehr ganz so sozial ungelenk und in den Klauen ihrer Krankheit wie in den ersten BĂ€nden, aber noch hinreichend seltsam genug, um nicht zu langweiligen Streberin zu verkommen. Dieses Mal konnte ich, nach vier BĂŒchern in Folge, schon recht frĂŒh die Zeichen lesen und mir ungefĂ€hr vorstellen, was die lebensbedrohende Situation sein wird, in der sie wohl landet. Spoiler* haben mir aber noch nie etwas ausgemacht, im Gegenteil, also wars gar nicht schlimm.

Womit ich aber gar nicht gerechnet hĂ€tte, war die Volte auf den letzten paar Handvoll Seiten. Da hat der Autor mich ganz schön aufs Glatteis gefĂŒhrt und beinahe… Kein Wunder, dass es wieder nach 4:00 Uhr war, in einer dunkeln und regenerischen Nacht, bis ich das Buch endlich bis zum letzten Buchstaben ausgelesen zur Seite legen konnte.

Auf zu Band 6! FĂŒr alle anderen wird es langsam Zeit, endlich mal mit dem Binghamschen Werk zu beginnen.

 

* Interessante Beobachtung am Rande: Derzeit erklÀren die deutschen Feuilletons landauf und -ab Spoiler gerade ebenfalls zur persona grata, weil man sich doch viel mehr auf Inhalte und kleine Hinweise konzentrieren könne, wenn man wisse, was kommt. Meine Rede.

Isch verschtehe nischt

Was genau will uns einer sagen, der Geld ausgibt, um nachfolgende Anzeige in der Abteilung “Vermischtes” in der Wochenendausgabe der SĂŒddeutschen Zeitung zu schalten?

Sklave

Gelesen: Harry Bingham – “This Thing of Darkness”

In diesem vierten Band goes Bingham all Joseph Conrad und lĂ€ĂŸt Heldin Fiona Griffiths ins tiefe Herz der Finsternis ein- und abtauchen. Sehr gelungen.

Bingham ist gut. So gut, dass ich ĂŒberhaupt nicht sicher bin, ob Fiona zunehmend auf “Planet Normal” ankommt oder ob ich mich schon so sehr an ihre so sehr andere Art gewöhnt habe, dass ich mich zunehmend dem Planeten Fiona annĂ€here, auf dem andere Gesetze gelten.

Egal. Lesen! Lesen! Lesen!

Ob es so oder so oder anders kommt…

Plan: Kommen, wenn die Sektnasen von der 11:00 Uhr-Vernissage zum Lönsch aufgebrochen sind, mal kurz durch die Ausstellung streunen und dann pĂŒnktlich zur “TastfĂŒhrung” um 14:00 Uhr mit gewaschenen HĂ€nden und wißbegierigem Gesichtsausdruck aufscheinen. Simpel.

RealitĂ€t: Weil die U-Bahn renoviert wird, drei Mal Kurzstrecke gefahren, drei Mal gewartet und drei Mal umgestiegen, bereits in der dritten den Bahn den Puffer von einer extra halben Stunde aufgebraucht und dann herausgefunden, dass die Bushaltestelle der Museumlinie wg. Patriarchat A B F U C K E N* (GlĂ€nzende Demo Der Vielen in MĂŒnchen) heute nicht bedient wird. Hrrrgggnnn!

Pragmatische Alternative: Es dann so dermaßen dick gehabt, dass ich nach Schwabing und schnurgerade zur wunderbaren Eismanufaktur Bartu marschiert bin und mich mit meinem Eis und dem 5. Fiona Griffiths-Band in die Sonne gesetzt habe und den Schwabingern beim Schwabingern zugeschaut habe. Den beruhigenden Effekt beinahe sofort verspĂŒrt. Mir in Aussicht gestellt, dass ich, wenn ich unbedingt noch Kunst anfassen will, daheim was abstauben kann.

The Universe strikes back: Auf dem RĂŒckweg an einer “BĂŒcher-fĂŒr-geschenkt-nimm-mit-was-du-tragen-kannst”-Kiste vorbeigekommen. Mitgenommen, was ich tragen konnte: ein ganzes Dutzend pfleglich gelesener BĂŒcher, denn ich hatte wie immer Omas praktisches FalttĂ€schle mit dem ĂŒberraschend großen Fassungsvermögen in der Handtasche. Umgehend sehr versöhnt gewesen.

* “Abfackeln” hĂ€tt’ ich vestanden. “Abfucken” hingegen?  Das bekĂ€me ich wirklich gerne vorgemacht.

Residenztheater – Schiller “Die RĂ€uber”. Regie: Ulrich Rasche

So, nachdem sich die Vorstellung ein wenig gesetzt hat, kann ich auch darĂŒber schreiben. Die allererste Lektion: Rasche-Inszenierungen muß man in grĂ¶ĂŸeren AbstĂ€nden voneinander sehen! In gerade mal 10 Tagen zwei dieser monumentalen Mensch-Maschine-Sprache-Musik-Werke fordert schon beim Zuschauen sehr, fĂŒr die Schauspieler kann ich nur allerhöchste Hochachtung empfinden. Allen voran Katja BĂŒrkle, die den Franz Mohr spielt, einen ungeliebten verwachsenen kleinen abstoßenden Mann. BĂŒrkle lĂ€ĂŸt einen vollkommen vergessen, wes Geschlechts sie ist. Sie ist pure Stimme und Emotion. Sowas habe ich bisher in dieser Vollkommenheit nur bei Tilda Swinton gesehen und ganz nahe dran von Valery Tscheplanowa, auch mit einem Text aus den RĂ€ubern (hier: http://bit.ly/2Wk3aEc).

Bei den RĂ€ubern muß sie das StĂŒck nicht alleine tragen, denn es gibt ja auch noch den anderen Bruder, Karl. Karl, diesen Sohn aus gutem Hause, der mit den edelsten Motiven (nehmt von den Reichen, gebt den Armen) zum AnfĂŒhrer der unterdrĂŒckten Massen wird. Was er dabei lange nicht sieht und noch lĂ€nger nicht sehen will, ist, dass die, die ihm folgen, nicht alle einen idealistischen Kampf fĂŒr eine bessere Welt kĂ€mpfen, sondern dass grobe verrohte Landsknechte darunter sind, die freudig mit ihren sadistischen Taten prahlen. Frank PĂ€tzold knödelt sich durch den Karl und channelt seinen inneren Klaus Kinski bis zur UnertrĂ€glichkeit. Ja, Rasche will uns mit seiner Inszenierung sagen, dass beide Söhne des alten Moor (Götz Schulte) RĂ€uber sind, jeder auf seine Art, aber der Karl, eine Rolle, die bei anderen Regisseuren eher ein SympathietrĂ€ger ist, quĂ€kt es einem doch ein wenig allzu deutlich mitten ins Gesicht.

Da ist Katja BĂŒrkles Franz doch eine ganz andere Nummer. Franz, der sich von Amalia (Nora Buzalka) mit Gewalt nimmt, was ihm nicht willig gegeben wird und, was als Vergewaltigung angelegt war, in einer unwahrscheinlich rĂŒhrenden PietĂ -Pose, geborgen an einem Mutterkörper, aufgelöst wird. Zum Niederknien. Wenn ich wegen Theater weinen wĂŒrde, da hĂ€tte ich es getan. Und dann noch einmal wegen der Lichtregie, die in allen Szenen großartig ist, aber in dieser unĂŒbertroffen.

Bei Elektra neulich ĂŒberwogen die starken Frauenrollen. (Und da ist er wieder, der Vergleich. Wie gesagt, es wĂ€re besser gewesen, die StĂŒcke mit grĂ¶ĂŸerem Abstand zu sehen. Aber mach mal was gegen den Spielplan…) Rasches RĂ€uber sind ein reines MĂ€nnerstĂŒck. Zwei (2!) Frauen auf der BĂŒhne, deren eine eine MĂ€nnerrolle spielt, dazu 20 MĂ€nner. Der Raum unablĂ€ssig durchzogen von Testosteronschwaden.

Ich hatte am Vorabend zufĂ€llig mal wieder Kubricks “Full Metal Jacket” angeschaut und war erschrocken, wie die Entmenschlichung dieser Marine-Ausbildung nun auf einmal hier vor mir auf der BĂŒhne stattfindet. Galeerensklaven. MilitĂ€rparaden. NaziaufmĂ€rsche. Alles, wozu die Trommel schlĂ€gt. Ein fast hypnotischer Marschrhythmus. Alle diese MĂ€nner mit Klettergeschirren uniformiert, so dass die SchnĂŒrung unwillkĂŒrlich Schamkapseln assoziiert und stĂ€ndig im Marschschritt stampfend auf dieser nie statischen BĂŒhne (zwei parallel verlaufende LaufbĂ€nder, jeweils mittig durchzogen von einer Schiene zur Befestigung der Geschirre) stets ab- und aufsteigend in Bewegung. Unglaublich viel Gewalt. In der Sprache, in den Handlungen. Nach dreieinhalb Stunden waren endlich alle tot. Welch eine Erlösung. Endlich Ruhe.

Amerikahaus: “Am I What You’re Looking For?” – Photography by Endia Beal

Endia Beal, KĂŒnstlerin mit Brotberufen als Director der Diggs Gallery und Assistant Professor of Art at Winston-Salem State University, NC, befaßt sich schon seit lĂ€ngerem mit der Darstellung farbiger Frauen (women of color) im Berufsumfeld von Corporate America und zeigt dabei fast beilĂ€ufig einen omniprĂ€senten alltĂ€glichen Rassismus. Diesen Rassismus, dem sich fast alle Frauen, die sie in dieser Ausstellung portrĂ€tiert, als unvermeidbare Herausforderung stellen. “Isso”, sagen sie. Sie mĂŒssen bei gleicher Qualifikation weniger Gehalt akzeptieren, dafĂŒr hĂ€rter arbeiten und besser sein, weil sie gleich mit zwei Nachteilen geschlagen sind, fĂŒr die sie nichts können, die aber halt nicht ĂŒbersehbar sind: Geschlecht und Pigment. “Isso”.

Beal lĂ€ĂŸt die Frauen vor einem Vorhang, auf dem ein typischer Gang in einem typischen Verwaltungsbereich in einem typischen Unternehmen abgebildet ist, in der Pose ihrer Wahl, umgeben von den Requisiten ihrer Wahl, Aufstellung nehmen und es ist irre, was dabei heraus kommt. Wir hatten zu jeder ziemlich spontan eine Meinung – genauso hĂ€ufig wie nicht in Übereinstimmung mit den TextkĂ€rtchen neben den Photos, auf denen die Abgebildeten zu typischen VorstellungsgesprĂ€chsfragen Stellung nehmen sollten.

Unbedingt anschauen!

Hier ist eine winzige Auswahl an PortrĂ€ts: http://bit.ly/2VtDZKy – die Ausstellung geht noch bis zum 2. Juni, der Eintritt ist frei.

Schwer ist der Beruf

Was ich eigentlich so mache, den ganzen Tag? Ich quĂ€le mich durch Myriaden von Stellenanzeigen. Damit meine Leserschaft das nicht tun muß und trotzdem in den Genuß der Höhepunkte kommt, sammle ich im Ordner “Bewerbungen – neuer Schwachsinn” die allerschönsten AuswĂŒchse und wenn ich nach ca. vier Wochen wieder genug Material beieinander habe, schreibe ich fĂŒr euch einen blogpost.

Wer sind sie denn nun, die potentiellen Arbeitgeber und was haben sie zu bieten?

  • Das „MACHEN“ ist ein Kernelement unserer Dienstleistung
  • Originelle Firmenfeiern, einschließlich der Kollegen aus anderen Standorten (Gilt als Inklusion oder was?)
  • Attraktive Zusatzangebote wie subventioniertes Mittagessen, kostenlose Fitness-Benutzung, Eis im Sommer, betriebliche Altersvorsorge, Kickertisch, Team-Events etc. (Ist die Reihenfolge nicht faszinierend?)
  • Team-Spirit: Unvergessliche Events und gemeinsamer Look durch unsere Collection (Frage mich, ob die Mitarbeiter*innen eine Art Schuluniform tragen mĂŒssen.)
  • Unsere Firmenkultur (Kaffebar, Summercamp, Oktoberfest
)
  • Firmenfeiern und Teamevents mit Teambudget. (… der Oktoberfestbesuch ist ein Muss!) (Hauptsache die KrĂŒge hoch.)
  • Attraktives Gehaltspakte (Ich hoffe bloß, sie drucken wenigstens die Zahlen auf den Geldscheinen korrekt.)
  • Kein Dresscode und Feedbackkultur auf Augenhöhe
  • Bei uns findest Du Open Doors und Casual Fridays every day (Ich darf zusammenfassen: come as you are, auch wenn’s zieht.)

Das alles sind die GrĂŒnde, warum du uns einfach lieb haben musst. Aber sie können nicht nur geben, die Arbeitgeber. Nein, sie wollen auch nehmen.

Was wir erwaten (Alles, bloß kein rrrrollllendes “R”.)

  • „leadership from every chair“. (FĂŒr mich klingt das wie nur HĂ€uptlinge und keine Indianer. WĂŒrde mich interessieren, wie dieses Konzept aufgeht.)
  • Last but not least bist du unser Feelgood-Manager, der mit kreativen Ideen Dreh- und Angelpunkt fĂŒr die Kollegen ist
  • Du bist Dr. Feelgood
  • Feelgood ist in deiner DNA
  • In Dir steckt ein Feelgood-Manager (m/w/d) (Wurscht, ob innen oder außen, mit oder ohne akademischem Titel. Hauptsache Feelgood.)
  • Entwicklung von Ideen und Implementierung von Prozessen, um unseren Besuchern ein  außergewöhnliches Erlebnis in unseren BĂŒros zu garantieren
  • (Das bedingt allerdings ein) AusgeprĂ€gtes DiskretionsgespĂŒr
  • Sicherer Umgang mit katholischer Terminologie
  • Be the difference in a complex reality (Zweifellos, das eine bedingt das andere…)
  • AffinitĂ€t fĂŒr moderne Kommunikationsmedien und -tools (Smartphones, Ipad, Apps, Internet etc.) (Stichwort Neuland.)
  • Beherrschung aller neuen sozialen Kommunikationsformen (Im Gegensatz zu asozialen Formen wie “auf’s Maul” oder was?)

Wenn zum Schluß dann alles paßt, dann steht dem ja nichts mehr entgegen, dem Arbeiten in der schönsten Stadt der Welt mit Herz.

 

Wie ĂŒblich, alles was kursiv gedruckt ist, ist wörtlich aus Stellenangeboten entnommen.