So, nachdem sich die Vorstellung ein wenig gesetzt hat, kann ich auch darüber schreiben. Die allererste Lektion: Rasche-Inszenierungen muß man in größeren Abständen voneinander sehen! In gerade mal 10 Tagen zwei dieser monumentalen Mensch-Maschine-Sprache-Musik-Werke fordert schon beim Zuschauen sehr, für die Schauspieler kann ich nur allerhöchste Hochachtung empfinden. Allen voran Katja Bürkle, die den Franz Mohr spielt, einen ungeliebten verwachsenen kleinen abstoßenden Mann. Bürkle läßt einen vollkommen vergessen, wes Geschlechts sie ist. Sie ist pure Stimme und Emotion. Sowas habe ich bisher in dieser Vollkommenheit nur bei Tilda Swinton gesehen und ganz nahe dran von Valery Tscheplanowa, auch mit einem Text aus den Räubern (hier: http://bit.ly/2Wk3aEc).
Bei den Räubern muß sie das Stück nicht alleine tragen, denn es gibt ja auch noch den anderen Bruder, Karl. Karl, diesen Sohn aus gutem Hause, der mit den edelsten Motiven (nehmt von den Reichen, gebt den Armen) zum Anführer der unterdrückten Massen wird. Was er dabei lange nicht sieht und noch länger nicht sehen will, ist, dass die, die ihm folgen, nicht alle einen idealistischen Kampf für eine bessere Welt kämpfen, sondern dass grobe verrohte Landsknechte darunter sind, die freudig mit ihren sadistischen Taten prahlen. Frank Pätzold knödelt sich durch den Karl und channelt seinen inneren Klaus Kinski bis zur Unerträglichkeit. Ja, Rasche will uns mit seiner Inszenierung sagen, dass beide Söhne des alten Moor (Götz Schulte) Räuber sind, jeder auf seine Art, aber der Karl, eine Rolle, die bei anderen Regisseuren eher ein Sympathieträger ist, quäkt es einem doch ein wenig allzu deutlich mitten ins Gesicht.
Da ist Katja Bürkles Franz doch eine ganz andere Nummer. Franz, der sich von Amalia (Nora Buzalka) mit Gewalt nimmt, was ihm nicht willig gegeben wird und, was als Vergewaltigung angelegt war, in einer unwahrscheinlich rührenden Pietà-Pose, geborgen an einem Mutterkörper, aufgelöst wird. Zum Niederknien. Wenn ich wegen Theater weinen würde, da hätte ich es getan. Und dann noch einmal wegen der Lichtregie, die in allen Szenen großartig ist, aber in dieser unübertroffen.
Bei Elektra neulich überwogen die starken Frauenrollen. (Und da ist er wieder, der Vergleich. Wie gesagt, es wäre besser gewesen, die Stücke mit größerem Abstand zu sehen. Aber mach mal was gegen den Spielplan…) Rasches Räuber sind ein reines Männerstück. Zwei (2!) Frauen auf der Bühne, deren eine eine Männerrolle spielt, dazu 20 Männer. Der Raum unablässig durchzogen von Testosteronschwaden.
Ich hatte am Vorabend zufällig mal wieder Kubricks “Full Metal Jacket” angeschaut und war erschrocken, wie die Entmenschlichung dieser Marine-Ausbildung nun auf einmal hier vor mir auf der Bühne stattfindet. Galeerensklaven. Militärparaden. Naziaufmärsche. Alles, wozu die Trommel schlägt. Ein fast hypnotischer Marschrhythmus. Alle diese Männer mit Klettergeschirren uniformiert, so dass die Schnürung unwillkürlich Schamkapseln assoziiert und ständig im Marschschritt stampfend auf dieser nie statischen Bühne (zwei parallel verlaufende Laufbänder, jeweils mittig durchzogen von einer Schiene zur Befestigung der Geschirre) stets ab- und aufsteigend in Bewegung. Unglaublich viel Gewalt. In der Sprache, in den Handlungen. Nach dreieinhalb Stunden waren endlich alle tot. Welch eine Erlösung. Endlich Ruhe.