Gelesen: Frank Schmolke – “Nachts im Paradies”

“Nachts im Paradies” ist ein Comic, eine Graphic Novel, also eine Geschichte, die, statt nur mit Sprache, auch, und wenn man es recht bedenkt, im Wesentlichen, in Bildern aus schwarzer Tusche auf weißem Papier erzählt wird. “München Noir” im Wortsinne. Rohe Bilder sind es, grob und doch feinstdetailliert. Seine Zeichnungen haben einen sehr eigenen Duktus, so klar, dass er über ganze Seiten ohne Worte auskommt.

In drei einander überlagernden Handlungssträngen porträtiert Schmolke eine Schicht des “Nachttaxlers” Vincent in der umsatzträchtigstens und widerlichsten Zeit des Münchner Jahres, während des Oktoberfests. Es geht um Vincent selbst, den Künstler (der Teil ist autobiographisch), der seinen Lebensunterhalt eben nicht mit seiner Zeichenkunst verdienen kann, sondern mit Taxifahren verdienen muß, der demnächst aus seiner bald gentrifizierten Wohnung im Westend fliegt und der an einer allgemeinen Lebensmüdigkeit, gepaart mit Zynismus und doch einem großen Herzen leidet. (Genau, de Niro, Pate aller Taxifahrer, stand auch hier am Taufbecken.) Es geht um seine halbwüchsige Tochter, kein Kind mehr, aber noch lange nicht so erwachsen, wie sie sich selbst zutraut. Und den russischen Zuhälter Igor, der dem Taxler einen Deal anbietet. Zwei, eigentlich. Eine Prämie, wenn er Kunden in Igors Bordell bringt und den “Job” als Chauffeur / Bodyguard für die Fahrten von Prostituierten für “besondere Freier”.

Schmolke hat ein ausgezeichnetes Gespür dafür, wann er mit konventionellen Panels arbeiten – und vor allem dafür, wenn er den Rahmen verlassen muß. Ich sag jetzt mal nur Dukati-Pferd-Morph. Die, die “Nacht im Paradies” lesen, werden verstehen, was ich meine. Diese 350-Seiten-Schwarte hat eine ganz eigene Dynamik und ich war ihm zwischendrin wirklich dankbar für ein wenig “Comic Relief”, bevor die nächste gewalttätige Nachtepisode losging. Ob die vielen Szenen mit sexualisierter und sexueller Gewalt hätten sein müssen? Wahrscheinlich leider ja. Gehört ja eben auch zur Wiesn, so wie Riesenrad und Kotze.

Für mich ist es schon das zweite Mal in diesem NOkotberfestjahr, dass ich das Phänomen Wiesn durch die Augen von Künstlern (erst Stefanie Sargnagel – s. https://flockblog.de/?p=40663, jetzt Frank Schmolke) sehen darf. Was mich betrifft, würde das auch zukünftig völlig ausreichen.

Ach ja, und falls es nicht klar geworden sein sollte: Schmolke lesen! Lesen! Lesen! Ich verleihe meinen Band.

Satz mit X

Schöne warme helle Sonnentage sind für mich immer ein untrügliches Zeichen, dass das Wetter endlich “richtig” ist und es jetzt für immer so weitergehen wird mit den schönen warmen hellen Sonnentagen. Höchstens noch schöner wärmer heller. Man male sich also meine Enttäuschung aus, als nach dem schönen warmen hellen Sonnentag gestern in der Nacht Gewitter tobten, Winde heulten und Wolken sich doppelt und fünffach leerregneten.

Dabei hatte ich mich auf die Regel verlassen, dass es heute noch schöner wärmer heller werden wird und einen Slot im gerade wieder hygieneregelgerecht freigegebenen Freibad im nächsten Stadtteil gebucht. Freibad. Das heißt draußen und Becken unbeheizt. Draußen ist es kalt und naß und windig. Und das Becken unbeheizt.

Halloho, ich bin Mitglied Null im Weicheiclub. Das geht doch nicht, ey! Wißt ihr, was ihr mich könnt, ihr Wettermacher?

Immer noch einer mehr…

Seit gestern gibt es auf der Trump-Merchandising Website wieder den aus der Anti-Abtreibungskampagne im Frühjahr recycelten Strampelanzug “Baby Lives Matter” zu kaufen. Eine, ist dort zu lesen, lohnende Geldausgabe für Eltern, die mit Stolz zeigen wollen, wie sie in die Zukunft ihres Kindes und ihres Landes investieren (und Trumps Wiederwahl unterstützen). (“Proudly show you’re investing in your baby’s future to Make America Great Again with this incredibly soft, boutique-style one-piece.”)

Das ist ein weiterer Gipfelpunkt des Zynismus. Was soll man dazu noch sagen?

C-Schnipsel – Die Alkohol – und Fettausgabe

# Es seien, ist aus der neuen gemeinsamen Firmenzentrale zu hören, alle Vorbereitungen abgeschlossen, für die Fusion von Weightwatchern und Anonymen Alkoholikern zu einem der erfolgreichsten Unternehmen der Nach-Corono-Ära. Von der Agentur, die den Vorschlag *OFAD* (kurz für Openly Fat And Drunk) pitchte, habe man sich getrennt. Die hätten, so der Unternehmenssprecher des noch namenlosen Unternehmenszusammenschlusses, “wohl das Prinzip nicht verstanden”. Hod wer a Idee?

# Marbella, erzählt eine Kollegin, habe sie ja für den Sommer jetzt gecancelt. “Kein Alkohol am Strand. Echt jetzt? Wozu soll ich da überhaupt noch hin? Bleib ich doch lieber im Garten und der Nachschub ist gesichert.”

# Ein sehr trendiger Hashtag auf Twitter war in den letzten Wochen #WineMom. Mein Supermarkt hilft ja gerne, wo er kann.

# Soweit ich das nach meinen noch sehr sparsamen Erfahrungen mit Öffnungsmaßnahmen beurteilen kann, haben die Dünnen unter den Menschen in den letzten Wochen einen Weg gefunden, rank und schlank zu bleiben. Die Pummel hingegen, mich eingeschlossen, haben im Hausarrest alle ordentlich zugelegt.

Endlich!

Das ist doch mal wieder ein wunderbarer Beweis für die These, dass laut genug Jammern hilft:

Neu auf Prime: Harley Quinn, die Zeichentrickserie

Im an weiblichen Helden armen DC-Universe kannte man Harley Quinn bisher nur als von der hochintelligenten Psychaterin (Dr. Harleen Frances Quinzel) zum dümmlichen Sidekick des Superschurken Joker mutierten Frauchens. Erst Margot Robbie gab der Figur in “Suicide Squad” einen anderen Spin und der zieht sich durch die nunmehr zwei Staffeln der Zeichentrickserie und ist sehr unterhaltsam.

Die Serie kommt aus dem Hause Warner Animations, das immer schon für die anarchistischen Helden (von Bugs Bunny bis Road Runner) zuständig war und die Abteilung brave langweilige Charaktere gerne den Disney Studios überlassen hat. So ist es denn auch wenig überraschend, dass bei Protestmärschen im derzeit batmanlosen (war in der 2. Staffel verletzt und muss sich erst mal erholen) Gotham Schilder mit der Aufschrift “Make Gotham great again” und viele andere vergleichbare Gemeinheiten zu sehen sind.

Gesprochen wird sie im Original übrigens von Kaley Cuoco (die “Penny” aus “Big Bang Theory”) und der von mir sehr geschätzte Alan Tudyk leiht gleich einer ganzen Auswahl von Figuren seine Stimme.

Macht Spaß! Anschauen!

Gelesen: Daniel Kehlmann – “Tyll”

Ein Gauklerroman. Ein Schelmenstück. Phantastisch und wortreich. Die Geschichte eines anderen Lebens im von Pest und dreißigjährigem Krieg verheerten Europa. Saftig, prall, grausam. Barock halt. Grimmelshausen dürfte mit Wohlwollen Pate gestanden haben, Opitz, Wolkenstein und Gryphius mit Freude einen Dichterkollegen in der doch so verachteten deutschen Sprache in ihren Kreis aufgenommen haben.

Lesen! Lesen! Lesen!

Made in America

Ich weiß nicht, was ich absurder finden soll. Dass 45 von CNN verlangt, sich zu entschuldigen, weil sie Umfragen veröffentlichen, in denen Biden mit einer komfortablen Mehrheit vor ihm liegt oder dass der Justiziar des Senders, der dieses Ansinnen in einem öffentlich gemachten Brief abschlägig bescheidet, den wunderbaren Namen D. C. Vigilante trägt.

Turbotage

Schlimm genug: der Wecker rappelt um 04:28 Uhr. Da bin ich aber schon eine Weile wach, weil ich wie immer, wenn ich außergewöhnlich früh aufstehen muss, in Halbstundenabständen aufwache, damit ich nur ja nicht verschlafe.

Auch schlimm: 5 Stunden Autofahrt. Als Unterhaltungsprogramm dienen drei dicht bedruckte Seiten “Rücksprachethemen mit dem Chef” (jener im Fahrer-, ich auf dem Rücksitz, wg. Abstand und mehr Platz zum Mitschreiben).

Mittelschlimm: Nach drei Monaten Abwesenheit zum ersten Mal wieder in Dirty Dörth im Hunsrück. Mein Postfach wurde wg. Überlaufens in der Zwischenzeit ein paar Mal geleert und außer zwei hohen wackeligen Papierstapeln wartet so gut wie jede*r Kolleg*in mit irgendeinem Anliegen. Dazwischen Vorstellungsgespräche, Meetings, IT-Umstellung. Es soll ja nicht langweilig werden.

Lichtblick: Abendessen mit der Kollegin. (Im einzigen Lokal, das nicht Ruhetag hat. Emmelshausen hat sich gar kein bißchen geändert.)

Schrägschlimm: Maskiert, weil als Gast maskenpflichtig, den kurzen Weg vom Eingang zu einem der wenigen freien eng gestellten Tische im gut besetzten Lokal zurücklegen. Die maskierte Bedienung bringt den “Wer sind Sie?”-Zettel und die Speisekarten und nimmt, noch immer maskiert, die Bestellung auf. Dann kommt der joggingbehoste Wirt (reicht ihm als Virenschutz) und beugt sich quer über den Tisch, macht Small Talk und das Lämpsche an und bringt Minuten später ein Blumenväschen als Tischschmuck. Mehr unmaskierter Smalltalk. Die maskierte Bedienung bringt derweil die Getränke. Offensichtlich gilt diese Interaktion als Signal für die Demaskierung des Pesonals, denn das Servieren der Mahlzeit sowie weiterer Getränke findet mit freigelegtem Antlitz und freundlichem sichtbaren Lächeln statt. Der Wirt ist der eher Nähe suchende Typ und fragt gefühlt alle drei Minuten nach, ob man denn gerne hier sei, ob man noch was für uns tun könne, ob es schmecke, ob man noch was reichen dürfe, ob… Hauptsache, dabei immer quer über dem Tisch liegend. Beim Toilettengang und Verlassen des Etablissements gilt Maskenpflicht. Für die Gäste.

Erträglich schlimm: bei der Frau Wirtin gibt es nur ein sichtbar schnell geputztes Zimmer im 2. Stock. Hmmm. Dafür, sagt sie, darf ich mich freuen. Ab Morgen früh sei wieder Frühstücksbüffet erlaubt. Ich nehme mir vor, die Erste zu sein.

Richtig schlimm: mein Waschbeutel hat es nicht in die fix gepackte Tasche geschafft. Wird irgendwie gehen, ein paar Not-Toilettenartikel und eine Haarbürste führe ich immer in der Handtasche mit mir. Nicht aber eine Zahnbürste. Kein schönes Gefühl, so eine Nacht und noch ein Tag mit nur mit Zeigefinger und warmem Wasser gereinigten Zähnen. Das hat man nun von der Zivilisation!

Auch schlimm: Im fremden Bett schlecht schlafen, flugs (als Gast mit Maske) vom Frühstücksbüffet (juhe!) nehmen, was wenig kontaminierbar wirkt, dabei anderen unmaskierten Gästen zusehen, wie sie sich nach der Drückprobe gegen ein Brötchen entscheiden und Wurst nach Riechprobe zurücklegen. Das ist in gewöhnlichen Zeiten schon grausig, jetzt verdirbt es mir sogar den Appetit auf den Joghurt im Weckgläschen.

Wieder nur mittelschlimm, weil mans ja schon kennt: einen Achtstundentag hinter sich bringen, keine Pause, dafür noch ein paar Meetings mehr und dann aber ab ins Auto und im strömenden Regen 500 Kilometer zurückhetzen. Als Unterhaltungsprogramm gilt es dieses Mal zwischen Stauphasen, gesperrten Tunnels und Flottfahren eine Antwort auf einen unverschämten Kundenbrief formulieren, zu dem wenigsten fünf Kollegen Informationen beitragen. Anschließend ist mir schlecht.

Wenn ich nicht ohnehin am Freitag freigenommen hätte, tät ichs jetzt erst recht. Die nächste Ochsentour steht spätestens in zwei Wochen an…