“Schreib das auf, Sargnagel!” wird der Stückl gesagt und sich in seiner Zitatsicherheit gesonnt haben. Und die Wiener Bloggerin, Poetry-Slammerin und Sprachkünstlerin Stefanie Sargnagel ist aufs Oktoberfest gegangen und hat es aufgeschrieben. Regisseurin Christina Tscharyiski brauchte den Text nur noch kongenial für die Bühne einzurichten und eine Musik dazu zu finden (EUROTEURO, auch aus Wien) – et voilà. Da sitzen wir nun, am Wiesnrand und schauen von außen zu. (Das wird auch so bleiben, selbst als das Publikum einmal bei einem Schunkellied zum Mitklatschen aufgefordert wird, ist nicht vorgesehen, dass es am Geschehen teilnimmt.)
Während der Vorstellung habe mich selbst dabei beobachtet, wie ich angespannt vor fasziniertem Ekel ein Panoptikum von kotzenden, fressenden, schnackselnden, schmatzenden, aufdentischenhampelnden, stinkenden, schmatzenden, fremden, aufgebrezelten, brunzenden, aufdringlichen, schwitzenden, suizidalen, überfressenen, einheimischen, besoffenen, komatösen, delirierenden, extremvirilen, hühnerhütigen, g’wamperten “Fest”-Besuchern (mit Flohmasken und -kostümen, wg. Allegorie*), die vor mir auf einem dicken Bauch vor Bergpanomara kraxeln, taumeln, toben, sich ineinander verknoten (“Rattenkönig”), in Chören deklamieren, umfallen, torkeln, ihre ganz kleinen und großen Tragödien durchleben, singen, springen, tanzen, sprechen, schreien, brüllen, flüstern, rumfläzen, sich krümmen, lachen, weinen, immer einmal wieder schluckend und mit immer weiter werdenden Augen angestarrt habe. (So, wie man ein überfahrenes Tier auf der Straße anschauen muß. Man weiß, dass es grausig eklig ist. Aber trotzdem.)

Bühne: Sarah Sassen, Kostüme: Svenja Gassen
Wer die Haare so liebevoll aus Leberflecken wachsen ließ, soll hiermit ein Extralob bekommen.
Es stellt sich heraus, dass es der Berichterstatterin aus Wien ähnlich ergangen sein muß. Tatsächlich, die erste Alkoholvergiftung wird 10 Sekunden nach dem Anstich diagnostiziert? Ehrlich, man zählt in Rekorden? Sowieviel Ochsen, Hendl, Vergewaltigungen, Tote? Sie ist aber toleranter als ich. Außerdem nutzt sie als Stilmittel absurdeste Übertreibungen (wofern angesichts der Realität noch möglich). Darum ist fast alles, was auf der Wampe da vorne stattfindet, sehr komisch. Nur in einem überschätzt sie die Bayern. Die können doch beim Biertrinken nicht an sich halten. Nach “oans” und “zwoa” wird traditionell schon “g’suffa” und nicht erst noch bis drei gezählt. Dauernd dröhnt “Ein Prosit der Gemütlichkeit” durchs Haus, das ist aber zu ertragen, weil die Musikcombo in mehreren Genres sattelfest ist (“Komm hol dein Lasso raus…”). Ich hätte auf das Ficklied verzichten können, aber sonst habe ich nur zu loben.
Hingehen! Anschauen! Unbedingt!
Wer hätte ahnen können, dass der Theaterbesuch nur zur Vorbereitung auf den Nachbesprechungstermin im Löwenbräukeller dient, wo akkrat am Freitagabend der Beginn der Starkbierzeit ausgerufen worden war. Mit (Eigenwerbung) “Oktoberfeststimmung mit den Kult-Bands Blechblos’n und Jetzendorfer”.
Wir kommen rein und es ist laut, die Luft schon lange verbraucht und geschwängert mit der säuerlichen Note von Bier in Schänkenabflüssen, Schweinefleisch in dicken Soßen und lange nicht geleerten Latrinen (im Hochsommer). Was hätte wohl Frau Sargnagel gemacht aus den ranzigen Lederhosen der Kellner? Ganz speziell aus den aberwitzigen Dialogen, die sich ergeben, als einer von denen von Tisch zu Tisch eilt, um dort nach “seinem Gerät” zu fahnden. Wäre ihr angesichts des dicken Blechbläsers, der zu allem, sei es der Schneewalzer, Rosamunde oder My Way immer dieselben drei Noten hupt, auch noch einmal die kleine blonde Frau mit Riesentuba eingefallen, die ihr nächtens auf dem Heimweg begegnet ist? Meine Favoritin in diesem speziellen Panoptikum ist die überlaute angelsächsische Touristin drei Tische weiter, deren durchdringende Stimme sich gar nicht anderes beschreiben läßt als die eines schlecht-, nein, eines sehr schlecht gelaunten Piratenpapageis. Ihrem Begleiter, an dem sie auf enger Tuchfühlung hängt, wünsche ich dicke Ohrenklappen (Evolutiohon, haaa-llo!). Mir eigentlich auch.
Außerdem nehme ich mir vor, beim nächsten Mal einen Tisch beim Italiener ums Eck oder im, nebbich, im Meschugge zu bestellen. In den Löwenbräukeller geh ich erst wieder, wenn die Biergartensaison eröffnet ist. Draußen ist es da nämlich schön.
* Da ist den Machern der intellektuelle Überbau ein bißchen durchgegangen. Ohne die Einführung, bei der Dramaturgin Rose Reiter erklärt, dass Flöhe sinnbildlich für Lebewesen stehen, die sich gerne in Dreck und Filz bewegen, hätte ich das ja bis zum Schluß nicht verstanden.