“Nachts im Paradies” ist ein Comic, eine Graphic Novel, also eine Geschichte, die, statt nur mit Sprache, auch, und wenn man es recht bedenkt, im Wesentlichen, in Bildern aus schwarzer Tusche auf weißem Papier erzählt wird. “München Noir” im Wortsinne. Rohe Bilder sind es, grob und doch feinstdetailliert. Seine Zeichnungen haben einen sehr eigenen Duktus, so klar, dass er über ganze Seiten ohne Worte auskommt.
In drei einander überlagernden Handlungssträngen porträtiert Schmolke eine Schicht des “Nachttaxlers” Vincent in der umsatzträchtigstens und widerlichsten Zeit des Münchner Jahres, während des Oktoberfests. Es geht um Vincent selbst, den Künstler (der Teil ist autobiographisch), der seinen Lebensunterhalt eben nicht mit seiner Zeichenkunst verdienen kann, sondern mit Taxifahren verdienen muß, der demnächst aus seiner bald gentrifizierten Wohnung im Westend fliegt und der an einer allgemeinen Lebensmüdigkeit, gepaart mit Zynismus und doch einem großen Herzen leidet. (Genau, de Niro, Pate aller Taxifahrer, stand auch hier am Taufbecken.) Es geht um seine halbwüchsige Tochter, kein Kind mehr, aber noch lange nicht so erwachsen, wie sie sich selbst zutraut. Und den russischen Zuhälter Igor, der dem Taxler einen Deal anbietet. Zwei, eigentlich. Eine Prämie, wenn er Kunden in Igors Bordell bringt und den “Job” als Chauffeur / Bodyguard für die Fahrten von Prostituierten für “besondere Freier”.
Schmolke hat ein ausgezeichnetes Gespür dafür, wann er mit konventionellen Panels arbeiten – und vor allem dafür, wenn er den Rahmen verlassen muß. Ich sag jetzt mal nur Dukati-Pferd-Morph. Die, die “Nacht im Paradies” lesen, werden verstehen, was ich meine. Diese 350-Seiten-Schwarte hat eine ganz eigene Dynamik und ich war ihm zwischendrin wirklich dankbar für ein wenig “Comic Relief”, bevor die nächste gewalttätige Nachtepisode losging. Ob die vielen Szenen mit sexualisierter und sexueller Gewalt hätten sein müssen? Wahrscheinlich leider ja. Gehört ja eben auch zur Wiesn, so wie Riesenrad und Kotze.
Für mich ist es schon das zweite Mal in diesem NOkotberfestjahr, dass ich das Phänomen Wiesn durch die Augen von Künstlern (erst Stefanie Sargnagel – s. https://flockblog.de/?p=40663, jetzt Frank Schmolke) sehen darf. Was mich betrifft, würde das auch zukünftig völlig ausreichen.
Ach ja, und falls es nicht klar geworden sein sollte: Schmolke lesen! Lesen! Lesen! Ich verleihe meinen Band.