Hauptsache Smørrebrød

Als das Teams-Meeting zu Ende geht und man sich am Donnerstagnachmittag beim einen oder der anderen schon fürs Wochenende verabschiedet (freitags arbeitet, wer auf sich hält, inzwischen vorzugsweise von zu Hause), traut sich eine doch, schüchtern bei mir anzufragen, ob ich denn wohl am Wochenende auch Fußball schauen täte. Wer mich kennt, kennt auch meine Standardantwort, nämlich, dass ich mir nichts daraus mache, Männern dabei zuzusehen, wie sie mit Bällen spielen. (Frauen auch nicht.)

Weil ich aber zur Höflichkeit erzogen wurde, frage ich nach, wann “wir” denn spielen und bin ein bißchen überrascht, als mir, wie aus der Pistole geschossen, “Sonntag” zugerufen wird, weil selbst ich weiß, dass Schland am Samstag spielt. Hmmm. Die Falschaussage unkorrigiert stehen lassend (fällt mir schwer), erkundige ich mich nach “unserem” Gegner. Hektisches Tastaturgeklapper, dann die Antwort: “Schweden!” und schon etwas leiser “glaub ich. Die haben doch so eine Flagge mit einem Kreuz?” “Welche Farbe hat die Fahne denn?” “Na, so rot-weiß.” “Dann kann es ja eigentlich nicht Schweden sein…” merke ich mit sehr sanfter Stimme und langsamer sprechend an. Man glaubt nicht, wie nett ich sein kann, wenn mir wer Schwachsinn erzählt, ich glaubs ja selber nicht. “Nein. Vielleicht nicht… Hmmm…” denkt es auf der anderen Seite und möchte lösen: “Rot-weiß mit Kreuz? Die Schweiz. Wir spielen gegen die Schweiz.” Inzwischen habe ich selbst gegoogelt und korrigiere doch: “Nein, nicht Schweiz. Julians Jungs spielen gegen Dänemark.” Aufatmen am anderen Ende des Telefons: “Ach so, kein Problem. Das ist eh fast dasselbe wie Schweden.” Gleich zwei Nationen in einem Atemzug beleidigt. Hut ab. Früher wäre sowas ein Kriegsgrund gewesen.

Ich beschließe, am Samstagabend nach dem Anpfiff keine Überlegungen zum Zusammenhang zwischen IQ und Fußballfantum anzustellen. Schließlich kenne ich auch kluge Leute, die daran Spaß haben, sich die EM anzusehen. Bloß ich halt nicht.

Jedes Mal,

aber auch wirklich jedes Mal, wenn ich diese Anzeige sehe, denke ich an Jesus.

@alle Christenkirchen: Propaganda kann so einfach sein…

A Hard Night’s Day

Montagmorgen, viel zu früh. Ich verlasse den Aufzug, um zur Arbeit zu fahren, ein schweratmender junger Mann mit einer vollbeladenen Sackkarre drängelt herein. In den transparenten Tüten scheppern lauter bunte Dosen. Während ich mich mit eingezogenem Bauch irgendwie an ihm und seiner Ladung vorbei aus dem Lift winde frage ich: “Sind das…?”

“Ja. Alles Energydrinks. Gekühlt. Bis halb acht zu liefern.” Während sich die Aufzugstüren schließen, meine ich noch, möglicherweise neidvoll, zu hören: “Alter. Muß der eine Nacht gehabt haben…” Könnte aber auch sein, dass ich mir das nur gedacht habe.

Wir müssen reden

Mir geht diese Unsitte, dass Lebensmittel Botschaften für mich haben, sowas von dermaßen auf den Senkel, ey.

Damit meine ich nicht nur den der treuen Leserschaft bereits altbekannten Teebeutelphilosophen, der mich schon morgens, bevor der Tag im Büro so richtig losgegangen ist, mit Dummbinsenweisheiten wie “Jedem Nachteil steht ein Vorteil gegenüber” so richtig auf die Palme bringen kann. Nein. Es haben ja inzwischen alle was zu sagen.

Mein Joghurt beispielsweise schreibt mir: “Gesund für die Kuh – natürlich gut für Du”. Nein, okay, das war gelogen, das schreibt er nicht. Er kann ja nicht so gut reimen wie ich und schreibt “für Dich”, aber warum versucht er überhaupt, mit mir zu kommunzieren? Ich will das nicht. Ich will auch nicht darüber nachdenken, wieso Joghurt gesund für die Muhkuh sein soll (ist das nicht fast kannibalistisch? Und was ist mit Bullen, Ochsen, Kälbern?) und ob bei vier Mägen Links- oder Rechtsdrehung empfehlenswerter ist… da! Nicht das Hirn für so einen Dreck in Schwung bringen, verdammt!

Meine Milch steht ihm aber in nichts nach: “Ich kenne meine Wurzeln”, teilt sie mit. Ich will gleich widersprechen, dass das nicht sein kann, weil Kühe zur Fauna gehören und nicht zur Flora, sie läßt sich aber nicht unterbrechen. “Ich bestehe überwiegend aus Karton. Das Holz dafür ist ein nachwachsender Rohstoff.” Ah, hier spricht nicht das Lebensmittel, sondern die Verpackung. Schnauze, ey! Geht aber weiter, der Bruderpack daneben versucht es auf die Mitleidstour: “Ich habe eine zweite Chance verdient” jammert er, um im nächsten Satz mit seinen Karrierechancen als “Möbel, Palette oder Lieferkiste” zu protzen. Herrje! Wurscht, ob essbar oder nicht, ich will nicht von einem Lebensmittel und nicht von seinem Behältnis angesprochen werden. Mensch!

Den Rest gegeben hat mir heute Abend die Packung Grillwürste, die ich gestern nicht zum abgesoffenen Grillfest mitgenommen habe. Ich sehe das jetzt erst: Die reimt. Und zwar “Weisheiten der Currywurstgemeinde”. “Gelingt der Braten auch nicht immer – Currywurst. Du Hoffnungsschimmer.” Ich weiß nicht, ob es noch schlimmer geht, aber es langt.

Ich will und muss für heute schließen und irgendwo in einer Ecke vor mich hinweinen und von den alten Zeiten träumen, in denen es keine geschwätzigen Esswaren gab. Ruhe bitte!

Schon lang nicht mehr im Kino: “Hot Fuzz”

Der Film ist in Deutschland zu einer Zeit herausgekommen, als ich gerade anfing, mich in meiner Gastheimat zu akklimatisieren und noch dazu unter dem mehr als saudummen Titel “Zwei abgewichste Profis” und ich hätte ihn schon allein deswegen niemals freiwillig angesehen. Das macht aber nichts, die Komödie um den aus der Großstadt ins Dorf strafversetzten Überfliegerpolizisten hat sich gut gehalten und funktioniert auch fast 20 Jahre später noch.

Alles vollkommen vorhersehbar: der Neue (Simon Pegg) eckt in der engen Dorfidylle überall an, sein Sidekick Nick Frost ist ein tumber Tor, Kollegen und Vorgesetzte übertreffen sich beim Mobben und gegen alle diese Widerstände deckt der Auswärtige doch eine langanhaltende dorfweite Verschwörung auf und alles wird gut.

Natürlich ist der diabolisch grinsende Frauenheld und Sportwagenschurke sowie Einmal-Bond Timothy Dalton einer der Rädelsführer, natürlich stecken Dorfarzt, Wirtsehepaar, Vikar sowie sämtliche anderen Honoratioren als schwarze Kapuzenkonspiratöre unter derselben Decke, natürlich sind die reizenden alten Gartenpflegedamen schießwütige Amazonen, natürlich macht die beschlagnahmte Bombe im Asservatenraum zur rechten Zeit Bumm, natürlich werden im Showdown-Kugelhagel, bei dem natürlich das ganze Waffenarsenal aus der Scheune des eigenartigen Einsiedlers zum Einsatz kommt, nur die richtigen an- und totgeschossen und alle Beteiligten, inklusive der Zuschauer, haben einen Riesenspaß an den total überzeichneten Klischees.

Wenn’s denn schon wieder ein verregneter Juniabend sein muss, ist der so gut verbracht. Anschauen.

Gelesen: Oskar Kroon – “Warten auf Wind”

Klimawandel, Depression, Patchworkfamilie, Tod und gleichgeschlechtliche Liebe zwischen Teenagern. In Florida hätte das Buch schon allein wegen Ron DeSantis’ “Stop WOKE Act (Stop the Wrongs to Our Kids and Employees Act)” keine Chance gehabt. Diese Art der Grobzensur ist zum Glück noch nicht über den Großen Teich geschwappt und darum darf diese sehr schöne Sommergeschichte bei uns gelesen und genossen werden.

Und wie! Mein Schwedisch ist mies und darum kann ich nur bewundern, welcher großartige Job dem Übersetzer Stefan Pluschkat gelungen ist, der den Jugendroman, den Oskar Kroon als Ich-Erzählung einer sozial eher unbeholfenen Heranwachsenden angelegt hat, in eine sehr schlichte, wahrhaftige und ungemein überzeugende deutsche Fassung überträgt. Man möchte mit Vinga und Opa in diesem heißen schwedischen Sommer auf der abgeschiedenen Insel sein und das einfache Leben leben.

Ob es diese arg woke angeflanschte Liebesgeschichte gebraucht hätte? Ganz ehrlich? Kein Stück. Das junge Paar wirkt auf mich bis zum Schluss nicht glaubhaft, aber hey, mit dreizehn eine lesbische Neigung zu entdecken, darf aktuell halt nicht fehlen. Kann man beim Lesen großzügig übersehen und das Restbuch ist wunderbar.

Ich bin mir nicht ganz sicher, ob die Zielgruppe wirklich Young Adult ist. Ich bin ja schon erwachsen und fand den einfühlsam beschriebenen Blickwinkel der Dreizehnjährigen sehr erhellend, könnte mir aber vorstellen, dass er eine Pubertierende eher langweilt.

Für mal an einem sonnigen Nachmittag schnell wegzulesen: absolut empfehlenswert.

Sommersonnenwende

Pah! In Grund und Boden würde ich mich schämen, wenn ich in diesem Imitatssommer als Tag mit diesem Namen geschlagen wäre. In Grund und Boden! Mindestens.

Aus dem Vokabelheft

Ich hab längst vergessen, wer diesen Artikel bei Spiegel Online verbrochen hat. Aber für eine Wortschöpfung wie “Eventietum” gibt es ein Fleißbienchen.

Gelesen: Micaiah Johnson – “The Space between Worlds”

Von der Kritik wird Johnsons Erstling extrem hochgejazzt, da habe ich mir doch selbst ein Bild vom Wunderwerk gemacht.

Nun.

Die Grundvoraussetzung ist Science Fiction Standard: Die große Umwelt/Klimakatastrophe hat stattgefunden. Der privilegierte Teil der überlebenden Menschheit lebt in mächtigen Stadtstaaten unter Kuppeln, geschützt vor der Strahlung einer bösen Sonne, mit gefilterter Luft, guter und frischer Nahrung, hohem Einkommen, hoher Lebenserwartung und, siehe den Sonnenschutz weiter oben, weißer Hautfarbe. Die anderen leben ungeschützt in den “Wastelands”, unter einem von Mad Max inspirierten Regime eines “Emperors”, sind arm, krank, elend, schwarz und einem frühen Tod durch Hunger, Seuchen und viel Gewalt geweiht.

Nicht ganz neu ist die Idee, dass es ein Multiversum und damit Parallelerden zu dieser Erde gibt. Fast wie diese, aber nicht ganz. Mit mehr und anderen Rohstoffen, zum Beispiel. Oder Agrargütern. Oder medizinischen Fortschritten. Oder. Was liegt näher, als diese Schwesteruniversen auszubeuten? Gesagt, getan. Nur leider überleben die Gesandten aus der Kuppelstadt ihre Mission nicht. Warum? Weil ihre Entsprechung, ebenfalls aus der gut genährten gebildeten Oberschicht auf der Parallelerde ebenfalls am Leben ist. Und, so die Prämisse, zwei identische Lebewesen können nicht gleichzeitig auf einer Welt existieren. (Weiß man doch selbst als Laie aus Science Fiction Filmen, wohin das führt. Mann.) Was liegt also näher, als zukünftige Traverser dort zu rekrutieren, wo die Überlebenschancen wesentlich geringer sind?

In den 382 bisher bekannten Realitäten hat Ich-Erzählerin Cara aus den Wastelands gerade mal in acht überlebt und die Geschichte beginnt damit, wie sie in einer davon eine weitere Version von sich zu Tode geprügelt auffindet, ihre Chance nützt und deren Identität annimmt. Das ist zunächst ein wenig verwirrend, wird im Laufe der Erzählung aber gut erklärt. Johnson hat unglaublich viele Themen und sie will sie alle alle unterbringen: unterdrückte gleichgeschlechtliche Beziehungen, Familie und all deren Facetten, Glaube und Religion, Ausbeutung in jeder Form, Gewalt, Gewalt, Gewalt, Klimawandel, Rassismus, Armut, Ressourcenmangel, Hunger, Chancenungleichheit in Bildung, Gesundheitsversorgung usw., Kapitalismuskritik, Prostitution – wobei, das Konzept der “Houses” als sicherer Hafen hat einen gewissen Charme. Aber davon einmal abgesehen: ganz bestimmt gut gemeint, aber leider überfrachtet. Vollkommen überfrachtet.

Ich habe die Heldin mehrfach bewundert, wie sie die verschiedenen Varianten ihrer Bezugspersonen in den vielen verschiedenen Realiäten auseinanderhalten kann – ich war ja schon beim Lesen überfordert. Da hätte ein gutes Lektorat Segen stiften und das Konvulut um ein paar Erzählstränge kürzen können – die eigentliche Botschaft wäre dennoch nicht verloren gegangen.

Spannend? Fraglos. Neu? Das auch. Vorbehaltlos empfehlen kann ich das Buch trotzdem nicht. Zu viel des Guten ist halt auch zu viel. Wer’s dennoch lesen mag, kann mein Exemplar haben. In meiner Bibliothek wird es nicht zu einem der Bleibenden.