Neu auf Amazon Prime: “Perfekt verpasst”

“Nett” sei die Produktion, so die empfehlende Freundin und “sehr sympathisch” möchte ich hinzufügen. Die 8 Folgen à 30 Minuten lassen sich an einem Abend wegbingen und so ist das wohl auch gedacht; auf mehrere Sessions heruntergebrochen wär’s nix.

Man sollte sich nicht täuschen: auch wenn “Romcom” draufsteht, handelt es sich bei “Perfekt verpasst” um ein Drama. Zwei Menschen in ihren frühen Fünfzigern (sehr kongenial und überhaupt kein bißchen slapstickig verkörpert von Anke Engelke und Bastian Pastewka) stehen vor den Scherben ihrer Existenz. Nicht der materiellen, die ist gesichert, beide führen Einzelhandelsgeschäfte in einer mittelgroßen Universitätsstadt, sind in ein soziales Netz eingebunden und von außen betrachtet erfolgreich. Aber. Beider Lebenspläne sind vor kurzem in Rauch aufgegangen. Puff. Weg. Die Ehe frisch geschieden, die Kinder fast aus dem Haus beim einen, der Traum, als Autorin erfolgreich zu sein und weiter eine unverbindliche Beziehung mit erfüllendem Sex mit einem guten Freund zu führen bei der anderen.

Mitleidig sieht man zu, wie sie strampeln, gut gemeinte (und trotzdem oft hochgradig verletzende) Ratschläge befolgen und/oder ignorieren – sie führen das falsche Leben im vermeintlich richtigen und hinter der fröhlichen Fassade sitzt ganz dicht der andauernde Katzenjammer, ach was, wirkliches Leid.

Man verstehe mich nicht falsch: die Serie ist keine Comedy, kann aber komisch. Engelke und Pastewka (und der ganze gute Cast um sie herum) beherrschen das Timing, sie verraten ihre Figuren nicht ein einziges Mal. Autoren und Regie haben einen guten Job gemacht, gerade wenn sie alles, was bei beiden schiefgehen konnte, parallel zeigen. Sehr hübsch.

Ich prophezeihe, dass wir dergleichen in Zukunft mehr sehen werden. Es ist ja nicht leicht, alt zu werden. Genausowenig wie alt zu sein. Und darum werden auch zunehmend Geschichten über Menschen, die ganz normal alt sind und damit klar kommen gezeigt werden – nicht die Ausnahmen wie der sexy Schwerenöter mit 70+ oder die verbrecherjagende alte Jungfer.

Denn: wir sind Boomer. Und wir sind Legion.

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Nachtrag für Frau S. aus D.: nein, mir ist das Ende nicht zu schnell gekommen. Es war einfach jetzt an der Zeit und für mich ein guter Schluss. Ich hoffe bloß, sie kleben keine 2. Staffel dran. Das wäre übel.

Eine geht noch

Neulich habe ich noch geschrieben, dass nach den herrlichen Wortschöpfungen Wollmüllsau und Vollmilchsau bestimmt nichts mehr kommen kann. (s. https://flockblog.de/?p=49111)

Hob i mi deischd.

Ein Bewerber diese Woche pries sich in glühenden Worten als eierlegende Wolfsmilchsau an. Na dann ist die Nachfolgesuche jetzt auch geritzt.

Geometrie für Anfänger

“Und so”, erklärt der Vortragende heute in einem Webinar, “schließt sich das Kreuz”.

Ich lasse diese Konstruktion unkommentiert, weil mir dazu nix einfällt.

Wiedergelesen: Becky Chambers – “The Long Way to a Small, Angry Planet”

Ich war seinerzeit ja schon sehr angetan von diesem ersten Band der vierteiligen Wayfairer-Trilogie (s. https://flockblog.de/?p=39435) und kann mich nur wiederholen: Gut geschriebene und recherchierte Wohlfühl-Sciene-Fiction, mit ordentlich Phantasie und etwas Linguistik angereichert oder, wie es das amerikanische Föjetong inzwischen zu bezeichnen beliebt: hopepunk.

Mir wurscht. Die Wayfairer-Trilogie kann man alle paar Jahre mit derselben Freude wie beim ersten Mal wiederlesen und das ist schon viel.

Winter is coming.

Adele,

lerne ich gerade vorhin im U-Bahnvierer von einem Mann, der seiner Frau die Welt erklärt, sei “nicht etwa overrated. Nur overhyped.”

Wissen wir Umsitzenden das nun also auch. Danke, du Mann.

Anatomie für Anfänger

Er fühle sich, so der Gesprächspartner am Telefon heute, von meiner Aussage sehr auf den Schips getreten. Und wiederholt mit ca. vier Ausrufezeichen in der Stimme und in Großbuchstaben: AUF DEN SCHIPS!!!!

Das tut mir leid. Ist bestimmt schmerzhaft.

Die komplette Parkharfe leer*

Da stehen wir nun, drei etwa gleichaltrige Frauen und seufzen. “Ach”, sagen wir, während die eine “Herbstmilch” vom Buchrücken abliest, “die Anna Wimschneider”, und erzählen uns, wie beeindruckt wir jungen Stadtmenschen das damals gelesen haben. “Der Butt”, liest sie weiter und wir erinnern uns, wie wir noch jung waren und der Grass Wahlkampf für die SPD gemacht hat – “macht ja heute auch keiner mehr”. “Ein fliehendes Pferd” und wir wissen alle, das ist Walser und ich ganz besonders, weil die Heldin Sabine hieß und dass wir von dem alten Mann vom Bodensee heute gar nix mehr halten.

Und dann reden wir davon, wie wir manche Titel eh daheim haben und sie hier wie alte Bekannte lächelnd begrüßen und wie wir schon welche hier deponiert haben, weil “die Augen nimmer so mitmachen, wenn die Schrift so klein ist” – auch wenn die Trennung schwer fiel. Und dann nimmt jede aus einer mitgebrachten Tasche ein paar Bände und stellt sie in die zweite Reihe und die anderen schauen ganz aufmerksam, was da gerade neu ankommt. “Oh, alle noch eingeschweißt.” Ja, schimpft sie, weil nämlich ihre alte Mutter sich seinerzeit eine Mitgliedschaft hat aufschwatzen lassen und darum entsorgt sie hier “Angélique” und ihr Schicksal in mehreren Bänden. Und “Der Pate”, bei dem wir uns gemeinsam an die roten Ohren und die Lektüre unter der Bettdecke erinnern, weil wir für die Corleone-Saga eigentlich noch viel zu jung waren. Und heute? Heute haben wir arthritische Hände und können so dicke Wälzer gar nicht mehr so lange halten, schon gar nicht bei schlechtem Licht. Mensch!

Eine langt richtig zu und füllt ihren Beutel. Sie, sagt sie, fahre bald in Urlaub und man könne diese geschenkten Bücher dann im Ferienort ohne schlechtes Gewissen zurück lassen und den entstandenen Freiraum mit Mitbringseln füllen. Wir anderen beiden sind hin- und hergerissen zwischen Neid und dem unbestimmten Glücksgefühl, heute nichts gefunden zu haben und vielleicht irgendwann mal wirklich Luft in den Regalen zu Hause zu schaffen.

Daran, versichern wir uns zum Abschied grinsend, glauben wir aber selbst nicht.

* Also nicht nur einer, sondern drei “Fahr-einfach-vorwärts-rein-und-stell-dein-Auto-ab”-Parkplatz frei (s. auch https://flockblog.de/?p=48409). Was soll ich machen, das sind die Regeln und ich muss anhalten, am roten Bücherschrank vor dem Feuerwehrhaus… Manno.

Gelesen: Patrick Wirbeleit und Matthias Lehmann – “Ich und Tod Detektei”

Das ist mal ein ausgesprochen liebenswertes Buch. Eine Bildergeschichte mit Sprechblasen, im besten Sinne eine Graphic Novel.

In detailverliebten Bildern erzählen die Autoren eine herbstliche Dorfgeschichte (Diese Farben! Diese Perspektivwechsel! Hach hoch drei!) um einen Knaben mit wenig gleichaltrigen Freunden, dafür aber guten Beziehungen zu mehreren Dorfgenerationen sowie dem Tod. Letzterer hätte ihn mal nach einem Unfall einmal beinahe mitgenommen, dann aber doch nicht und seither ist Lukas einer der wenigen Menschen, die den Tod sehen können.

Und war für einen Tod. In einer schwarzen Kapuzenkutte, knielang, aus der unten die knochigen Waden und Füße hervorschauen und oben ein sympatisch wirkender Schädel. Keine Sense, allerdings. Weil die immer sperrig und im Weg war. Sagt Tod. Sehr herzig.

Die beiden ermitteln nun in einem verdächtigen Todesfall und es ist dabei sehr von Vorteil, dass Tod nicht an Raum und Zeit gebunden ist und mal schnell nachsehen kann, ob wer zu Hause ist oder ein Bild noch hängt, wo es immer war oder ein Schlüssel steckt, während sie gerade kombinieren. Ich wünschte mir, dass es solche Bücher schon gegeben hätte, als ich noch Leseanfängerin war. So sei es Menschen mit Kindern oder Enkeln in dieser Altersklasse sehr ans Herz gelegt.

Lesen!