Gelesen: Adam Silvera – “They Both Die At The End”

Es hätte überhaupt keinen Unterschied gemacht, ob ich “They Both Die At The End” gelesen hätte oder nicht, das Buch entsprach vollständig meinen Erwartungen.

Alles drin, was es derzeit in den USA für ein erfolgreiches und äußerst vorhersehbares Jugendbuch braucht: woke Sprache, traumatisierte junge Menschen, die durch echte Freundschaft wieder Sinn im und Freude am Leben finden, Teenagerschwangerschaft inkl. Entscheidung fürs Kind statt für Studium und Karriere und somit für den Rest des Lebens ein gutes und ehrliches Leben als Kellnerin (Erhalt des Niedriglohndienstleistungssektors), Schurken mit “anger issues” und Schußwaffe, gleichgeschlechtliche Liebe, Odd Couple, Erweckungserlebnisse im Plural.

Die Idee ist eigentlich interessant: wer dran ist, erhält kurz nach Mitternacht einen Anruf, dass er im Lauf der nächsten 24 Stunden sterben wird und ist hinfort ein “Decker”. (To deck someone ist amerikanischer Slang für jemanden so heftig in die Fresse schlagen, dass er zu Boden geht und bestenfalls nicht mehr aufsteht.) Um dieses “Lebe diesen Tag, als wäre es dein letzter (denn er ist es)”-Phänomen entwickelt Silvera eine ganze Industrie. Das ist originell und liest sich auch recht flott und unterhaltsam, aber ich denke, mit diesem einen Buch habe ich sein ganzes Schaffen verstanden und für mich abgehakt.

Wer mein Exemplar für ein, zwei Nachmittage am Strand haben will, gebe Bescheid. Und es danach weiter.

Vorhin, beim Discounter

Eigentlich ist gerade Ferienzeit und überall erfreulich wenig Betrieb, aber im Drogeriegang ist die Hölle los. Zwei Heranwachsende, weiblich, noch vor 9:00 Uhr früh perfekt geschminkt sowie bauchfrei, mit je zwei lose an die Frau geketteten bzw. gekordelten Handys in lustigen bunten vielbestickerten Hüllen, Gekreisch, Gekicher.

Die eine sprüht irgendwas aus einer der vielen Deo-, Bodyspray-, Billigparfumflaschen bzw. -dosen, die andere schreitet und posiert durch den so entstandenen Nebel. Nächste Dose, same procedure. Es werden jeweils Selfies und Dusies gedreht, sie haben zu tun.

Hmmm. Was den einen ein TikTok-Filmset ist, dürfte für alle anderen unter den Begriff Biohazard fallen und mindestens für den Rest dieses Tages nur noch in Hazmat-Anzügen und schwerem Atemschutzgerät betreten werden können.

Wenn ichs recht bedenke, habe ich noch genug Klopapier und Zahnpasta zu Hause. Hust.

Fehlzündungen

Meine Lieblingsmillennia bittet darauf hinzuweisen, dass man als Boomer nicht (ganz) unfehlbar sei. Das ist möglicherweise nicht ganz unrichtig, allerdings würde der Welt ohne meine Synapsen der zweifellos große Sangeskünstler Justin Timberland fehlen.

Nämlich.

Klärungsbedarf

Wie ich heute einer Schlagzeile eines Online-News-Portals entnehme ist es ja so:

Und Hausschweine? Fahren die raus an den See oder wie?

Alles wie immer, alles neu.

Wenn man den jungen Kollegen heute noch einmal lobt, warnt die Kollegin: “Dann hebt er ab.”

Was mich natürlich, wie jeden guten Boomer, dazu veranlasst, ihr den Link zu Tom Schillings Major Tom zu schicken (ab 0:45).

Was die junge Frau, noch keine 30 (aber bald) hiermit kontert:

“Direkt von Anfang an.” Sagt sie.

Was sagt das nun über Boomer und Millennials, dass ich ihrs kannte, sie meins aber nicht? Hmmm?

Heda, August, hergehört und aufgemerkt!

Richtig: T-Shirt und luftige Flatterhose oder Kleidle, Sandalen.
Ganz, ganz falsch: Unterhemd, Pulli, Anorak, lange Hose, Strümpfundschuh.

Richtig: 1 (in Worten: ein) Regentag zum Buchauslesen.
Supersonderextrafalsch: Mehr als 1 (in Worten: ein) Regentag en suite mit Thermometer auf Halbmast.

Merken und danach handeln. Ab morgen bitte wieder 30° (Celsius, nicht Zerfahrenheit) und dann weiter so. Ja?

Du möchtest doch nicht von der Frau flockblog geschimpft werden, oder?

Gelesen: Barbara Kingsolver – “Demon Copperhead”

Dank dieses sehr verregneten Tages habe ich den jungen Herrn Copperhead heute doch noch bis zum Ende seines aktuellen Lebensabschnittes (= des Buches) begleiten können und holla, the Forest Fairy – so begeistert war ich schon lange nicht mehr! Ich konnte die wenigen Male*, die ich in meinem langen Leseleben bei einem Buch zum Ende vorgeblättert und “gespickt” habe, lässig an einer Hand abzählen. Nun brauche ich zwei Finger, weil ich mittig so mitgenommen war vom Schicksal des Buben, dass ich eine Indikation brauchte, wie es ausgeht. Selbst das Wissen, dass Dickens’ “David Copperfield” Pate gestanden hat, reichte nicht. Man weiß ja nicht, was eine moderne Schriftstellerin mit dem Kind aus Appalachia (spezifischer Kentucky) macht. Auch und gerade, weil ich seinerzeit J. D. Vances Hillbilly Elegy mit einem gewissen faszinierten Ekel gelesen hatte und dem republikanischen Running Mate häufig der Vorwurf gemacht wurde, er betreibe LARPing – stelle also im Rahmen eines “live-action role-playing game” etwas dar, das er nicht ist. Nichts liegt Kingsolver ferner.

Sie schafft es, die Entwicklungsgeschichte des zu Beginn der Erzählung Zehnjährigen in seinen Worten zu vermitteln, was auch heißt, dass seine Sprache mit zunehmendem Alter einen größeren Wortschatz umfasst. Im Schicksal des Kindes spiegeln sich mehr als 200 Jahre amerikanischer Geschichte. Eine Geschichte des Kapitalismus, der Ausbeutung (https://www.youtube.com/watch?v=RRh0QiXyZSk), des Rassismus. In seine Zeit fällt zu allem Überfluss die Opioid-Katastrophe, die, wie eine Figur im Buch sagt, eine ganze Elterngeneration ausrottet. Aber eigentlich will ich gar nicht anfangen, einzelne Situationen hervorzuheben, wiewohl es viele Szenen gibt, die sich mir eingebrannt haben. Nur so viel: normalerweise schrecke ich vor Hypes zurück (“Over One Million Copies Sold”), in diesem Fall hoffe ich, dass die ganze Million, die das Buch gekauft hat, es nicht nur gelesen, sondern auch weitergegeben hat, damit noch mehr Menschen lesen.

Bitte lesen! Lesen! Lesen!

* Nämlich exakt ein einziges Mal, bei “Heidi” und dem Kapitel “Ein Gespenst im Hause Sesemann” und, zu meiner Entschuldigung, da konnte ich noch nicht sehr schnell lesen, weil ich höchstens acht Jahre alt war.

Noch nicht ganz ausgelesen: Barbara Kingsolver – “Demon Copperhead”

Ich fürchte, mein letztes Ferienwochenende wird nicht ganz reichen, um dieses sehr großartige Buch fertig zu lesen. Also vorerst nur drei Anmerkungen:

Erstens: Ja, der Jubel quer durch die gesamte Rezensentenschar ist mehr als gerechtfertig. Zweitens: Ich schließe mich bereits jetzt Kate Atkinsons Meinung an, die sagt, dieses Werk sei ohne Zweifel das beste Buch, das sie in diesem Jahr gelesen haben werde (Hach, Futur II, einfach was wunderbares).

Drittens: Lesen! Lesen! Lesen!

Mehr dazu, wenn ich durch bin. Was freue ich mich auf die Zeit, wo mich Erwerbstätigkeit nicht mehr von Lesemarathons abhalten wird. Triple-Hach!