Dank dieses sehr verregneten Tages habe ich den jungen Herrn Copperhead heute doch noch bis zum Ende seines aktuellen Lebensabschnittes (= des Buches) begleiten können und holla, the Forest Fairy – so begeistert war ich schon lange nicht mehr! Ich konnte die wenigen Male*, die ich in meinem langen Leseleben bei einem Buch zum Ende vorgeblättert und “gespickt” habe, lässig an einer Hand abzählen. Nun brauche ich zwei Finger, weil ich mittig so mitgenommen war vom Schicksal des Buben, dass ich eine Indikation brauchte, wie es ausgeht. Selbst das Wissen, dass Dickens’ “David Copperfield” Pate gestanden hat, reichte nicht. Man weiß ja nicht, was eine moderne Schriftstellerin mit dem Kind aus Appalachia (spezifischer Kentucky) macht. Auch und gerade, weil ich seinerzeit J. D. Vances Hillbilly Elegy mit einem gewissen faszinierten Ekel gelesen hatte und dem republikanischen Running Mate häufig der Vorwurf gemacht wurde, er betreibe LARPing – stelle also im Rahmen eines “live-action role-playing game” etwas dar, das er nicht ist. Nichts liegt Kingsolver ferner.
Sie schafft es, die Entwicklungsgeschichte des zu Beginn der Erzählung Zehnjährigen in seinen Worten zu vermitteln, was auch heißt, dass seine Sprache mit zunehmendem Alter einen größeren Wortschatz umfasst. Im Schicksal des Kindes spiegeln sich mehr als 200 Jahre amerikanischer Geschichte. Eine Geschichte des Kapitalismus, der Ausbeutung (https://www.youtube.com/watch?v=RRh0QiXyZSk), des Rassismus. In seine Zeit fällt zu allem Überfluss die Opioid-Katastrophe, die, wie eine Figur im Buch sagt, eine ganze Elterngeneration ausrottet. Aber eigentlich will ich gar nicht anfangen, einzelne Situationen hervorzuheben, wiewohl es viele Szenen gibt, die sich mir eingebrannt haben. Nur so viel: normalerweise schrecke ich vor Hypes zurück (“Over One Million Copies Sold”), in diesem Fall hoffe ich, dass die ganze Million, die das Buch gekauft hat, es nicht nur gelesen, sondern auch weitergegeben hat, damit noch mehr Menschen lesen.
Bitte lesen! Lesen! Lesen!
* Nämlich exakt ein einziges Mal, bei “Heidi” und dem Kapitel “Ein Gespenst im Hause Sesemann” und, zu meiner Entschuldigung, da konnte ich noch nicht sehr schnell lesen, weil ich höchstens acht Jahre alt war.