Gelesen: Emil Ferris – “My Favorite Thing Is Monsters, Book Two”

Zu meinen edelsten Tugenden zählt quasi endlose Geduld, aber sie ist noch nicht oft so ausgereizt worden, wie beim Erscheinungstermin* dieses heiß erwarteten Buches.

Endlich!

Book Two setzt exakt da ein, wo Book One (s. https://flockblog.de/?p=38061) geendet hatte. Wer lesen will, dem sei dringend empfohlen, das chronologisch zu tun, sonst fehlen viel zu viel Bezüge zu Personen und Geschehen.

Wie geht es also weiter, im Chicago der Sechziger Jahre?

Die heranwachsende Heldin Karen ordnet ihre Welt noch immer, indem sie sie zeichnet. In dicken spiralgebundenen Collegeheften, mit Lochung und Linierung. Ferris läßt ihr den Raum, den sie dafür braucht. Sperrt die Geschichte nicht in vordefinierte Panels, sondern läßt sie über die Seiten fließen. Das ist besonders in den Dialogszenen eine kluge Technik; man hört sie.

Inzwischen ist die Mutter an Krebs gestorben, ihr älterer Bruder Diego (“Deez”), selbst noch voll unbewältigter Trauer und hin- und hergerissen zwischen zahllosen Affären, seiner Rolle als “Muskel” in einer Gangsterorganisation (der Boss ist in Personalunion auch der Vermieter), dem Leben an sich und der Verantwortung für seine kleine Schwester, laviert zwischen überbordender Zuneigung und haltloser Aggression, aber Karen hat quasi ein ganzes miterziehendes Dorf um sich, das ihr in schlimmsten Zeiten immer wieder Halt und Stütze und Lehrer*in ist.

Inzwischen sterben mehr und mehr junge Amerikaner in Vietnam, werden Kennedys und Dr. King ermordert und auch in Chicago explodiert die Gewalt. Karen wird Zeugin, als korrupte Polizei die Wahlversammlung der Demokraten niederprügelt und zeichnet, zeichnet alles mit. Nebenher “ermittelt” sie weiter den Mord an ihrer Nachbarin, einer Überlebenden des Holocaust und taucht tief in deren Lebensgeschichte ein. Außerdem erlebt sie erste Gefühls- und Liebeswirren und setzt sich in fulminanten B-Movie-Schocker-Traumsequenzen mit ihrer geliebten Mutter auseinander, die lesbisches Begehren als “Phase” abtut. Gewalt ist auch im Alltag ein bestimmendes Leitmotiv. Gegen Schwarze (ein Freund ihres Bruders, der sie nach Hause begleitet, geht vor ihr – hinter ihr würde als Bedrohung gelesen und neben ihr geht nicht), gegen Menschen mit “unnormaler” sexueller Orientierung, gegen Frauen, gegen andere Gangs, gegen Prostiuierte, gegen Krüppel, egal – auch die junge Karen wird Opfer eines schlimmen Angriffs.

Das Ende ist offen. Ob das auf einen dritten Band hindeutet? Ich weiß es nicht. Möglich wäre er, einige der Handlungsstränge sind nicht fertig erzählt. Fürs erste erfüllt mich Dankbarkeit, dass es dieser zweite Band auf den Markt geschafft hat und ich bin immer noch ganz erschlagen von meinem Viele-Stunden-Lese-Erlebnis.

Man merkt es vielleicht: ich tue mich schwer, die Bilder und ihre Verknüpfungen, nicht zuletzt zu klassischer Malerei, in Worten zu beschreiben, bin aber mit dem Föjetong einig, dass Ferris eine der großartigsten und sehr einzigartige Künstlerin im Genre Graphic Novel ist.

Wer sich eine dieser außergewöhnlichen Erfahrung stellen möchte:
Lesen! Lesen! Lesen! Lesen! Lesen!

* Es gab mehr als genug Gründe für die Verspätung: Ms. Ferris weiterhin sehr angegriffene Gesundheit, ein langwieriger Rechtsstreit mit dem Verlag über die Rechte am zweiten Monster-Band und zu allem Überfluß noch der Bankrott einer Reederei, der zur Folge hatte, dass die ganze druckfrische erste Auflage nun beschlagnahmt in irgendwelchen Lagerhäusern in Panama verrottet.

Yummie!

Der Lebensmittelgigant Kraft hat Philadelphia, dessen Frischkäsejodler mindestens meiner Generation für ewig im Ohr klingen wird, in wieder einmal einer neuen Geschmacksrichtung aufgelegt, nämlich Ziegenkäse mit Rosmarin.

Dieses Mal, sagen sie, “hergestellt mit Blick auf Geschmack”. Davon abgesehen, dass das in my humble opinion bei Lebensmitteln grundsätzlich und immer der Fall sein sollte: das merkt man. Ich könnte mich an dem “Schmear”, wie das Zeug auf der anderen Seite des Atlantik heißt, gerade dumm und dappig essen.

Anatomie

Das muss der Morgen gewesen sein, als Christoph Stückl aus unruhigen Träumen erwachte, und sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt fand. Und die Süddeutsche Zeitung berichtet exklusiv. Mon dieu.

In eigener Sache

Neulich, als The Inglorious Flockblog Admin zu Besuch war, wurde investiert. Für zwei Euro mehr im Monat hat der flockblog jetzt ein SSL-Zertifikat und ihr solltet nicht mehr mitgeteilt bekommen, dass ihr euch auf einer unsicheren Seite herumtreibt.

Wenn doch, bitte https://flockblog.de/ eingeben und bookmarken.

Wenn das dann immer noch nicht funktioniert, beschweren wir uns beim Admin.

Gestern in der Unterfahrt: JISR’s Āmālgamation

Huiuiui! So ein schönes Konzert!

Es ist der letzte Abend, bevor die Unterfahrt den ganzen August über schließt, auf dass die Lüftungsanlage renoviert werde (quasi “Bauferien”). Die Wände sind schon ganz kahl und die nackten roten Ziegel haben einen ganz eigenen Charme. Die Luft steht knackewarm, der Hausherr Michael Stückl schnürt durch die Reihen, grüßt hier und dort und verschenkt kleine Schächtelchen, die sich ausgepackt und -geklappt als Fächer erweisen. Ich hypnotisiere ihn quasi an meinen Tisch, kriege meinen Fächer und wedele denn auch gleich los. Welch eine Wohltat.

Vorne auf der Bühne Mohcine Ramdan (voc, Gambri)… halt, hab ich gestern gelernt, muss ich natürlich gleich weitererzählen. Die Gambri oder Guembri oder Gimbri ist quasi Mutter und Vater aller Bässe in aller Musik in aller Welt. Ein ausgesprochen schönes Instrument mit einem tollen Klang, das sich, wie Ramdan mitteilt, heute in diesem Klima ganz besonders wohlfühle. Es ist nämlich mit Kamelhaut bespannt.

Also nochmal, die Besetzung: Mohcine Ramdan aus Marokko, der die Saiten schlägt und mit ganz wunderschöner Stimme unter anderem Jazz-Standards auf arabisch interpretiert. Selbst ein Bossa Nova wird so zu orientalischer Musik. Der zaundürre und sehr inspirierte Olmo Chitto aus Italien am Vibraphon und Matthias Gmelin, Sozialarbeiter, der aussieht aus als bekleide er eine Lebensstelle im mittleren Polizeidienst und in Wirklichkeit ein wahnsinnsgrooviger Drummer vom Schliersee ist. Gergely Lukacs aus Ungarn bläst die Trompete und Flügelhorn, hach, Flügelhorn, am Klavier überzeugt Amine Mesnaoui, eine Art Wiedergänge des jungen Mick Jagger. Ja und dann noch der Baseman Arnaud N‘Gaza von der Elfenbeinküste. Der nicht nur auf dem Bass zaubert, sondern auch noch toll singt und das Jomolo schlägt (macht nix, wenn man das nicht kennt, ich habs gestern auch zum ersten Mal gehört und gesehen).

Ein sehr schönes Konzert mit vielseitigen und sehr guten Musikern, von Ramdan freundlich, aber nicht geschwätzig begleitet – und im ganzen Raum schlagen den ganzen Abend Fächer im Takt. Weil, bei dem Groove einfach nur Luft zufächeln? Physisch unmöglich.

Die netten Menschen von der Unterfahrt haben eine Aufzeichnung ins Netz gestellt, falls wer reinhören und -schauen mag. Ich sags aber gleich: es ist nicht dasselbe ohne schlechte Luft in einem überhitzten Raum voller begeistert groovender Menschen im Odeur de Pommes-Fett und versagendem Deo. Es hilft wahrscheinlich, die Heizung hochzudrehen und einen Fächer griffbereit zu haben.

…liebt mich… liebt mich nicht…liebt mich…

Seit ich vorhin vom Parkplatz hinten in Solln weggefahren bin, frage ich mich, welcher Abzählreim der Person im Kopf herum geht, die rund um die Kopfstütze des Beifahrersitzes einen Strauß bunter Duftbäume in allen Geschmacksnoten appliziert hat.

(Nein, kein Foto. Hab mich nicht getraut. Der Fahrer saß drin. Und hat bei Bruthitze und geschlossenen Fenstern in seinem Potpourri mariniert.)

Nicht zu Ende gelesen: Hasnain Kazim – “Auf sie mit Gebrüll … und mit guten Argumenten”

Tja. Ich mag Kazim. Als analytischen Reporter aus ganz Südostasien, als Auslandskorrespondent des Spiegel aus der Türkei; seinen Beitrag zum interkulturellen Dialog und seinen klugen Witz in “Post von Karl-Heinz” schätze ich sehr.

Umso enttäuschender nun dieses Buch. Der jüngst berufene Moralphilosoph Kazim nämlich variiert auf knapp 200 Seiten den Lehrsatz: “Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu”. Da hat er natürlich recht. Nur so geht menschliches Zusammenleben. Aber diese Maxime in wortreichen Dauerschleifen zu wiederholen, trägt halt auch nicht dazu bei zu lehren, “wie man Pöblern und Populisten Paroli bietet”. Vielmehr lernt man, was man schon weiß: Volksverhetzer halten sich nicht an den Kategorischen Imperativ.

Es hätte mich mißtrauisch machen sollen, dass auch das Lesezeichen der geschätzten vorherigen Leserin ungefähr auf der Höhe steckte, auf der ich auch aufgegeben habe.

Lohnt leider nicht.

Gelesen: Berni Mayer – “Rosalie”

Bücher fallen für mich in ein paar wenige Kategorien – und nein, Herr Reich-Ranicki, “Frrrauenliterrraturrr” ist nicht darunter – es sind vielmehr die Bücher, die bleiben sollen, also jene, die ich nach dem Lesen bedauernd noch eine Weile in der Hand halte, weil unsere gemeinsame Zeit vorbei ist und bei denen ich mich jetzt schon auf Wiederlesen freue. Einzige Herausforderung in diesem Fall ist, einen passenden Platz im Regal finden, ein Projekt, das sicher die erste Zeit meines Ruhestandes in Anspruch nehmen wird. (Projekt Bibliothek in der Casa Flock.)

Im Gegensatz zur eben aufgeführten Königsklasse gibt es die Kategorie “Dreck”. Diese Machwerke unfähiger Schreib- und/oder Übersetzender werden dem Altpapier zugeführt, in der Hoffnung, dass die aus ihnen produzierten Zellstoffprodukte nicht gar zu rauh werden.

Last but not least: die “Wanderbücher”, bei denen einmal Gelesenhaben genügt. Nicht sooo schlecht, dass sie zum Papierrecycling müssen, nicht gut oder wichtig genug, dass sie bleiben dürfen. Ob sie in den roten Bücherschrank bei der Feuerwehr (Motto: “Geben und Nehmen”), zum Gebrauchtbuchhändler oder in die “Freundin-such-dir-aus-was-du-magst”-Tüte kommen, entscheiden Nuancen.

Aus einer solchen Tüte ist “Rosalie” in mein Leben gekommen. Hmmm. Fangen wir mit dem an, was gut ist: die Jugendsprache ist glänzend gelungen, die furchtbare Langeweile und der enge Horizont des Dorfes für Jugendliche ohne Mobilitätsmittel auch. Aber leider schafft es der Autor bis zum Schluss nicht, dass mich seine eigentlich nicht unspannende Geschichte wirklich interessiert. Es zieht und zieht sich, die Heldin ist zwar städtisch bleich und riecht nach Zitronen, bleibt aber seltsam konturlos, warum der Held und Ich-Erzähler Konstantin ist, wie er ist und wird, wie er wird habe ich bis zum Schluss nicht verstanden. Ja. Nein. Meins ist es nicht.

Bernhard Blöchl hingegen hat dem Werk in seinem Erscheinungsjahr 2016 eine ausführliche und liebevolle Rezension geschrieben, s. https://www.sueddeutsche.de/kultur/literatur-dunkle-kunst-der-liebe-1.3289801. So kann man’s auch sehen – wer will, darf sich aus meiner Wandertüte bedienen.