Suche Arbeit, kann alles

Das ultimative Maß eines Menschen ist nicht, wo er in Momenten des Komforts und der Bequemlichkeit steht, sondern wo er in Zeiten der Herausforderung und Kontroverse steht.

Wow! Der Mensch, der seine Bewerbung mit diesem Satz einleitet, ist nicht etwa ein mit allen Wassern gewaschenen Industrieveteran, sondern ein siebzehnjähriger Baldabiturient, der einen Praktikumsplatz sucht. Man fragt sich allerdings, wozu: “Ich bringe mich bei Ihnen nicht nur mit meiner mehr als 5-jährigen Erfahrung in den verschiedenen Bereichen ein, viele der aktuellen Herausforderungen kenne ich schon aus anderen Positionen und weiß daher, wie sich diese lösen lassen – aber auch, wie es nicht geht. Das spart sicher viel Zeit und Geld. Zu meinen Kompetenzen und Fähigkeiten gehören enge Zusammenarbeit im Team, analytische Denk- und Arbeitsweise, Bereitstellung der praktischen Lösung von Problemen im Betriebsablauf, Bereitschaft zu schnellen Einsätzen (auch am Wochenende), unabhängige Entscheidungsfindung. Nach der Einstellung setze ich mein Wissen bei Ihrem Unternehmen ein und erlange gleichzeitig reiche Erfahrung und übertragbare Potenziale, um in meiner Karriere voranzukommen.”

Ehrlich, der Bub macht mir Angst.

Stalker

Auf meinem Briefkasten peppt ein Aufkleber, dass man vom Einwerfen von Werbung Abstand nehmen möge. Daran halten sich eigentlich alle, außer einem Matratzendiscounter aus Ampfing und der CSU.

Dem ersteren sehe ich das nach. Die schicken den wahrscheinlich den Matratzendiscounterlehrbuben zwei Mal im Jahr “auf Minga”, damit er den Leuten in der Stadt Lockangebote in die Briefkasten schmeißt und er darf vermutlich erst wieder heim, wenn er alle seine Werbezettel losgeworden ist. Da bietet sich so eine Briefkastenwand wie hier in der Anlage quasi an und es sei dem Ampfinger Azubi verziehen.

Was die CSU an mir findet, weiß ich nicht. Wählerinnenmaterial kann sie in mir nicht einmal entfernt vermuten, Wechselwählerinnenpotential auch nicht. Das hält aber einen Michael Rötzer, seines Zeichens 29 und Gastwirt, Liste 1, Platz 80 nicht davon ab, mir seit nunmehr zwei Wochen fast täglich ein Postkärtchen mit seinem Konterfei (vorne) und seinen Zielen (viele eng bedruckte Zeilen hinten) in den Briefkasten zu stecken bzw. stecken zu lassen.

Mir nicht bekannter Herr Rötzer, ich bitte Sie: Lassen Sie es bleiben. Ihre Kampagne führt zu Verstopfung. Sehen Sie, ich bin ein über die andere Woche eine ganze Woche lang nicht da und am Freitabend ganz bestimmt nicht in der Stimmung, aus dem Wust Post, der da angekommen ist, ihre Karten gleich fürs Altpapier auszusortieren. Die sind nämlich selbst als Lesezeichen zu häßlich. Wenn Sie so nett sein könnten, geben Sie diese Nachricht bitte auch gleich an die Herren Dr. Gauleiter, Staatsminister a.D. sowie Eisenreich, MdL, Staatsminister weiter. Die haben vor zwei Wochen angefangen, mir die immer gleichen Briefe zu schreiben. Dass nämlich demnächst Wahl ist, sie ein Spitzenprogramm haben und man darum ihren staatstragenden weiß-blauen Verein wählen solle.

Nein. Einfach: nein. Ich habe gewählt, die Unterlagen sind längst dort, wo sie am 15. März ausgezählt werden und euch habe ich meine Stimme nicht gegeben. Laßt einfach ein paar Bäume ungefällt und meinen Briefkasten unvermüllt, ja?

Gelesen: Rita Falk – “Weißwurstconnection”

Der Vorfühling ist traditionell die Zeit der Remittendenkisten (die 2. Saison ist im Hebst, bevor man später jeden Quadratmillimeter fürs Weihnachtsgeschäft braucht) und neulich im Supermarkt habe ich 3,99 Euro in meinen ersten Rita-Falk-Provinz-Krimi investiert.

Ich habe das Buch nicht gemocht. Gar nicht! Es ist in einem fürchterlich anbiedernd-bajuwarischen Stil geschrieben, der Leser*innen nördlich des Weißwurstäquators den typisch bayerischen Lebensstil nahebringen soll. Klappt natürlich nicht. Dieser “Spiegel Bestseller” ist in Aufmachung, Schreibstil, Figurenzeichnung eine einzige Klischeeschleuder und macht gar keinen Spaß.

Die beiden Filme, die ich gesehen habe, zeichnen Land und Leute liebenswerter und mit einem Augenzwinkern. Ich empfehle ganz ausdrücklich: NICHT LESEN! Wenn’s denn schon sein muß: lieber Verfilmung anschauen.

Gestern im Volkstheater: Am Wiesnrand

“Schreib das auf, Sargnagel!” wird der Stückl gesagt und sich in seiner Zitatsicherheit gesonnt haben. Und die Wiener Bloggerin, Poetry-Slammerin und Sprachkünstlerin Stefanie Sargnagel ist aufs Oktoberfest gegangen und hat es aufgeschrieben. Regisseurin Christina Tscharyiski brauchte den Text nur noch kongenial für die Bühne einzurichten und eine Musik dazu zu finden (EUROTEURO, auch aus Wien) – et voilà. Da sitzen wir nun, am Wiesnrand und schauen von außen zu. (Das wird auch so bleiben, selbst als das Publikum einmal bei einem Schunkellied zum Mitklatschen aufgefordert wird, ist nicht vorgesehen, dass es am Geschehen teilnimmt.)

Während der Vorstellung habe mich selbst dabei beobachtet, wie ich angespannt vor fasziniertem Ekel ein Panoptikum von kotzenden, fressenden, schnackselnden, schmatzenden, aufdentischenhampelnden, stinkenden, schmatzenden, fremden, aufgebrezelten, brunzenden, aufdringlichen, schwitzenden, suizidalen, überfressenen, einheimischen, besoffenen, komatösen, delirierenden, extremvirilen, hühnerhütigen, g’wamperten “Fest”-Besuchern (mit Flohmasken und -kostümen, wg. Allegorie*), die vor mir auf einem dicken Bauch vor Bergpanomara kraxeln, taumeln, toben, sich ineinander verknoten (“Rattenkönig”), in Chören deklamieren, umfallen, torkeln, ihre ganz kleinen und großen Tragödien durchleben, singen, springen, tanzen, sprechen, schreien, brüllen, flüstern, rumfläzen, sich krümmen, lachen, weinen, immer einmal wieder schluckend und mit immer weiter werdenden Augen angestarrt habe. (So, wie man ein überfahrenes Tier auf der Straße anschauen muß. Man weiß, dass es grausig eklig ist. Aber trotzdem.)

Ensemble: Jan Meeno Jürgens, Jonathan Müller, Henriette Nagel, Pola Jane O’Mara, Nina Steils
Bühne: Sarah Sassen, Kostüme: Svenja Gassen
Wer die Haare so liebevoll aus Leberflecken wachsen ließ, soll hiermit ein Extralob bekommen.

Es stellt sich heraus, dass es der Berichterstatterin aus Wien ähnlich ergangen sein muß. Tatsächlich, die erste Alkoholvergiftung wird 10 Sekunden nach dem Anstich diagnostiziert? Ehrlich, man zählt in Rekorden? Sowieviel Ochsen, Hendl, Vergewaltigungen, Tote? Sie ist aber toleranter als ich. Außerdem nutzt sie als Stilmittel absurdeste Übertreibungen (wofern angesichts der Realität noch möglich). Darum ist fast alles, was auf der Wampe da vorne stattfindet, sehr komisch. Nur in einem überschätzt sie die Bayern. Die können doch beim Biertrinken nicht an sich halten. Nach “oans” und “zwoa” wird traditionell schon “g’suffa” und nicht erst noch bis drei gezählt. Dauernd dröhnt “Ein Prosit der Gemütlichkeit” durchs Haus, das ist aber zu ertragen, weil die Musikcombo in mehreren Genres sattelfest ist (“Komm hol dein Lasso raus…”). Ich hätte auf das Ficklied verzichten können, aber sonst habe ich nur zu loben.

Hingehen! Anschauen! Unbedingt!

Wer hätte ahnen können, dass der Theaterbesuch nur zur Vorbereitung auf den Nachbesprechungstermin im Löwenbräukeller dient, wo akkrat am Freitagabend der Beginn der Starkbierzeit ausgerufen worden war. Mit (Eigenwerbung) “Oktoberfeststimmung mit den Kult-Bands Blechblos’n und Jetzendorfer”.

Wir kommen rein und es ist laut, die Luft schon lange verbraucht und geschwängert mit der säuerlichen Note von Bier in Schänkenabflüssen, Schweinefleisch in dicken Soßen und lange nicht geleerten Latrinen (im Hochsommer). Was hätte wohl Frau Sargnagel gemacht aus den ranzigen Lederhosen der Kellner? Ganz speziell aus den aberwitzigen Dialogen, die sich ergeben, als einer von denen von Tisch zu Tisch eilt, um dort nach “seinem Gerät” zu fahnden. Wäre ihr angesichts des dicken Blechbläsers, der zu allem, sei es der Schneewalzer, Rosamunde oder My Way immer dieselben drei Noten hupt, auch noch einmal die kleine blonde Frau mit Riesentuba eingefallen, die ihr nächtens auf dem Heimweg begegnet ist? Meine Favoritin in diesem speziellen Panoptikum ist die überlaute angelsächsische Touristin drei Tische weiter, deren durchdringende Stimme sich gar nicht anderes beschreiben läßt als die eines schlecht-, nein, eines sehr schlecht gelaunten Piratenpapageis. Ihrem Begleiter, an dem sie auf enger Tuchfühlung hängt, wünsche ich dicke Ohrenklappen (Evolutiohon, haaa-llo!). Mir eigentlich auch.

Außerdem nehme ich mir vor, beim nächsten Mal einen Tisch beim Italiener ums Eck oder im, nebbich, im Meschugge zu bestellen. In den Löwenbräukeller geh ich erst wieder, wenn die Biergartensaison eröffnet ist. Draußen ist es da nämlich schön.

* Da ist den Machern der intellektuelle Überbau ein bißchen durchgegangen. Ohne die Einführung, bei der Dramaturgin Rose Reiter erklärt, dass Flöhe sinnbildlich für Lebewesen stehen, die sich gerne in Dreck und Filz bewegen, hätte ich das ja bis zum Schluß nicht verstanden.

Endlich geklärt

Vorhin in der U-Bahn. Lebhafte Diskussion in einem mit fünf präpotenten Jungmännern besetzter Vierer. Was denn wohl gesünder sei. Vegetarische Ernährung mit oder ohne Fleisch. Fürs und Widers werden abgewogen, schließlich abgestimmt. Das Votum fällt 3:2 für Fleisch als Bestandteil einer vegetarischen Diät aus.

Die bestechende Begründung: “Weil, Digga, sonst fehlt dir was.”

Spaßverderber

Firmenname “Not & Elend GmbH” ist irreführend ­
Das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) hat am 12.08.2019 entschieden, dass die Firmenbezeichnung „Not & Elend GmbH“ irreführend ist und nicht in das Handelsregister eingetragen werden kann. Nach Auffassung der Richter wird mit dem Firmennamen der Eindruck erweckt, dass sich die Gesellschaft um Personen kümmert, die sich in „Not und Elend“ befinden. Tatsächlich betreibt das Unternehmen aber Spielhallen, Vergnügungs- sowie Gaststätten und handelt mit Lebensmitteln. ­ ­

Liebes OLG, wollt ihr eure Entscheidung nicht vielleicht noch einmal überdenken? Ich finde ja, die Namensgeber könnten ehrlicher nicht sein. (Komm zu uns zum Zocken und du verlierst Geld und Gut.)

“Kaufen wie Hamster”

Jede/r hat in den letzten Tagen in Supermärkten leere Regale gesehen. Dieser Umstand ist natürlich auch Gesprächsthema in der Teeküche der Vermietermitarbeiterinnen, deren wöchentliche gemeinsame Mittagspauseneinfahrtstour zu Aldi gefährdet scheint. Weil man ja gar nicht weiß, ob es da inzwischen wieder Nudeln oder Mehl gibt, wenn man beispielsweise Nudeln oder Mehl brauchen täte (selbstverständlich in haushaltsüblichen Mengen, weil man selbst ja nicht zu Panikeinkäufen neigt).

Die in einer osteuropäischen Sprache sozialisierte Kollegin hat gut zugehört und prägt kurz danach im Gespräch mit mir den überschriftgebenden schönen Satz. Sie kann ja nichts dafür, dass meine überbordende Phantasie seitdem bevölkert ist mit kleine Nagern in kleiner beiger Renterkleidung, die mit kleinen Einkaufsrollwägelchen und großen Beuteln gerüstet Unmengen von Barilla-Packungen in ihre Höhlen schaffen.

Auf ZEIT-Leserinnen ist Verlaß. Die diskutieren auch bei Corona-Hamsterkäufen erst mal die Grammatik.

Stellenanzeige

Wie ich gerade bei NPR höre (National Public Radio, eins der Dinge, die ich aus den USA sehr vermisse) werden gerade allerorten Texter*innen für die “Highway Electronic Message Boards” gesucht. Das sind die Leuchttafeln an den Autobahnen, die gerne zur Denunziation aufrufen (“Report drunk drivers”) oder vor Unwettern warnen (“Flood ahead”) oder bei vermißten Kindern (“Amber Alert”) oder Greisen (“Silver Alert”) “model, make, und license plate” der Autos mutmaßlicher Entführer in die Welt blasen.

Nun habe man geforscht und herausgefunden, dass Menschen auf humorvoll verpackte Warnungen besser ansprechen und sucht nun nach welchen, die solchene Ideen haben. Für Potheads “Got The Munchies? Get Food Delivered. Don’t Drive High!”, Kindersitzverweigerer “Baby Yoda Uses The Force But Still Needs A Carseat” oder Handybenutzer “Cousin Eddie Says Twitter’s Full: Put The Phone Down”.

Ich glaube, das würde mir Spaß machen. Ich muß die jetzt bloß noch davon überzeugen, dass ich remote aus dem Münchener Homeoffice arbeiten würde.

Oy, Corona

Ein geradezu nasenzerfetzender Niesanfall beutelt die Dame neben mir im Aufzug und ihre einzige Sorge neben der, ein hektisch hervorgenesteltes krümeliges Papiertaschentuch an ihre Nase zu drücken, ist die, aus ihrer Handtasche ein Heuschnupfenmedikament zu kramen und es mir mit wohl beruhigend wirkend sollenden Lauten entgegenzustrecken, damit ich keine Angst vor dem blöden Virus zu haben brauche.

Dabei hab ich doch bloß “Gesundheit” gesagt.