Puzzle

Ich hatte vor Jahr und Tag mal einen Secherpack Socken erstanden, in hell-, dunkel- und mittel-, stein- und maus- sowie einem sehr distinkten nebelgrau, alle mit den gleichen dünnen weißen Streifen. Nun, nach etlichen Wäschen haben sich die Grautöne stark egalisiert und ich verbringe nach der Entnahme der Kleinwäsche aus dem Trockner jedes Mal eine immer länger werdende Zeit damit, sie wieder korrekt zu Paaren zusammenzufügen.

Man könnte das für eine prägeriatrische Übung oder gar Zwanghaftigkeit halten, ich verweigere mich dieser Deutung jedoch entschieden. Es handelt sich vielmehr um eine Sicherheitsmaßnahme. Neulich nämlich bin ich einem Tag in fehlfarbenen Socken entgegengetreten, wenn ich mich recht erinnere, war es eine Kombination aus hell- und nebelgrau. Und was war? Es wurde ein rechter Scheißtag.

Damit das nicht nochmal passiert: Augen auf beim Sockensortieren.

Kollegen & Kulinarik

Die eine, Nicht-Mehr-Millennial-Noch-Nicht-Gen-Z, versucht zum umpfzigsten Mal, mich für ein Abo von “Hello Fresh” zu gewinnen. Großartig sei das, schwärmt sie. Alles, was man für ein Rezept benötige, bringe einem der Bote in einem Karton nach Hause. Seien zum Beispiel zwei Gramm eines Gewürzes vorgesehen, erhalte man genau diese zwei Gramm und habe hinterher nicht etwa Restgewürz herumstehen. Und alles schmecke immer gleich.

Habe dankend abgelehnt und dem Kinde nicht erklärt, dass ihr letztes Argument mich endgültig davon überzeugt hat, doch weiter selber zu kochen. Was ist das denn für eine Kulinarik, wo ich in der Vorwoche schon wissen muss, auf was ich nächsten Mittwoch Lust habe? Mit Mahlzeiten, die immer gleich schmecken sollen? Wenn man nicht mal noch dies oder das im Kühlschrank findet und dann rumprobiert? Sich den Spaß entgehen lassen muss, beim Einkaufen neue Lebensmittel zu entdecken und ins eigene Küchenrepertoire mit aufzunehmen? (Shoe-Shopping hingegen ist Folter, das sieht sie aber nicht so.) Dass ich letztes Wochenende in meiner Küche ein Zusatzgewürzregal aufgehängt habe, weil das bisherige hinten und vorne nicht mehr reichte, das habe ich ihr lieber ganz verschwiegen…

Dann ist da noch der andere, der gleichaltrige Kollege, der mir am Tag nach meiner Ankunft stolz eine Schale Walnüsse “von deinem Lieblingsbaum” kredenzte. (Ich hatte im vorletzten Jahr, als Reisen in den Hunsrück noch normal war, eine Auswahl von drei verschiedenen Bäumen verkostet.) Garniert war sie mit einer Kollektion Peperoni in den Schärfegraden von “geht noch” bis “bloß nicht ohne Handschuhe berühren”, “weil du doch so gerne experimentierst” sowie der “wirklich allerletzten Tomate aus eigener Zucht für dieses Jahr”. Hach! Ein Mann nach meinem Geschmack, aber leider schon in jungen Jahren vergeben. “Ich habe nicht nur meine Frau, sondern auch siebzig Obstbäume geheiratet.”

Ja, und da ist noch der Kollege, der, wie er selbst sagt, “erblich belastet” ist und dessen Familie schon in der vierten Generation Obstbrände herstellt. In der Kollektion von Mirabelle, Apfel, Zwetschge und Birne war letztere die Allerallerbeste und ich bin ihm sehr zu Dank verpflichtet, dass ich von den streng gehüteten letzten beiden Birnenflaschen mein Urteil mehrfach hinterfragen und bestätigen durfte.

Falls wer fragt: Nein, die saufen da im Hunsrück nicht schon tagsüber. Der gute Mann, ach was, der sehr gute Mann hatte ein paar Flaschen zum Betriebsfest mitgebracht.

Herbst im Industriegebiet

Er ist da und läßt sich nicht mehr leugnen. Fleecejäckchen werden wieder zu ständigen Begleitern, die morschen Knochen mäkeln wg. kalt&feucht und an den Hängen der Autobahn stehen freundlichen Bäume in Flammen und leuchten den Hunsrückrückkehrern heim.

Auf den Straßen des Gräfelfinger Industriegebiets tanzen wirbelnd Windsbräute und zupfen den einen oder anderen Gelben Sack aus den lässlich aufgetürmten Stapeln. Sie treiben ihn noch ein wenig weiter, bis er endlich doch bricht, und seine Inhalte befreit ihrerseits kleine Tänzchen wagen. Und schon stürzen Schwärme erstaunlich fetter Elstern vom Himmel und hacken die harten Schnäbel in ihre Lieblingsbeute: metallisch glänzende Kaffeekapseln.

Das wird ein Hurra werden, nachher im Nest, wenn feierlich der neue coole Wandschmuck angebracht wird.

Grüße aus Bad Segeberg

Immer, wenn diese schreckliche Reklame morgens beim Zeitunglesen hochpoppt, denke ich daran, wie Mario Adorf Winnetous Schwester über den Haufen schießt und beginne den Tag dann doch mit einem Lächeln.

On the Road again

Nichts zeigt den Wechsel der Jahreszeiten deutlicher, als in regelmäßigen aber langen Abständen immer dieselbe Strecke zu fahren. Heute nämlich war eigentlich alles wie immer, wenn wir uns um 06:00 Uhr früh treffen, um in den Hunsrück zu reisen. Ich war vom viel zu frühen Aufstehen noch arg müd und maulfaul, mein Fahrer auch. Aber die Nacht war immer noch rabenschwarz und kohlendunkel und die Fahrt mußte schon über eine Dreiviertelstunde dauern, bis endlich am Wegrand die ersten Konturen in Hellerdunkelgrau vor Dunkeldunkelgrau zu erahnen waren. Bis sich dann endlich wirklich Feld, Wald, Wiesen und Windräder zeigten, waren wir schon eineinhalb Stunden unterwegs und standen bereits im ersten von vielen Regenstaus.

Das muss doch alles nicht sein. Eine schöne Durchschnittstemperatur von 30° C tagsüber mit vielen vielen hellen Sonnenstunden, und nachts zwischen zwei und vier ergiebige Landregenfälle, dazwischen immer mal ein Lüftchen – und ich wärs zufrieden und würde das Wetter nie mehr erwähnen. Na, Frau Wetterfee – haben wir einen Deal?

Nicht zu Ende gelesen: M. John Harrison – “The Sunken Land begins to rise again”

Wer immer den Goldsmiths Prize vergibt, hat ihn im Corona-Jahr 2020 auf dieses Buch geworfen. Man lese, so wurde mitgeteilt, ein Porträt des wässrigen post-Brexit Britanniens, gleichermaßen verstörend wie entlarvend. Ich habe, bis ca. zur Hälfte, nur die Geschichte einer sehr disfunktionalen Beziehung sowie irgendwie draufgepfropften viktorianischen Grusel gefunden und beides hat mich nicht interessiert. Aber wo die Kritik recht hat, hat sie recht: Das Wetter ist durchgehend mies.

Nicht lesen.

Fremdbild

Neulich hat mir ein ausländischer Herr von Deutschland vorgeschwärmt. Wie gut dieses mein Land doch organisiert sei. Und wie gut und gerecht die Gesetze und wie anständig und fair die Justiz. Wie zuverlässig und ehrlich die Menschen. Wie nicht korrupt die Politik und so weiter und so fort…

Ich war sehr hin- und hergerissen.

Sollte ich ihn jetzt mit Beispielen, gerade aus der jüngeren Vergangenheit, darüber belehren, dass er da mit einer sehr rosaroten Brille guckt? Dass wir alle sehr verblüfft waren, dass viele der Attribute, mit denen wir dieses unser Land früher beschrieben hätten, uns derzeit nicht mehr ganz so zutreffend scheinen? Oder den Schnabel halten und mich einfach freuen, dass auch dieses nicht mehr so supergut organisierte Deutschland mit seinen Finanzskandalen, seiner nicht vorhandenen Digitalisierung, Männern wie Scheuer und Laschet und Frauen wie Weidel, verpennter Klimapolitik und der vollkommenen Ignoranz der Politik gegenüber den Bedürfnissen nichtwählender Kinder und Jugendlicher immer noch viele Male besser ist, als das Herkunftsland meines Gesprächspartners?

Habe schließlich das Thema gewechselt und über die großartige Küche und Poesie seines Heimatlandes gesprochen. Schmeicheln lenkt ab.

Paralleluniversum

Gestern war ich zum ersten Mal seit fast Menschengedenken oder doch mindestens seit gut über eineinhalb Jahren so richtig fein zum Essen eingeladen. In einem Nobelschuppen in der Maximilianstraße.

Beobachtung 1: In der Innenstadt gehts abends zu wie am Stachus um zwölfe. Ein Riesenbetrieb! Jungvolk auf irgendwas surrendem mit Rädern flitzt durch die Gruppen der Theater- und Opernbesucher*innen eher gesetzeren Alters, dazwischen schnurren dicke E-Brummer oder dröhnen City-SUVs, Taxler kennen auf der Fahrgastjagd kein Gebot und ziehen durch die Massen wilde Wendekreise, ab und zu röhrt ein Porsche oder ein Ferrari (gut, das ist wie früher).

Beobachtung 2: Das einzige, was im Maximilianstraßenverkehr noch Lärm macht, sind die Trambahnen. Ansonsten wird man beim Überqueren der Straße von überraschend auftauschen Flüsterelektroautos mehrfach beinahe totgefahren. Die Tesla-Dichte ist fast so hoch wie im Silicon Valley.

Beobachtung 3: Offensichtlich findet das Oktoberfest doch statt. In Tracht kostümierte Menschen eilen auf dem Hinweg flotten Haferlschuhschrittes in Bierzeltersätze und torkeln auf dem Heimweg angesoffen schwankend raumgreifend im Weg herum. Da schau her. Das hatte ich wirklich überhaupt gar kein bißchen mitbekommen.

Beobachtung 4: Vor dem Restaurant hängt ein Schild, das auf das 3G-Gebot hinweist. Drin führt mich die hauseigene Hostess an den Tisch und nein, einen G-Nachweis will sie nicht sehen. Die beiden schon wartenden Herren hätten sich bereits ausgewiesen. WTF?

Beobachtung 5: Eine Pandemie findet nicht statt. Der Riesengewölberaum ist voll feiernder schöner Bussi-Party-People. Laut, heiß, stickig, eng an eng. Mutet von der Geräuschkulisse und der olfaktorischen Nasenschleimhautbelästigung an wie eine Bahnhofshalle. Riecht bloß teurer.

Beobachtung 6: Mann, war ich froh, als ich wieder daheim war. Corona hat meine latenten misanthropischen Tendenzen offensichtlich chronisiert. Aber so dermaßen.