Muttermund

Die Nachrichten im elterlichen Fernseher berichten über Zucks neuesten Coup: “Meta” soll die neue Facebookdachgesellschaft heißen und ein faszinierendes “Metaverse” begründen. Dann verwandelt sich im Werbevideo der Held in seinen Avatar und ist in seiner neuen virtuellen Parallelwelt unterwegs. (Die vor dem nächsten Desaster gleich zu Anfang gründlich reguliert gehört, aber das ist eine andere Geschichte.)

Meine Mutter dazu, sehr trocken und sehr richtig: “Das ist doch der gleiche Typ wie vorhin. Ist der echt?”

Again what learned

Ich weiß ja nicht, wie das bei der werten Leserschaft ist, aber ich kannte bisher die Maßeinheit für Machtmißbrauch nicht.

Danke, neuer Mann von der BILD-Zeitung.

Tour de Ländle

Wie immer machte ich mich kurz vor Allerheiligen auf den Weg, mit den greisen Eltern die immer höheren Geburtstage zu begehen. Der 85. ist es heuer – und wenn ich eins weiß: so lange will ich zu und unter diesen Bedingungen nicht.

Aber diese Diskussion will ich gar nicht lostreten, vielmehr erzählen, wie schön gestern die zweite Herbstreise in einem Zweiwochenzeitfenster eigentlich war. Dann nämlich, als sich die Nebel lichteten und die Sonne alle Färbebäume noch einmal doppelt prächtig erstrahlen ließ. Im Gebildete-Schichten-Radio lief passend zum anstehenden Feiertag ein spannender Beitrag zum Tod und zum Abschied nehmen, davor, danach, dabei und dass mir irgendwann die Strecke vage unvertraut vorkam, hat mich nicht weiter irritiert. Das tut, wegen meiner bekannten Orientierungsschwäche jede Route, auch die tägliche, morgens zur Arbeit.

Nach einer Weile kamen mir die Namen der WC-Parkplätze doch sehr seltsam vor und als ich beim nächsten rausfuhr, stellte sich denn auch heraus, dass ich vom rechten Wege abgekommen war. Also habe ich das Google-Navi gebeten, mich doch zum Haus meiner Eltern zu führen. Offensichtlich ein großer BaWü-Fan, das Navi. Einen orientierungslosen Menschen am frühen Freitagnachmittag durch den gesamten Großraum Stuttgart zu lotsen, durch jeden Feierabendstau von Bosch, Daimler und Konsorten, in einer Region, wo man statt Kreisverkehren Ampeln den Vorzug gibt und die Autofahrer an jeder einzelnen sich die Füße in den Bauch stehen läßt… ja mir gehst weiter.

Aber wäre ich nicht bis zur Idyllischen Straße (also fast, kurz davor gings links weg) geleitet worden, hätte ich auch nie unterwegs den Straßenabschnitt entdeckt, an dem sich ein Landschaftsgärtner einen ganz lustigen Jux erlaubt hat. Jungbäumchen, noch mit Stützgestell drumrum, in einer langen Reihe und in der Blattfärbereihefolge Rot-Gelb-Grün. Da capo. Entweder ist der Neukoalitionsfan oder war schon beim Pflanzen ihr Prophet oder er ist der totale Bürokrat oder Anarchist. In BaWü ist es allerdings auch möglich, dass er das in Personalunion ist. Schwaben sind schon eher eigene Menschen.

Ja und dann war Geburtstag und kein Fest, weil “die, die früher immer gekommen sind, alle tot sind”, gemeinsames Abarbeiten des Fernsehplans (“es ist halb, du muss auf zwölf drücken”) und dann waren wir, qua ordre de Mutti, müde und gingen schlafen.

Vorhin in der Schlange beim Bäcker

Ein kleiner Junge teilt der Frau an seiner Hand mit: “Mama, ich bin ein Bonsai.” Deren Nachfragen führen zu der Erklärung, dass der Knabe weder vermittels Aliensporen zum Baume mutiert, noch von FFF zu seinem diesjährigen Halloween-Kostüm inspiriert wurde. Es handelt sich hierbei vielmehr um den Titel, den man ihm als jüngstem (und wahrscheinlich kleinsten) Nachwuchsschüler im Karateclub verliehen hat. Und wie immer es gemeint gewesen sein mag: er trägt ihn sichtlich mit Stolz.

Gelesen: Jeff Lemire – “Joker: Killer Smile”

Man möchte in Jeff Lemires Kopf hineinschauen können: was aus diesem Hirn alles entspringt: Irrsinn!

Dieses Mal im wahrsten Sinne des Wortes: Sein Ansatz zur Geschichte des Joker, Erzfeind des Batman und schlimmster Schurke von Gotham City, ist der beste, den ich bis dato gelesen habe. Ein ganz wunderbarer Bick in den Abgrund und unbedingt zu empfehlen. Vielleicht nicht gerade vor dem Einschlafen…

Gelesen: Steven Appleby – “Dragman”

Das ist mal ein ehrgeiziger Ansatz: Bildergeschichte, Mörderkrimi, Superheldenepos, Trans-Szene, Seelenräuberschurken, die Erfindung des Konzepts von Himmel und Hölle und außerdem dies und das sowie jenes und selles.

Appleby hat fast 20 Jahre an dem recht komplexen Buch gearbeitet, ungefähr genauso lange, wie es gedauert hat, bis er öffentlich als Transfrau auftrat.

Man sollte es lesen. Ein Plädoyer für Toleranz mit eingeschlossenem Appell zum Selberdenken und hübschen Bildern kann, gerade in diesen manchmal doch sehr stupiden Zeiten, gar nicht schaden.

Erkenntnis

Eigentlich läßt sich das Leben doch in ein paar wenigen Worten zusammenfassen:

Ich kann noch nicht. Ich kann. Ich kann nicht mehr.

Aus.

Vorhin in der U-Bahn

Ein schon sehr sehr greiser Herr, hörbar mit Wortfindungsstörungen kämpfend, erregt sich sehr über die unfähigen Pflegerinnen in seiner Einrichtung, die den ganzen Tag nur herumsäßen, Kaffee tränken und ständig am Ratschen seien. Das müsse man sich, erklärt er seinem Gegenüber mit wild ausholenden Gesten, vorstellen wie die “Molkerei in der Schlangengrube”. Seit ich das tue, habe ich ein sehr schiefes Grinsen im Gesicht.

Danke, seniler alter Mann. You made my day.