Nachklang

Ich fahre heim vom Jazzkonzert. Das ist sonntagabends um diese Zeit (irgendwann nach 23:00 Uhr) normalerweise ein unspektakuläres Unterfangen und meist so beschaulich, dass man die Musik (“Weimar”, so eine schöne Numer. Und der May. Hach!) noch ein bißchen in sich nachklingen lassen kann.

Gestern? Gestern wars ganz anders. Rappelvoll. Laut. Schwitzige Menschen aller Alterklassen in grellfarbenem Leichtdaunen. DIE waren bei Ed Sheeran und nicht zum Nachklingen, sondern zum orientierungslos Herumstolpern und Rumbrüllen da.

Der erste freie Sitzplatz eine Station vor meiner Haltestelle. Ja mir gehst weida.

Jam Session in der Unterfahrt

Mann, hat mir das gefehlt!

Die Opening Band (spielen traditionell die erste Dreiviertelstunde um das Publikum und die potentiellen Mitjammer aufzuwärmen) war schon recht gut und im Anschluss konnte man sehen und hören, was einen schon reichlich gealterten Schlagzeuger-Showman und einen Vollblutmusiker wie Guido May (Hach!) unterscheidet. Der erstere ein Könner seines Fachs, der seinen Zenit schon etwas überschritten hatte und im Spiel ein Egoist, letzterer ein Könner, der es nicht nötig hat, dennoch großartig ist und dazu noch die Youngster um sich herum zum Leuchten brachte.

Das müssen wir jetzt unbedingt wieder öfter machen. Herz und Hirn geweitet. Hach!

Gelesen: Volker Weidermann – “Lichtjahre – Eine kurze Geschichte der deutschen Literatur von 1945 bis heute*”

Weidermann ist einer der Granden des deutschen Feuilletons von taz über Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, Spiegel, ZEIT und Literarisches Quartett, außerdem schreibt er selbst. Meistens über Literatur.

Er ist ein leidenschaftlicher und kundiger Leser und erzählt in dieser seiner sehr subjektiven Literaturgeschichte querbeet von deutschsprachiger Literatur und Literaten. So, dass man sich lang Bekanntes und Vertrautes unbdingt noch einmal zu Gemüte führen möchte. Das hatte ich irgendwie auch erwartet. War aber total überrascht, wieviel ich aus diesem halben Jahrhundert Literaturschaffen noch nicht kenne und erst jetzt merke, wie sehr mir das fehlt.

Wenn ich bedenke, was ich noch alles lesen will, wird es allerhöchste Zeit für die Rente.

* “Heute” steht für das Erscheinungsjahr des Werks: 2006

Oans, zwoa, gsuffa!

Fünf Trachtenprospekte als Beilage zur Wochenendausgabe der Süddeutschen Zeitung, ein Ganzseiteninterview mit OB Reiter, in dem er erzählt, dass sich die Bürger bei ihm bedanken, weil er “unser Oktoberfest” endlich wieder stattfinden läßt, zwei Seiten weiter eine noch eine Ganzseitenanzeige, diese überschrieben mit “Endlich ist unser Lieblingsvirus wieder da: Das Feier-Virus! Es gibt doch nix Besseres, Vernünftigeres und Gesünderes als die Wiesn-Zeit”. Gar keine Frage: Demnächst wird angezapft.

Ich werde es halten wie immer, und die Theresienwiese weiträumig meiden. Bitte darüber hinaus die sehr verehrten Besucher, mit denen ich möglicherweise doch eine U-Bahn teilen muss, davon Abstand zu nehmen, mir auf die Schuhe zu kotzen.

Vorhin in der Waschküche

Ein Herr in nichts außer Jesuslatschen und einer türkisfarbenen Feinrippunterhose hängt Wäsche auf.

Ist es nun ein Zeichen, dass er sich so dahoam fühlt in einem Gebäudekomplex mit über 60 Wohneinheiten und daher die gängige Kleiderordnung im Außenverhältnis nicht anwendet oder eher, dass er auf die Anonymität der Anlage baut?

Christian Lindner hat recht*

* Also nicht, dass jetzt wer denkt, ich hätte einen Dachschaden. Der Bundesfinanzminister hat recht, wenn man eine seiner Aussagen auf einen Sonderfall anwendet.

Worum geht es hier?

Lindner hat die Finanzierung einer Nachfolgelösung für das 9-Euro-Ticket mit den Worten abgelehnt, er wolle keiner „Gratismentalität à la bedingungsloses Grundeinkommen“ Vorschub leisten. Kann man so sehen, muss man aber nicht. Ist sicher leichter, wenn man FDP-Mitglied und Porschefahrer ist. Sei’s drum.

Der Sonderfall?

Der Sonderfall bin ich, in meiner Eigenschaft als Nutzerin der MVG. Deren Fahrzeuge habe ich in den letzten drei Monaten als Inhaberin eines 9-Euro-Tickets genützt, ausgiebig und mit stets gutem Gewissen. Bis mir gestern der durchs Abteil hallende Ruf “Die Fahrscheine, bitte” siedend heiß ins Gedächtnis rief, dass die guten Zeiten vorbei sind und ich hätte wieder stempeln müssen… Ist das nun schon ein Zeichen für “Gratismentalität”? Oder einfach Gewöhnung? Ich frage mich ja eh schon immer: 9 Euro sind doch nicht gratis? Supergünstig? Das ja. Aber umsonst eben auch nicht.

Und mein günstiges Quartal kostet mich nun nicht 27 sondern 87 Euro.

Fehlzündungen

Während die Kollegin sicher ist, dass hier der Hund im Pfeffer liegt, glaube ich ja vielmehr, dass dort der Hase begraben ist.

Die Götter müssen verrückt sein

Manchmal frage ich mich, ob Algorithmen manchmal auch schlechte Tage haben und ihre miese Laune dann an ihrer Umgebung auslassen. Ich meine, was geht in dem vor, der mir so einen Film empfiehlt? Oder es ist ganz anders und die KI inzwischen ironiefähig und übernimmt demnächst die Weltherrschaft?

Aus dem Vokabelheft

Wir erinnern uns ja alle an den Grammatik-Unterricht und wissen, dass ein Homonym ein Wort ist, das für verschiedene Begriffe steht. (Beispiel, bei Wikipedia entliehen: Das Wort “Tau”, das ein Seil, den morgendlichen Niederschlag oder einen Buchstaben des griechischen Alphabets bedeuten kann.)

So auch der “Dipl”. Im Hochdeutschen ist er eine Abkürzung für den Begriff “Diplom” und steht auf Visitenkarten gerne vor dem Ingenieur. Im Schwäbischen und in der leicht abgewandelten Schreibweise “Dippel” steht er für das, was im Bayerischen ein Depp ist. Wenn er mir von einem wohlmeinenden Herrn mit den Worten “Sie können doch Englisch, da müssen Sie sich den Dipl im Internet einmal anschauen, ganz neu ist das” unaufgefordert aufgedrängt wird, dann braucht es schon ein geballtes Maß an Deduktionsfähigkeit, um herzuleiten, dass mir der gute Mann gerade DeepL empfiehlt.

Ich habe mich bedankt und ihm verschwiegen, dass ich schon vor über fünf Jahren unter den Beta-Usern dieses besten aller mir bekannten Übersetzungsprogramme war. Die Leute müssen ja immer nicht alles über einen wissen.