Aus dem Vokabelheft

Wenn ich in der Fremde unterwegs bin, sammle ich immer gerne neue Wörter. Neulich kam einmal wieder die Bedeutung des Mutterschweins bei Beschimpfungen im bayerischen Dialekt auf, insbesondere, wenn in ein Kompositum eingebaut.

Der hiesige MP und Essenfotografierer Söder wurde als Sauhund identifiziert. Da schwingt, wenn auch ungern, noch ein winziger Hauch Anerkennung mit. Nr. 47, vom Teich gegenüber hingegen: der ist eine Drecksau.

Neu zum Strömen: “The Residence”

Screwball Comedy +++ Shonda Rhimes from Shondaland +++ Das ganz gute alte Amerika +++ Whodunnit in bester Agatha-Christie-Tradition +++ Kolonien-Downton Abbey im Weißen Haus +++ Australien-Bashing

Hochgejazzt bis zum Gehtnichtmehr. Im Großen und Ganzen auch nicht übel und besser als manches, aber viel zu lang. Statt in acht jeweils einstündigen Episoden hätte man die Geschichte besser in maximal sechs erzählt (dann wäre ich wahrscheinlich auch nicht beim Versuch, die Serie auf zwei Abende aufzuteilen, beide Male eingeschlafen). Damit hätte man dem Publikum den grausig-patriotischen Schluß mit dem Loblied auf die amerikanischen Tugenden erspart, der, gemessen an den Nachrichten vom aktuellen Hausherrn, so hilflos und unglücklich daherkommt wie sehr lautes Pfeifen im sehr dunklen Wald.

Aber sonst? Alles gut? Nein, eben nicht. Dass der Präsident und einen arg jugendlichen First Husband haben mußte? Geschenkt. Dass die von Anfang an unsympathischste Figur zum Schluß auch die Böse war? Auch geschenkt. Das kennt man von den Stiefmüttern in anderen Märchen. Aber dass man mit Mühe zwei Handlungsfäden anlegt, eine sehr hübsche kleine Kabale mit schuftigen Verschwörern und einen Kalligrafen, der auf den Tischkarten nur sinnfreies Gekritzel dahinkünstelt und die dann beide sang- und klanglos nicht weiterführt, das ist schlampig.

Nein, hier ist mehr sehr gut gemeint als dann wirklich gut gemacht. Man hat zwar an vieles gedacht, gute Besetzung, hübsche Ideen, und es ist immer nett, wenn der Mörder nicht der Gärtner ist. Anschauen tut auch nicht weh. Es ist bloß nicht nötig.

Gelesen: Corinne May Botz – “The Nutshell Studies of Unexplained Death”

Was macht man als höhere Tochter, der 1878 geboren, höhere Bildung verwehrt wird und der weder Ehestand noch Mutterschaft noch Haushaltsführung Befriedigung geben? Genau. Frances Glessner Lee macht Karriere als Forensikerin, konkret als nicht weniger als die “mother of forensic science”.

Wie? Zunächst mal hört sie zu. Medizinern, anderen Wissenschaftlern, Sir Arthur Conan Doyle etc. Und lernt. Dann, als sie als reiche Erbin niemandem mehr Rechenschaft schuldig ist, baut sie Tatorte nach. In, in Ermangelung eines besseren Wortes, maßstabgetreuen Puppenstuben. Und darf als persönlichen Triumph verzeichnen, dass über Jahrzehnte junge Polizeibeamte an ihren “Nutshell Studies” Beweisaufnahme am Tatort lernen.

Botz stellt in ihrem Fotografien ausgewählte Dioramen (Dioramas?) und die jeweiligen Schulungsschwerpunkte vor. Außerdem, mindestens ebenso verdienstvoll, die Biographie Frances Glessner Lees, ihre Arbeitsweise, einen psychologischen Deutungsversuch sowie eine Unzahl an Stimmen aus der (Kriminal-)Geschichte.

Falls wer mal auf was ganz anderes Lust hat, lohnt sich dieses Buch.

Gelesen: John Scalzi – “When The Moon Hits Your Eye”

Scalzi ist wieder auf der Höhe und veröffentlicht eine leichtfüßige, lustige, nicht aber triviale Episodengeschichte mit treffsicheren Dialogen, die sich vom Blatt weg verfilmen ließe. Thema: Was, wenn der Mond plötzlich aus Käse wäre?

Zwischendrin verbeugt er sich vor anderen Größen des Genres und zitiert sich lustig durch die Literaturgeschichte. Mir macht dergleichen Freude.

Man muss das nicht lesen. Tut man es, bekommt man erfreulich intelligente Unterhaltung.

In der ARTE-Mediathek: “Ich lasse mir nichts mehr gefallen – Je ne me laisserai plus faire”

Die Witwe Emilie Raffray (Yolande Moreau) hat gerade ihren einzigen Sohn zu Grabe getragen und wird, noch in Hut und Mantel, von der geschäftigen und geschäftstüchtigen Heimleiterin bedrängt, zu erläutern, wer denn wohl jetzt für die Differenz zwischen ihrer schmalen Rente und dem eigentlichen Preis für ihren Altenheimplatz aufkommen werde. Wo der Bub doch nun ausfällt.

Diese pietätlose Unverschämtheit ist der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Noch in derselben Nacht packt Madame Raffray ihre Tasche und brennt durch. Mit dem festen Vorsatz, ihre Liste abzuarbeiten, also all jene Menschen zu konfrontieren, die ihr im Leben Unrecht zugefügt haben. Im Englischen gibt es dafür den schönen Begriff “to right the wrongs”, im Deutschen könnte man im weitesten Sinne davon sprechen, dass sie Wiedergutmachung fordert – das trifft es aber nicht ganz. Ein Rachefeldzug ist es aber auch nicht. Auch nicht ganz.

Die Liste ist chronologisch aufgebaut, ihr erstes Subjekt ist der ehemalige Klassenkamerad, der sie mit seinen Kumpels gemobbt hat, die nächste die hartherzige frühere Vermieterin, die Schuld am Tod des schwerkranken Gatten trägt, es folgt der ehemalige Chef, der die schwangere Emilie rausgeschmissen hat. Bei allen greift sie entweder Besitz oder Stolz an, wobei Regisseur Gustave Kerven sehr schön herausarbeitet, dass die Begriffe sich häufig decken.

Inzwischen fahndet ein Polizistenpaar (Anna Mouglalis, Raphaël Quenard), deren Interviews mit den “Geschädigten” mehr über deren geistig-moralische Schwächen bloßlegen als zu Jagd nach Emilie zu animieren. Die hat eine Weggefährtin / Mitstreiterin / Schwester im Geiste gewonnen, Lynda (herzzerreißend: Laure Calamy) und eine Kettenreaktion setzt ein. Auch über Lynda lasten Schatten aus der Vergangenheit und auch sie befreit sich davon, indem die beiden Frauen gemeinsam die Täter stellen und ihrerseits demütigen. So geht das weiter: die Ermittlerin findet endlich den Mut, ihr Schweigen zu brechen und auch ihr Partner tut das Richtige. Und Emilie und Lynda reiten in den Sonnenuntergang…

Der Film hat eine eigenwillige Bildsprache, die Protagonisten sind botoxfreie Alltagsmenschen, die Locations normal und bieder, die Sprache furchtbar derb, die Synchronisation allenfalls mittelgut. Trotz alledem schadenfreut man sich mit jedem kleinen Sieg mit und gönnt den Bösen von Herzen, dass ihnen ihr Unrecht heimgezahlt wird.

Diese Yolande Moreau ist eine Naturgewalt. Alle verfügbaren Hachs! Ich hatte sie seinerzeit zum ersten Mal in “Das brandneue Testament” gesehen (s. https://flockblog.de/?p=29372) und ja, sie ist einfach eine Göttin!

Anschauen!

Recht neu im Kino: “Mickey 17”

Hmmm. Das ist ein halbguter Film des Autoren und Regisseurs Bong Joon Ho (“Parasite”). Die Frage ist nicht weniger als die, was einen Menschen ausmacht. Um es gleich vorwegzunehmen: eine Antwort gibt es nicht.

Ist die erste Hälfte der Geschichte vom “Expendable” Mickey Barnes (Robert Pattinson), die Expedition zu einem Eisplaneten als neuem Lebensraum und seine Leiden als immer wieder neuer Klon aus dem Drei-D-Drucker mit kompletter Erinnerung an die vorherigen Leben noch sehr spannend und berührend und komisch, weiß Bong Joon Ho in der zweiten Hälfte offensichtlich nicht mehr, was und wie er eigentlich erzählen wollte, wickelt lustlos ab und pappt ein süßliches Ende drauf. Schade.

Mark Ruffalo und Toni Collette sind als vollkommen überdrehtes machtgeiles Fernsehpastorsektenanführerehepaar besetzt, das könnte als Kritik an der aktuellen Boygroupbande im Weißen Haus verstanden werden, aber irgendwann sind die Gewinde ausgeleiert, die Stellschrauben greifen nicht mehr und die Figuren in ihrem Immer-Noch-Mehr-Rausch sind noch nicht einmal mehr komisch. Wie gesagt: schade.

Muss man nicht ansehen.

Krachmacherpack

Heute früh hatte ich zu tun. An diesen Tagen will ich mich nicht nur auf mein Ich-wache-zu-einer-bestimmten-Uhrzeit-auf-Mantra verlassen, sondern stelle zur Sicherheit den Wecker, der mich mit sanftem Marimbagedömmel aus dem Schlaf holen soll. Was mich aber dann heute morgen aus dem Bett wirft, ist alles, außer sanft: ein Preßlufthammer brüllt meine Nacht zu Ende. Sowas muss doch nun wirklich nicht sein. Mensch.

In den letzten paar Tagen beim Kurzurlaub bei Freunden auf dem Land (nochmal vielen Dank für alles!!) haben mich gegen vier die Herrschaften Allevögelsindschonda und um fünf die Lämmer gegenüber, die laut blökend ihre Milchbestellung aufgaben, dann nochmal geweckt – und dass die Kirche auf der anderen Straßenseite die ganze Nacht über alle Viertelstunde läutet und den Schuhu, der dieses Gebimmel begleitet, erwähne ich gar nicht erst.

Seid doch einfach alle mal still! Ey!

Seit dem 1. April bin ich offiziell Rentnerin und könnte jeden Tag ausschlafen. Konjunktiv. Bei dem Dauerlärm habe ich nunmehr das Misanthropie-Modul dazugebucht. Hah!

Und weil es bei mir ja nie ohne Zitat geht: Tucholsky hat in seinem Aufsatz “Der Mensch” schon sehr recht. Im übrigen ist der Mensch ein Lebewesen, das klopft, schlechte Musik macht und seinen Hund bellen lässt. Manchmal gibt er auch Ruhe, aber dann ist er tot.