… und war sogar der Süddeutschen Zeitung einen Bericht und der MVG herzförmiges Steckerleis wert: die Reparaturarbeiten wurden fristgerecht beendet und die U6 fährt wieder!
Gelesen: T. C. Boyle – “The Human Fly and other Stories”
Es konnte angesichts der schieren Menge an Sammelbänden nicht ausbleiben, dass ich irgendwann einen erwische, in dem für mich nicht alle Stories neu sind. Aber doch einige, wie zum Beispiel “The Love Of My Life”, in der Boyle sehr arg ans Herz gehend das grausige Ende einer ungewollten Teenagerschwangerschaft erzählt. Sein Gretchen-Moment, quasi, denn er hatte, wie Goethe, von der als Ausgangspunkt dienenden wahren Geschichte in der Zeitung gelesen.
Das weiß ich, weil in diesem Band dankenswerterweise der Autor im Nachwort selbst zu jeder Geschichte mitteilt, wie er denn bloß auf die Idee gekommen ist und was er seiner Leserschaft damit sagen wollte. Wobei er sich sehr rührend bei allen Heranwachsenden entschuldigt, die gezwungen sind, an seinem Werk für Schulnoten Exegese zu betreiben – die Bitte um Verzeihung schließt sogar augenzwinkernd die eigenen Kinder ein.
Es sollte sich herumgesprochen haben, aber ich wiederhole mich gerne: Lesen! Lesen! Lesen!
Taco-Nachtrag
Danke, Internet.
Neu auf Netflix: “Dept. Q”
Die Vorlage für diese in Schottland spielende Netflix-Serie ist die dänische Verfilmung einer inzwischen auf 10 Bände angewachsenen Thriller-Reihe von Jussi Adler-Olsen. Quasi ein Erfolgsrezept. Eigentlich kann da nichts schiefgehen. Oder? Von wegen.
Alle haben Trauma. Ausnahmslos alle. Ermittler, Ermittlergehilfen, Ermittlervorgesetzte, Staatsanwälte, Politiker, Täter. Sowie sämtliche -Innen. Es wird geschossen und gedroschen, am liebsten auf Köpfe bis sie blutig-matschig im Scheinwerferlicht leuchten. Bäh!
Nach der zweiten von neun einstündigen (!) Folgen habe ich Maßnahmen ergriffen und mir von eifrigen Reddit-Vollschreibern eine Zusammenfassung der (sehr erwartbaren) Handlung bis zur (sehr erwartbaren) Auflösung geben lassen, wg. Karthasis die letzten 20 Minuten der letzten Folge mit den letzten eingeschlagenen Köpfen angesehen und hatte den Rest des Abends frei für was Vernünftiges.
Eigentlich hätte ich es mir denken können. Ich lese Adler-Olsens Bücher schon lange nicht mehr, weil sie mir viel zu gewalttätig und blutig sind – es kann ja nicht besser werden, wenn man diese Phantasien auch noch in bewegte Bilder umsetzt.
What an utter shyte!
Rentnerinnen-Report
In meinem neuen Leben steht “Feiertag” synonym dafür, dass die Geschäfte geschlossen haben. Weil, sonst ist kein Unterschied zum Tag davor oder danach.
Ist das herrlich!
Gelesen: T. C. Boyle – “Good Home”
Noch habe ich Lust auf immer noch mehr Boyle Short Stories und mich gleich in den nächsten Band gestürzt. Vor lauter Begeisterung und vom Titel irregeführt erst beim genaueren Hinschauen gemerkt (“Spiegel Bestseller Autor”), dass es sich um von Anette Grube und Dirk van Gunsteren besorgte Übersetzungen handelt, erschienen bei DTV.
Hmmm.
Die Qualität der Geschichten ist und bleibt unbestritten. Boyle ist großartig. Ich mochte sie in den übersetzten Fassungen bloß nicht so gern lesen. Vor allem nicht, wenn ich bei manchen Sätzen genau weiß, was im amerikanischen Original steht und die deutsche Version schief klingt. Nachfolgend eine kleine Auswahl an Beispielen:
- “Hunter war bitter.” Wäre Hunter Schokolade, hätte ich keine Einwände. Da er aber ein Mensch sein soll, müßte es auf Deutsch “verbittert” heißen oder im Kontext der Geschichte “sauer”.
- “… dann waren sie wieder im Studio und alle wechselten schmutzige Blicke.” Nein! Nein! Noch mal nein! Die “Dirty Looks”, wie sie im Original heißen dürften, stehen im Deutschen für “feindselige oder missbilligende Blicke”. Schmutzig sind sie bestimmt nicht.
- “In ihrem Rücken das harte Tock des schweren Gummiballs…”. Auch diese Formulierung ist mit Sicherheit wörtlich übertragen (“in her back”) – im Deutschen würde man aber simpel sagen: “Hinter ihr”.
- “Er erwärmte Tiefkühlteigtaschen.” Die hier wohl gemeinte Nahrungsmittelobszönität heißt in Amerika “Pop-Tarts”. Knäckebrotgroße Teigtaschen zum Toasten mit pappsüßen knatschbunten Füllungen (so wie die McDonalds Apfeltaschen). Ich denke, ich hätt eher den Markennamen verwendet.
Nicht schlimm, ich weiß, und man verstehe mich nicht miß: Die Übersetzungen sind im Großen und Ganzen gut gelungen und wer der Originalsprache nicht mächtig ist, kommt auf diesem Weg in den Genuß der Boyle’schen Welten. Gut so. Bei mir hingegen war die Lesefreude stark beeinträchtigt, weil mein Unterbewußtsein ständig auf der Jagd nach dem nächsten Lapsus war. (Man denke: tropfender Wasserhahn, notdürftig abgedichtet.)
Die nächsten 1000 Seiten dann doch wieder Englisch.
Aus dem Vokabelheft
Ich wollte mich ja nicht mehr mit 47 beschäftigen, aber diese Abkürzung ist doch gar zu hübsch: Robert Armstrong (Financial Times) hat für das dauernde Zölle-erheben-und-dann-wieder-zurücknehmen-Gewurschtel den Begriff “TACO trade” geprägt.
Die Abkürzung steht für “Trump always chickens out”, was in umgangssprachliches Deutsch übersetzt bedeutet, dass er den Schwanz einzieht.
Musculus Popliteus…
…ist nicht etwa ein dümmlicher Zenturio im neuen Asterix*, sondern ein gemeiner kleiner Skelettmuskel an der Rückseite des Kniegelenks und kann, wie ich aus eigener Erfahrung berichten muss, sich entzünden und sehr saumäßig wehtun. Wir gehen jetzt erst mal nach dem R.I.C.E.-Prinzip vor: Ruhe, Kühlung, Kompression, Hochlagerung der Beine. Ich erwarte, spätestens nach dem Wochenende wieder herumzuhüpfen wie ein Rehkitz.
* Ja, Herr E. aus M., ich weiß, dass Sie das wußten. Aber nicht die gesamte Leserschaft ist so begabt. Mann.
Neu zum Strömen: “Black Bag”
Die Entstehungsgeschichte von “Black Bag” stelle ich mir ungefähr so vor: Regisseur Steven Soderbergh bekommt ein Theatermanuskript zugeschickt. Es gefällt ihm, aber er möchte lieber einen Film daraus machen. Also läßt er ein paar Szenen einfügen, die abseits der Bühne spielen, wie “AUSSEN. LONDON – TAG” und “AUSSEN. ZÜRICH – NACHT”, gibt Kostümbildnern sowie Ausstattern den Auftrag “stylish. Und cool”, geht einmal durch sein Rolodex (jaha, ich weiß, gibts nicht mehr, passt aber hier. Jungen Menschen möge man das Prinzip “Kontakte, die nicht im Handy sind” erklären), stellt sich seinen Traumcast zusammen und die sagen auch alle, alle zu.
Gleich voran: ungeduldigen Menschen wird der Film nicht gefallen. Auch nicht denen, die gerne Action, Verfolgungsjagden, Knallbummklirr mit Rumgebrülle haben. Wer sich aber auf ein sehr dialoglastiges Fast-Kammerspiel in ausgesucht schönen Ambientes* einlassen mag, der ist hier richtig. Michael Fassbender mit dicker George-Smiley-Brille und die immer noch schmaler und hochwangiger werdende Cate Blanchett geben ein Spionehepaar fast Shakespearscher Dimension, gebunden durch den Schwur, jeweils füreinander zu lügen und zu töten. Das machen sie sehr schön. Ansonsten viel Intrige, Doppel- und Triple-Spiel sowie Tisch- und sonstige Gespräche auf Yasmina Reza-Niveau.
Mir hat das großen Spaß gemacht. Ich habe aber auch viel Zeit.
* Ich weiß ja nicht, welches Anfangsgehalt Jungspionen beim MI6 bezahlt werden, aber wenn man sich dann in London solche geräumigen Wohnungen mit Fensterfronten dieser Magnifizenz leisten kann, scheint das eine gute Berufswahl zu sein.
Es gibt Tage, da braucht der Mensch Lyrik
William Shakespeare: Sonnet 130
My mistress’ eyes are nothing like the sun,
Coral is far more red than her lips’ red;
If snow be white, why then her breasts are dun;
If hairs be wires, black wires grow on her head
I have seen roses damasked, red and white,
But no such roses see I in her cheeks,
And in some perfumes is there more delight
Than in the breath that from my mistress reeks.
I love to hear her speak, yet well I know
That music hath a far more pleasing sound.
I grant I never saw a goddess go:
My mistress when she walks treads on the ground.
And yet, by heaven, I think my love as rare
As any she belied with false compare.