Gelesen: Josephine Tey – “The Daughter of Time”

Gerade habe ich den “besten Kriminalroman aller Zeiten” ausgelesen. Zu diesem Urteil ĂŒber Teys letztes Buch aus dem Jahre 1951 kommt zumindest 1990 die Crime Writers’ Association (CWA). Nun ist sowohl das Buch wie auch seine Ehrung schon wieder eine Weile her, Grund genug, sich anzusehen, wie gut sie sich gehalten haben.

Aber erst einmal eine Danksagung. An Herr E. aus M., ohne den ich nicht einmal gewußt hĂ€tte, dass dieses Werk existiert. Das geht wahrscheinlich auch anderen so, mein neuer Online-BuchhĂ€ndler bat nĂ€mlich um etwas Geduld, man habe keinen Bestand mehr und mĂŒsse erst wieder ein Exemplar drucken. Innerhalb von 24 Stunden, so viel Zeit habe ich allemal, kein Problem. Ob man das dann in einem derartig winzigen Font hĂ€tte machen mĂŒssen und auch noch so derartig schlampig redigiert? Ich hĂ€tte ihnen fĂŒr bessere QualitĂ€t auch mehr Zeit gegeben. Gerne sogar. Aber nun ist es halt so und Buch und ich haben einen netten Nachmittag in gutem hellen Sonnenlicht miteinander verbracht.

Worum geht es? Inspector Grant (drunter gehts nicht) von Scotland Yard liegt zu absoluter Bettruhe verdonnert im Krankenhaus und ihm ist fad. Auf den ersten paar Seiten zeichnet Tey ein paar ausnehmend hĂŒbsche PortrĂ€ts von Betreuungspersonal und Besuchern, rechnet nebenher schön giftig mit dem Literaturbetrieb und der britischen Nachkriegs-aber-eigentlich-immer-noch-gerne-Kolonialmacht-sein-wollenden-Gesellschaft ab und dann kommen wir zum eigentlichen Thema. Der Mann braucht Ablenkung. Eine BeschĂ€ftigung fĂŒr sein Polizistenhirn.

Und weil ihm neben analytischen FĂ€higkeiten auch die Gabe gegeben ist, im Gesicht eines Menschen dessen Charakter zu erkennen (jaha, ist blödsinnig, aber halt mal die PrĂ€misse), bringt ihm die Schauspielerfreundin eine Auswahl historischer PortrĂ€ts ans Krankenlager. Unter anderem das Richards des Dritten. Den kennen wir alle, das ist der bucklige Shakespeare-Schurke mit “Winter unseres MißvergnĂŒgens”, “Ich bin gewillt, ein Bösewicht zu werden” und dem Pferd. Der alle umbringt, die seiner Thronfolge im Wege stehen, nicht zuletzt seine beiden blondgelockten Neffenprinzen im Tower von London. Dabei, sagt Grant und sagen alle, denen er es zeigt, sieht er auf dem PortrĂ€t eigentlich gar nicht aus wie ein Mörder.

Das ist fĂŒr den Inspector Grund genug zu “ermitteln” und er beginnt nun mit Hilfe eines jungen Studenten der Geschichte aus den Kolonien (damit ist Amerika gemeint, was Tey noch einmal fĂŒr einige sehr schön gemeine Bemerkungen zum Kontrast zwischen dem alten und dem jungen Land und seinen Menschen nutzt) Fragen zu stellen und Fakten zusammenzutragen. Die der junge Mann alle brav beibringt.* Sie kommen nach viel LektĂŒre in altem Papier zu dem Schluss, dass die Morde Richard nicht nachzuweisen sind und daher die Unschuldsvermutung gilt. Wer mehr wissen will, befrage die Richard III Society, ein wunderbar exzentrisches Projekt.**

Das absolut unoriginelle Meta-Fazit: “Truth is the daughter of time, not of authority”, ein Zitat von Sir Francis Bacon, aus dem Tey den Titel entlehnt hat. Im Deutschen ist daraus “Alibi fĂŒr einen König” geworden. Ich möchte das nicht kommentieren.

Nein, der “beste Kriminalroman aller Zeiten” ist es nicht. Das Buch hat inzwischen ein Dreivierteljahrhundert auf dem Buckel (hihi), dennoch ist es immer noch scharfsinnig und eine vernĂŒgliche LektĂŒre. Es schadet nicht, wenn man Freude an Geschichte hat und am Barden obendrein. Trifft auf mich beides zu und mich treibt nun die Frage um, was Shakespeare davon hielte, dass sein TheaterstĂŒck bis heute unser Bild von Richard dem Dritten prĂ€gt.

Wer mein Exemplar haben möchte, gebe Bescheid.

* Tey verwendet das beliebte Motiv des “armchair detective”, der statisch bleibt oder bleiben muss und andere fĂŒr sich laufen lĂ€ĂŸt.

** https://richardiii.net/richard-iii-his-world/reputation/crimes-alleged-by-shakespeare/

Das Mitgliedschaftsjahr der Richard III Society beginnt am 2. Oktober (König Richards Geburtstag). Wenn Sie der Society zwischen dem 1. August und dem 2. Oktober beitreten, ist die Mitgliedschaft bis zum 2. Oktober kostenlos.

Werte Spiegelredaktion

“Urteil”? Echt jetzt? HĂ€tte es “Bewertung” nicht vielleicht auch getan? Oder “Ergebnis”? Wenn es schon eine Produktwerbung im redaktionellen Teil sein muss, geht es dann nicht wenigstens eine Nummer kleiner?

Do it yourself

Vorhin beim GemĂŒsetandler auf dem Markt. Nein, Avocados fĂŒr den Salat heute seien schon aus. Aber diese hier könne er mir anbieten:

Ja, zefix. Muss man denn heutzutage alles selber machen?