In der ARTE-Mediathek: “Ich lasse mir nichts mehr gefallen – Je ne me laisserai plus faire”

Die Witwe Emilie Raffray (Yolande Moreau) hat gerade ihren einzigen Sohn zu Grabe getragen und wird, noch in Hut und Mantel, von der geschĂ€ftigen und geschĂ€ftstĂŒchtigen Heimleiterin bedrĂ€ngt, zu erlĂ€utern, wer denn wohl jetzt fĂŒr die Differenz zwischen ihrer schmalen Rente und dem eigentlichen Preis fĂŒr ihren Altenheimplatz aufkommen werde. Wo der Bub doch nun ausfĂ€llt.

Diese pietĂ€tlose UnverschĂ€mtheit ist der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Noch in derselben Nacht packt Madame Raffray ihre Tasche und brennt durch. Mit dem festen Vorsatz, ihre Liste abzuarbeiten, also all jene Menschen zu konfrontieren, die ihr im Leben Unrecht zugefĂŒgt haben. Im Englischen gibt es dafĂŒr den schönen Begriff “to right the wrongs”, im Deutschen könnte man im weitesten Sinne davon sprechen, dass sie Wiedergutmachung fordert – das trifft es aber nicht ganz. Ein Rachefeldzug ist es aber auch nicht. Auch nicht ganz.

Die Liste ist chronologisch aufgebaut, ihr erstes Subjekt ist der ehemalige Klassenkamerad, der sie mit seinen Kumpels gemobbt hat, die nĂ€chste die hartherzige frĂŒhere Vermieterin, die Schuld am Tod des schwerkranken Gatten trĂ€gt, es folgt der ehemalige Chef, der die schwangere Emilie rausgeschmissen hat. Bei allen greift sie entweder Besitz oder Stolz an, wobei Regisseur Gustave Kerven sehr schön herausarbeitet, dass die Begriffe sich hĂ€ufig decken.

Inzwischen fahndet ein Polizistenpaar (Anna Mouglalis, RaphaĂ«l Quenard), deren Interviews mit den “GeschĂ€digten” mehr ĂŒber deren geistig-moralische SchwĂ€chen bloßlegen als zu Jagd nach Emilie zu animieren. Die hat eine WeggefĂ€hrtin / Mitstreiterin / Schwester im Geiste gewonnen, Lynda (herzzerreißend: Laure Calamy) und eine Kettenreaktion setzt ein. Auch ĂŒber Lynda lasten Schatten aus der Vergangenheit und auch sie befreit sich davon, indem die beiden Frauen gemeinsam die TĂ€ter stellen und ihrerseits demĂŒtigen. So geht das weiter: die Ermittlerin findet endlich den Mut, ihr Schweigen zu brechen und auch ihr Partner tut das Richtige. Und Emilie und Lynda reiten in den Sonnenuntergang…

Der Film hat eine eigenwillige Bildsprache, die Protagonisten sind botoxfreie Alltagsmenschen, die Locations normal und bieder, die Sprache furchtbar derb, die Synchronisation allenfalls mittelgut. Trotz alledem schadenfreut man sich mit jedem kleinen Sieg mit und gönnt den Bösen von Herzen, dass ihnen ihr Unrecht heimgezahlt wird.

Diese Yolande Moreau ist eine Naturgewalt. Alle verfĂŒgbaren Hachs! Ich hatte sie seinerzeit zum ersten Mal in “Das brandneue Testament” gesehen (s. https://flockblog.de/?p=29372) und ja, sie ist einfach eine Göttin!

Anschauen!

Add a Comment

Your email address will not be published. Required fields are marked *

fifteen − 4 =